Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments
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Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

The closest connection between Jews and Christians probably lies in the fact that they share a common scriptural basis. All of the books of the Hebrew Scriptures (Tanach) are included in the?Old Testament= of the Christian Bible. However, the history of Judaism and Christianity shows that the same books are understood and interpreted quite differently in each of the separate contexts. The new edition of this book emphasizes common ground and differences in understanding and interpretation and takes up the intensive hermeneutic debate that has been taking place over the last 20 years. This includes new findings on interrelationships between Judaism and Christianity in the first few centuries after Christ, as well as advances in Christian&Jewish dialogue. Special attention is given to the reorientation of the relationship with Judaism based on the Second Vatican Council, which led to a new understanding of the Old Testament in Catholic theology.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783170361423

1. Text und Kon-Text

(Christoph Dohmen)
Der Gegenstand, dem das vorliegende Buch gewidmet ist, ist die Bibel. Die so bekannte und selbstverständliche Bezeichnung Bibel birgt bei genauerer Betrachtung einige Fragen in sich; denn die Bezeichnung Bibel deutet schon an, dass es sich um mehr als ein Buch handelt. Die Bibel ist mehr als ein Buch und sie ist mehr als ein Buch. Das Wort Bibel leitet sich letztlich vom griechischen biblia her, das selbst die Pluralform von biblion »Buch(rolle), Schrift, Brief, Dokument« ist. Der griechisch schreibende jüdische Schriftsteller Flavius Josephus benutzt im 1. Jahrhundert n. Chr. diesen Plural biblia schon als Begriff sowohl für die Tora, d. h. die fünf Bücher Mose, als auch für die Sammlung aller Heiligen Schriften, und so begegnet der Begriff dann auch für die Gesamtheit von Altem und Neuem Testament in der christlichen Bibel seit dem 4. Jahrhundert. Über das lateinische Lehnwort biblia ist das Wort schließlich zu uns gelangt. Wollte man die Sprachentwicklung von der Plural- zur Singularform sachgerecht wiedergeben, dann müsste man das Wort Bibel eigentlich durch »Büchersammlung« oder »Bücherei« erklären. Das Wort hält also fest, dass es sich bei der Bibel nicht um ein einziges Buch handelt, sondern um eine Zusammenfassung mehrerer Bücher zu einer Einheit. Diese Einheit der Büchersammlung hat allerdings nichts mit modernen Formen von Gesamt- oder Teilausgaben zu tun, wie wir sie vor allen Dingen von den Werken großer Schriftsteller her kennen, sondern die Bibel ist ein aus vielen Büchern gewachsenes Buch. Hinter dem Wachstum dieser Bücherei stehen Menschen (Glaubensgemeinschaften), die in diesen Büchern ihren Glauben ausgedrückt finden und durch Fortschreiben der Texte ihr eigenes Glaubensverständnis für die kommenden Generationen ausdrücken.
Judentum und Christentum verbindet, dass ein großer Teil ihrer Heiligen Schriften identisch ist. Alle Bücher der Heiligen Schrift des Judentums sind auch in der christlichen Bibel enthalten, näherhin in deren ersten Teil, dem sogenannten Alten Testament. Dieses Faktum führt zu einer zentralen theologischen Frage, der Christen sich immer wieder neu stellen müssen. A. H. J. Gunneweg hat diese Frage 1977 am Beginn seiner alttestamentlichen Hermeneutik markant auf den Punkt gebracht:
»Ja, es ist keine Übertreibung, wenn man das hermeneutische Problem des Alten Testaments nicht bloß als ein, sondern als das Problem christlicher Theologie betrachtet, von dessen Lösung so oder so alle anderen theologischen Fragen berührt werden. Ist Auslegung der Heiligen Schrift wesentliche Aufgabe der Theologie und gilt die Schrift als Grundlage christlichen Lebens, Fundament der Kirche und Medium von Offenbarung, so ist die Frage, ob und warum diese Sammlung israelitisch-jüdischer Schriften, die im Bereich der christlichen Kirchen als Altes Testament bezeichnet wird, Teil und gar der umfangreichste Bestandteil des Schriftkanons sei und welche theologische Bedeutung ihm zukomme, von fundamentaler theologischer Relevanz. Sie betrifft ja den Umfang und damit sogleich auch qualitativ den Inhalt dessen, was als christlich zu gelten hat. Eine fundamentalere Frage lässt sich im Bereich der Theologie nicht stellen; ihre Beantwortung bestimmt selbst den Bereich, in welchem Theologie sich zu vollziehen hat!« (Gunneweg, Verstehen 7f.)
