Psychoanalytische Erkenntnishaltungen und Interventionen
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Psychoanalytische Erkenntnishaltungen und Interventionen

Schlüsselbegriffe für Studium, Weiterbildung und Praxis

  1. 376 Seiten
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Psychoanalytische Erkenntnishaltungen und Interventionen

Schlüsselbegriffe für Studium, Weiterbildung und Praxis

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Über dieses Buch

In der zeitgenössischen Psychoanalyse hat sich das Repertoire der Behandlungstechnik stark ausgeweitet. Neben der klassischen Psychoanalyse und Ichpsychologie wurden neue psychoanalytische Richtungen wie Objektbeziehungstheorien, Selbstpsychologie und intersubjektive Psychoanalyse sowie modifizierte Verfahren entwickelt, die weltweit praktiziert werden. Gibt es noch eine gemeinsame Basis oder nur noch die Konkurrenz miteinander konkurrierender Richtungen? In diesem Buch wird für ein kritisches Überdenken schulenbedingter konzeptueller und methodischer Engführungen und damit für eine patientengerechtere und integrativere psychoanalytische Behandlung plädiert."Mertens ist es wieder einmal gelungen, in höchst anschaulicher und doch kurzer Weise Schlüsselbegriffe der Psychoanalyse in alphabetischer Anordnung gut zu erörtern, dabei modernste Fachliteratur berücksichtigend."(Georg R. Gfäller, Z. f. Individualpsychol. 34/2009)

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783170243736
Auflage
2

1 Einige Überlegungen zur Weiterentwicklung psychoanalytischer Erkenntnishaltungen und Interventionen

Obwohl viele Psychoanalytiker heutzutage pluralistisch vorgehen, d. h. aus der Fülle theoretischer Modelle über Entwicklung, Persönlichkeit, Psychogenese von Leidenszuständen, Behandlungstechnik und Krankheit diejenigen Metaphern und Konzepte auswählen, die ihnen für einen bestimmten Patienten passend erscheinen, lassen sich in der Literatur doch immer wieder polarisierende Behauptungen antreffen, bei denen die Überlegenheit des eigenen Ansatzes betont und die Theorien anderer Richtungen zumeist in Schwarz-weiß-Zeichnung abgewertet werden. In dieser Abhandlung wird deshalb dafür plädiert, die Ausschließlichkeit bestimmter polarisierender Behauptungen kritisch zu betrachten und ihre Relativität zu erkennen, denn der psychoanalytische Erfahrungsschatz, der im 20. Jahrhundert entstanden ist, ruht auf den Schultern vieler Praktiker, Theoretiker und Methodiker der Psychoanalyse. Das nimmt zwar einigen Konzepten etwas von ihrer Bedeutsamkeit und verringert das allgegenwärtige Bedürfnis, einzelne Personen idealisieren zu können, trägt aber auch zu einer Verwissenschaftlichung der Psychoanalyse bei, deren Ideen und Hypothesen immer auch in Bezug auf interne und externale Kohärenz und Stimmigkeit überprüft werden müssen. »Schulen«, deren Gründer und Jünger tendieren hingegen eher dazu, sich theoretisch wie institutionell abzuschotten, ihre Hypothesen nicht ausreichend zu explizieren und sich methodisch zu wenig in die Karten schauen zu lassen. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund ist es in der Psychoanalyse in den letzten Jahren zu einer nahezu unüberschaubaren Anzahl von Minitheorien gekommen. Nach außen erscheint dies nicht nur wie ein überbordender Theoriekörper, sondern auch wie die Fragmentierung eines einst doch relativ zusammenhängenden Gebäudes. In manchen holzschnittartigen Vereinfachungen der ersten und zweiten Generation von Psychoanalytikern ließen sich Übertragung, Übertragungsneurose, Widerstand sowie Gegenübertragung und Deutung wie ausgestanzte Gebilde beschreiben und handhaben. Nach und nach wurde dann aber der Prozesscharakter dieser Phänomene erkannt und schließlich gehen wir in der Gegenwart von einem komplexen Ineinander von verbalen und nonverbalen Beziehungsfaktoren, Handlungsmustern und Interventionsformen aus. Und im Unterschied zu lehrbuchhaften Handlungsanleitungen muss jeweils für den einzelnen Menschen bzw. für die Therapeut-Patient-Dyade entschieden werden, welche Priorität die verschiedenen Konzepte haben (vgl. Zwiebel 2007).
