Psychologie und Palliative Care
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Psychologie und Palliative Care

Aufgaben, Konzepte und Interventionen in der Begleitung von Patienten und Angehörigen

  1. 272 Seiten
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Psychologie und Palliative Care

Aufgaben, Konzepte und Interventionen in der Begleitung von Patienten und Angehörigen

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Die psychologische Behandlung und Begleitung von Patienten und deren Angehörigen ist essenzieller Bestandteil von Palliative Care, um eine möglichst hohe Lebensqualität zu erhalten sowie um psychosozialen Belastungen und Gefühlen wie Hoffnungslosigkeit und depressiven Reaktionen entgegenzuwirken. Daher werden Psychologen immer stärker in die stationäre und ambulante Palliativversorgung einbezogen.Das Werk bietet einen fundierten Überblick über die Aufgabenfelder, Interventionsmethoden und psychologischen Kernkonzepte. Themen sind u. a. Kinder, alte Menschen und Angehörige in der Palliativversorgung, Kommunikation mit Patienten, Lebensqualität, Krankheits- und Trauerverarbeitung. Weiterhin werden verschiedene psychotherapeutische Ansätze sowie Interventionen bei Kernsymptomen beleuchtet. Ein Blick auf die Versorgungsstrukturen und praxisnahe Fallbeispiele runden das Werk ab.

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783170274785

1 Palliative Care
Historische Entwicklung – Aufgaben – Perspektiven

H. Christof Müller-Busch

1 Ursprünge der Hospizidee und Entwicklung von Palliative Care

Mit dem Begriff palliativ verbindet sich ein Grundverständnis medizinischen Handelns, welches eine lange Tradition hat, aber erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder neu entdeckt wurde. Die Verwendung des Wortes palliativ im Sinne von dämpfend, erleichternd, lindernd, täuschend war bis ins 19. Jahrhundert in gebildeten Kreisen geläufig – sie lässt sich in deutschen, englischen und französischen Literaturzitaten nachweisen. Sehr eindrucksvoll ist die Verwendung des Wortes palliativ im politischen Kontext. So finden wir das Wort mehrfach bei Karl Marx, später auch bei Rosa Luxemburg, im Sinne von „das Übel nicht kurierend, nicht ursächlich, bei der Wurzel packend, oberflächlich bleibend“.
Der Begriff palliativ basiert auf dem lateinischen Wort pallium (Mantel, Umhang) bzw. palliare (bedecken, tarnen, lindern). Palliative Care bzw. Palliativmedizin und Hospizbewegung sind eng miteinander verbunden. Die Hospizidee ist ähnlich alt wie der palliative Ansatz in der Medizin. So gab es wohl schon im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. in Syrien Gasthäuser, Hospize oder Xenodochions, die sich der Betreuung Kranker und Sterbender widmeten. Viele Hospize entstanden im 11. Jahrhundert entlang der Pilgerstraßen ins Heilige Land. Mit den Anfängen der modernen Medizin kam es im 18. Jahrhundert zu einer deutlichen Unterscheidung zwischen ausschließlich pflegerischen Hospizen und den zur Behandlung von Kranken gegründeten medizinischen Krankenanstalten. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts übernahmen dabei die Hospize im Besonderen auch die Aufgabe, bedürftige, alte und obdachlose Menschen aufzunehmen und im Sterben zu begleiten, wenn sie sich wegen Armut eine ärztliche oder häusliche Betreuung nicht leisten konnten. Während Palliative Care mehr die professionellen Aufgaben umschreibt, ist die Hospizbewegung eher eine praktizierte Idee und ein Engagement, das versucht, das Sterben wieder in das gesellschaftliche Leben und soziale Miteinander zu integrieren.
Die Gründung des St. Christopher Hospice in London durch Cicely Saunders 1967 gilt allgemein als der historische Impuls für die Entwicklung der modernen Hospizbewegung und von Palliative Care. Cicely Saunders hat mit der Definition des multidimensionalen Tumorschmerzes als somato-psycho-sozio-spirituelles Phänomen auch den ersten Impuls gegeben, dass Palliative Care mehr ist als nur die Behandlung körperlicher Beschwerden: Es geht auch um ein umfassendes Verständnis für die existenzielle Situation und das Leiden der Betroffenen und ihrer Familien.

