Zur Praxis der Menschenrechte
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Die Menschenrechte haben sich als praktische Querschnittaufgabe einer Vielzahl an Politikfeldern etabliert. Oft werden sie als überzeugendes Beispiel für einen normativen Konsens der Weltgemeinschaft angeführt. Gleichzeitig wird immer wieder erkennbar, dass dieses Ideal verschiedenen Deutungen in der Praxis unterliegt. Welche Funktion hat etwa der Universalismus der Menschenrechte oder was trägt der Würde-Begriff wirklich aus? Welche Begründungsstrategien sind denkbar, auch im Lichte kultureller und religiöser Vielfalt? Und wäre nicht auch über Menschenpflichten nachzudenken? Was bleibt schließlich von dem Ideal der Menschenrechte angesichts von Problemstellungen, die es notwendig machen, über das klassische Gefüge von Staat und Individuum hinaus zu denken?Dieser Band des Forschungs- und Studienprojektes der Rottendorf-Stiftung an der Hochschule für Philosophie versammelt dazu Überlegungen namhafter Völkerrechtler, Politik-, Sozial-, Religionswissenschaftler und Philosophen.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783170289017

Der Krieg: ein menschenrechtlicher Ausnahmezustand?1

Daniel-Erasmus Khan

1 Der „ewige Frieden“: (wohl) doch nur ein Traum

Kein Zweifel: Der Krieg ist „seinem Wesen nach ein Übel“ – so lautet die prägnante Formulierung im Urteil des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals von 1946 (Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg 1947:207) – und der humanste Krieg ist damit ganz sicher derjenige, der nicht geführt wird. Der Zustand „eines allgemeinen und ewigen Weltfriedens“ ist denn auch einer der großen Sehnsuchtsorte der Menschheit2 und – letztlich untrennbar damit verbunden – die Verhinderung, oder doch zumindest Begrenzung des Eintritts des zivilisatorischen Ausnahmezustandes „Krieg“, ein universelles Leitmotiv der Geistesgeschichte.3
Im völkerrechtlichen Diskurs des europäischen Kulturkreises, der sich ab dem späten Mittelalter auch in dieser zentralen Frage allmählich aus scholastischen Fesseln zu befreien vermochte, wurde diese Diskussion bekanntermaßen jahrhundertelang unter dem Topos Einhegung des ius ad bellum, also des Rechts zum Kriege, geführt. Als unmittelbare Reaktion auf den Super-GAU zivilisatorischen Versagens während und im Schatten des Zweiten Weltkrieges, und als vorläufiger Schlusspunkt einer überraschend kurzen normativen Entwicklung,4 enthält das völkerrechtliche Grundgesetz unserer Tage, die Charta der Vereinten Nationen von 1945, ganz zu Beginn – und damit an sehr prominenter Stelle – ein nicht wirklich bescheidenes Versprechen, nämlich „zukünftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“ (VN 1945: Präambel, Abs. 1; abgedruckt in Simma/Fastenrath 2010:1). Diese radikale Ächtung der Gewalt als Mittel der Konfliktlösung in den internationalen Beziehungen gilt in der Tat als ein grundlegender Paradigmenwechsel im modernen Völkerrecht: Vom ius ad bellum, also einem normativen Rahmen für ein, wenn auch zunehmend eingeschränktes Recht zum Kriegführen, hin zu einem grundsätzlichen Verbot des Kriegführens, also einem ius contra bellum.