Wenn es in den zurückliegenden 20 bis 30 Jahren zu einer enormen Erweiterung psychoanalytischer Interventionsformen gekommen ist, dann ist dies in erster Linie natürlich auch den Patienten zu verdanken, die mit ihren unterschiedlichen Leidenszuständen immer wieder etablierte, manchmal auch festgefahrene Vorgehensweisen in Frage gestellt haben. Ein weiterer Grund sind aber sicherlich auch die soziokulturellen Veränderungen im Verlauf des 20. Jahrhunderts, die zu neuen Auffassungen über eine optimale analytische Vorgehensweise führten, und nicht zuletzt hat auch die Auseinandersetzung mit Theorien und Befunden aus der Kleinkind-, Bindungs-, Emotions-, Gedächtnis- und neurowissenschaftlichen Forschung entweder zu ganz neuen Anregungen, häufig aber auch zu einer präziseren Fassung bereits seit längerer Zeit intuitiv gehandhabter und der Praxis entsprungener Überlegungen und Konzepte geführt.
Eine Bestandsaufnahme lässt so manche bislang als identitätsstiftend betrachtete Interventionsform in den Hintergrund treten, rückt zeitgenössische Auffassungen dementsprechend stärker in den Vordergrund, macht aber auch gemeinsame Schnittmengen zwischen vormals als unvereinbar betrachteten Positionen sichtbar und hilft vielleicht auch, den immer wieder aufflackernden »Schulenstreit« konzeptuell ein wenig zu entschärfen. Denn das dogmatische Insistieren auf der »Richtigkeit« eines einzigen theoretischen Modells lässt gerade die psychoanalytische Erkenntnis von der prinzipiellen Unabgeschlossenheit einzelner Erkenntnisperspektiven unberücksichtigt (Gabbard 2007, Mertens 2010–12).
Denn während noch in der amerikanischen Ichpsychologie die Übertragungsdeutung so etwas wie psychoanalytische Identität verbürgen konnte, gibt es in Zeiten einer pluralistischen Psychoanalyse eine Vielzahl an Vorgehensweisen, die je nach Schulrichtung die Geltung für sich beanspruchen, der jeweils primäre Wirkfaktor zu sein. Glen O. Gabbard und Drew Westen (2003) haben deshalb für eine multimodale Auffassung von psychoanalytischen Wirkfaktoren plädiert, anstelle der früheren normativen »Übertragungsdeutungs-Psychoanalyse«, einer ausschließlich ich- oder selbstpsychologischen Herangehensweise oder der aus heutiger Sicht allzu einfach erscheinenden Zweiteilung »psychoanalytisch« versus »psychotherapeutisch«, wobei Letzteres mit dem Stigma des Zweit- oder gar Drittklassigen behaftet war. Mehr und mehr hat sich auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine psychoanalytische Kur für jeden einzelnen Patienten maßgeschneidert sein sollte im Sinne von »Legt die Lehrbücher oder die Manuale beiseite«. »Multimodal« könnte dann bedeuten, dass z. B. auch supportive Interventionen, die lange Zeit als antianalytisch galten, für eine analytische Psychotherapie bedeutsam werden, weil sie den Bedürfnissen eines Patienten nach Orientierung hinsichtlich seiner äußerst prekären nichtbewussten Interaktionserwartungen zunächst einmal entgegenkommen, statt ihn durch eine zu stark abstinente Haltung – die für einen anderen Patienten oder in einer späteren Phase der Behandlung durchaus angezeigt sein kann – zusätzlich zu verunsichern.