1.1 Entwicklung in Deutschland

Im Juni 1971 wurde im Deutschen Fernsehen ein Dokumentarfilm über das St. Christopher Hospice mit dem Titel „Noch 16 Tage … eine Sterbeklinik in London“ gezeigt. Schon der Titel „Sterbeklinik“ sorgte für heftige Reaktionen, und es begann eine kontroverse Diskussion, ob die Ideen des St. Christopher Hospice auch in Deutschland umgesetzt werden sollten. Insbesondere die Kirchen lehnten die Errichtung spezieller Sterbeeinrichtungen in Deutschland rigoros ab, weil dadurch das Sterben nicht menschlicher, sondern unmenschlicher gemacht würde. Als Folge begann in Deutschland die Entwicklung der Palliativversorgung (im Vergleich zu anderen Ländern) mit einer erheblichen Verzögerung. So wurde die erste Palliativstation als kleine 5-Betteneinheit in der Chirurgischen Klinik der Universität Köln erst im Jahre 1983 eröffnet.
Seit Beginn der 1990er-Jahre ist in vielen industrialisierten Ländern, so auch in Deutschland, eine dynamische Entwicklung von palliativmedizinischen Versorgungsangeboten festzustellen. Führend waren vor allem Großbritannien, Kanada und die skandinavischen Länder. Wie in allen Ländern lässt sich auch in Deutschland eine Pionierphase (ca. 1971–1993), eine Differenzierungsphase (ca. 1994–2005) und eine Stabilisierungs- bzw. Integrationsphase (seit 2005) unterscheiden. In Deutschland konzentrierte sich Palliativmedizin zunächst stark auf die Spezialversorgung im stationären Sektor. Erst in den letzten Jahren sind zunehmend auch ambulante Versorgungsmodelle entwickelt worden. Dabei sollen Formen der allgemeinen Palliativversorgung von den zumeist multiprofessionell organisierten spezialisierten Versorgungsmodellen abgegrenzt werden (Schindler 2008).

1.2 Formen und Aufgaben von Palliative Care

Leitgedanken von Palliative Care bzw. der Palliativmedizin ist die würdige Begleitung der letzten Lebensphase und des Sterbens bei schwerstkranken Menschen. Vor allem die modernen Möglichkeiten der Schmerztherapie, die in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden, haben dazu beigetragen, dass Palliative Care zunehmend Anerkennung und Bedeutung erlangte. Leidenslinderung bzw. Prävention des Leidens mit den Möglichkeiten der modernen Medizin bedeutet nicht nur optimale Symptomlinderung und Verbesserung der Lebenssituation des Sterbenskranken, sondern es geht in der Palliativbegleitung auch darum, Sterben und Tod als etwas dem Leben Zugehöriges erfahrbar zu machen. Diese Aufgabe reicht sicherlich über eine professionell und kompetent durchgeführte Auftragsleistung hinaus, sie stellt auch eine Herausforderung in der Annäherung an Ungewisses dar. Die christlich-karitative Tradition, auf die sich die moderne Hospizbewegung besinnt, macht die Begleitung des Sterbenden und seiner Familie zu einer Sinn bestimmenden Aufgabe im Sinne von „Ars moriendi“: Die lebensbegleitende Vorbereitung auf das Sterben wird auch für die Sinnbestimmung des eigenen Lebens wichtig.
Im Hinblick auf Aufgaben, Strukturen, Zielgruppen und qualitative Merkmale haben die Begriffe Palliativmedizin und Palliative Care in den letzten 30 Jahren eine Reihe von Transformationen erfahren, die zu unterschiedlichen Gewichtungen bei Definitionsbemühungen geführt haben, sodass bisher auch keine allgemein konsentierte Definition in der internationalen Literatur zu finden ist. In einer kürzlich publizierten qualitativen Analyse der Fachliteratur wurden 37 englischsprachige und 26 deutschsprachige Definitionen zu den Begriffen Palliativmedizin und Palliative Care identifiziert, wobei als gemeinsame Zielvorstellungen die Linderung und Prävention von Leiden sowie die Verbesserung von Lebensqualität ermittelt wurden (Pastrana et al. 2009). Die definitorischen und semantischen Bemühungen die die Begriffe Palliative Care, Palliativmedizin, Palliativversorgung, Sterbequalität etc. begleiten, erschweren manchmal die inhaltliche Bestimmung dessen, worum es geht. Wichtig ist jedoch, die Begriffe Palliativmedizin und Palliative Care von den in vielen Bereichen der Medizin verwendeten Begriffen Palliativtherapie bzw. Supportivtherapie abzugrenzen (Müller-Busch 2011).
Zur Palliativmedizin bzw. Care gehört nicht nur die Linderung körperlicher Symptome, sondern vor allem auch ein die individuelle Lebenssituation berücksichtigendes Verständnis des Leidens sowie Zeit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen des Krankseins und Sterbens. Diese ist im medizinischen Alltag meist nicht vorhanden. Es erfordert eine personale, am bio-psycho-sozialen Modell orientierte Herangehensweise, die den kranken Menschen mit seinen biografischen Besonderheiten, Potenzialen und tragfähigen sozialen Bezügen in den Mittelpunkt stellt. Für Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen ist dieser Ansatz besonders wichtig. Die Belastung durch körperliche Beschwerden, und besonders auch das Leiden in der Sterbephase können gemindert werden, wenn kommunikative und spirituelle Dimensionen des Leidens frühzeitig berücksichtigt werden (Müller-Busch 2004).

