Kinderwunsch und professionelle Beratung
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Kinderwunsch und professionelle Beratung

Das Handbuch des Beratungsnetzwerkes Kinderwunsch Deutschland (BKiD)

  1. 156 Seiten
  2. German
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Kinderwunsch und professionelle Beratung

Das Handbuch des Beratungsnetzwerkes Kinderwunsch Deutschland (BKiD)

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Über dieses Buch

Ungewollte Kinderlosigkeit nimmt weiter zu und damit auch der Wunsch nach vielfältigen Behandlungs- und Bewältigungsmöglichkeiten. Das Handbuch des Beratungsnetzwerkes Kinderwunsch Deutschland veranschaulicht kompetent, gut verständlich und aktuell einen Großteil des gesamten Spektrums, einschließlich alternativer Perspektiven. Es enthält Erfahrungsberichte, Fallbeispiele, Beschreibungen unterschiedlicher Konzepte sowie wissenschaftliche Grundlagendarstellungen und bietet damit eine Übersicht über aktuelle psychosoziale Ansätze.

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Information

Jahr
2008
ISBN
9783170273665

1 Den Körper Monat für Monat beobachten ...

Annette Tretzel
»...[ich] beobachte meinen Körper, horche ängstlich in mich hinein. Eine Stimme sagt mir: ›Vielleicht, vielleicht hat es ja diesmal geklappt. Bist du nicht ein wenig dicker geworden? Zieht es da nicht verdächtig in den Brüsten?‹ Aber eine zweite Stimme mischt sich sofort ein und warnt: ›Mach dir nichts vor, es wird wieder nichts sein. Wenn du jetzt anfängst zu hoffen, ist die Enttäuschung nachher umso größer.‹ Diese Stimme bekommt sofort Auftrieb, wenn sich pünktlich eine Woche vor meiner Periode ein Ziehen im Unterleib bemerkbar macht. Die erste Stimme meldet sich dann nur noch zaghaft, um zu erinnern, dass auch manche glückliche Mutter von Bauchschmerzen im ersten Schwangerschaftsmonat zu berichten weiß. Am 26. Tag spätestens fällt die Temperaturkurve, und am 28. Tag ist der leise Zweifel, ob ich vielleicht falsch gemessen habe, beseitigt: Die Periode schwemmt die Hoffnung blutig fort....« (Winkler 1994, S. 26 ff.)
Derartige Gefühle und Gedanken beschreiben viele Frauen, die bisher oft jahrelang vergeblich auf den Eintritt einer Schwangerschaft gewartet haben, in der Beratung: Der Körper wird ständig beobachtet. Es wird sehnsüchtig auf Zeichen gewartet, die den erhofften Zustand ankündigen könnten. Aufgrund des weiblichen Zyklus und den damit verbundenen körperlichen Veränderungen ist es sehr schwierig, körperliche Signale, die mit Fruchtbarkeit zu tun haben können, zu verdrängen. Schon allein diese Tatsache erklärt die stärkere psychische und physische »Involviertheit« von Frauen bei einer Nichterfüllung des Kinderwunsches im Gegensatz zu ihren Partnern. So geben die Frauen in einer Untersuchung zu »Selbstbild und Körpererleben bei unfreiwilliger Kinderlosigkeit« eine deutlich stärkere Belastung durch die ungewollte Kinderlosigkeit an als ihre Partner (Grimmig et al. 1992). Auch eine kleine von der Repräsentativität weit entfernte Befragung von Paaren, die an unserem Wunschkind-Workshop teilgenommen hatten, konnte dies bestätigen: So bejahten beispielsweise alle Frauen in weit stärkerem Ausmaß das Item »Unser Fertilitätsproblem verursacht in mir ein Gefühl der Leere«. Insgesamt fühlten sich die Frauen durch folgende unspezifische Beschwerden, die Ausdruck einer psychovegetativen Erschöpfung und depressiven Verstimmung sind, belästigt: Schwächegefühl, übermäßiges Schlafbedürfnis, rasche Erschöpfbarkeit, Müdigkeit und Mattigkeit etc.1
