Suizidalität und Suizidprävention im höheren Lebensalter
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Suizidalität und Suizidprävention im höheren Lebensalter

  1. 228 Seiten
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Suizidalität und Suizidprävention im höheren Lebensalter

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Alte Menschen bilden in den meisten Industrieländern die am stärksten suizidgefährdete Bevölkerungsgruppe. Dies wird in der Öffentlichkeit oft nicht wahrgenommen. Präventive Bemühungen und Hilfsangebote zielen stärker auf jüngere Menschen. Die Kenntnisse der beruflich oder ehrenamtlich Tätigen über die Suizidgefährdung und die Möglichkeiten der Suizidprävention und Krisenhilfe bei alten Menschen sind häufig unzureichend. Suizidprävention bei alten Menschen kann wie bei jüngeren Menschen erfolgreich sein, wenn bestimmte Besonderheiten beachtet werden wie z. B. der erschwerte Zugang zu vereinsamten, mehrfach belasteten alten Menschen. Internationale Erfahrungen zeigen, dass ein zentrales Element der Vorbeugung und Verringerung von Suizidgefährdung in der Information, Aufklärung und Schulung von Fachkräften, Kontaktpersonen und Angehörigen besteht. Das Buch will dazu einen Beitrag leisten.

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Information

Jahr
2011
ISBN
9783170281844

1 Einleitung

Der Wunsch, nicht mehr leben zu wollen, und die Ausführung von Suizidhandlungen, d. h. von Suiziden und in noch stärkerem Maße Suizidversuchen, sind Ausdruck tief greifender persönlicher Belastungen und Krisen, die nicht bewältigt werden können. Ihre Prävention und Behandlung innerhalb des Gesundheitssystems und der Gesundheitspolitik eines Landes bereiten gesellschaftlich betrachtet nicht zu unterschätzende Probleme. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben weltweit jedes Jahr etwa eine Million Menschen durch Suizid, in den europäischen Mitgliedsstaaten waren es 2006 rund 59 000 Personen, die sich das Leben nahmen, 45 000 Männer und 14 000 Frauen. In Deutschland gibt es im Jahr mehr als 9 000 Tote durch Suizid. Der Suizid gehört damit zu den Hauptursachen für vorzeitige Sterbefälle (premature death) (Wahlbeck & Mäkinen, 2008). Noch erschreckender ist die Zahl der Suizidversuche, die von keiner amtlichen Statistik erfasst wird. Sie übersteigt nach übereinstimmender Schätzung die der Suizide mindestens um das Zehnfache.
Besonders von tödlichen Suizidhandlungen betroffen sind in allen Industrieländern die alten Menschen. Das gilt besonders für Männer, aber auch für Frauen. In Deutschland beträgt z. B. der Anteil der 60-Jährigen und Älteren an der Gesamtbevölkerung rund 26 %, ihr Anteil an allen Suiziden dagegen rund 41 %. Diese seit langem bekannte Tatsache wird im Unterschied zu anderen Ländern, in denen das Problem des Alterssuizids durch Public-Health-Programme, durch Forschung und Aufklärungsarbeit stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt wird (Beispiel: USA), in Deutschland eher als gesundheitliches Randphänomen behandelt und in politischen Kreisen und damit auch in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Publizität bekommen Selbsttötungen erst dann, wenn sich bekannte Persönlichkeiten aus Industrie, Kultur und Geistesleben, die man eigentlich für erfolgsverwöhnt hält, das Leben nehmen. Generell wird dem Alterssuizid im Unterschied zu Suizidhandlungen jüngerer Menschen ein größeres Verständnis und eine größere Akzeptanz entgegengebracht. Mit ihm wird häufig assoziiert, dass das Alter so unerträglich sein muss, dass es, solange noch Handlungsfreiheit besteht, besser ist, das Leben vorzeitig zu beenden als es unter Leiden bis zum bitteren Ende zu erdulden. Durch diese größere Akzeptanz wird es auch schwieriger, Prävention und Therapie in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen und politisch durchzusetzen. Erst das Nationale Suizidpräventionsprogramm für Deutschland (NaSPro) hat u. a. die besondere Suizidgefährdung alter Menschen in seinen Aktionsplan aufgenommen und zur Bewusstseinsbildung in Sachen Prävention und Therapie beigetragen.