Im Kontext des jüdisch-christlichen Dialogs unserer Tage hat sich der Gedanke, dass die Bibel Israels einen doppelten Ausgang in Judentum und Christentum gefunden hat, zur festen Formel verdichtet. Schon 1983 hatte Rolf Rendtorff auf die Notwendigkeit einer christlichen Besinnung in Bezug auf die je eigene Bedeutung derselben Schriften in Judentum und Christentum hingewiesen: Der einzig angemessene Weg sei,
»das Selbstverständnis des Alten Testamentes in seiner kanonischen Form ganz ernst zu nehmen und zugleich die historische Tatsache, daß es eine doppelte Wirkungsgeschichte hat, eine jüdische und eine christliche, auch theologisch anzuerkennen. Dies würde die christliche Theologie freimachen von dem Versuch, die eigene Auslegungsgeschichte für kanonisch zu erklären, und es würde zugleich die Möglichkeit eröffnen zu einem Gespräch zwischen Juden und Christen über die gemeinsamen Grundlagen in der Hebräischen Bibel und deren heutige Relevanz im Lichte der je verschiedenen Auslegungs- und Wirkungsgeschichte«1.
Die historischen und hermeneutischen Implikationen dieses Gedankens hat K. Koch in seinem Aufsatz »Der doppelte Ausgang des Alten Testamentes in Judentum und Christentum« freigelegt und dahin gehend präzisiert, dass sich dieser Gedanke nicht nur auf ein Buch beziehen kann:
»Ein Buch hat keinen ›Ausgang‹ in einer Religion oder gar in deren zwei. Doch mit Absicht war nicht von einem Ausgang der Heiligen Schrift Alten Testaments in christlicher und jüdischer Theologie die Rede, was auch Sinn gäbe. Vielmehr war vorausgesetzt, dass der Terminus ›Altes Testament‹ von Haus aus den ›Alten Bund‹ bezeichnet und nur abgeleitet auch die Schrift dieses Bundes. Um den Bund selbst geht es mir letztlich, um jene Verflechtung von Institutionen und Ideen, unter der das Verhältnis Gottes als des Grundes aller Wirklichkeit zu einem bestimmten Volk, zu Israel, sich Ausdruck verschafft hatte. Eben dieser Bund hat scheinbar einen doppelten Ausgang, hat zwei Religionen aus sich entlassen« (Koch, Ausgang 240f.).
Von hierher tritt die Tiefenstruktur dieser Vorstellung klarer hervor. Nicht nur eine gemeinsame Schriftgrundlage von Juden und Christen gilt es sachlich und terminologisch in den Griff zu bekommen, sondern das Verhältnis von Judentum und Christentum als Verhältnis zweier Religionen zueinander ist tangiert. Die graphische Y-Struktur des ›doppelten Ausgangs‹ insinuiert eine Symmetrie, die in dieser Weise jedoch nicht besteht; denn Heilige Schrift im engen Wortsinn bleibt für das Judentum ausschließlich die Hebräische Bibel auch dann, wenn die Abgrenzung zur sogenannten »mündlichen Tora« nicht eng gezogen wird.
