Geschichte der Diakonie in Deutschland
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Geschichte der Diakonie in Deutschland

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Geschichte der Diakonie in Deutschland

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Die Einrichtungen der Diakonie in Deutschland stellen fast eine Million Betten und Plätze dem Allgemeinwohl zur Verfügung. Sie dienen der Therapie, Krankenhausbehandlung, Pflege, Rehabilitation, Förderung, Beratung, Ausbildung, Erziehung und speziellen Wohnungsangeboten. Die Träger dieser Leistungen sind über 27 000 Einrichtungen und Dienste. Fast eine halbe Million Menschen arbeiten im Dienst von Kranken, Senioren, Jugendlichen, Behinderten, Rehabilitanden, Klienten und Auszubildenden. Hinzu treten eine weitere Million ehrenamtlich tätiger Mitarbeitender. Sie alle zusammen bilden immer noch das Rückgrat unseres Sozial- und Gesundheitswesens in Deutschland. Leitfragen für diese "Geschichte der Diakonie in Deutschland" sind u. a.: Wie ist es zu diesem beeindruckenden Hilfesystem gekommen, was löste diese Bewegung der Hilfe aus? Wie ist der Zusammenhang zwischen der heutigen Diakonie, ihren neutestamentlichen Wurzeln und dem diakonischen Aufbruch im 19. Jahrhundert? Welcher "rote Faden" zieht sich durch die Geschichte der Diakonie?

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783170271760

Die Diakonie im Jahrhundert der Inneren Mission

Am Ende des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es in West- und Mitteleuropa infolge der beginnenden Industrialisierung mit ihren ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, infolge der napoleonischen Kriege und der Hungerkatastrophe der Jahre 1816/17 zu einer zunehmenden Verelendung größer werdender Teile der Bevölkerung. Erste Hilfsmaßnahmen wie die Gründung der „Hamburgischen Armenanstalt“ im Jahr 1788 mit einem ausgeklügelten System von verpflichtender Beschäftigung und Unterstützung sowie die „Freiwillige Armenbeschäftigungsanstalt“ des Barons von Kottwitz in Berlin (1807) blieben vereinzelt und konnten schon bald der wachsenden Not nicht mehr wehren. Das Massenelend stieg im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig an. Noch vor der Märzrevolution 1848 versuchte der Schweizer Pfarrer und bekannte sozialkritische Schriftsteller Albert Bitzius 1841 auf die umfassende „Armennot“ hinzuweisen: „nie noch waren die Armen so zahlreich im Verhältnis zu den Besitzenden wie jetzt, nie war in christlichen Staaten durch viele Länder ihre Haltung gegen die Besitzenden so drohend, ihre Stimmung so feindselig, und nie noch erzeugte sich die Armut so fast aus sich selbst, war so erblich, so ansteckend, so aussatz-, krebsartig wie jetzt.“433 Ähnlich kam die „Deutsche Vierteljahrsschrift“ 1844 zu dem Ergebnis: „Aus allen Gauen Deutschlands erschallen seit einigen Jahren und ganz besonders in neuester Zeit Klagen über steigende Armut und Nahrungslosigkeit unter ganzen arbeitenden Klassen“.434
Betroffen waren in besonders schutzloser Weise die Kinder. Viele von ihnen erhielten keinen Schulunterricht und keine handwerkliche Ausbildung. Schon früh wurden sie oft über ihre Kräfte hinaus zur Feldarbeit, zu handwerklicher oder industrieller Hilfstätigkeit herangezogen. Dadurch fehlte für die Überwindung ihrer Armut jede Perspektive.

Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827)

in allem Denken lieben und in aller Liebe denken
Johann Heinrich Pestalozzi bewirkte eine neue Aufmerksamkeit für die Situation von armen Kindern. Dies erreichte er durch seine in der Schweiz gegründeten Einrichtungen und durch seine zahlreichen pädagogischen Veröffentlichungen. Beides wirkte weit über die Schweiz hinaus in den deutschen und französischen Sprachraum hinein. Von 1774 an nahmen er und seine Frau Anna Schulthess etwa 40 Kinder auf und schufen eine „Armenanstalt“ auf dem Neuhof. Die Kinder stammten aus den benachbarten Dörfern, die von Armut und Hunger gekennzeichnet waren. Der neue Ansatz bestand weniger darin, dass die Kinder dort in der Feld- und Gartenarbeit sowie im Weben und Spinnen ausgebildet wurden, sondern in der liebevollen, vom christlichen Glauben geprägten Pädagogik. Pestalozzi, der zeitweise auch Theologie studiert hatte, hielt die regelmäßigen Andachten für die Kinder gerne selbst. Die Einstellung auf ein Leben in Armut und die Vermittlung eines festen Gottvertrauens sah Pestalozzi als bestes Fundament für die bevorstehende Lebensbewältigung durch die Kinder an. Die bei der Erziehung sowohl auf dem Neuhof wie auch in weiteren Einrichtungen von Pestalozzi angewandte Strenge, ja teilweise Härte, stand für ihn nicht in einem Widerspruch zu einem liebevollen Verhalten. Obwohl der Neuhof durch Spender unterstützt wurde, gelang Pestalozzi kein dauerhafter Betrieb. Bereits 1779 musste er aus wirtschaftlichen Gründen seine Arbeit für die Kinder dort einstellen. Auch die Leitung eines Hauses für bis zu 80 arme Waisen in Stans war nur für ein halbes Jahr möglich. Dann beschlagnahmte die französische Armee das Haus für ein Militärlazarett. Auch nach dessen Abzug wurde das Haus von der Regierung für die Arbeit Pestalozzis nicht wieder freigegeben. Erfolgreicher gestaltete sich der Aufbau einer pädagogischen Einrichtung nach seinen Vorstellungen zunächst kurzzeitig in Burgdorf und dann in Yverdon-les-Bains. Dort entstanden eine Schule, eine Ausbildungsstätte für Lehrer und eine Armenanstalt.
Pestalozzis Einrichtungen und Schriften entfalteten eine enorme Wirkung auf die Weiterentwicklung der Pädagogik. Allerdings zwangen langanhaltende, schwerwiegende Auseinandersetzungen in der Einrichtung Pestalozzi, diese 1825 zu schließen. Der praktisch-organisatorische Misserfolg tat jedoch der Verbreitung grundlegender Auffassungen und pädagogischer Konzepte von Pestalozzi keinen Abbruch. Entscheidend war für ihn die „Elementarbildung“: „Die Elementarbildung erkennt das Bedürfnis der Unterordnung der intellectuellen Bildung unter die sittliche in ihrer ganzen Ausdehnung …“.435 Die „überwiegende mitwürkende Belebung der sittlichen und religiösen Kräfte unserer Natur“ befähigen nach Pestalozzi „unsere Denkkraft nicht bloß an sich zu sterken“, sondern bewirken auch die „Übereinstimmung“ „unserer inneren Natur und des höhren göttlichen Sins, der in uns liegt“.436 Die Elementarbildung „lehrt das Kind in allem Denken lieben und in aller Liebe denken“.437 Weite Akzeptanz fand zudem das von Pestalozzi vertretene Prinzip der „Anschauung“. Für das Burgdorfer Institut hatte er ein „ABC der Anschauung verfertiget“438, das für alle Fächer gelten sollte. Zielgruppe seiner Arbeit blieben auch in dieser späteren Phase die „armen Kinder“. Es ging ihm darum „eine Anzahl armer Kinder durch solche Erziehung erstens für sich selbst zu kraftvollen, wohlwollenden und selbständigen Menschen zu bilden, zweitens die ausgezeichneten Kinder aus dieser brafen Masse für den speziellen Zweck zu benutzen, durch sie die bessere Bildung des Volks allgemein zu machen …“.439 Mit anderen Worten: er wollte sie als Lehrer ausbilden. Pestalozzi legte mit seiner Arbeit die geistigen Grundlagen für das Engagement und die pädagogische Konzeption zahlreicher „Rettungshäuser“, die mittellose, verwaiste und verwahrloste Kinder aufnahmen, ernährten und ihnen eine schulische Bildung vermittelten.
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Johann Heinrich Pestalozzi
Pestalozzi blieb in seiner Zeit nicht allein mit seinem pädagogischen Engagement für arme, alleingelassene und verwaiste Kinder. In Berlin gründete eine Gruppe um den Architekten Louis Catel und den Dompropst Gottfried August Hanstein im Jahr 1807 eine „Erziehungs-Anstalt für arme Knaben“.440 Die Gruppe gewann die Königin Luise als Förderin des heute noch bestehenden Luisenstifts. In Königsberg veranlasste Luise unter Aufnahme der pädagogischen Gedanken von Pestalozzi die Errichtung eines Lehrerseminars am dortigen königlichen Waisenhaus.