Dieses bundesweite Programm, das sehr wertvolle Arbeit leistet, gibt es seit 2002, weitgehend getragen vom freiwilligen Engagement zahlreicher Verbände, Organisationen und Einzelpersonen, die die Notwendigkeit von Suizidprävention in unserem Lande erkennen und sich für deren Umsetzung und Weiterentwicklung einsetzen. Es ist bemerkenswert, was sich im Rahmen von Fachgesellschaften, Institutionen und Arbeitsgruppen, die sich unter dem Dach des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland zusammengeschlossen haben, in der Zwischenzeit alles entwickelt hat. Zu diesen positiven Entwicklungen gehört auch die Beobachtung, dass das Thema des Alterssuizids von Medien, Verbänden, Weiterbildungsträgern und Berufsgruppen stärker als bisher aufgegriffen und bearbeitet wird. Auf Kongressen und Tagungen einschlägiger Fachgesellschaften wird der Alterssuizid ebenfalls thematisiert und in Publikationen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dazu beigetragen haben vor allem die Aktivitäten der Arbeitsgruppe Alte Menschen im NaSPro, in der sich Experten für Fragen des Alterssuizids aus unterschiedlichen Disziplinen und Praxisfeldern zusammengetan haben. Eine zentrale Aufgabe, die sich die Arbeitsgruppe Alte Menschen gestellt hat, besteht im Erfahrungsaustausch und in der Zusammenarbeit mit Berufsgruppen, die in ihrer Praxis mit der Suizidgefährdung (Suizidalität) alter Menschen zu tun haben und nach Ansätzen und Methoden suchen, diesem Problem persönlich und fachlich gerüstet zu begegnen. Zu diesem Zweck werden Informationsmaterialien erstellt, Fort- und Weiterbildungsangebote gemacht und sonstige Gelegenheiten genützt, um das Thema des Alterssuizids ins Gespräch zu bringen. Auch das vorliegende Buch, das zahlreiche Anregungen zu diesem Thema aus der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachdisziplinen aufgreift und verarbeitet, dient diesem übergeordneten Ziel.
Es gehört zu den zentralen Anliegen der Suizidprävention, durch Information, Aufklärung und Unterrichtung grundlegende Aspekte wie Häufigkeit, Entstehungsbedingungen und Erklärungsansätze von Suizidalität (hier besonders im Alter) zu thematisieren. Ferner ist es ein Anliegen, präventive, diagnostische und therapeutische Hilfen bei Suizidgefährdung praxisnah zu erarbeiten. Es gibt seit geraumer Zeit einen Kreis von Wissenschaftlern und Praxisvertretern, die sich mit der Suizidgefährdung alter Menschen beschäftigen und Fortschritte in Prävention und Therapie suizidaler alter Menschen herbeiführen wollen. Darüber hinaus muss es gelingen, noch weitere Personen für dieses Thema zu interessieren, die dann als Multiplikatoren in ihrem Lebens- und Berufsumfeld tätig werden können. Arbeiten zum Thema der Suizidalität und Suizidprävention im höheren Lebensalter liegen mittlerweile in großer Anzahl aus dem deutschen, vor allem aber aus dem englischen Sprachraum vor. Sie werden hier angemessen berücksichtigt.
Gegliedert wird das Buch nach folgenden Gesichtspunkten. Da der Autor sich dem Thema der Alterssuizidalität aus seiner längjährigen Tätigkeit als Lehrer und Forscher auf Gebieten der Gerontopsychologie nähert, wird der Einstieg über Aspekte und Fragen des Alter(n)s gewählt. Diese sollen aufzeigen, dass es im Verlauf des Altwerdens zu Belastungskumulierungen und krisenhaften Zuspitzungen kommen kann, die Suizidalität und suizidales Handeln nach sich ziehen. Insbesondere werden körperliche und psychosoziale Alternsveränderungen aufgegriffen, die das Leben im Alter erschweren und es unter bestimmten Bedingungen unerträglich machen. Der Mehrheit alter Menschen gelingt es zwar, mit Hilfe personaler und sozialer Ressourcen (Schutzfaktoren) den Einbußen und Verlusten des Altwerdens zu begegnen, einer Minderheit dagegen stehen diese Ressourcen im hohen Alter nicht zur Verfügung. Die Bewältigung der körperlichen, seelischen und sozialen Herausforderungen des Altwerdens scheint für diese Gruppe so aussichtslos, dass sie nicht mehr weiterleben möchte.
Thematisiert werden zu Beginn des ersten Kapitels Lebensqualität und Wohlbefinden als übergreifende Zielkonzepte der persönlichen Lebensführung, der körperlichen und seelischen Gesundheit sowie der politischen Weichenstellungen im Alter, zu denen auch die vorherrschenden Altersbilder in der Gesellschaft ihren Beitrag leisten. Behandelt werden dann Belastungsfaktoren auf der einen und Schutzfaktoren des hohen Alters auf der anderen Seite. Gefragt wird auch nach dem heuristischen Wert von psychologischen Modellen des Alterns für das Verständnis von krisenhafter und suizidaler Entwicklung im Alter.