Mit der Einstellung, dass entsprechend einem schulenspezifischen Denken nur bestimmte Vorgehensweisen als genuin psychoanalytisch gelten, stand und steht zum Teil immer noch die Psychoanalyse in der Gefahr, einen sehr engen Indikationsbereich für sich zu beanspruchen bzw. darauf festgelegt zu werden. Patienten, die überwiegend psychosomatisch erkrankt waren, wurden für psychoanalyseuntauglich erklärt; Patienten, denen eine körperbezogene Intervention geholfen hätte, wofür sich die Psychoanalyse aber nicht zuständig erklärte, wurden an Körperpsychotherapeuten verwiesen; für schizoide und narzisstische Patienten mit präödipalen Erkrankungen wie schizoiden oder narzisstischen Persönlichkeitsstörungen, die Schwierigkeiten mit Reflexion und Symbolisierung hatten, schien nur eine stützende Psychotherapie indiziert; Patienten mit schweren Kindheitstraumatisierungen wurden an eigens dafür ausgebildete Traumaspezialisten weitergereicht; zwischen Einsicht und als suggestiv eingeschätzten Beziehungsfaktoren wurde vereinzelt immer noch eine strikte Trennungslinie gezogen u. a. m. Es schien, als sei der Olymp der Psychoanalyse nur einigen wenigen Patienten vorbehalten. Und in dieser derartigen Engführung der Psychoanalyse wurde lediglich der metakommunikative Diskurs, das Erleben und Thematisieren der Beziehung im Hier und Jetzt als i. e. S. psychoanalytisch eingeschätzt.
Eine metareflexive Kompetenz ist bei nicht wenigen Patienten durch frühe Traumatisierungen und Erfahrungs- sowie Lerndefizite in verschiedenen präverbalen und verbalen Erlebnisbereichen dermaßen eingeschränkt, dass es einer Münchhauseniade gleichkäme, zu glauben, ihnen von Anfang an allein mit verbalen Beziehungsdeutungen zu mehr selbstanalytischer Reflexionsfähigkeit verhelfen zu können. Denn diese Patienten neigen dazu, ihren augenblicklichen Stimmungs- und Affektzustand für die Gesamtheit ihres Erlebens zu halten; das damit einhergehende Pars pro Toto-Denken ist ihnen reflexiv nicht zugänglich. Ebenso überwiegen voneinander getrennt gehaltene affektive Bewertungen des eigenen Selbst und anderer Menschen. Dieser Mangel an Ambivalenztoleranz führt zur Unfähigkeit, intrapsychische Konflikte zwischen Liebe und Abneigung bzw. Hass zu erleben. Projektive und introjektive Vorgänge führen zu Externalisierungen eigener Affektzustände in andere Menschen oder zu einer blitzschnellen Affekt- und Stimmungsansteckung, denen sich der Betreffende hilflos ausgeliefert fühlt. Überhaupt herrschen dysphorische, depressive, verzweifelte und gelegentlich auch Aufmerksamkeit erheischende, grandiose und manische Gefühlszustände und/oder unmentalisierte körperliche Spannungszustände vor. Weil sie häufig kein Gespür für ihre eigene Feindseligkeit haben, die sie in Mimik, Sprache und Handlungen ausstrahlen, erleben sie sich zumeist als Opfer von vermeintlichen oder per projektiver Identifizierung erzwungenen Unverschämtheiten und Zumutungen anderer Menschen. Es fällt ihnen schwer, Affektzustände zu verbalisieren, weshalb sie zum motorischen Agieren, zum Somatisieren und zur unmittelbaren Affektabfuhr neigen. Sprechen wird oft zum Sprechhandeln, von dem etwas Aggressives, Zwingendes und Beherrschenwollendes ausgeht. Ebenso können Erinnerungen nicht als Vorstellungen repräsentiert werden, sondern müssen unmittelbar als Beziehungserfahrung ausgelebt werden. Es kann nicht ausbleiben, dass schwere Beeinträchtigungen der Selbstwertregulierung in Form von starker Selbstüberschätzung, vernichtend empfundener Minderwertigkeit, übermäßiger Idealisierung und massiver Entwertung anderer Menschen ebenfalls das Erleben charakterisieren.
Andere Vorgehensweisen, die sich in einem zeitgenössischen Verständnis jedoch alle als psychoanalytisch begreifen lassen, sind für die Behandlung dieser strukturell beeinträchtigten Menschen notwendig und sie sind in der psychoanalytischen Literatur ausgiebig beschrieben worden (vgl. z. B. Bergmann-Mausfeld 2006, Kernberg et al. 1993, Riesenberg-Malcolm 2003, Robbins 1983, 1988, 1996, Rosenfeld 1981, Rohde-Dachser & Wellendorf 2004, Steiner 1998). Selbst eine psychoedukative Maßnahme kann, wenn sie in ein psychoanalytisches Verständnis der bewussten und unbewusst ablaufenden Beziehung eingebettet bleibt, durchaus als angemessen gelten.