Johannes Daniel Falk (1768–1826)

Ist aus dem Fundament einer solchen christlich festen Gesinnung ein Himmelsbau entstanden
Die napoleonischen Kriege hinterließen für viele Menschen ein unermessliches Elend. Betroffen waren insbesondere auch Kinder. Viele hatten durch die Kriegshandlungen ihre Eltern verloren oder ihre Eltern waren, aller Güter beraubt, nicht mehr in der Lage, sie zu ernähren. Zahlreiche Kinder lebten daher in den von den Kriegen heimgesuchten Gebieten auf der Straße. Sie ernährten sich vom Bettel, von Diebstahl oder Raub. Dies galt gerade auch für Thüringen als Durchzugs- und Lagergebiet feindlicher und befreundeter Heere.
Der in Weimar wenig bekannte satirische Dichter Johannes Daniel Falk fiel seinen Mitbürgern erstmalig als engagierter Helfer im Jahr 1806 auf. Bis dahin galt er als ein zweitrangiger Schriftsteller, der nur mit einer kritischen Veröffentlichung über die Missstände an der Berliner Charité einigen Erfolg hatte.
Während der Kämpfe zwischen Preußen und Franzosen in der Gegend von Weimar und der anschließenden französischen Besatzungszeit trat er immer wieder als Mittler und Interessenvertreter der Bedrängten auf. Seine französischen Sprachkenntnisse wurden für viele zur Hilfe. Das mutige Eintreten gegen die Übergriffe der Soldaten und für die in Not geratenen Bürger und Bauern trug ihm die Anerkennung seines Herzogs ein, der ihn zum Legationsrat ernannte und ein jährliches Gehalt von 200 Talern damit verband.
Die Jahre 1812 und 1813 schufen neue Not. Napoleons Heere zogen nach Russland und fluteten von dort zurück. 1813 wurde Mitteldeutschland zum Kampfgebiet. Kriegshandlungen, Plünderungen und Gewalttaten verursachten neues Elend.441 Bauernhöfe wurden niedergebrannt, Dörfer verwüstet. Wieder half Falk in Weimar und der Umgebung, wo er nur konnte. Falk ist, wie er über sich selbst schreibt „in jenen Mordnächten den armen bedrängten Landleuten zur Hilfe geeilt, wie es sich geziemt, mit Gefahr seines Lebens und Hinansetzung aller feigen Rücksichten vom eigenen Wohl, sich dem fremden gern und freudig opfernd“.442 Es gab zahllose Verletzte, Seuchen brachen aus. In Weimar forderte die Pest viele Todesopfer, unter ihnen auch vier Kinder der Familie Falk.
Falk erkannte, dass die Not seine persönlichen Kräfte überstieg. Er wandte sich – wohl des Erfolgs nicht ganz sicher – „in der Nacht heimlich“ an den Stiftsprediger Karl Friedrich Horn und erhielt dessen Unterstützung und die einiger „Freundinnen“.443 Mit Horn zusammen verfasste er einen Aufruf an die Bewohner des Herzogtums. Bereits kurze Zeit später konnte er noch im Jahr 1813 die Gesellschaft der „Freunde in der Not“ gründen. Gemeinsam unterstützten sie Familien und Personen, die alles verloren hatten. „Den Anfang machten wir nun sofort damit“, Bauern in umliegenden ausgeplünderten Dörfern „einen unverzinslichen Vorschuß auszumitteln.“444 Ihre Nothilfe galt insbesondere den elternlosen, obdachlosen Kindern.
