Umgang mit Multimorbidität und Multimedikation
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Umgang mit Multimorbidität und Multimedikation

Grundlagen und Konsequenzen für die Praxis

  1. 256 Seiten
  2. German
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Umgang mit Multimorbidität und Multimedikation

Grundlagen und Konsequenzen für die Praxis

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Über dieses Buch

Durch die steigende Lebenserwartung und das Anwachsen der Gruppe älterer und hochbetagter Menschen steigt auch der Anteil derer, die an einer Multimorbidität, also mehreren chronischen Erkrankungen gleichzeitig leiden. Multimorbidität kann als eine bedeutsame Facette der zunehmend komplexer werdenden Arbeit im Gesundheitsbereich betrachtet werden und unterliegt den Besonderheiten komplexer Problemstellungen. Sie hat große Auswirkungen auf diagnostische Strategien und auch therapeutische Maßnahmen wie z.B. die Pharmakotherapie, wird aber aktuell noch unzureichend wahrgenommen und diskutiert. Das Buch zeigt theoretische Aspekte dieses Phänomens mit dem Schwerpunkt auf geriatrische Multimorbidität auf und gibt hierzu eine aktuelle Definition. Es gibt außerdem anhand von Fallbeispielen praktische Hilfestellung für die klinische Arbeit.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783170316614
Auflage
1

1 Das Phänomen Multimorbidität und seine Bedeutung in der klinischen Praxis – Eine Einführung anhand eines konkreten Beispiels

In den letzten Jahren findet das Phänomen der Multimorbidität zunehmend Anerkennung als ein zentrales Phänomen und wichtige Herausforderung in der Medizin und wird von manchen Autoren sogar als einer der bedeutendsten Aspekte in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung genannt (Marengoni et al. 2017). Ganz aktuell greift auch ein Editorial in der angesehenen Fachzeitschrift The Lancet dies auf und weist dem Merkmal Multimorbidität eine zentrale Bedeutung in der modernen Medizin zu. Allerdings geht es mit diesem Begriff ähnlich wie mit anderen Schlagwörtern der Moderne. Er ist wenig scharf definiert und obwohl eigentlich unmittelbar klar wird, was gemeint ist, nämlich das Auftreten mehrerer Erkrankungen oder Gesundheitsprobleme gleichzeitig, entstehen bei näherer Betrachtung mehr Fragen als Antworten. Daher erscheint eine genauere Analyse lohnend und sogar notwendig. In diesem Buch werden in einem ersten Teil anhand eines Beispiels wichtige Aspekte aufgelistet und Fragen formuliert. In einem zweiten Abschnitt werden wichtige theoretische Aspekte dargestellt aber auch eine Übersicht über epidemiologische Befunde gegeben. Aufbauend auf den theoretischen Aspekten werden Vorschläge abgeleitet, wie das Phänomen im geriatrischen Kontext besser zu fassen und zu bewerten ist. In einem dritten, mehr der Praxis zugewandten Abschnitt werden konkrete Probleme in der klinischen Praxis angesprochen, auch hier wird versucht, ein Überblick über aktuelle Lösungsmöglichkeiten und Entwicklungen zu geben.
Um die Problematik besser darstellen zu können, sollen mit einem einführenden möglichst konkreten Beispiel wichtige Aspekte dargestellt und Fragen abgeleitet werden. Zentral sind hier die Herausforderungen, die sich durch Multimorbidität im klinischen Alltag für den Arzt aber auch andere professionelle Akteure im Gesundheitssystem ergeben können. Daher soll zunächst auf diese fokussiert werden, wenn auch klar ist, dass aus vielerlei anderweitigen Intentionen das Phänomen Multimorbidität betrachtet werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass nicht auch aus diesen Bereichen wie z. B. Mathematik Impulse aufgenommen werden sollen, die es ermöglichen, klinische Kontexte besser zu verstehen.