Das zweite Kapitel wendet sich dem eigentlichen Thema der Suizidalität im Alter zu. Terminologische und epidemiologische Fragen werden geklärt und durch internationale Untersuchungsbefunde untermauert. Für die Früherkennung suizidaler Gefährdung wichtig ist die Vermittlung von diagnostischen Zugangsmöglichkeiten und Methoden, die besonders bei alten Menschen erschwert sein können. Ein umfangreicher Abschnitt des Buches befasst sich mit den Entstehungsbedingungen von Suizidalität alter Menschen, die gut mit Belastungsmerkmalen des Alters verknüpft werden können (s. Kapitel 1). Sind diese Entstehungsbedingungen empirisch gut belegt und prognostisch von Relevanz, spricht man auch von Risikofaktoren.
Um die Suizidalität alter Menschen in ihrer Genese, Mehrdimensionalität und Psychodynamik besser begreifen zu können, muss auf Erklärungsansätze eingegangen werden, die besonders aus psychiatrischer und psychologischer Perspektive entwickelt wurden. Dabei verbietet sich jede monokausale Erklärung, die z. B. nur auf psychische oder körperliche Erkrankungen im Alter als Ursache für Suizidalität im Alter rekurriert. Psychologisch relevant sind vor allem tiefenpsychologische, verhaltenspsychologische und stresstheoretische Erklärungsansätze. Psychologische Modelle der Suizidalität haben den Vorteil, die biografischen und persönlichkeitsspezifischen Einflussgrößen in ihrer wechselseitigen Bedingtheit ins Blickfeld zu rücken. Sie sind auch in der Lage, Art und Verlauf der Auseinandersetzung mit Belastungen des Alters zu fokussieren, einschließlich der Schutzfaktoren, die krisenhaften Entwicklungen bis hin zu suizidaler Gefährdung entgegenwirken können.
Das dritte Kapitel leitet über zu den Schwerpunktthemen Suizidprävention, Krisenhilfe und Psychotherapie im Alter. Angesprochen werden Formen der Suizidprävention. Des Weiteren wird ein Blick geworfen auf Stand und Entwicklung der Suizidprävention im internationalen und nationalen Raum, unter besonderer Berücksichtigung der suizidpräventiven Konzepte und Programme für alte Menschen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Beschreibung der gegenwärtigen Versorgungslage suizidaler alter Menschen in der Bundesrepublik. Diese lässt in mehreren Punkten noch zu wünschen übrig und muss verbessert werden, insbesondere was den Umgang mit Suizidalität alter Menschen in Pflegekontexten betrifft. Zu den Einflussfaktoren für Suizidalität alter Menschen gehören auch kritische Lebensereignisse, die nicht verkraftet werden und ein Weiterleben erschweren (z. B. der Tod des Partners). Krisenintervention und Psychotherapie können die Antwort darauf sein und Wege aus Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeitsgefühlen und Zukunftsangst aufzeigen.
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Abb. 1: Zusammenwirken von Belastungs- und Schutzfaktoren im Alter – Bedingungen gelingenden Alterns
Im letzten Kapitel geht es um rechtliche und ethische Aspekte von Suizid und Suizidprävention, die nach wie vor wegen der Komplexität der Problemlage sowie der unterschiedlichen Grundhaltung und persönlichen Betroffenheit der Beteiligten kontrovers bewertet und diskutiert werden. Eine besondere Qualität erfährt die ethische Einstellung zum Suizid und zur Suizidprävention bei alten Menschen dadurch, dass einseitig negative wie positive Altersbilder ein eher permissives Verständnis für selbst gewählte, vorzeitige Lebensbeendigung im Alter fördern. Suizidprävention im Alter kann dadurch eine mindere gesellschaftliche Relevanz erfahren als Suizidprävention bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Warum und wieweit sollte in Suizidprävention alter Menschen „investiert“ werden?
Die Gesamtkonzeption des Buches wird im Überblick (Abb. 1) noch einmal verdeutlicht. Im Zentrum steht die Frage, unter welchen inneren und äußeren Bedingungen das Altern gelingen kann. Es kann gelingen, wenn es zu einer Ausbalancierung von Anforderungen und Belastungen (Verlusten) auf der einen und Ressourcen und Schutzfaktoren (Gewinnen) auf der anderen Seite kommt. Diese Ausbalancierung ist die Voraussetzung für die Erhaltung von Lebensqualität und subjektivem Wohlbefinden unter erschwerten Bedingungen. Den meisten alten Menschen gelingt diese schwierige Entwicklungsaufgabe, eine beachtliche Minderheit wird mit dieser Aufgabe jedoch nicht fertig und sieht keinen Wert mehr im Weiterleben. Diesen Menschen kann in ihrer Lebenskrise und psychisch-sozialen Not mit Mitteln der Suizidprävention und Therapie ein Hilfsangebot gemacht werden.

