Leben im Koma
eBook - ePub

Leben im Koma

Interdisziplinäre Perspektiven auf das Problem des Wachkomas

  1. 168 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Das Wachkoma ist eines der größten Rätsel der modernen Medizin. Entscheidungen, die Patienten im Wachkoma betreffen, erfordern eine umfassende Betrachtung, die die Perspektiven aller Akteure berücksichtigt. Was wissen Mediziner über das Wachkoma und wie ist der Stand der Hirnforschung? Wie erleben Angehörige, Pflegende und Therapeuten diesen Zustand? Wie werden Therapie-Entscheidungen für Patienten im Wachkoma getroffen und wie lassen sich diese ethisch und rechtlich begründen? Mit Beiträgen ausgewiesener Experten aus unterschiedlichen Disziplinen und Professionen beschreibt dieses Buch das Wachkoma als Krankheit, aber auch als beispielhaftes ethisches Problem im Spannungsfeld zwischen technisch machbarer und von Betroffenen gewünschter medizinischer Behandlung. Entscheidungen über Patienten im Wachkoma werden aus ethischer, rechtlicher, sozialer und medizinischer Sicht beleuchtet.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Leben im Koma von Ralf J. Jox, Katja Kühlmeyer, Gian Domenico Borasio, Gian Domenico Borasio, Monika Führer, Ralf J. Jox, Katja Kühlmeyer, Gian Domenico Borasio im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Sozialwissenschaften & Tod in der Soziologie. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2011
ISBN
9783170274808

Teil A: Wachkoma – Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis

Wachkoma: medizinische Grundlagen und neurowissenschaftliche Revolution

Athena Demertzi, Manuel Schabus, Katharina Weilhart, Dietmar Roehm, Marie-Aurélie Bruno und Steven Laureys

1 Definitionen

Bewusstsein ist ein facettenreicher Begriff mit unterschiedlichsten Konnotationen (Zeman 2001). Die Art und Weise, wie wir Bewusstsein definieren, ist insofern von großer Bedeutung, da sie möglicherweise unsere Einstellungen hinsichtlich der medizinischen Betreuung von neurologischen Patienten beeinflussen kann. In einer groß angelegten, aktuellen Umfrage unter Ärzten und Komplementärmedizinern (n = 1.858) konnten wir im Vergleich zu Studenten (n = 250) zeigen, dass – obwohl die Mehrheit der im Gesundheitswesen Tätigen eine Unterscheidung zwischen Bewusstsein und dem Gehirn verneinten – mehr als ein Drittel der Ärzte und Komplementärmediziner noch immer Geist und Gehirn als voneinander getrennte Entitäten ansehen. Derartige dualistische Ansichten prägen jedoch nicht nur die Formulierung wissenschaftlicher Fragestellungen über die Beschaffenheit des Bewusstseins, sondern beeinflussen auch den klinischen und öffentlichen Umgang mit Zuständen veränderten Bewusstseins (Demertzi et al. 2009b). Wir vertreten die Auffassung, dass Bewusstsein klinisch durch zwei Komponenten definiert werden sollte: Wachheit (engl.: arousal) und „Bewusstheit“ (engl.: awareness) (Posner et al. 2007). Wachheit bezieht sich auf den Grad von Aufmerksamkeit, wird durch die Funktion der subkortikalen Erregungssysteme (engl.: „arousal systems“) im Hirnstamm, dem Mittelhirn sowie dem Thalamus unterstützt und wird klinisch durch das simple Öffnen der Augen angezeigt. Bewusstheit bezieht sich auf die Inhalte des Bewusstseins. Es wird angenommen, dass Bewusstheit auf der funktionellen Unversehrtheit des zerebralen Kortex sowie dessen subkortikalen Verbindungen beruht. Klinisch drückt sich Bewusstheit durch die Fähigkeit, Handlungsanweisungen befolgen zu können, sowie durch nicht reflexartige, motorische Verhaltensweisen (z. B. Blickfolgebewegungen und lokalisieren von Schmerzreizen) aus. Ein illustratives Beispiel des Zusammenhangs dieser beiden Komponenten des Bewusstseins ist der Übergang von vollständiger Wachheit zu Tiefschlaf: Je mehr unsere Wachheit nachlässt, desto weniger bewusst sind wir uns unserer Umgebung (Demertzi et al. 2009a; Abb. 1). Patienten im Koma können nicht aufgeweckt werden und sind sich daher auch nicht ihrer Umwelt (Außenwelt) oder ihrer selbst (Selbstbewusstsein) bewusst (Posner et al. 2007).
Der vegetative Zustand (VS) wird Patienten zugeschrieben, bei denen eine Dissoziation zwischen Wachheit, die wiedererlangt wird, und Bewusstheit, die weiterhin fehlt, vorliegt (Jennett und Plum 1972). Auf Grund der stark negativen klinischen Konnotationen, die dieser Begriff nach über 35 Jahren der Verwendung trägt, sowie der unvermeidlichen Assoziation mit dem Zustand des „Dahinvegetierens“ und der damit verbundenen Implikation einer Unwiderruflichkeit der Diagnose, wurde vor kurzem der Begriff „unresponsive wakefulness syndrome“ (UWS), zu Deutsch „Syndrom der teilnahmslosen Wachheit“, als Alternative zu VS bzw. „apallischem Syndrom“ vorgeschlagen (Laureys et al. 2010). Der minimal-bewusste Zustand (engl.: minimally conscious state, MCS) beschreibt Patienten, die inkonsistente aber reproduzierbare, verhaltensbasierte Anzeichen von Bewusstheit ihrer selbst oder ihrer Umwelt aufweisen, die jedoch nicht in der Lage sind, ihre Gedanken und Gefühle in gewohnter Weise mitzuteilen (Giacino et al. 2002). Das Locked-in-Syndrom (LIS) umfasst jene Patienten, die wach und bei Bewusstsein sind, aber nur mittels minimaler Augenbewegungen kommunizieren können; in diesem Sinne ist das LIS keine Störung des Bewusstseins, wird jedoch hier mit angeführt, da es oft fälschlicherweise als solche diagnostiziert wird (Abb. 1).
img
Abbildung 1: Vereinfachte Darstellung der verschiedenen physiologischen, pharmakologischen und pathologischen Bewusstseinsmodulationen, definiert durch die beiden Komponenten des Bewusstseins, Wachheit (engl.: arousal) und Bewusstheit (engl.: awareness) (angepasst aus Laureys 2005a)