Der gefühlsmäßige Wechsel von Hoffnung und Enttäuschung wird verstärkt durch Gedankenmuster, die sich aus dem herrschenden Zeitgeist einer »Verantwortungsgesellschaft« entwickelt haben. Das soziale Leitbild, das als Orientierung für das »richtige Leben« gilt, lautet: selbstbestimmt, selbstverantwortlich und mit größtmöglicher Eigeninitiative sein Leben zu gestalten. Ein an sich positiver Wert, der für die Einzelnen schwierig ist, da sich daraus ein allumfassender Anspruch der Machbarkeit entwickelt hat. Die Frage, ob die Einzelne2 überhaupt in der Lage ist, diese Forderungen zu erfüllen, wird nicht gestellt. Das »Versagen« wird für den Menschen zur eigenen Schuld, für die er sich zur Rechenschaft gezogen fühlt und oft auch direkt oder indirekt gezogen wird. Psychologische Erklärungen als Ursache, dass sich der Kinderwunsch nicht erfüllt, verstärken nach meiner Erfahrung den individuellen Druck. Denn für die eigene Psyche ist jeder Mensch selbst verantwortlich. So manche Frau fragt sich dann, ob sie nicht doch eine unbewusste Abwehr gegen das Kind hat (s. dazu Kap. 3 in diesem Band).
»Irgendwie war ich sehr erleichtert nach der letzten Stunde und habe noch lange über diesen Satz nachgedacht« erzählte mir eine Klientin in der 3. Sitzung. Ich konnte mir zunächst nicht gleich denken, was sie meinte. Erst als sie es mir sagte: »Sie sagten, ich sei nicht verantwortlich, dass es bisher nicht geklappt hat. Da fiel es mir irgendwie wie Schuppen von den Augen und ich merkte plötzlich, wie sehr ich mich ständig dafür innerlich fertig machte und schuldig fühlte...«.
Die Idee der Selbstverantwortung trifft zusammen mit gängigen Vorstellungen von sich selbst und dem eigenen Körper, nach denen der Körper eine Art Maschine sei, deren Einzelteile beliebig optimierbar seien. Es können Teile ausgetauscht werden (Transplantation), poliert werden (Liften) und körperliche Regelkreise verändert bzw. außer Kraft gesetzt werden (Hormone). So kann die häufig gestellte, verzweifelte Frage »warum gerade ich?« in einen Aktionismus münden. Die Frau wird zum Fruchtbarkeitsschmied ihres eigenen Körpers. Dann wird Ernährung und Bewegung weit über ein sinnvolles Maß hinaus kontrolliert, weniger unter der Prämisse, was tut mir und meinem Körper gerade gut, als vielmehr, was sollte man idealer Weise alles tun. Denn wenn ein Mensch etwas wirklich will, dann sollte er auch alles dafür tun. Und je größer die Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin werden, desto mehr kommt es zu einem Zur-Rechenschaft-Ziehen der Einzelnen, wenn sie diese Möglichkeiten – aus welchen persönlichen Gründen auch immer – nicht nutzt, noch nicht nutzt oder diese nicht den erwünschten Erfolg bescheren. Denn nicht alles was möglich ist, ist für die Einzelnen auch sinnvoll oder nötig. Dabei darf man nie vergessen, dass die Reproduktionsmedizin für viele Paare ein großer Segen war und ist, der ihnen ein eigenes Kind ermöglicht.
Eine derart funktionalistische Sicht stärkt den Glauben, dass sich alle Abläufe steuern ließen und wie tief ist dann die Verunsicherung, wenn das mit dem eigenen Körper nicht funktioniert. Mit »meinem Körper«, der doch ich selbst bin. Wenn sich einem der Körper schon als eigenes System zeigt, das sich oft nicht willkürlich steuern lässt, dann stellt sich die Frage, wie man mit ihm wieder Freundschaft schließen kann, sich wieder aktiv und mit sich selbst mehr in Einklang fühlen kann, auch wenn das Warten, Hoffen und Bangen noch nicht abgeschlossen ist.
