Altersdiskriminierung
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Altersdiskriminierung

Erscheinungsformen, Erklärungen und Interventionsansätze

  1. 185 Seiten
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Altersdiskriminierung

Erscheinungsformen, Erklärungen und Interventionsansätze

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Über dieses Buch

Ältere Menschen werden häufig anders - meist schlechter - behandelt als junge Erwachsene. Beispiele für Benachteiligungen finden sich im Arbeitsleben, in der medizinischen Versorgung sowie im alltäglichen Umgang miteinander. Aufgrund der sich verändernden Alterszusammensetzung unserer Gesellschaft sind diese Probleme von besonderer Brisanz. Dieses Buch gibt einen umfassenden Überblick der aktuellen Forschung zum Thema Altersdiskriminierung. Die Autoren diskutieren Studien zur Ungleichbehandlung alter Menschen in wichtigen Lebensbereichen und damit zusammenhängende Gerechtigkeitsfragen und untersuchen die Ursachen und Folgen von Altersdiskriminierung. Abschließend werden Maßnahmen beschrieben, mit denen Altersdiskriminierung verhindert bzw. ihre negativen Konsequenzen vermieden werden können.

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Information

Jahr
2009
ISBN
9783170281264

1 Überblick

„Als ich (45 Jahre) 2006 einen Job als Sekretärin suchte, bewarb ich mich bei Firma A. in H. um eine ausgeschriebene Stelle. Ein junger Mann kam auf mich zu und fragte, ob er mir helfen könne und nach einem kurzen Gespräch meinte er: „Sorry für Sie – in dem Alter sehe ich keine Chance, dass Sie jemals wieder als Sekretärin arbeiten können.“
„Ich fühle mich vom Pflegefachpersonal oft wie ein Kind behandelt. Man begegnet mir mit Sätzen wie, Jetzt heben wir mal das linke Beinchen‘, oder ‚Wie geht es uns denn heute morgen, haben wir denn gut geschlafen‘. Diese Babysprache nervt mich. Nur weil ich 80 und auf Hilfe angewiesen bin, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht klar im Kopf bin.“
„Die XY-Versicherung teilte mir mit, dass mein Beitrag für die Auslandskrankenversicherung wegen meines Alters von 67 Jahren verdoppelt wird.“
Eine Kleinanzeige der Evangelischen Telefonseelsorge in einer Frankfurter Zeitung: „Gesucht werden Freiwillige zwischen 25 und 60 Jahren, die Lust haben und sich zutrauen, zwei bis dreimal im Monat mit rat- und hilfesuchenden Menschen zu sprechen.“
Auf einschlägigen Internetseiten (z. B. www.altersdiskriminierung.de, www.altersdiskriminierung.ch) sind zahlreiche derartige Fallbeispiele dokumentiert, die auf das Erleben von Diskriminierungen aufgrund des Alters schließen lassen: Ältere Menschen beschreiben, wie sie durch ihre Interaktionspartner herablassend behandelt oder wie Kleinkinder angesprochen werden, sie berichten über finanzielle Nachteile im Umgang mit Banken oder Versicherungen und sie verweisen darauf, dass ihnen berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeiten unter Verweis auf ihr Alter verwehrt bleiben. Altersgrenzen sind zudem bekanntermaßen ein weit verbreitetes Instrument der gesellschaftlichen Steuerung von Lebensläufen (Rothermund & Wentura, 2007). Es gibt gesetzliche Regelungen für den Ein- und Austritt aus dem Berufsleben, aber auch für den Eintritt in ein Beamtenverhältnis oder für die Inanspruchnahme staatlich alimentierter Ausbildungsangebote.