1.3 Stellenwert von Palliative Care in der Gesundheitsversorgung

Palliative Care steht nicht – wie oft missverstanden – im Gegensatz zur kurativen Medizin. Es stellt eine Ergänzung dar, die darauf verweist, dass die Worte Care und Cure gemeinsame Wurzeln haben. Es zeigt, dass sich hinter dem umfassenden Ansatz, der mit dem Wort „palliativ“ verbunden wird, ein für die Medizin insgesamt wichtiges, wieder neu entdecktes Verständnis des Heilens verbirgt, das auf einen Aspekt verweist, der auch in dem umfassenden Begriff Heilung als Ganz bzw. Wholesome sein zu finden ist.
Einer der wichtigsten Gründe für die Entwicklung palliativer Konzepte für schwerstkranke und sterbende Patienten war sicherlich die Tatsache, dass Sterben und Tod sowie Leidenslinderung am Lebensende in der modernen Medizin nahezu ausgeklammert wurde; nachdem lange Zeit die unbeabsichtigten Nebenfolgen des Fortschritts – nämlich Schmerzen, Hilfsbedürftigkeit, existenzielle Not und Pflege des sterbenskranken Menschen – nicht beachtet wurden.
Die technischen Möglichkeiten zur künstlichen Lebensverlängerung und zum Organersatz in der Mitte des 20. Jahrhunderts führten auch dazu, dass die Frage eines guten Sterbens oder eines guten Todes angesichts von vielen als quälend empfundener Krankheitsverläufe immer mehr auch zum gesellschaftlichen Thema wurde. Der Vertrauensverlust in die Medizin und Befürchtungen am Ende des Lebens, ihren technischen Möglichkeiten zur Lebensverlängerung hilflos ausgeliefert zu sein, führten dazu, dass die Frage des selbstbestimmten Todeszeitpunktes und der selbst gewählten Todesart in den Mittelpunkt der Überlegungen zu einem guten Sterben rückten. Gleichzeitig mit der Entwicklung der modernen Hospizbewegung und Palliative Care, die untrennbar miteinander verbunden sind, wurde seit den 1970er Jahren in den Niederlanden lebhaft die Debatte zur Legalisierung des selbstbestimmten Todes durch Euthanasie, in der Schweiz durch Beihilfe zum Suizid, aufgenommen, während in den Vereinigten Staaten die Auseinandersetzung über Patiententestamente und vorsorgliche Willenserklärungen für Entscheidungen zur Behandlungsbegrenzung ganz im Mittelpunkt der Frage standen, wie ein gutes Sterben gestaltet werden könne.