Es ging um Kinder wie um den „kleinen … Ludwig Miner … der sich weinend auf zwei Krücken zu uns begab, nachdem er 3 Jahre zwischen Coburg, Ilmenau, Gotha den ganzen Thüringer Wald ausgebettelt und sein Brot an allen Türen gesucht hatte, wo er oft von den Bauernhunden angefallen und grausam geängstigt worden war … Wir fanden einen barmherzigen Samariter, einen Schneidermeister aus Kleinkromsdorf, dieser pflegte seine Wunden, verband sie und setzte ihn in seiner Werkstatt zur Ruhe: und siehe seine dreijährigen Leiden sind am Ende, und der arme Knabe geht jetzt Gottlob! ohne Krücken daher und wird bald imstande sein, sein Brot mit der Nadel zu verdienen …“.445 Es ging aber auch um Kinder, die infolge ihrer Notsituation Diebstähle und Raubtaten begangen und Zuchthausstrafen hinter sich hatten oder aus Zuchthäusern geflohen waren. Zum Wohle dieser Kinder wollte Falk einen „Betrug“ begehen „ganz im Geist unserer allerheiligsten Religion und ihrer nur Liebe und Duldung atmenden Vorschriften“: „ein christlich frommer Betrug, der uns nicht nur vergönnt, sondern durch Gottes Wort sogar geboten ist: nämlich das Kriminal- und Zuchthaus um soviel Kandidaten zu betrügen, als nur möglich ist“.446
Die ersten Kinder hatten Falk und seine Frau im eigenen Haus aufgenommen. Doch ihre Zahl wurde immer größer. Die „Freunde in der Not“ suchten für diese Kinder betreuende Familien. Die Mädchen sollten in den Familien Haushaltsdienste erlernen. Großen Wert legte Falk darauf, dass die männlichen Jugendlichen in Handwerkerfamilien Aufnahme fanden und dort eine Ausbildung erhielten, die ihnen später den Lebensunterhalt ermöglichen konnte. 1816 wurden 495 Kinder und Jugendliche betreut.447 Darunter befanden sich 101 jüngere Pflegekinder, 100 „Spinnhelfer“, 120 „Strickkinder“ und 174 Jugendliche in einer Handwerksausbildung. Dieser Weg erwies sich als erfolgreich. Zehn Jahre später waren bereits insgesamt 293 Ausgebildete als Gesellen aus der Betreuung entlassen worden.
Diese auf Ausbildung und Zukunftssicherung bedachte Vorgehensweise erinnert an die Intention der reformatorischen Kastenordnungen. Dieses Konzept unterschied sich erhe...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Fast eine Million
  6. Anstoß und Inspiration
  7. Die Diakonie in den ersten Jahrhunderten
  8. Institutionen sichern die Nachhaltigkeit der Hilfe
  9. Neue Impulsgeber
  10. Wohltätigkeit im mittelalterlichen Deutschland
  11. Die Reformation der Diakonie
  12. Not und Niedergang
  13. Pioniere eines diakonischen Christentums
  14. Die Diakonie im Jahrhundert der Inneren Mission
  15. Diakonie in der Ökumene – Wirkungen und Rückwirkungen
  16. Die Innere Mission im Ersten Weltkrieg
  17. Unter veränderten Vorzeichen: Die Innere Mission in der Weimarer Republik
  18. Die Diakonie unter der Herrschaft des Nationalsozialismus
  19. Diakonie in der Nachkriegszeit
  20. Die Diakonie in der Bundesrepublik Deutschland
  21. Die Diakonie in der Deutschen Demokratischen Republik
  22. Gemeinde- und Pfarrhausdiakonie im 20. Jahrhundert
  23. Ein Prozess vielfacher Veränderung
  24. „Mal sehn, was geht“
  25. Literaturverzeichnis
  26. Verzeichnis der Abkürzungen
  27. Verzeichnis der Namen, Einrichtungen und Dienste
  28. Verzeichnis der Abbildungen
  29. Danksagung