Das Kriterium der Analysierbarkeit war viele Jahre so etwas wie ein Gütesiegel der Psychoanalyse; nur wer über eine ausreichende Introspektionsfähigkeit und psychological mindedness verfügte, kam in den Genuss einer psychoanalytischen Behandlung. Damit wurde aber auch der Kreis der Menschen, für die eine Psychoanalyse überhaupt in Frage kam, sehr stark eingeschränkt. »Times have changed in many ways«: Wilma Bucci (2002) hat – wie viele andere Psychoanalytiker der Gegenwart – darauf aufmerksam gemacht, dass im Fall einer nicht erfolgreichen analytischen Behandlung die Frage nach der Eignung eines Patienten in den zurückliegenden 15 bis 20 Jahren der Einschätzung gewichen ist, ob es nicht vielmehr die analytische Standardtechnik ist, die sich als ungeeignet für diesen Patienten erweist.
Gabbard und Westen (2003) betonen, dass Psychoanalytiker immer mehr erkannt haben, dass Einsicht und Deutung der Übertragung bzw. der Beziehung im Hier und Jetzt kein Entweder-Oder darstellen, wie es z. B. noch vor 20 Jahren gang und gäbe war, sondern synergistisch wirken, wobei bei manchen Patienten in bestimmten Therapieabschnitten mehr die Einsichtsgewinnung, bei anderen wiederum mehr Übertragungsdeutungen Wirksamkeit entfalten. Es gibt keine scharfe Trennungslinie mehr zwischen Deutung und Beziehung (vgl. Pulver 1992, Daser 1999). Diese Gegenüberstellung wird sogar zunehmend als überholt betrachtet. Psychoanalytische Interventionen treten zumeist in gemischter Form auf und sind als Kontinua zu betrachten (vgl. Waldron et al. 2004). Deshalb kann auch in der gegenwärtigen Psychoanalyse ein viel größeres Augenmerk auf beziehungsförderliche Faktoren, ja sogar auf supportive, anerkennende und selbstwertstützende Interventionen gelegt werden, ohne damit in den Verdacht zu geraten, dass dies nichts mehr mit einer psychoanalytischen Vorgehensweise zu tun hat (vgl. z. B. Levy & Inderbitzin 1997, Jiménez 2006). Bereits für Sandler und Sandler (1983) war es wichtig, eine nichtverurteilende Atmosphäre für den Analysanden zu schaffen, wozu sicherlich nicht nur Schweigen und taktvolle Zurückhaltung gehören, in der Annahme, damit den Auftrieb des Unbewussten zu fördern, – aber auch nicht nur temperamentvolle Beziehungsdeutungen – sondern eine auf jeden einzelnen Patienten individuell abgestimmte Vorgehensweise, welche die Interventionen auf die jeweilige Schamanfälligkeit für die implizit regressiven Aspekte des analytischen Settings wohl zu dosieren versteht und den Patienten auch entsprechend seiner jeweiligen Symbolisierungs- und Mentalisierungsfähigkeit an dem Punkt abholt, an dem er sich gerade befindet.
Das klassische sprachphilosophische Paradigma mit seinem semantisch-logischen Bezugssystem und dem Schwerpunkt auf dem Wahrheitsgehalt von Aussagen beachtete nicht die pragmatische Funktion der menschlichen Sprache bzw. ordnete diese völlig der repräsentativen semiotischen Funktion der Zeichen unter. Es berücksichtigte somit nicht, dass die Pragmatik menschlichen Sprechens zur Bedeutung von Aussagen in einem entscheidenden Ausmaß beiträgt und die Intersubjektivität der ausgetauschten Bedeutungen überhaupt erst ermöglicht. Die »pragmatische Wende«, die in der Sprachphilosophie vor allem anhand der Arbeiten von John L. Austin (1962) und John R. Searle (1969) eingeleitet wurde, ermöglicht demgegenüber ein völlig neues Verständnis von Sprache als einer »Sprechhandlung«, das mit vielen psychoanalytischen Überlegungen über Sprache und Sprechen Überschneidungen aufweist. Der verbale Inhalt ist in Therapien meistens nur deshalb wirksam, weil er eine emotionale Erfahrung auslösen kann, und nicht, weil die darin enthaltene inhaltliche Botschaft die hauptsächliche Bedeutung hätte. Allerdings wird die pragmatische Funktion des Sprechens in der Psychoanalyse ergänzt durch die psychodynamisch unbewusste Wirkabsicht und – worauf es in diesem Buch besonders ankommen wird – durch die nichtbewusste Emotionsregulierung, die »unterhalb« der Sprache verläuft.