Aber wie so oft, Anspruch und Wirklichkeit klaffen auch in dieser im wahrsten Sinne des Wortes existentiellen Frage weit auseinander: Spätestens seit der prähistorische Interessenskonflikt zwischen Kain und Abel in tödlicher Gewalt endete (vgl. Gen. 4,8), ist die Konfliktaustragung mit Waffen eine Konstante der Menschheitsgeschichte. Und sie ist dies bis heute geblieben5 – auch in ihrer Form als kollektiv geplante Gewalt zwischen Gruppen, vulgo als Krieg also – trotz aller Friedensappelle und trotz aller normativen Verbote.6
In diesen Frühlingstagen des Jahres 2014 werden wir in besonderer Weise daran gemahnt, wie rasch und mit was für dramatischen Folgen ein verfehltes Krisenmanagement zu einer Eigendynamik führen kann, an deren Ende der Krieg steht – und dies auch nicht nur in einer betroffen-festlichen Retrospektive auf das blutige Ende des „langen 19. Jahrhunderts“.7 Denn wir werden in diesen Tagen eben auch daran gemahnt, wie trügerisch die Sicherheit ist, in der wir uns heute in der Hoffnung auf einen „ewigen Frieden“ in Europa wähnen: Es sei nur daran erinnert, dass auch Russland seit 1998 Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention ist und auch dieser Staat damit in normativ verbindlicher Weise ein Bekenntnis abgelegt hat zu „[seinem] tiefen Glauben [an die Menschenrechte], welche die Grundlage von Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden und die am besten durch eine wahrhaft demokratische politische Ordnung […] gesichert werden“ (BGBl. 1952 II, 686; abgedruckt in Simma/Fastenrath 2010: 483). In der Tat, das scheinbar so solide Fundament einer menschenrechtsgeprägten Friedensordnung ist und bleibt brüchig – und wir sollten nicht der Versuchung erliegen, für selbstverständlich zu nehmen, was eben alles andere als selbstverständlich ist – auch hier und heute in Europa.
Wie die Magna Charta des Menschenrechtsschutzes in Europa exemplarisch zeigt, enthält die Völkerrechtsordnung der Gegenwart mit ihrem materiell aufgeladenen Friedensbegriff aber noch ein weiteres und – um es sehr vorsichtig auszudrücken – bisher ebenfalls nur unvollständig eingelöstes Versprechen: „Kein Frieden ohne Menschenrechte“ – könnte man plakativ sagen.8 Aber gilt auch die umgekehrte Gleichung – also „Keine Menschenrechte ohne Frieden“? Mit anderen Worten, steht der Mensch etwa in „friedlosen“ Zeiten, in Zeiten also, in denen sein Leib, Leben und Eigentum besonderen Gefährdungen ausgesetzt ist, nicht (oder jedenfalls nur eingeschränkt) unter dem Schutz der völkerrechtlich garantierten Menschenrechte? Der Krieg als ein menschenrechtlicher Ausnahmezustand also? Dies ist in der Tat eine, nicht nur in der Völkerrechtswissenschaft in zahlreichen Detailfragen kontrovers und vieldiskutierte, sondern auch für die Völkerrechtspraxis hochaktuelle Frage, der ich im Folgenden skizzenhaft nachgehen möchte.

2 Inter arma caritas: der Gewalt (auch im Krieg) Grenzen setzen

Die Antwort des Völkerrechts auf die omnipräsente Realität des Krieges war bis in die jüngere Vergangenheit hinein beschämend zurückhaltend:
Rückblende: Im Jahr 52 vor Christus herrschten in Rom bürgerkriegsähnliche Zustände. In seiner Verteidigungsrede für den unter Mordanklage stehenden Prätor Titus Annius Milo zog Cicero alle Register juristischer Rhetorik: Eines seiner zentralen Argumente „pro Milo“ lautete: „ Silent enim leges inter arma“ (Cicero 1895 [52 v. Chr.]: IV.11). Denn unter den Waffen schweigen die Gesetze. Diese Maxime sollte das Verhältnis zwischen Recht und Krieg für fast zwei Jahrtausende prägen: „Es ist ein abgedroschenes Sprichwort, dass unter den Waffen die Gesetze schweigen; aber es ist auch ein sehr wahres“, so formulierte es Thomas Hobbes fast 1700 Jahre später (Hobbes 1918 [1642]: V, 2);9 und er zeichnete damit ein nicht nur für seine, die Unzeit des Dreißigjährigen Krieges realistisches, sondern noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein gültiges Bild. In der Tat, noch vor gerade einmal 150 Jahren befand sich der Krieg in einem vom positiven Völkerrecht praktisch ungeregelten (Natur-)Zustand, an dessen unbarmherziger Realität auch die Ideale von Humanismus und Aufklärung nahezu spurlos vorübergegangen waren.10
Der Krieg ist […] kein Verhältnis eines Menschen zum andern, sondern das Verhältnis eines Staates zum andern, bei dem die einzelnen nur zufällig Feinde sind […]. Da der Zweck des Krieges die Vernichtung des feindlichen Staates ist, so hat man das Recht, die Verteidiger desselben zu töten, solange sie die Waffen in der Hand haben; sobald sie sie jedoch niederlegen und sich ergeben, so werden sie, weil sie aufhören Feinde oder Werkzeuge des Feindes zu sein, wieder nur Menschen, und man hat kein Recht mehr auf ihr Leben. (Rousseau 1762: Buch 1 Kapitel IV)
In der Tat hatte Jean- Jacques Rousseau damit bereits Mitte des 18. Jahrhunderts ein zentrales Element des modernen Kriegsrechts formuliert: Die Unterscheidung zwischen kämpfenden Soldaten (Kombattanten) einerseits und Opfern des Krieges andererseits. Praktische Konsequenzen jedoch zog Rousseau aus dieser Erkenntnis nicht, noch fühlte er sich hierfür – ebenso wenig wie seine Zeitgenossen – verantwortlich.
Indes, die Formulierung positives Völkerrecht ist mit Bedacht gewählt, denn Religion, Ethik, Moral und später auch das Naturrecht haben schon immer und überall versucht, dem Krieg Grenzen zu setzen – und schon immer geschah dies wohl in erster Linie mit einem mit-leidigen Blick auf die primären Opfer kriegerischer Gewalt: menschliche Individuen. Die Zeugnisse dieser „humanitären Sorge“ reichen vom hinduistischen Mahabarata-Epos aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert (vgl. Kumar Sinha 2005: 285) bis zu den Instruktionen des 1. Kalifen Abu Bakr an seine Heerführer (vgl. Bennoune 1994: 626ff.) und vom Bushido, der Lebensphilosophie der Samurai im alten Japan (vgl. Nitobe 2003 [1899]), bis hin zum Kirchenvater Augustinus.11 Die Versuche, der Brutalität des Krieges Schranken zu setzen, sind damit natürlich weder eine „Erfindung“ des 19. Jahrhunderts noch eine solche der sogenannten westlichen Zivilisation.
Die Tötung und Verstümmelung von Menschen und die Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen als praktisch zwingende Folge kriegerischer Gewalt ist also rechtfertigungsbedürftig – darüber scheint in der Tat ein breiter zivilisations-, epochen-, aber auch disziplinübergreifender Konsens zu bestehen. Und gleiches gilt wohl „erst Recht“ für die erschreckend häufigen, ja regelmäßigen „Kollateralschäden“ des Krieges: Verletzungen menschlicher Würde und Integrität durch Folter, Vergewaltigung und andere Formen erniedrigender und unmenschlicher Behandlung – seien die Opfer unmittelbar am Kriegsgeschehen beteiligt, oder auch nicht. Grenzenloser Gewalt und Willkür ausgesetzt werden darf der Mensch auch in der zivilisatorischen Ausnahmesituation des Krieges nicht! Nur, wo diese Grenzen liegen, und wie deren Einhaltung auch normativ (ab-)gesichert werden kann, das ist – jedenfalls für den Juristen – die entscheidende Frage. Eine Frage, die uns zunächst nach Genf führt.