Danksagung

Mein Dank gilt vor allem Dr. Ruprecht Poensgen vom Kohlhammer Verlag, der dieses Buchprojekt von Beginn an unterstützt, gefördert und begleitet hat, ferner Ulrike Merkel und Claudia Campisi für das sorgfältige Lektorat. Dank sagen möchte ich auch meinen Kolleginnen und Kollegen in der Arbeitsgruppe Alte Menschen des Nationalen Suizidpräventionsprogramm für Deutschland, mit denen ich seit mehreren Jahren in regem Austausch und interdisziplinärer Kollegialität gut zusammenarbeite. Dass es zu dieser intensiven und kontinuierlichen Beschäftigung mit Fragen der Alterssuizidalität und Suizidprävention gekommen ist, verdanke ich auch den zahlreichen Begegnungen und Fachgesprächen auf Treffen, Tagungen und Kongressen der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention und des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland. Danken möchte ich besonders auch meiner Frau Bärbel Erlemeier-Widera, die mich voller Geduld gewähren ließ, wenn die Fertigstellung des Manuskripts mich wieder und wieder an den Schreibtisch fesselte.
Hinweis:
Auf die Verwendung von Doppelformen oder anderen Kennzeichnungen für weibliche und männliche Personen wird verzichtet, um Lesbarkeit und Übersichtlichkeit des Textes zu wahren. Mit allen im Text verwendeten männlichen Personenbezeichnungen sind stets beide Geschlechter gemeint.