Obwohl es also deutliche Anhaltspunkte für altersbedingte Ungleichbehandlung gibt, wird „Altersdiskriminierung“ nur selten thematisiert. Während die Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen, Ausländern sowie den Angehörigen ethnischer oder religiöser Minderheiten bereits seit längerem Gegenstand öffentlicher Beachtung und Auseinandersetzung ist, hat sich die Aufmerksamkeit von Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erst mit einiger Verzögerung auch auf das Thema der Altersdiskriminierung gerichtet. In den Vereinigten Staaten finden sich bereits etwa seit Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts sowohl erste Forschungsansätze als auch – mit diesen teils in enger Verbindung stehend – politische Initiativen zur Bekämpfung von Altersdiskriminierung im öffentlichen und privaten Raum (Anti Ageism Task Force, 2006). In Deutschland hingegen ist der Begriff „Altersdiskriminierung“ – so der vierte Bericht zur Lage der älteren Generation in Deutschland (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2002) – bislang kaum gebräuchlich. Nach Scholl (2005) ergab eine Literaturrecherche des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, in der die Suchstichworte „Diskriminierung“ bzw. „Altersdiskriminierung“ verwendet wurden, nur sehr wenige Fundstellen in der deutschsprachigen Fachliteratur; allenfalls Probleme der Altersdiskriminierung im Erwerbsleben seien in nennenswertem Umfang angesprochen worden. Selbst dieser Themenbereich wurde jedoch innerhalb des deutschen Sprachraums nur selten systematisch beforscht, wie Kluge und Krings (2007) in einer Analyse der Publikationen in arbeits- und organisationspsychologischen Fachzeitschriften feststellten.
Diese Sichtweise hat sich in den vergangenen Jahren – zumindest bei einigen gesellschaftlichen Gruppen – stark gewandelt. Ein wesentlicher Grund für diesen Perspektivenwechsel, und damit für das gesteigerte öffentliche Interesse an der Altersdiskriminierung, liegt in dem teilweise bereits vollzogenen, zum Teil noch bevorstehenden demographischen Wandel in den westlichen Industriestaaten. Eine ständig steigende Lebenserwartung in Verbindung mit historisch niedrigen Fertilitätsraten führt dazu, dass im Gegensatz zu früheren Zeiten die „Alten“ zukünftig den überwiegenden Teil der Bevölkerung stellen werden (Kohli, 1989). Dieses Umkippen der Alterspyramide ist mit teilweise gravierenden Implikationen z. B. für die altersgradierte Organisation des Erwerbslebens und für die finanzielle und medizinische Versorgung im hohen Alter verbunden. Um etwa einem chronischen Arbeitskräftemangel vorzubeugen und eine vertretbare Relation von Berufstätigen zu Rentenempfängern zu erhalten, wurde in der politischen Diskussion von verschiedener Seite gefordert, starre Altersgrenzen – etwa in Bezug auf Ruhestandsregelungen – aufzugeben und durch flexiblere Übergänge zu ersetzen. Auch mit Blick auf eine möglicherweise drastische Kürzung von Rentenbezügen erscheint eine altersbedingte Beschränkung des Verbleibs in bestimmten beruflichen Positionen bzw. des Zugangs dazu manchem Betroffenen als Beschneidung individueller Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten. Hinzu kommt, dass ältere Menschen aufgrund der verbesserten allgemeinen Lebensbedingungen, der besseren medizinischen Versorgung und der vergleichsweise geringeren körperlichen Anforderungen, welche in weiten Teilen der aktuellen Berufswelt gestellt werden, sehr viel länger körperlich und geistig leistungsfähig bleiben und diese Potenziale auch im Rahmen einer Erwerbstätigkeit einsetzen möchten, jedoch durch starre Altersgrenzen daran gehindert werden. Diese veränderten Bedingungen haben insgesamt dazu beigetragen, unseren Blick für mögliche Altersdiskriminierung zu schärfen.