2 Wissenschaftliche Gesichtspunkte

Gemessen mit Positronenemissionstomographie (PET) ist der kortikale Stoffwechsel bei Patienten, die aus dem Koma erwachen – im Vergleich zur gesunden Norm –, durchschnittlich um 50–70 % reduziert. Eine allgemeine Aktivitätsminderung des zerebralen Stoffwechsels ist jedoch nicht ausschließlich für den Zustand des Komas spezifisch. Wenn Narkosemittel bis zum Erreichen der Bewusstlosigkeit verabreicht werden, ist die daraus resultierende Verminderung des Hirnstoffwechsels ähnlich zu jener, die beim pathologischen Koma gefunden wird (Boveroux et al. 2008a). Ein weiteres Beispiel einer vorübergehenden metabolischen Aktivitätsminderung zeigt sich während des Tiefschlafs (engl.: slow-wave sleep). In diesem alltäglichen physiologischen Zustand kann der zerebrale Stoffwechsel auf bis zu 40 % der normalen Werte abfallen, um dann im REM-Schlaf wieder zu den im Wachzustand normalen Werten anzusteigen (Maquet et al. 1997). Beim Hirntod findet man das sogenannte „empty-skull sign“ (Hohlschädel-Signatur), das Fehlen jeglicher neuronaler Aktivität im Gehirn, welches faktisch einer funktionellen Enthauptung gleichkommt. Patienten mit UWS/VS zeigen einen erheblich reduzierten, jedoch nicht gänzlich fehlenden allgemeinen kortikalen Stoffwechsel, der lediglich bis zu 40–50 % der Normalwerte beträgt. Allerdings zeigten sich bei einigen dieser in der Folge wieder genesenen Patienten keine wesentlichen Veränderungen im Ausmaß des Glukosestoffwechsels (Laureys et al. 2004). Daraus folgt, dass der Zusammenhang zwischen global gemessener Gehirnfunktion und der An- oder Abwesenheit von Bewusstheit nicht absolut ist. Stattdessen deuten empirische Befunde an, dass bestimmte Gehirnregionen spezielle Bedeutung für das Entstehen von Bewusstsein haben. Funktionelle PET-Stoffwechseldaten haben eine Dysfunktion in einem weitverteilten frontoparietalen Netzwerk identifiziert, welches polymodale Assoziationskortizes umfasst (insbesondere bilateral frontale, parietotemporale und posterior parietale Regionen sowie mesiofrontale, posterior cinguläre, und präkuneale Kortizes; Laureys et al. 1999). Bewusstheit scheint jedoch nicht ausschließlich von der Aktivität dieser kortikalen Netzwerke abzuhängen, sondern mindestens in ebenso großem Maße, von der funktionellen Konnektivität (Verbindungsdichte) innerhalb dieses Systems sowie mit den Thalamuskernen (Anmerkung: funktionelle Konnektivität umschreibt die zeitliche Korrelation zwischen räumlich verteilten neuronalen Einheiten; Friston 2002). Bei UWS/VS Patienten wurden umfassende Diskonnektivitäten von frontoparietalen und thalamokortikalen Arealen identifiziert. Interessanterweise zeigen bei klinischer Genesung ebendiese frontoparietalen Netzwerke und thalamokortikalen Verbindungen eine zeitlich parallel verlaufende Erholung (Laureys et al. 2000). Angesichts dieser Befunde kann Bewusstheit als aus zwei Komponenten bestehend angesehen werden: Bewusstheit der Umwelt (extern) und Bewusstheit des Selbst (intern) (James 1890, Liebermann 2007). Wir definieren hier externe Bewusstheit als die bewusste Wahrnehmung seiner jeweiligen Umwelt über sensorische Wahrnehmungskanäle (z. B. visuelle, akustische, somatosensorische oder olfaktorische Wahrnehmung), während interne Bewusstheit diejenigen mentalen Prozesse