Da hilft es, den Körper als Teil der eigenen Innenwelt anzunehmen und gleichzeitig zu akzeptieren, dass er seine eigenen Gesetzmäßigkeiten hat. Er wird z. B. krank, obwohl man einen schönen Ausflug geplant hat, den man gerne mitmachen wollte. Vielleicht habe ich, als Person, auch meinen Körper zuviel gefordert, ihn zu sehr beansprucht. Gut ist es, auf die körperlichen Signale zu hören, um ihn zu unterstützen, sodass er seine Funktionen bestmöglich erfüllen kann. Will man »Freundschaft mit dem eigenen Körper schließen«3, gilt es das zu beachten, was auch eine gute Beziehung auszeichnet, auch wenn man sich den Partner Körper nicht selbst ausgesucht hat. Und dazu gehört gegenseitiger Respekt und Achtung für die besondere Art des Gegenübers, auch wenn er die ersehnte Funktion gerade nicht oder noch nicht ausführt. Auch sollte ihm etwas zugetraut werden, indem man z. B. bewusster wahrnimmt, wie phantastisch, unmerklich und selbstverständlich der Körper seine alltäglichen Aufgaben erfüllt. Für eine größere Wertschätzung könnte es hilfreich sein, Weiblichkeit und Männlichkeit auch unabhängig von der eigenen Fruchtbarkeit wieder wahrzunehmen und die Kraft des Körpers zu spüren.
Hierzu zwei kleine Beispiele aus der Praxis:
Eine Klientin setzte ihren lang gehegten Traum, Tango zu tanzen, endlich aktiv um. Sie genoss es, sich schön zu kleiden. Ihre weiblichen Seiten mehr auszuleben, stärkte ihr Selbstbewusstsein. Ein Gruppenteilnehmer kaufte sich ein Motorrad und eine Lederkombi. Er konnte sich als angenehm männlich zugestehen, was er vorher als »affig« ablehnte.
Dafür gilt es, wachsamer für die Sprache des Körpers zu werden und sie verstehen zu lernen. Den Körper beobachten, aber nicht nur kritisch auf ein Ziel hin, sondern auch beachten, dass er vielleicht mal eine Pause braucht. Von den Behandlungen, von dem Hoffen und Bangen. Und das, obwohl die biologische Uhr so laut tickt und es so vernünftig wäre, gleich im nächsten Zyklus einen neuen Versuch zu starten. Auch einmal »Urlaub vom Kinderwunsch« machen und vielleicht dafür bewusst verhüten. Deshalb nimmt in unseren Gruppenangeboten und in Einzelsitzungen eine Sensibilisierung für die Körperwahrnehmung einen wichtigen Platz ein. Die Körpergefühle dürfen bewusst wieder mehr Platz haben. Dies wird angeregt über Entspannungsübungen wie Yoga, Atemarbeit, Sitz-, Geh- oder Essmeditationen.
Es geht immer wieder von neuem um ein Ambivalenzbewusstsein. Um die Fähigkeit. das Machbare und das Nichtmachbare im Blick zu haben und individuell damit Frieden zu schließen. Und über dem Nichtmachbaren das Machbare nicht aus den Augen zu verlieren.
1 Den Fragebogen haben wir übernommen von der Studie „Lebensqualität und unerfüllter Kinderwunsch“, die am Universitätsklinikum Heidelberg durchgeführt wurde. Er enthält neben anonymen Personendaten einen Fragebogen zur Lebensqualität, eine Resilienz-Skala (Leppert, Dye und Strauß 2002), Fragebogen zum Fertilitätsproblem (Newton und Wischmann 2002) sowie den Giessener Beschwerdebogen (GBB-24 von Brähler et al. 2002). Denselben Bogen teilten wir zu Beginn und nach Abschluss der Gruppe aus. Es zeigt sich eine tendenzielle Verbesserung um mindestens einen Punktwert, insbesondere in den körperlichen Symptomen funktioneller und psychovegetativer Art. Aufgrund der sehr kleinen Stichprobe (n=6) hat sich eine statistische Auswertung nicht angeboten.
2 Zur besseren Lesbarkeit wird auf die Verwendung der beiden Geschlechter verzichtet. Es wird im Weiteren die weibliche Form verwendet, was sich bereits aus dem 1. Abschnitt begründet. Die Ausführungen gelten in gleicher Weise für Männer.
3 Entsprechend dem gleichnamigen Titel des Buches von Hanne Seemann (2004), auf das ich mich in meinen Ausführungen immer wieder beziehe.