In aktuellen Umfragedaten finden sich zudem Hinweise darauf, dass altersbedingte Ungleichbehandlungen auch aus Sicht der Allgemeinbevölkerung keinesfalls selten vorkommen. So ergab eine im Jahre 2006 durchgeführte EU-weite Befragung im Rahmen des „Eurobarometer“ (Europäische Kommission, 2007), dass 46 % der Europäer in ihrem Land eine Diskriminierung aufgrund des Alters für „sehr“ oder „ziemlich“ verbreitet halten. Auf Länderebene analysiert ergab sich, dass diese Ansicht in Ungarn (66 %) und der Tschechischen Republik (63 %) am stärksten, in Irland (30 %) und Luxemburg (31 %) dagegen am wenigsten vertreten wurde; Deutschland nahm mit einer Zustimmung von 34 % den drittletzten Rangplatz ein. 69 % der Befragten sahen es in ihrer Gesellschaft eher als einen Nachteil an, zur Altersgruppe der über 50-jährigen zu gehören; unter 25 Jahre alt zu sein, wurde demgegenüber nur von 20 % der Befragten als eher nachteilig wahrgenommen.
In diesem Band wollen wir einen klärenden Beitrag zu der hochaktuellen und brisanten Frage nach Altersdiskriminierung geben, der über Fallschilderungen, subjektive Meinungsäußerungen und Befunde der Umfrageforschung hinausgeht und sich auf Theorien und systematische Forschungsbefunde stützt. Die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Erscheinungsformen, Ursachen und Mechanismen der Altersdiskriminierung setzt jedoch zunächst eine sorgfältige begriffliche Präzisierung voraus. Einleitend analysieren wir daher in Kapitel 2 den Begriff der Diskriminierung: Was genau wird behauptet, wenn ein Verhalten als Diskriminierung bezeichnet wird, und durch welche Evidenz lässt sich eine solche Behauptung begründen oder widerlegen? In Kapitel 3 gehen wir der Frage nach, welche psychologischen Faktoren für die Unterschiede in der Wahrnehmung von Benachteiligung und Diskriminierung verantwortlich sind. Ausgehend von einer Taxonomie der Benachteiligungen älterer Menschen in Kapitel 4 und einigen Ausführungen zu Möglichkeiten der empirischen Erfassung von Altersdiskriminierungen in Kapitel 5 geben wir in Kapitel 6 einen kritischen Überblick über aktuelle Forschungsbefunde: In welchen Bereichen wird Altersdiskriminierung behauptet und wie aussagekräftig sind diese Befunde? Hier betrachten wir insbesondere die Kontexte „Arbeitswelt“, „Gesundheitswesen“, „Pflege“ und „Rechtswesen“. Psychologische und sozialwissenschaftliche Erklärungsversuche für derartige Altersdiskriminierungen werden in Kapitel 7 wiedergegeben. In Kapitel 8 nehmen wir kurz- und langfristige Folgen für diskriminierte und diskriminierende Personen in den Blick, und wir nennen in Kapitel 9 Ansatzpunkte und Methoden, die auf verschiedenen Ebenen implementiert werden können, um Altersdiskriminierung zu verhindern oder zu beseitigen. Abschließend fassen wir in Kapitel 10 die wesentlichen Erkenntnisse zusammen und gehen auf Implikationen für Wissenschaft, Politik und Praxis ein.