Wallerstein (1998) spricht hinsichtlich der US-amerikanischen Verhältnisse von einem Paradigmenwechsel, der durch den Wandel von einer tendenziell als elitär und autoritär eingeschätzten Psychoanalyse zu einer intersubjektiven Psychoanalyse zustandegekommen ist, die eine ungleich größere Sensibilität für die Belange eines Patienten aufweise.
Es wäre jedoch mehr als bedauerlich, wenn der Eindruck entstünde, die Psychoanalyse sei aufgrund ihrer Anforderungen an die Reflexionsfähigkeit, Belastbarkeit und psychische Stabilität Relikt einer zu Ende gegangenen Epoche und deshalb nur noch einem kleinen nostalgischem Kreis besonders reflexionsfähiger und introvertierter, vielleicht auch autoritätshöriger und zu wenig für notwendige Wandlungsprozesse aufgeschlossener Personen vorbehalten und zu empfehlen, vielleicht schließlich nur noch solchen Menschen, die dieses Verfahren wegen einer Ausbildung zum Psychoanalytiker erlernen wollen.
Die vorliegende Abhandlung zielt in die entgegengesetzte Richtung: Es lässt sich so viel Psychoanalyse durchführen wie möglich, vorausgesetzt, man zwingt Patienten nicht, sofort in den obersten Stockwerken einzusteigen, sondern lädt sie ins Erdgeschoss ein und bemüht sich dann darum, einen Weg zu finden, wie die Betreffenden mit sich selbst und mit ihrem Analytiker selbstreflexiver umgehen können, weniger gezwungen zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung und zum Ausagieren in Krankheitssymptomen und ständigen Konflikten mit anderen Menschen und mit zunehmender Freude daran, immer komplexere Bedeutungszusammenhänge über sich und ihr interpersonelles Handeln zu erfahren und sich gefühlsmäßig zu Eigen machen zu können. Vielleicht kommt nicht jeder im obersten Stockwerk an, aber der Weg dorthin ist allein schon mit vielen fruchtbaren Lernerfahrungen verbunden.
Erkenntnisse der Kleinkindforschung, der Gedächtnis- und Emotionspsychologie geben der Psychoanalyse viele Möglichkeiten an die Hand, ihre bisherigen Konzepte noch besser fundieren zu können, manchmal durchaus auch in Abgrenzung zu interdisziplinären Befunden. So hat z. B. die Auseinandersetzung mit der Bindungsforschung deutlich gemacht, dass diese zwar den von Freud eher als selbstverständlich betrachteten Teil mitmenschlicher Bezogenheit differenziert betrachten kann, aber zu den Phänomenen der psychosexuellen Entwicklung und Konflikte bislang wenig zu sagen hat. In der Auseinandersetzung mit der Bindungsforschung mit ihren z. T. irreführenden Behauptungen über ein angeblich beziehungsloses psychoanalytisches Kleinkind sind deshalb wichtige und weiterführende Überlegungen entstanden (vgl. z. B. Cohen 2007, Diamond 2004, Müller-Pozzi 2008, Peskin 2001, Weinstein 2007, Zepf 2006), die zu einer Differenzierung psychoanalytischer Interventionen führen. Überlegungen, ob es eine bindungsorientierte Psychotherapie geben sollte, die statt auf die Triebentwicklung auf die Bindungsentwicklung fokussieren sollte, erscheinen angesichts irreführender Polarisierungen von bindungsbezogenem Kind versus psychosexuellem Kind somit nicht länger haltbar.
Aber auch die Auseinandersetzung mit den Konzepten und Forschungsbefunden der kognitiven und neurobiologischen Gedächtnisforschung hat deutlich gemacht, dass Psychoanalytiker sich vor der neueren Gedächtnisforschung nicht zu verstecken brauchen (vgl. z. B. Koukkou et al. 1998, Leuzinger-Bohleber et al. 1998a, b; Mancia 2007).