2 »Kind ade« – Einige Überlegungen zu sozialen und gesellschaftlichen Ursachen von Kinderlosigkeit

Birgit Erdle
Nach einer Umfrage gehören Kinder und Familie bei den meisten jungen Erwachsenen zur Lebensplanung. Drei Viertel aller Frauen, die ein Studium beginnen, wünschen sich ein Leben mit Kindern. Allerdings haben nur 43 % der 30- bis 39-jährigen ehemaligen Studentinnen Kinder. Was geschieht in den Lebensjahren zwischen 25 und 40? Welche »Fallen« verhindern die Umsetzung dieses Wunsches? Welche gesellschaftlichen und sozialen Faktoren führen dazu, dass dieses Lebensziel im Laufe der Jahre anders entschieden wird oder nicht verwirklicht werden kann?
Der Mensch als soziales Wesen funktioniert nicht nur nach biologischen Prozessen, sondern er hat einzig die Möglichkeit des komplexen planerischen Handelns. In diesem Zusammenhang ist das Folgende wichtig: Es werden innere Vorstellungen und Erfahrungen über das Leben mit Kindern durchgespielt und mit den äußeren Anforderungen der sozialen, ökonomischen und ökologischen Situation sowie den Möglichkeiten, Einschränkungen und Konsequenzen für das Individuum abgeglichen und abgewogen. Möglicherweise kommen heute mehr Menschen zu der Erkenntnis, dass die Welt für das Leben und damit für Kinder nicht mehr gut eingerichtet ist. Was könnte in den Zeiten des »Babybooms« anders gewesen sein als heute? Nach den furchtbaren materiellen wie ideellen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs bestand Sehnsucht nach Normalität und Sinn. Hierzu gehörte auch das Bild der Familie, die Geborgenheit und Sicherheit versprach. Die Arbeitslosigkeit war niedrig, für den Aufbau Deutschland wurden alle Kräfte gebraucht. Ein Bäcker oder Metzger mit eigenem Betrieb konnte davon ausgehen, seine Familie ernähren zu können. Er musste nicht den Großteil seiner Energien im Konkurrenzkampf mit Großindustrie und Imagewerbung verbrauchen. Es herrschte Aufbruchstimmung und einige hatten die Vision von einer besseren Welt. Der Begriff der sozialen Marktwirtschaft wurde im Alltag umgesetzt, was heißt, die Wirtschaft hat dem Wohl des Menschen zu dienen und nicht umgekehrt. Das Gefühl eines Wirtschaftsaufschwungs suggeriert Zukunft, während Zeiten hoher Arbeitslosigkeit große Verunsicherung, Zukunftsängste und negativen Stress erzeugen. Zur Existenzerhaltung muss sich das Individuum der Maxime »höher, weiter, schneller« und einer mitleidlosen Konkurrenzgesellschaft, in der Erfahrung wenig zählt, unterordnen. Dies scheint nur wenigen bewusst zu sein.
Auf die Frage, warum Männer oder Frauen kinderlos sind, geben viele an, nicht den richtigen Partner oder die richtige Partnerin zum richtigen Zeitpunkt gefunden zu haben. Was ist hilfreich, Bindungen einzugehen und was erschwert es? In einer Gesellschaft mit hoher Mobilität wird häufig der Begriff vom modernen »Nomadentum« genannt. Im Gegensatz zu dieser sind Nomaden im ursprünglichen Sinn nicht allein, sondern gemeinsam mit ihrem sozialen Umfeld, ihren Familien und Tieren, unterwegs. »Flexibilität« lautet das Zauberwort des globalen Kapitalismus. Bei der Abschlussfeier an einer