Aus der zweigeteilten Einheit der christlichen Bibel folgt vielmehr eine Asymmetrie, durch die das Christentum von der Schrift her auf das Judentum verwiesen wird, während das Judentum nicht in gleicher Weise von seiner Heiligen Schrift auf das Christentum verwiesen wird.2 Es geht hier nicht darum, das biblische Israel mit dem Judentum bis heute gleichzusetzen, sondern einzig darum, die besondere Kontinuität zwischen biblischem Israel und Judentum in der Glaubensgemeinschaft derselben Heiligen Schrift zu erkennen. Die zweigeteilte Einheit der christlichen Bibel mit der Bibel Israels als erstem Teil macht den Unterschied dazu deutlich. Der Blick auf das Judentum zeigt dem Christentum eine Art, die Bücher, die erster Teil der christlichen Bibel sind, als selbständige Heilige Schrift zu verstehen, während dies für die Schriften des Neuen Testaments in Parallele dazu nicht möglich ist (s. 3.5). Dieselben Bücher werden zweifach verstanden und daraus erwächst wiederum eine zweifache Verkündigung, eine doppelte Kunde. Die Art und Weise der christlichen Rezeption der Bibel Israels als Altes Testament in der zweigeteilten christlichen Bibel lässt keinen Zweifel daran, dass es für das Christentum konstitutiv ist, das doppelte Verstehen des ersten Teils in seiner Heiligen Schrift – als Bibel Israels oder als Altes Testament – wahrzunehmen (s. 3.3). Es geht dabei nicht um einen interreligiösen Dialog, der verlangen würde, dass Juden und Christen in gleicher Weise die je andere Auslegung kennenlernen, sondern es ist einzig und allein die Besonderheit der zweigeteilten Einheit der christlichen Bibel, die das doppelte Verstehen des ersten Teils herausfordert. In seiner vielbeachteten Rede vor dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Rabbinerkonferenz am 17. November 1980 in Mainz hat Papst Johannes Paul II. diese Einsicht in die notwendige Verbindung zum jüdisch-christlichen Verhältnis gestellt:
»Die erste Dimension dieses Dialogs, nämlich die Begegnung zwischen dem Gottesvolk des von Gott nie gekündigten (vgl. Röm 11,29) Alten Bundes und dem des Neuen Bundes, ist zugleich ein Dialog innerhalb unserer Kirche, gleichsam zwischen dem ersten und zweiten Teil ihrer Bibel.« (Zitiert aus: R. Rendtorff/H. H. Henrix (Hg.), Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945-1985, Paderborn-München 21989, 75.)
Die je eigene Einbettung derselben Schriften in die unterschiedenen Traditionen des Judentums und des Christentums ist für die Christen der Ort, an dem die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dem doppelten Verständnis sichtbar und greifbar wird. Die Schriftgemäßheit aller christlichen Theologie ist an der hermeneutischen Reflexion in Bezug auf die Zweieinheit der christlichen Bibel zu messen. Diese wiederum kann sich der Auseinandersetzung mit Israel und dem Judentum nicht entziehen, weil die Schrift selbst die Frage aufwirft, warum als erster und größter Teil in der christlichen Bibel die Heilige Schrift zu finden ist, die zuvor und weiterhin Heilige Schrift des Judentums war und ist. Dies ist die alles entscheidende Frage einer Hermeneutik des Alten Testaments, weil nur sie den doppelten Ort dieser Schrift in Judentum und Christentum reflektiert.
Die Einsicht in die Besonderheit der christlichen Bibel und die daraus hervorgehende Sensibilisierung in Bezug auf die doppelte Kunde in Judentum und Christentum hat die Konzeption der vorliegenden Hermeneutik bestimmt. Sie hat sich als Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments der Programmatik der »doppelten Kunde« verschrieben, um das zweifache Verstehen des Alten Testaments im Christentum als einzig sachgerechtes, weil schriftgemäßes, Verstehen zu etablieren.