2 Interdisziplinäre Aufgaben und Multiprofessionelle Orientierung von Palliative Care

Nach der im Jahr 2002 revidierten Definition der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation – WHO) ist Palliativmedizin/Palliative Care ein „Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art“ (WHO 2002). Durch eine ganzheitliche Herangehensweise soll Leiden umtfassend gelindert werden, um Patienten und ihren Angehörigen bei der Krankheitsbewältigung zu helfen und deren Lebensqualität zu verbessern. Palliativmedizin bejaht das Leben und sieht im Sterben einen natürlichen Prozess. Das Leben soll nicht künstlich verlängert und der Sterbeprozess nicht beschleunigt werden. Palliativversorgung soll interdisziplinär und multiprofessionell erfolgen, das heißt, sie basiert auf der Kooperation von Ärzten unterschiedlicher Fachgebiete, Pflegenden, Vertretern weiterer Berufsgruppen und Ehrenamtlichen (Präambel der Satzung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin 2008).
Palliative Aspekte sollten nicht erst dann erwogen werden, „wenn nichts mehr getan werden kann“, sondern sie sollten kurative Behandlungsstrategien begleiten und ergänzen, falls dies erforderlich ist. Neben fachlicher Kompetenz zu einer umfassend angelegten Beschwerdelinderung erfordern palliativmedizinische Konzepte auch eine multiprofessionelle und interdisziplinäre Herangehensweise bezüglich der Sorgen und Probleme der Patienten und deren Angehörigen. Dies gilt im Besonderen für Menschen mit Krebserkrankungen, inzwischen aber – trotz der großen Fortschritte in der Medizin –auch für Menschen mit lebensbegrenzenden und belastenden kardiopulmonalen Erkrankungen (z. B. chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, die in fortgeschrittenen Stadien ganz andere Verläufe haben) sowie Patienten mit neurologischen Systemerkrankungen (z. B. Amyotrophe Lateralsklerose – ALS) in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien. In Abhängigkeit von der Prognose der Grunderkrankung lassen sich deshalb auch in der Palliativmedizin unterschiedliche Stadien von der Rehabilitation bis zur eigentlichen finalen Sterbephase unterscheiden (Jonen Thielemann 1997; Klaschik et al. 2001). Der palliative Ansatz ist neben Prävention, Kuration und Rehabilitation eigentlich ein unverzichtbarer Teil einer menschengemäßen Medizin in der Begleitung schwerstkranker Menschen.
Effektive Kommunikation, reflektiertes Entscheiden und transparentes (nachvollziehbares) Handeln können als Kernelemente der Palliativmedizin bzw. von Palliative Care angesehen werden. Wille und Wohl des Betroffenen stehen im Mittelpunkt des Dialogs aller, die einen Menschen, der sich krankheitsbedingt nicht mehr mitteilen bzw. aktuell nicht entscheiden kann, begleiten. In Betreuungseinrichtungen der Palliativ- und Hospizversorgung sind diese Aspekte selbstverständlich – in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern und sonstigen Orten des Sterbens bestehen hierzu leider oft noch erhebliche Defizite. Effektive Kommunikation bedeutet, Krankheit nicht nur als pathophysiologische Funktionsstörung, sondern als Prozess zu verstehen und Kranksein als individuelle Erfahrung zu berücksichtigen. Es bedeutet aber auch, alle Dimensionen des Krankseins zu erfassen und zu wissen, wo bzw. in welcher Lebenssituation sich der Andere befindet und welche Werte er hat. Es bedeutet, gemeinsame Ebenen zu finden und alle Aspekte von „Heilung“ im Blick zu behalten. Reflektiertes Entscheiden heißt, im Dialog immer dem Willen des Patienten auf der Spur zu sein, egal, ob es um Therapiewünsche am Lebensende, die Interpretation von Patientenverfügungen, den Umgang mit Sterbewünschen oder die Beendigung lebensverlängernder Maßnahmen geht. Nur so werden Entscheidungen ermöglicht, die auf der Grundlage einer vertrauensvollen Beziehung von allen getragen werden. Transparentes Handeln sollte dazu beitragen, dass es für andere nachvollziehbar wird. Es kann weder bedeuten, alles zu tun, was möglich ist, noch alles zu tun, was gewünscht wird. Medizinische Indikation bestätigt sich im Dialog und verwirklicht sich in der Palliativversorgung in der Begleitung des sterbenden Menschen für ein Sterben unter würdigen Bedingungen mit bestmöglicher Symptomkontrolle sowie Zuwendung und Unterstützung im Umgang mit physischen, psychosozialen und spirituellen Themen.