„Solange die menschlichen Leidenschaften dauern, und das wird wohl noch lange der Fall sein, wird es Kriege auf dieser Erde geben.“ Mit diesen Worten eröffnete dort im Oktober 1863, also vor fast genau 150 Jahren, General Guillaume-Henri Dufour eine Konferenz, auf der Staatenwelt und Geisteswelt gleichermaßen von einem völlig neuen Ansatz zur Humanisierung der Kriegführung überzeugt werden sollte: Nicht länger vergeblich „dem Trugbild der Unterdrückung“ des Krieges nachjagen wollte man, sondern vielmehr „um der Menschheit wahrhaft zu nützen, darauf bedacht sein, die Furchtbarkeit [seiner] Folgen [Herv. v. Verf.] möglichst zu mindern.“12 Und zwar nur dies. War dies nicht ein Verrat am Friedensideal, das – wenn auch leider vergeblich – seit Jahrhunderten in immer neuen Projekten beschworen worden war? Oder war die Genfer Initiative vielleicht doch der pragmatische und längst überfällige Abschied von einer Utopie, einer Utopie, die nicht zuletzt auch als Blockade für die Etablierung eines Rechtsregimes für mehr Menschlichkeit im Krieg gewirkt hatte?
In der Tat: Der ideelle Kern und der Schlüssel zum Erfolg des damals von einer kleinen Gruppe calvinistischer Bürger, darunter Henry Dunant, initiierten und von der Rotkreuzbewegung bis heute entscheidend mitgeprägten Humanitären Völkerrechts bestand genau darin: Hinnahme (nicht Billigung!) der Realität des Krieges und konsequente Abkoppelung der Frage der Legitimität der Kriegführung an sich, also des ius ad bellum, von einem Rechtsregime in bello, welches „im Dienste der Menschlichkeit“ allen Opfern des Krieges gleichermaßen, allein eben wegen ihrer individuellen Eigenschaft als Kriegsopfer, zugutekommen sollte.
Die Erfüllung der Forderung nach einer Humanisierung der Kriegführung mit den Mitteln des Rechts aber hatte natürlich ihren Preis: Nur unter der Voraussetzung, dass der Krieg auch weiterhin als ein grundsätzlich legitimes Mittel zur Erreichung politischer Ziele hingenommen wurde, waren die Staaten in den 1860er Jahren bereit, erstmals überhaupt verbindliche Regeln über die Beschränkung der Methoden, Mittel und Objekte der Kriegführung zu akzeptieren. Und sie taten dies aus einem ganzen Motivbündel heraus (vgl. Lovrić-Pernak 2013), wobei die Sicherstellung der fortdauernden Kriegsbereitschaft einer zunehmend selbstbewussten Bürgergesellschaft eine ganz zentrale Rolle spielte: „Ein Krieger, der seinem Vaterland dient, oder es vertheidigt, hat er nicht Anspruch auf die Sorge seines Vaterlandes?“ (Dunant 1863: 115) Diese wohl eher rhetorisch gemeinte Frage Dunants konnten die Monarchen der Zeit schlichtweg nicht mehr verneinen!13
Und es versteht sich damit natürlich auch von selbst, dass ein solches ius in bello die Kriegführung als solche ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Zur Praxis der Menschenrechte. Eine Einleitung
  6. Menschenrechte als juridische Rechte. Eine Skizze
  7. Der Würde-Begriff als philosophisches Fundament der Menschenrechte
  8. Menschenrechte und Pragmatismus. Menschenrechtspraxis und nachhaltige Entwicklung im Anschluss an John Dewey
  9. Der Krieg: ein menschenrechtlicher Ausnahmezustand?
  10. Hard Cases Make Bad Law. Über tickende Bomben und das Menschenrecht nicht gefoltert zu werden
  11. Menschenrechte als ambivalentes Instrument globaler Politik: das Beispiel Frauenpolitik
  12. Menschenrechte im Nahen Osten. Zur Dynamik von Inklusion und Exklusion und moderner Subjektivierung im Kontext des arabischen Transformationsprozesses
  13. Diskurse zu Menschen- und Freiheitsrechten in islamisch geprägten Gesellschaften. Schlaglichter einer breit gefächerten Debatte
  14. Menschenrechte als Spielball transnationaler Unternehmungen? Die UNO Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte im kritischen Fokus
  15. Autor/-innen und Herausgeber/-innen