1.1 Die zweigeteilte Einheit der christlichen Bibel

D. L. Baker, Two Testaments, one Bible. Study of the theological relations between the Old and New Testaments, Leicester ²1991. – B. S. Childs, Die Theologie der einen Bibel. Bd. 1: Grundstrukturen, Freiburg 1994, 76-82. – C. Dohmen, Altes Testament I. Begriff, LThK³ I, 1456f.– C. Dohmen/F. Mussner, Nur die halbe Wahrheit? Für die Einheit der ganzen Bibel, Freiburg 1993. – C. Dohmen / M. Oeming, Biblischer Kanon – warum und wozu? Eine Kanontheologie (QD 137), Freiburg 1992. – C. Dohmen / T. Söding (Hg.), Eine Bibel – zwei Testamente. Positionen Biblischer Theologie (UTB 1893), Paderborn 1995. – D.-A. Koch, Altes Testament, II. Neutestamentlich, LBH 13-14. – K. Koch, Der doppelte Ausgang des Alten Testaments im Judentum und Christentum, JBTh 6, 1991, 215-242. – H. Liss, TANACH – Lehrbuch der jüdischen Bibel, Heidelberg 2005 (42019). – J. A. Loader, Altes Testament, Einführung; I. Alttestamentlich, LBH 11-13. – J. A. Loader, Tenach and Old Testament – the same Bible?: HTS 58, 2002, 1415-1430. – N. Lohfink, Der niemals gekündigte Bund. Exegetische Gedanken zum christlich-jüdischen Dialog, Freiburg 1989. – D. Sänger, Die Verkündigung des Gekreuzigten und Israel, Tübingen 1994, 63-71. – M. Seckler, Christentum I. Name und Begriff, LThK³ II, 1105-1107. – T. Söding, Mehr als ein Buch. Die Bibel begreifen, Freiburg 1995, 90-117. – E. Zenger, Das Erste Testament. Die jüdische Bibel und die Christen, Düsseldorf 51995, 140-154.

1.1.1 Altes Testament, Jüdische Bibel und Bibel Israels

Mit der Bezeichnung der dem Christentum vorgegebenen Heiligen Schrift durch »Altes Testament« haben die Christen zum Ausdruck gebracht, dass ihre Heilige Schrift eine zweigeteilte Einheit ist. Im Blick auf den Ursprung der Schrift ergibt sich daraus, dass die ursprüngliche Bezeichnung »Heilige Schrift« auf das Ganze der neuen – zweigeteilten – Schrift übertragen wird, der Teil, der die übernommenen oder vorgegebenen Bücher enthält und durch die Bezeichnung Altes Testament eine neue Benennung erhält. Der historische Ursprung der Bezeichnung Altes Testament und Neues Testament für die beiden Teile der christlichen Bibel ist schwer auszumachen. Häufig wird das Kanonverzeichnis des Meliton von Sardes (um 180 n. Chr.) genannt, da dort von den »Büchern des alten Bundes« die Rede ist, doch findet sich bei ihm einerseits keine Gegenüberstellung von »Büchern des neuen Bundes« und andererseits kann die Bezeichnung auch noch im Sinne von 2 Kor 3,14 gelesen werden. Dort, der einzigen Stelle in der Bibel, wo der »Bund« als »alter« qualifiziert wird, liegt kein Terminus technicus für die Bezeichnung der Heiligen Schrift vor, sondern im Kontext der Überlegungen zum apostolischen Dienst in 2 Kor 3 stellt Paulus dem Dienst am »neuen Bund« (3,6) den »alten Bund« entgegen, der in seiner Verlesung verhüllt bleibe. Diese Verhüllung, die in Christus ein Ende habe, lässt den »alten Bund« als »neuen Bund« erkennen. Dies setzt aber voraus, dass hier nicht von zwei Bünden gesprochen wird, sondern von einem einzigen.