2.1 Psychosoziale Betreuung in der Palliativmedizin

Im Selbstverständnis der Palliativmedizin gehört die Psychologie „selbstverständlich“ zum Behandlungsangebot für Menschen mit lebenslimitierenden Erkrankungen, wobei es durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wann und in welchem Ausmaß spezielle Ansätze zum Tragen kommen und vor allem wann unter welchen Bedingungen welche psychologische Betreuung benötigt wird. In einer zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin in vielen palliativmedizinischen Einrichtungen regelmäßig durchgeführten Erhebung, wurde festgestellt, dass neben den somatischen Problemen bei 37,5 % der Patienten psychische Belastungen vorhanden sind, für die in fast 40 % eine Indikation zur speziellen psychosozialen Unterstützung als notwendig erachtet wird. Am seltensten sahen ambulant tätige Ärzte (18 %), am häufigsten Ärzte auf Palliativstationen und in der Onkologie (48 % bzw. 55 %) eine Indikation zur psychologischen Mitbetreuung (Lindena et al. 2005).
Die Umsetzung eines psychosozial und spirituell orientierten Palliative Care-Konzepts benötigt in einem hohen Maße Strukturen, die fachliche Interdisziplinarität gleichberechtigt ermöglichen. Nur wenn Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln gesehen und beurteilt werden, ergeben sich transdisziplinäre Lösungsansätze und Orientierungen, die über das eigene Blickfeld hinausreichen. Insofern stellt das Zusammenwirken im Team, in dem Ärzte, Pflegende, Theologen, Psychologen, Therapeuten, Menschen aus sozialen und künstlerischen Bereichen, Betroffene, Angehörige und Ehrenamtliche miteinander um das Wohl des Betroffenen ringen, eine der tragenden Säulen von Palliative Care dar. Diese beinhaltet eine multiprofessionelle Identität und die Bereitschaft zur Teamarbeit.
Palliative Care benötigt in einem besonderen Maße auch die Beachtung von Möglichkeiten von Self-Care. Diese kann und darf sich nicht nur darauf beziehen, die von lebenslimitierenden Erkrankungen Betroffenen und deren Angehörige zu unterstützen, sondern das Self-Care-Konzept richtet sich auch an die Begleiter (Professionelle und Ehrenamtliche). Supervision, Fall- und Teambesprechungen fördern nicht nur Identität im multiprofessionellen Kontext, sondern stärken auch individuelle Widerstandsfähigkeit gegen Belastungen in der Konfrontation mit Trauer und Tod (Müller et al. 2009). Allerdings hat der umfassende bio-psycho-sozial-spirituelle Ansatz von Palliative Care in der nach naturwissenschaftlichen Methoden, von Wettbewerbsdenken und ökonomischen Gesichtspunkten bestimmten Medizin noch nicht genügend Anerkennung gefunden. Deshalb droht nicht nur die Gefahr, dass Modelle zu scheitern drohen, wenn sie diesen Ansatz konsequent umzusetzen versuchen, sondern auch, dass die wissenschaftlich gestützten Ergebnisse der praktischen Erfahrungen von Palliative Care im allgemeinen Umgang mit den vielfältigen Problemen kranker Menschen nicht ausreichend berücksichtigt werden.

2.2 Palliative Care, Autonomie und Sinn

Palliative Care bedeutet in einem besonderem Maße auch Wertorientierung, indem sie die Grenzen der Medizin respektiert und die Kommunikation über die in den letzten hundert Jahren schmerzlich missachteten und vernachlässigten ethische Grundlagen medizinischer Moral und des menschlichen Miteinanders wieder ins Bewusstsein zu bringen versucht. Menschen in der letzten Lebensphase erwarten nicht nur hohe fachliche Kompetenz, Zuwendung, Erreichbarkeit, Wahrhaftigkeit, wertfreies Interesse, Unvo...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort der Herausgeber
  6. 1 Palliative Care Historische Entwicklung – Aufgaben – Perspektiven
  7. 2 Aufgabenfelder
  8. 3 Zentrale Konzepte
  9. 4 Interventionen
  10. 5 Interventionen bei Kernsymptomen
  11. 6 Versorgungsstrukturen
  12. 7 Lehre und Forschung
  13. Anhang