Sexualität und Medien
Sexualitätsbezüge durchdringen unseren Alltag, ein Phänomen, das auch als »porning of the mainstream« bezeichnet wird. Ob im Fernsehprogramm oder in der Populärmusik: sexuelle Anspielungen, pornografische Bezüge oder das Abbilden nackter Körper in der Werbung, die mit dem zu vermarktendem Produkt in keiner erkennbaren Beziehung stehen, sind omnipräsent, und nicht nur Schülerinnen und Schüler sind damit täglich konfrontiert. In diesem Kapitel werden drei Themen angesprochen, die in besonderer Weise Aufmerksamkeit erregen und in der Schule (präventiv) bearbeitet werden sollten/können: Pornografie, Sexting und, wenn auch nicht zwingend sexuell konnotiert, Cyber Mobbing.
Pornografie: Neue Medienkompetenzen gefordert
Ausgerufen wurden seit 2007 »Deutschlands sexuelle Tragödie« (Siggelkow/Büscher 2008) oder Pornografie als »Leitkultur der Unterschicht« (Wüllenweber 2007), zu einem Zeitpunkt, als das sog. Web 2.0 den Partizipationsgrad der vorherigen Konsumenten durch eine Reihe technischer Innovationen so sehr erhöhte, dass wir eine bisher nie dagewesene und neue Form der Verfügbarkeit pornografischer Inhalte niedrigschwellig (wenige Mausklicks) und kostenfrei vorfinden.
Das dahinterstehende Leitbild derartig dramatisierender Attribuierungen lässt sich in der Frage beschreiben, was die Medien, also die Pornografie, mit den Menschen macht. Hintergrund sind verschiedene Theorien aus der Medienwirkungsforschung. Etwa die sozial-kognitive Lerntheorie: in Pornografie dargestellte Verhaltensweisen, Praktiken etc. werden nachgeahmt; die Theorie der Exemplifikation: Dargestelltes in der Pornografie wird als normales, gesellschaftlich stark verbreitetes Verhalten angenommen; oder die Habitualisierungs- und Desensitivierungs-Theorie: ein ursprünglich hoher Erregungsgrad nimmt bei dauerhaftem Pornografiekonsum ab; ein stärkerer Reiz wird nötig, um das bekannte Erregungsniveau wieder zu erreichen – um nur einige wesentliche Ideen, die in Diskussion wie medialer Berichterstattung immer wieder auftauchen, zu benennen (Hill 2011: 379 ff.).
In der Fachöffentlichkeit gibt es einen Konsens darüber, dass es sich bei sexuell eindeutigen Medieninhalten um problematische Inhalte hinsichtlich des Konsums durch Kinder und Jugendliche handelt (Döring 2013: 420). Folgerichtig ist es in Deutschland verboten, Pornografie Personen unter 18 Jahren anzubieten, zu überlassen oder zugänglich zu machen (StGB 184). Zum Thema Wirkung von Pornografie allerdings bieten die Ergebnisse der Medienwirkungsforschung wenig Substanzielles, es finden sich Korrelationen statt Kausalitäten (Möller 2013: 499), sodass Starke (2010) konstatiert: »Monokausale Wirkungsannahmen entbehren jeglicher wissenschaftlichen Substanz.« Zudem überwiegen Theorie und Empirie zu negativen Medienwirkungen deutlich. Positive Effekte hingegen finden wenig Beachtung.
Als Reaktion auf die Dominanz mediendeterministischer Wirkungsthesen, denen zufolge Pornografie bestimmte Negativwirkungen bei den Nutzern verursacht, schlägt Döring vor, die Konsument/innen aus medien- und kommunikations-wissenschaftlicher Perspektive als aktive Nutzer/innen sexuell expliziter Medieninhalte in den Blick zu nehmen (Döring 2011: 1):
»An die Stelle der Frage, ›was machen die Medien mit den Menschen‹, tritt somit im handlungstheoretischen bzw. rezipientenorientierten Paradigma die Frage ›was machen die Menschen mit den Medien?‹«
Döring plädiert für eine Pornografie-Kompetenz, die neben den Ebenen der Bewertung und Nutzung auch (bei entsprechendem Interesse) die aktive Gestaltung beinhaltet und sich in den Komponenten Medienkunde, Kritikfähigkeit, Genussfähigkeit, Fähigkeit zur Metakommunikation und Fähigkeit zur Selbstreflexion ausdrückt.
Eine Untersuchung, in der 160 Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren qualitativ befragt wurden, folgt dem oben beschriebenen Paradigmenwechsel und fragt: »What do boys do with porn?« (Matthiesen/Schmidt 2011: 353 ff.) sowie (»What do girls do with porn?« (Matthiesen/Martyniuk/Dekker 2011: 326 ff.) Zentrale Ergebnisse zeigen: 96 Prozent aller Jugendlichen sind im Internet, und fast alle kennen Pornos. Dabei besteht ein großer Geschlechterunterschied: Jungen konsumieren deutlich mehr als Mädchen. Die Verteilung des Konsums stellt sich altersspezifisch wie folgt dar:
JungenMädchen
Die Ergebnisse zeigen, dass Pornografiekonsum Jugendlicher trotz strafrechtlicher Schutzbestimmungen, die sich aber nur auf das Zurverfügungsstellen usw. und nicht auf den Konsum richten und im Falle der illegalen Zurverfügungstellung nur für deutsche Server gelten, kaum verhinderbar ist.
Dieser Konsum lässt bei Eingehen fester Partnerschaft nach. Die Gründe liegen darin, dass Jungen sich mehr auf die Erinnerung...