Deutlich ist folglich, dass diese Rede von dem einen Bund – ob alt oder neu – nicht auf eine Buchbezeichnung abzielt oder diese schon voraussetzt.3 Gleichwohl ist möglich, dass hier einer der Ursprungs- bzw. Anknüpfungspunkte für die spätere Terminologie zu finden ist. Zumindest enthält 2 Kor 3 die entscheidenden Elemente, die für den späteren Umgang mit der Begrifflichkeit von Altem und Neuem Testament prägend gewirkt haben. So ist es durchaus möglich, dass man die Besonderheiten der geteilten Einheit der christlichen Bibel in der Symbiose von Elementen der Kontinuität und Elementen der Diskontinuität besonders gut in diesem Gedanken des Bundes als altem und neuem ausgedrückt fand. Dass die paulinische Überbietungsthematik – erst einmal als Titulatur für Schriftkorpora verwendet – auch zu Missverständnissen führen kann, zeigt die spätere Wirkungsgeschichte, die gerade im Rückgriff auf 2 Kor 3,14f an das Ende des alten Bundes denkt und den neuen Bund als »anderen« gegenüber dem alten auffasst, an dessen Stelle jener tritt. Greifbar ist dieses Missverständnis in der bis heute zu findenden Fehlübersetzung von 2 Kor 3,14, die das Ende auf den Bund und nicht auf dessen Verhüllung bezieht. So hieß es auch noch in der EÜ (1980): »Doch ihr Denken wurde verhärtet. Bis zum heutigen Tag liegt die gleiche Hülle auf dem Alten Bund, wenn daraus vorgelesen wird, und es bleibt verhüllt, dass er in Christus ein Ende nimmt.« Paulus geht es aber im Kontext von 2 Kor 3 gerade nicht darum, dass der (alte) Bund in Christus ein Ende nimmt, sondern dass in Christus die Verhüllung des alten Bundes zu Ende geht. Dies bestätigt auch die nachfolgende Aussage, die festhält, dass immer dann, wenn sich jemand zu Christus bekehrt, ihm diese Hülle weggenommen wird (vgl. 2 Kor 3,15f). In der EÜ (2016) ist dieser Übersetzungsfehler beseitigt: »Doch ihr Denken wurde verhärtet. Denn bis zum heutigen Tag liegt die gleiche Hülle auf dem alten Bund, wenn daraus vorgelesen wird; sie wird nicht aufgedeckt, weil sie in Christus beseitigt wird« (2 Kor 3,14)4. Ein Grund des Missverständnisses sowohl in Bezug auf 2 Kor 3,14 als auch in Bezug auf die terminologische Unterscheidung von Altem und Neuem Testament in der christlichen Bibel liegt in der Semantik von »alt – neu«. In der Verbindung mit dem in der Kombination mit alt und neu identischen Begriff »Bund/Testament« ist man vorschnell von zwei völlig verschiedenen Größen ausgegangen und hat übersehen, dass alt und neu auch zwei Formen oder Erscheinungsweisen derselben Sache charakterisieren können. »Alt und neu« können also nicht nur als Oppositionspaar, sondern auch als Korrelationspaar aufgefasst werden. Gleichwohl darf nicht vergessen werden, dass das skizzierte Missverständnis nicht nur auf sprachlichen oder hermeneutischen Problemen beruht, vielmehr ist es Bestandteil und Ausdruck der Trennungsprozesse von Christentum und Judentum.
Aus dieser Spannung zwischen Judentum und Christentum heraus ist einerseits die bis heute nachwirkende Negativassoziation in Bezug auf das »Alte Testament« als veraltetes, überholtes und minderwertiges Zeugnis zu sehen, andererseits aber auch das seit einigen Jahren zu beobachtende intensive Bemühen, eine angemessenere, eindeutigere und unbelastete Terminologie zu finden.
Neben ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Impressum
  3. Vorwort
  4. Vorbemerkung
  5. 1.  Text und Kon-Text ((Christoph Dohmen))
  6. 2.  Hermeneutik der jüdischen Bibel ((Günter Stemberger))
  7. 3.  Hermeneutik des Alten Testaments ((Christoph Dohmen))
  8. 4.  Verbunden und getrennt ((Christoph Dohmen – Günter Stemberger))
  9. Register