2 Was ist Diskriminierung? – Allgemeine begriffliche Klärungen

2.1 Diskriminierung als ungerechte Ungleichbehandlung aufgrund sozialer Kategoriezugehörigkeit

Der Begriff diskriminieren in seiner ursprünglichen Verwendung bedeutet so viel wie „unterscheiden, Unterscheidungen machen, Unterschiede erkennen (können)“ (lateinischer Ursprung des Begriffs sind die Verben discriminare bzw. discernere: „trennen, unterscheiden zwischen“). Diese ursprüngliche Bedeutung ist wertneutral oder sogar positiv konnotiert (im Sinne von Diskriminationsfähigkeit [discrimen]). Der Ausdruck Diskriminierung bzw. jemanden diskriminieren dagegen wird im Deutschen benutzt, um eine benachteiligende (Ungleich-)Behandlung einer Person oder einer Gruppe von Personen zu benennen, die z. B. zu einer Ausgrenzung, Herabwürdigung, Aberkennung oder Verweigerung von Möglichkeiten der Lebensgestaltung, Rechten oder Privilegien führt.
Mit dieser Begriffsverwendung wird aber nicht jedes zu Benachteiligung oder Schädigung führende Verhalten bezeichnet, sie impliziert zugleich einen moralisch-ethischen Tadel des diskriminierenden Verhaltens selbst. Kennzeichnet man ein Verhalten als Diskriminierung und verurteilt dieses damit als moralisch verwerfliche Handlung, so behauptet man nicht nur, dass das Verhalten eine Benachteiligung herbeiführt oder gar beabsichtigt. Der mit der Aussage „dies ist ein Fall von Diskriminierung“ verbundene normative Tadel beinhaltet, dass diese Benachteiligung unbegründet und ungerechtfertigt ist. Diskriminierung stellt also ein tadelnswertes Verhalten dar, weil sie ungerecht ist. Legitime Formen von schädigender oder benachteiligender Ungleichbehandlung – etwa die Bestrafung eines Verbrechers oder die Vergeltung für erlittenes Unrecht – sind keine Diskriminierung.1
In manchen Fällen kann auch eine faktische Gleichbehandlung von Personen diskriminierend sein, wenn nämlich ein legitimer Anspruch auf bevorzugte Behandlung missachtet wird (etwa wenn man einer verdienten oder bedürftigen Person die ihr zustehende Ehrerbietung oder Hilfe verweigert oder wenn die herausragende Leistung eines Mitarbeiters mit durchschnittlichen Leistungen anderer auf eine Stufe gestellt wird).
Der eigentliche Kern der Diskriminierung ist also nicht die Unterschiedlichkeit im gezeigten offenen Verhalten, sondern sie besteht in der Ungleichheit der Maßstäbe, die für dieses Verhalten zugrunde gelegt werden. Es geht bei der Diskriminierung letztlich immer um die Verletzung legitimer Ansprüche auf Gleichbehandlung bzw. bevorzugte Behandlung.
Zudem gilt es auszuschließen, dass das als „diskriminierend“ interpretierte Verhalten auf individuelle Merkmale der benachteiligten Person zurückgeht, die eine Schlechterstellung sachlich rechtfertigen. Von „Diskriminierung“ zu sprechen ist nur dann sinnvoll, wenn eine Ungleichbehandlung von Personen auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Kategorie (z. B. „den Alten“) basiert und diese Kategorienzuweisung damit einhergeht, dass Information über individuelle Merkmale der Personen nicht mehr gesucht, nicht beachtet, im schlimmsten Fall sogar negiert oder diskreditiert werden. Wenn also z. B. eine Bank einer älteren Person ungünstigere Kreditbedingungen vorgibt als einer jüngeren, lässt sich dies erst dann eindeutig als Fall von Altersdiskriminierung interpretieren, wenn das Finanzierungsangebot ohne Prüfung der individuellen Bedingungen (z. B. des Gesundheitszustands, der Liquidität etc.) unterbreitet wurde.
Eine sinnvolle Verwendung des Begriffs der Diskriminierung setzt schließlich voraus, dass spezifiziert wird, in welchem sachlichen Kontext die Diskriminierung stattgefunden hat, in welchem konkreten Handeln oder Unterlassen sie bestanden hat, und im Verhältnis zu welchen Personen(gruppen) eine Person oder eine Gruppe benachteiligt worden sein soll. Zieht man dann als Beurteilungsmaßstab eine kontextspezifische Gerechtigkeitsnorm heran, so kann sich die scheinbare Benachteiligung einer bestimmten Gruppe als ungerechtfertigte Bevorzugung anderer Gruppen herausstellen, während die scheinbar Benachteiligten das erhalten, was ihnen auch der Norm gemäß vernünftigerweise zustehen würde.
Die hier vorgenommene Eingrenzung des Begriffs Diskriminierung auf ungerechte Ungleichbehandlung (vgl. auch Major, Quinton & McCoy, 2002) schränkt die Verwendung des Begriffs ein und klammert damit bestimmte Formen von Ungleichbehandlung und Benachteiligung aus dem Geltungsbereich des Begriffs aus. Erst diese spezifische Verwendung des Begriffs, die eine Gerechtigkeitsverletzung impliziert, macht jedoch verständlich, warum Diskriminierung ein so schwerwiegendes und tadelnswertes Vergehen darstellt, das zu emotionalen Reaktionen der Entrüstung und Empörung auf Seiten der Betroffenen wie auch unvoreingenommener Beobachter führt und möglicherweise drastische Maßnahmen zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit rechtfertigt (Montada & Kals, 2007). Würde die Ungerechtigkeit als notwendiges Merkmal von Diskriminierung aufgegeben und Diskriminierung lediglich mit einer Ungleichbehandlung aufgrund sozialer Kategoriezugehörigkeit gleichgesetzt, so entstünde ein wertfreier Begriff der Diskriminierung. Wir müssten dann zwischen erlaubter und ungerechter Diskriminierung unterscheiden. Aus dem Sachverhalt der Diskriminierung allein ließe sich jedenfalls kein moralischer Vorwurf und auch keine Änderungsimplikation mehr ableiten.