umfasst, die nicht die Übertragung/Vermittlung externer Stimuli oder sensorischer Einflüsse erfordern z. B. Gedankenreisen, Tagträume, „innerer Dialog“ (Liebermann 2007). Immer mehr neurowissenschaftliche Evidenz untermauert die Annahme, dass das „Bewusstheitsnetzwerk“ im Gehirn im Ruhezustand (d. h. in einer Bedingung, in welcher keine Aufgaben zu bewältigen sind) in zwei Hauptnetzwerke unterteilt werden kann: ein frontoparietales Netzwerk, welches üblicherweise Aktivitätszunahmen bei kognitiven Aufgaben zeigt, die Aufmerksamkeit erfordern, sowie ein Netzwerk für den Grundzustand (default-mode), welches bei selbstbezogenen Prozessen beteiligt ist (Boly et al. 2008b, Boly et al. 2009). Typischerweise stehen diese beiden Systeme in einer konkurrierenden Beziehung zueinander, in der jedes das jeweils andere System zum Erliegen bringen kann. So wurde z. B. gezeigt, dass eine bestehende Ruheaktivität unsere sensorische Bewusstheit in dem Sinne vermittelt, dass erhöhte Aktivität im „extrinsischen“ frontoparietalen Netzwerk offenbar die bewusste Wahrnehmung somatosensorischer Stimuli geringer Intensität erleichtert, wohingegen eine erhöhte Aktivierung im „Default-mode“-Netzwerk dazu führt, dass Stimuli gleicher Intensität nicht wahrgenommen werden (Boly et al. 2007).
Außerdem führte eine, durch Hypnose herbeigeführte Regulierung dieser beiden (mittels fMRI gemessenen) „Ruhebedingungs-Netzwerke“ zu einer herabgesetzten „extrinsischen“ lateral frontoparietalen kortikalen Konnektivität, die möglicherweise mit einer verminderten sensorischen Bewusstheit einhergeht. Das „Default-mode“-Netzwerk zeigte unter Hypnose hingegen eine erhöhte Konnektivität in bilateralen angularen und medialen frontalen Gyri, jedoch eine verminderte Konnektivität in beteiligten parahippokampalen und posterioren „Mittellinien“-Strukturen, mutmaßlich verbunden mit einem veränderten Selbstbewusstsein und posthypnotischer Amnesie (Demertzi et al., im Druck). Es konnte vor kurzem gezeigt werden, dass diese gegenläufige Funktionalität des „Default-mode“- und des „extrinsischen“ Systems eine kognitive verhaltensbasierte Entsprechung hat. Explizite subjektive Berichte über eine steigende Intensität interner Bewusstheit waren mit einer erhöhten Konnektivität im „Default“-Netzwerk verbunden, wohingegen erhöhte externe Bewusstheit mit einer Zunahme der Konnektivität im „extrinsischen“ frontoparietalen System einherging (Vanhaudenhuyse & Demertzi et al. 2011). Diese Beobachtung untermauert die zugrunde liegende funktionelle Bedeutung der Aktivität der beiden „Ruhenetzwerke“ für Bewusstseinserlebnisse bei gesunden wie kranken Menschen (Laureys et al. 2007, Qin et al. 2010).

3 Klinische Bedeutung

Die umfassende Verwendung von Intensivmedizin und künstlicher Beatmung führt zu einer steigenden Zahl von Patienten, die zwar das Koma überleben und daraus „erwachen“ (d. h. ihre Augen öffnen), jedoch ohne bewusste Reaktionsfähigkeit bleiben (d....

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort der Herausgeber
  6. Das Wachkoma: thematische Einführung und Übersicht über das Buch
  7. Teil A: Wachkoma – Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis
  8. Teil B: Wachkoma – Entscheidungen in gesellschaftlicher Verantwortung
  9. Abkürzungen
  10. Autorenverzeichnis
  11. Sachwortverzeichnis