Das Beispiel

Frau M., 76 Jahre alt, lebt alleine seit ihr Mann vor 2 Jahren verstorben ist. Sie leidet an Bluthochdruck und nimmt seit Jahren unterschiedliche Medikamente ein. Sie kann ihren Blutdruck selbst messen, toleriert aber bei Wohlbefinden auch höhere Werte. Sie beklagt seit Jahren Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und nimmt immer wieder diverse Schmerzmittel, teilweise auch solche, die nicht verschrieben werden müssen. Die lange Erkrankung ihres Mannes und sein schließlich eingetretener Tod hat sie stark belastet. Seit über einem Jahr nimmt sie auch regelmäßig Antidepressiva ein. Frau M. hat zwei Töchter, die aber mit ihren Familien in anderen Städten leben und sie nur unregelmäßig unterstützen können. Frau M. hat seit vielen Jahren Übergewicht und wiegt jetzt bei einer Körpergröße von 162 cm noch ca. 85 kg. Sie hat wegen ebenfalls erhöhter Cholesterinwerte im Blut Simvastatin verordnet bekommen, hat aber ihre Ernährungsgewohnheiten nicht sehr verändert. Frau M. fällt es zunehmend schwer die Treppe zu ihrer Wohnung im 2. Obergeschoss eines Mehrparteien-Mietshauses ohne Atemnot zu erreichen. Sie hat mit ihrem Hausarzt darüber gesprochen. Dieser hat ihr eine Überweisung zu einem Kardiologen ausgestellt.
Es ergeben sich folgende konkrete Fragen:
• Woran leidet Frau M. und welches Gesundheitsproblem ist hier das führende?
• Welche unmittelbaren Maßnahmen sollen ergriffen werden?
• Wie soll Frau M. beraten werden?
Ohne Frage handelt es sich bereits bei diesem einfachen und sicher in der Praxis so oder ähnlich häufig auftretenden Fall um eine Konstellation, die man bereits gut mit dem Begriff Multimorbidität bezeichnen kann. Es liegen verschiedene Gesundheitsprobleme vor, die sich unterschiedlich stark durch Symptome äußern und welche auch unterschiedliche Anforderungen an Beratung, Behandlung oder auch Prävention einer weiter ungünstigen Entwicklung stellen. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über einige Details, die sich zu unterschiedlichen Aspekten aus den benannten Gesundheitsstörungen ergeben (
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Tab. 1).
Tab. 1: Übersicht über gesundheitsrelevante Aspekte bei Frau M.
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Dazu zählen nicht nur diagnostische Aspekte, sondern auch solche, welche die Therapie und Beratung des Patienten über längere Sicht betreffen. Daraus würde sich eine in diesem Beispiel bereits beachtlich umfangreiche Liste von Zielen und Maßnahmen ergeben, die entweder unmittelbar ergriffen werden sollen oder auch im Rahmen eines längerfristigen Prozesses realisiert werden müssen. Die Tabelle zeigt ebenso die Liste der in Betracht kommenden Maßnahmen an (
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Tab. 1).
Die zweite Frage eröffnet bereits das Feld für wichtige Aspekte in der Beurteilung der Gesundheitsprobleme. Nach welchen Kriterien würde man die doch bereits überraschend lange Liste der Ziele und Maßnahmen priorisieren, da man kaum alle Aspekte simultan bearbeiten wird können. Hier ergeben sich zwei naheliegende Gesichtspunkte. Zum einen kann eine Priorisierung nach der Bedeutung für die unmittelbare Prognose und zum anderen nach der Symptomlast vorgenommen werden. Im Beispiel bliebe vermutlich unwidersprochen, dass die neu berichtete Dyspnoe zunächst erklärt werden sollte mit dem Blick auf die eventuell bedrohte kardiale Organfunktion aber auch auf die Symptomlast durch dieses Symptom. In diesem Beispiel ergibt sich also zunächst keine Konkurrenz zwischen verschiedenen Zielen, dies wäre aber in anderen Konstellationen sicher denkbar. Andererseits könnten weitere Ziele, z. B. die Schmerzen in der Lendenwirbelsäule weniger Aufmerksamkeit erhalten und vernachlässigt werden.
Vieles an den akut geschilderten Problemen spricht für das Vorliegen einer kardialen Einschränkung, die bei langjähriger arterieller Hypertonie jetzt Ausdruck einer hypertensiven Herzerkrankung sein kann. Sehr gut kann aber auch eine zusätzliche koronarielle Problematik vorliegen, so dass die Überweisung zu weiterer kardiologischer Diagnostik vernünftig erscheint. Möglich wäre, dass sich eine Chance ergibt, ein koronarielles Problem durch einen Kathetereingriff rasch zu bessern und damit auch eine Verbesserung der Symptomatik und der Alltagskompetenz zu erreichen. Außerdem ist es für die weitere medikamentöse Behandlung der Patientin von erheblicher Bedeutung, zu klären, ob und inwiefern hier eine kardial bedingte Problematik vorliegt.