2.2 Begründung von (Gleichheits-)Ansprüchen

In der bisherigen Diskussion haben wir wiederholt von legitimen Ansprüchen und ihrer möglichen Verletzung gesprochen. Aber was sind gerechtfertigte Ansprüche auf Gleichbehandlung? Woraus leitet sich die Gültigkeit dieser Normen ab? Wie lässt sich zwischen legitimen und bloß eingebildeten Ansprüchen unterscheiden? Ist es nicht Teil unserer ganz persönlichen Entscheidungsfreiheit, wie wir uns anderen gegenüber verhalten?
In der Tat ist es häufig in unser Belieben gestellt, wie wir uns gegenüber anderen Menschen verhalten und wie wir diese behandeln. Dies betrifft etwa die Verteilung persönlicher Sympathiebezeugungen wie überhaupt jegliches Verhalten, das wir zur Verfolgung unserer eigenen Wünsche und Interessen an den Tag legen. Niemand kann uns vorschreiben, wo wir einkaufen, in welchem Restaurant wir essen gehen, an welche Kasse wir uns anstellen, welche Automarke wir bevorzugen, mit wem wir uns in der Freizeit verabreden, welche Person wir im eigenen Betrieb anstellen, welcher Einrichtung wir Geld spenden etc. Es ist durchaus legitim, bei diesen Verhaltensweisen Unterschiede zu machen und dabei unser Verhalten nach Gesichtspunkten auszurichten, die voll und ganz in unser Belieben gestellt sind, und uns dabei auch an sozialen Kategoriezugehörigkeiten orientieren (z.B. können wir uns lieber von einem Kellner bedienen lassen als von einer Kellnerin, die dunkelhaarige Frau ins Kino einladen und die Blondine ignorieren, beim Italiener essen gehen statt beim Chinesen, lieber einen türkischen Azubi einstellen als einen Deutschen etc.). Kein anderer kann in diesen Fällen einen begründeten Anspruch geltend machen, in gleicher Weise von uns gemocht, bedacht, ausgewählt oder begünstigt zu werden wie jeder andere.2
Moralische Grenzen dieser individuellen Freiheit, Unterschiede zu machen und persönliche Präferenzen in unserem Verhalten gegenüber anderen zum Ausdruck zu bringen, sind allerdings dort erreicht, wo wir andere nicht mehr als unseresgleichen betrachten oder ihnen gar Schaden zufügen. Diese Verhaltensweisen missachten die Menschenwürde oder den Unversehrtheitsanspruch anderer Menschen, und verletzen damit das allgemeine Gebot der Menschlichkeit.3
Häufig handeln wir jedoch nicht als Privatpersonen, sondern befinden uns in öffentlicher, offizieller oder in anderer Weise herausgehobener Position, und sind dadurch an Normen der Gerechtigkeit und Fairness gebunden (etwa als Erziehungsverantwortliche, Eltern, Lehrer, Richter, Vorgesetzte, Politiker, Gesetzgeber etc.). In diesen Positionen und Rollen sind wir also weitergehenden Normen verpflichtet, die die Hintanstellung persönlicher Präferenzen und Interessen verlangen. In all diesen Kontexten besteht auch auf Seiten der betroffenen Personen ein legitimer Anspruch auf gerechte Behandlung sowie faire und leistungsgerechte Entscheidungen.
Möglichkeiten der Legitimation von (Gleichheits-)Ansprüchen erwachsen also aus ethisch-moralischen Normen sowie aus Rechtsgrundsätzen, die ihrerseits jedoch rechtfertigungspflichtig sind und auf Gerechtigkeitsnormen basieren müssen, wenn sie individuelles Handeln regulieren und dessen Freiheit zu Recht beschränken. Die Klärung der Frage, was unter „(Alters-)Diskriminierung“ zu verstehen sei, lässt sich somit nicht von der Diskussion um gesellschaftliche Normen und Gerechtigkeitsprinzipien abkoppeln. So schreibt Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes den Gleichbehandlungsgrundsatz fest und verbietet in Absatz (3) eine Bevorzugung oder Benachteiligung von Personen aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Abstammung, Rasse oder religiösen bzw. politischen Anschauungen (das Lebensalter wird hier bezeichnenderweise nicht als ein mögliches Diskriminierungsmerkmal erwähnt!). Allerdings kennt selbst das Grundgesetz sehr wohl „gerechtfertigte Ausnahmen“ von diesem Grundsatz, die in weiteren Gesetzen spezifiziert werden. Die Norm der Gleichbehandlung ist somit nur eine – wenngleich eine hoch bedeutsame – von mehreren Normen, die bei der gerechten Verteilung sozialer und ökonomischer Ressourcen Berücksichtigung findet.
Vorstellungen davon, was als „gerecht“ und was als „diskriminierend“ interpretiert wird, unterliegen zudem einem steten historischen und kulturellen Wandel. Die Behandlung einer bestimmten sozialen Gruppe mag zu manchen Zeiten als angemessen, zu anderen hingegen als ungerecht beurteilt werden (z. B. Mummendey & Otten, 2004). Veränderungen in gemeinschaftlich geteilten Vorstellungen über angemessenes Verhalten gegenüber spezifischen Personengruppen und die diesen zustehenden Ansprüche gehen jedoch häu...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. 1 Überblick
  6. 2 Was ist Diskriminierung? – Allgemeine begriffliche Klärungen
  7. 3 Determinanten der subjektiven (De-)Konstruktion von Diskriminierung
  8. 4 Was ist Altersdiskriminierung?
  9. 5 Empirische Erfassung von Altersdiskriminierungen
  10. 6 Altersdiskriminierung in ausgewählten Lebensbereichen: Wie und wo zeigt sich Altersdiskriminierung?
  11. 7 Erklärungsansätze für Altersdiskriminierung
  12. 8 Folgen von Altersdiskriminierungen
  13. 9 Abbau und Prävention von Altersdiskriminierungen
  14. 10 Resümee und Ausblick
  15. Literatur
  16. Personenverzeichnis
  17. Stichwortverzeichnis