Hochschule wurden junge Ingenieure darauf hingewiesen, dass sie sich darauf einstellen müssten, auch in Singapur oder Indien zu arbeiten. »Heute hier, morgen dort, allzeit bereit für Neues, jederzeit und allzeit verfügbar« ist das Lebensmotto einer Wettbewerbsgesellschaft. Menschen erleben eine massive Beschleunigung in allen Lebensbereichen. Wo kaum Routine entstehen darf, werden langfristige Bindungen unmöglich. Darüber hinaus treffen unterschiedlichste Werte aufeinander. Welche Vorstellungen hat der Partner oder die Partnerin? Gehören Kinder zur Lebensplanung von Partner und Partnerin? Welche Lebensphase ist dafür günstig? Wollen und können beide arbeiten, an welchem Ort finden beide einen geeigneten Arbeitsplatz, in welchem Land möchten beide sesshaft werden? All dies auszudiskutieren kostet Zeit. Diese Zeit haben Frauen, deren biologische Uhr sich deutlicher bemerkbar macht, nicht.
Ein weiteres Beispiel für die Tatsache, dass gesellschaftliche Umbrüche die Reproduktionsrate beeinflussen, zeigt sich am deutlichen Rückgang der Geburten nach dem Fall der Mauer in der ehemaligen DDR. Der anfänglichen Euphorie der Wiedervereinigung folgte eine tiefe Verunsicherung der Zukunfts- und Lebensperspektiven der dortigen Bevölkerung. Viele verloren ihren Arbeitsplatz und mussten sich völlig neu orientieren. Die Angst vor dem sozialen Abstieg und materielle Sorgen nahmen zu. Vorhandene soziale Netzwerke wie Nachbarschaften und Arbeitsgemeinschaften lösten sich auf. Die Intensität des Reproduktionswillens einer Gesellschaft scheint mit der erlebten Bedrohung einer Gesellschaft zu korrelieren. Es ist offenbar von großer Bedeutung, ein »gutes Nest« mit materieller Absicherung, emotionaler Sicherheit und Stabilität sowie sozialer Geborgenheit anbieten zu können.
Bei Gesprächen mit jungen Frauen und Männern ist ein häufig geäußertes Bedürfnis das nach Selbstverwirklichung. Selbstverwirklichung mit Kindern scheint, vor allem in jüngeren Jahren, schwer vorstellbar. Oder ist es doch eher die Angst, den Anforderungen der Elternschaft nicht oder nicht immer gewachsen zu sein und die Angst, dass der Partner nicht mitmacht und man ohne Unterstützung allein dasteht, die Angst Qualifikationen nicht zu erreichen, die man benötigt, um einen Existenz sichernden Platz in der Gesellschaft zu erhalten, sowie Angst vor Verarmung?
Immer schon trugen Frauen mit ihrer Arbeitsleistung zum Lebensunterhalt bei. Mit Recht fordern Frauen in der Emanzipationsbewegung gleiche Teilhabe an der Macht und an Entscheidungen, die ihre Lebenswelt betreffen, sowie Selbstbestimmung. Im Unterschied zu früheren Zeiten mit der meist idealisierten Großfamilie sind in der Moderne Lebens- und Arbeitswelten meist getrennt, häufig liegt sogar eine größere räumliche Entfernung zwischen beiden. Dies gilt für Männer und Frauen. Es besteht die Notwendigkeit, ständig zwischen den sehr unterschiedlichen Ansprüchen beider Welten hin und her zu pendeln. In der auf Konkurrenz beruhenden beruflichen Lebenswelt wird Selbstbehauptung und Durchsetzungskraft verlangt, in der familiären Welt sollen Mütter und