Schon des Längeren wird immer wieder daran erinnert, dass die Praxis nicht deduktiv aus theoretischen Grundannahmen abgeleitet werden kann, sondern ihr eigenes Handlungswissen generiert (vgl. Buchholz 1996, 1999). Statt sich ausschließlich mit normativen und idealtypischen Vorgaben und Theorien zu beschäftigen und deren buchstabengetreue Anwendung in der Praxis zu überwachen, sollte deshalb in viel größerem Ausmaß eine Untersuchung der tatsächlichen therapeutischen Praxis stattfinden. Was tun Psychoanalytiker tatsächlich? Wie denken sie? Welche Theorien und Konzepte unterlegen sie – wenn überhaupt – ihrem Vorgehen? Welche impliziten Theorien lassen sich eruieren (vgl. Bohleber et al. 2013, Tuckett 2007, 2012)? Es kommt hinzu, dass bisherige empirische Untersuchungen nicht den Nachweis erbringen konnten, dass bestimmte idealtypisch postulierte Orientierungen oder Richtungen erfolgreicher sind als andere.
Wenn aber die expliziten, theoretischen Orientierungen letztlich keine Unterschiede bezüglich des Behandlungserfolgs aufweisen und wir auch innerhalb der analytischen Richtungen von einem »Äquivalenz-Paradox« ausgehen müssen – zumindest angesichts der heute zur Verfügung stehenden empirischen Forschungsmethoden und deren Resultate –, dann wird die folgende Thematik immer bedeutsamer: Was macht ein Psychoanalytiker wirklich, wenn er sein Vorgehen als psychoanalytisch ausgibt und auch entsprechend als solches erlebt? Welchen Einfluss haben z. B. seine Alltagspsychologie, sein Weltwissen und seine Lebenskunst auf die Behandlung seines Patienten (vgl. Bohleber 2007, Canestri 2006, Gödde & Zirfas 2006, Will 2008)? Dennoch bleibt auch eine Explikation der verschiedenen Orientierungen und Einstellungen – der sog. expliziten Theorien – wichtig, da sie so etwas wie das Selbstverständnis führender Psychoanalytiker ausmachen. Diese Orientierungen stellen zudem generelle Möglichkeiten der Perspektivierung des behandlungspraktischen Vorgehens dar, mit deren Hilfe man sein eigenes methodisches Vorgehen einzuschätzen lernt. Vielleicht sind sie aber auch nur die oberste bewusstseinsmäßige Schicht eines viel komplexeren Beziehungsgeschehens, das jenseits des derzeitigen theoretischen und methodischen Wissensstandes seine eigene Dynamik entfaltet. Deshalb kann auch eine multimethodische und die verschiedenen Perspektiven (behandelnder Psychoanalytiker, Off-line-Forscher, Patient) triangulierende Psychotherapieforschung sehr hilfreich sein, um in das Dunkel der Komplexität von Veränderungsprozessen etwas mehr Licht zu bringen (z. B. Bucci & Maskit 2007, Bucci, Maskit & Hoffman 2012, Freedman et al. 2009). Diese Überlegung führt zu einem letzten Punkt:
Wenn man untersucht, was Psychotherapeuten verschiedener Therapieschulen jenseits ihrer für sich in Anspruch genommenen Identität als kognitiv behaviorale, interpersonelle, psychodynamische oder psychoanalytische Psychotherapeuten tatsächlich tun, kommt man zu erstaunlichen Ergebnissen. Es ist nämlich keineswegs so, dass kognitiv behaviorale Therapeuten nur Anweisungen bzw. Hausaufgaben geben oder festgefahrene kognitive Überzeugungen in Frage stellen; genauso wenig fokussieren Psychoanalytiker überwiegend nur auf Phantasien und Gefühle und geben permanent Übertragungsdeutungen im Hier und Jetzt. Vielmehr kommt in Wirklichkeit ein breites Spektrum keineswegs nur therapieschulengebundener In...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Copyright
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. 1 Einige Überlegungen zur Weiterentwicklung psychoanalytischer Erkenntnishaltungen und Interventionen
  7. 2 Psychoanalytische Erkenntnishaltungen und Interventionen
  8. Literatur
  9. Personenregister