Das Vorliegen einer Depression stellt einen erheblichen Einflussfaktor für den weiteren Verlauf gleichzeitig bestehender somatischer Erkrankungen dar. Man mag die strikte Trennung zwischen psychischen und somatischen Gesundheitsproblemen für nicht mehr modern halten, angesichts der vielfältigen Bezüge, die sich zwischen diesen ergeben können, dennoch ist es immer wieder wichtig auf diesen Aspekt der gegenseitigen Beeinflussung zu verweisen. Gründe hierfür können im Verhalten des Patienten liegen, nicht-depressive Patienten zeigen im Schnitt ein eher gesundheitsförderliches Verhaltensmuster, insbesondere was die kardiovaskulären Erkrankungen anbelangt, aber auch direkte Beeinflussungen auf einer somatischen Ebene werden diskutiert.
Wichtige Begleitumstände wie die Adipositas werden im medizinischen Kontext nur zögerlich als krankheitsrelevante Aspekte angesprochen, gleichwohl ist ihr Einfluss auf das kardiovaskuläre Risiko unwidersprochen. Bei älteren Menschen nimmt dieser prognostisch ungünstige Einfluss etwas ab und man kann die über 80-jährigen mit langjähriger Adipositas durchaus auch als »expert survivor« des Adipositas-Risikos, was die kardiovaskuläre Komponente anbelangt, bezeichnen. Man sollte aber bedenken, dass neben diesen Effekten auch noch andere Einflüsse bestehen, die gerade im Alter viel stärker zur Geltung kommen als der kardiovaskuläre Effekt. Dies sind Einflüsse auf die Lokomotion, die bei Vorliegen einer Adipositas und gleichzeitig Schwinden der Kraftreserven durch eine altersbedingte Sarkopenie immer mehr in den Vordergrund treten. Daneben beeinflusst die Adipositas die Entwicklung chronischer Gelenkprobleme in den großen Gelenken der unteren Extremität genauso aber auch in den kleinen des Achsenskeletts in erheblichem Umfang und trägt so dazu bei, dass ein chronisches Schmerzsyndrom entstehen kann. Das ist vermutlich bei Frau M. auch der Fall.
Dieser Punkt spielt auch bei Frau M. eine bedeutende Rolle und trägt zu einer weiteren Verschlechterung ihrer Alltagskompetenz bei. Zusätzlich kann durch das Problem des chronischen Schmerzes eine komplizierte Dauermedikation notwendig werden, die in sich bereits eine erhebliche Problematik über hohe Raten unerwünschter Wirkungen birgt. Frau M. müsste daher ausführlich über diese Gefahren beraten werden, ebenso über mögliche Maßnahmen, wie die Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule nicht-pharmakologisch gemindert werden können. Hier sind evtl. angepasst physiotherapeutische Verfahren erforderlich, da auf die evtl. bereits reduzierte Kraft der Patientin eingegangen werden muss.
Es muss also eine Abstimmung erfolgen, welche Maßnahmen kurzfristig erforderlich sind, welche Maßnahmen bei den chronischen Gesundheitsproblemen aufeinander abgestimmt werden müssen und für eine optimale Flankierung erforderlich sind. Dies betrifft insbesondere Beratung und Begleitung der Patientin. Hier ergibt sich die Frage, ob Frau M. Zugang finden kann zu entsprechenden abgestimmten Aktivitäten inkl. einer physiotherapeutischen Intervention oder auch einer fortgesetzten Ernährungsberatung und -begleitung.
Wir können diese Betrachtungen zusammenfassen und feststellen, dass für ein angemessenes Verständnis der Situation und das Aufstellen eines einen rational begründeten Behandlungsplans folgende Punkte wichtig sind:
• Vollständige Liste der Gesundheitsprobleme
• Erstellen einer Maßnahmenliste und Abstimmen der einzelnen Punkte aufeinander
• Überprüfen der individuellen Ressourcen und Aufstellen einer Liste unterstützender und begleitender Maßnahmen
• Priorisierung auf der Zeitachse nach Dringlichkeit
• Priorisierung nach Patientenpräferenz
Man sieht bei näherer Betrachtung, dass sich an einem so einfachen Beispiel bereits ein komplexes Wirkgefüge darstellen lässt mit daraus potentiell folgenden und gegebenenfalls schwierigen Abwägungsprozessen. Ein direkt erkennbarer Konflikt wird z. B. bereits in der einfachen und naheliegenden Frage erkennbar, was sollte jetzt eigentlich als nächstes geschehen. Hier wird sicher das geschilderte Symptom der Dyspnoe die Aufmerksamkeit primär besetzen und v...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort zur Reihe
  6. Vorwort
  7. 1 Das Phänomen Multimorbidität und seine Bedeutung in der klinischen Praxis – Eine Einführung anhand eines konkreten Beispiels
  8. 2 Theoretische Aspekte der Multimorbidität und epidemiologische Befunde
  9. 3 Multimorbidität in der klinischen Praxis
  10. 4 Schluss und Ausblick
  11. Literatur
  12. Sachregister