2 Altern und Alter

Die Kernbegriffe Altern und Alter sind inhaltlich zu unterscheiden. Altern ist ein vielschichtiger Prozess, dem biologische, psychische und soziale Einflussfaktoren zugrunde liegen. Altern umfasst nach herkömmlichem Sprachverständnis Veränderungen in der zweiten Lebenshälfte des Menschen. Es gibt jedoch auch Alternsforscher (z. B. Alternsbiologen), die das Altern konsequent als lebenslangen Prozess verstehen, „der mit der Geburt beginnt und mit dem Tode endet“ (Kruse & Wahl, 2010, S. 7).
Die Mehrschichtigkeit des Alternsprozesses wurde von Thomae (1968) in seinem Beitrag „Persönlichkeit und Altern“ treffend beschrieben. In Anlehnung an sein Modell sind die folgenden Veränderungsdimensionen zu unterscheiden, die jeder Mensch hinsichtlich seines Alterns in unterschiedlicher Gewichtung erfährt:
  • Biologische Veränderungen im Organismus, in einzelnen Organen und in den Körperzellen (Biomorphose, Primärprozess des Alterns)
  • Krankhafte körperliche und psychische Alternsveränderungen (z. B. chronische Erkrankungen, Multimorbidität, Demenzen)
  • „Normale“ Leistungs- und Verhaltensveränderungen (z. B. der Sinnesorgane, des Gedächtnisses, der Psychomotorik, der Intelligenz)
  • Persönlichkeitsveränderungen im engeren Sinne (z. B. von Einstellungen, Persönlichkeitsmerkmalen, Reaktionsformen auf Belastungen)
  • Soziale Veränderungen durch den Übergang in die Altersphase (z. B. materielle Lage, Rollenverluste und Rollenwandel, Statuseinbußen, Bezugsgruppenwechsel)
  • Soziale Veränderungen durch Personenverluste (z. B. Tod von Lebenspartnern, Verwandten und Freunden)
  • Veränderungen des Zeiterlebens und der Zeitperspektive (z. B. Erfahrung der entrinnenden Zeit, der Endlichkeit und Endgültigkeit des Lebens)
  • Veränderung des Sinnerlebens (z. B. Lebensrückblick und Lebensbilanzierung, tragende Sinnbindungen, Auseinandersetzung mit Sterben und Tod, Religiosität)
Alter ist im Unterschied zum Prozess des Alterns ein Abschnitt im Lebenslauf. Dem Begriff Alter lassen sich mehrere Bedeutungsgehalte zuordnen. Zunächst denkt man an die verflossene Zeit in Lebensjahren eines Menschen, an das kalendarische oder chronologische Alter. Dieses dient auch dazu, nach bestimmten gesellschaftlichen Konventionen Altersgrenzen zu setzen, z. B. für die Verrentung oder die zeitliche Abgrenzung bestimmter Altersphasen oder Altersgruppen, z. B. hohes Alter (65–80 Jahre), sehr hohes Alter (80 Jahre und älter) und extrem hohes Alter (100 Jahre und älter) (Martin & Kliegel, 2005, S. 28). Das chronologische Alter weist auch auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation hin. Als Angehöriger einer bestimmten Generation ist das Individuum zeitlebens bestimmten generationsspezifischen Einflüssen ausgesetzt. Dazu gehören historische, gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse und Prozesse, die in die Lebensplanung und den Lebensverlauf von ganzen Generationen prägend eingreifen. Sie haben auch deren Einstellungs- und Verhaltensmuster beeinflusst. So spricht man z. B. von der „Kriegsgeneration“, die harte Jahre der Bedrohung und Entbehrung durchstehen musste und heute, wenn sie überlebt hat, sich in einem hohen bis sehr hohen Alter befindet, in dem traumatische Erlebnisse immer noch nachwirken können. Das Alter ist außerdem eine sozial-differenzierende Kategorie, mit Hilfe derer gesellschaftliche Status- und Rollenzuschreibungen erfolgen. An Angehörige bestimmter Altersgruppen werden unterschiedliche Verhaltenserwartungen gerichtet (Altersnormen). Übergreifend wird Alter verstanden als eine Phase im Lebenslauf (z. B. hohes Alter, sehr hohes Alter), die weitgehend durch gesellschaftliche Konventionen festgelegt wird (z. B. das Rentenalter). Diese Lebensphase hebt sich durch besondere Ereignisse, Problemlagen und Anforderungen von früheren Lebensphasen ab, steht aber zugleich mit ihnen in biografischer Verknüpfung. Ihre Abgrenzung als eine homogene Lebensphase wirft heute Probleme auf, da sich ihre zeitlichen Markierungen nach oben (erhöhte Lebenserwartung) wie nach unten (vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben) bedeutsam verschoben haben. Es werden deshalb weitere interne Differenzierungen (z. B. junge Alte, alte Alte, sehr alte oder hochbetagte Menschen) vorgenommen, die deshalb sehr wichtig sind, weil Lebenssituation, Bedürfnisse und Lebensansprüche in den verschiedenen Altersgruppen sehr unterschiedlich sind.
Das Altern zeigt bei grober Betrachtung ein Doppelgesicht, ähnlich dem Doppelantlitz des römischen Gottes Janus. Auf der einen Seite bieten sich Chancen und Entwicklungspotenziale, die für die späten Jahre eine Perspektive eröffnen und sinnvoll genutzt werden können. Auf der anderen Seite sind Abbauerscheinungen, Einschränkungen und Verluste im körperlichen, psychischen und sozialen Bereich nicht zu vermeiden. Altwerden ist, je mehr es dem Lebensende zugeht, oft belastend und schwer zu ertragen. Das trifft besonders...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. 1 Einleitung
  6. 2 Altern und Alter
  7. 3 Suizidalität im Alter
  8. 4 Erklärungsansätze5 der Suizidalität
  9. 5 Suizidprävention, Krisenintervention, Psychotherapie im Alter
  10. 6 Rechtliche und ethische Aspekte von Suizid und Suizidprävention
  11. 7 Zusammenfassung und Ausblick
  12. Literatur
  13. Stichwortverzeichnis