Väter Liebe, Nähe, Geborgenheit und Sicherheit vermitteln. Sicherheit, die in der beruflichen Welt häufig nicht mehr erlebt wird. Dies kann das Gefühl der Überforderung entstehen lassen und ist ein deutlicher Stressfaktor. Häufig werden die Emanzipationsbestrebungen der Frau für den Geburtenrückgang verantwortlich gemacht. Was aber heißt Emanzipation? Es ist die Befreiung aus einer Abhängigkeit oder einer Beschränkung. Zu welchen Abhängigkeiten und Beschränkungen das Individuum gezwungen wird, will es eine bestimmte Position in der Karriereleiter erklimmen und sich damit seine Existenz sichern, zeigt der Ausspruch einer Professorin der Medizin: »Hätte ich Kinder gehabt, dann wäre ich nicht Professorin geworden.«
Erstaunlich, dass gerade ein Fach wie Medizin, das für sich postuliert, der Lebenserhaltung und Gesundheitsförderung zu dienen, es nicht schafft, die Kriterien für eine wissenschaftliche Laufbahn kinder- und damit lebensfreundlicher zu gestalten. Ein Beispiel, wie wenig familiäre und berufliche Lebenswelt aufeinander abgestimmt sind. Kriterien für eine wissenschaftliche Laufbahn sind von Menschen gemacht, also sollte es auch möglich sein diese so zu ändern, dass Frauen und Männer sich nicht zwischen Beruf und Familie entscheiden müssen. Ein weiteres Beispiel, wie wenig in beruflichen Lebenswelten Kinder vorgesehen sind, sei im Folgenden beschrieben: In den 80er Jahren forderte die Studentenschaft an der TU München eine Möglichkeit der Kinderbetreuung für die Kinder der Medizinstudenten und Medizinstudentinnen. Sie wurde abgewiesen mit der Begründung, dass die Kinderbetreuungsplätze nur für Kinder von Pflegekräften vorgesehen sind. Es stellt sich die Frage, ob Kinderbetreuung abhängig von der Notwendigkeit der gebrauchten Arbeitskraft ist. Wie man mit Kreativität, Ideenreichtum und Engagement Kinder und berufliche Entwicklung vereinbaren kann, zeigten die Studenten und Studentinnen, denen nach langer Diskussion mit der Verwaltung ein Raum für ihre selbst organisierte Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt wurde. Diese und viele andere Initiativen in Deutschland beweisen, dass es möglich ist, Kinderbetreuung so zu organisieren, dass sie den eigenen Lebenserfordernissen und -vorstellungen sowie den Bedürfnissen von Kindern nach verlässlichen Bezugspersonen entsprechen.
Mitverantwortlich für die Verschiebung der Elternschaft in eine spätere Lebensphase ist der von den Medien suggerierte Machbarkeitswahn. In der Regenbogenpresse finden sich immer häufiger Berichte über Frauen, die 40 Jahre oder älter sind, die beruflich alles erreicht haben und nun scheinbar problemlos ihr erstes Kind in der »Blüte i...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
  6. Vorwort
  7. Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland – Beratungsangebot und Selbstverständnis
  8. 1 Den Körper Monat für Monat beobachten ...
  9. 2 »Kind ade« – Einige Überlegungen zu sozialen und gesellschaftlichen Ursachen von Kinderlosigkeit
  10. 3 Ungewollte Kinderlosigkeit und Reproduktionsmedizin – Einige grundlegende Daten
  11. 4 Die neuen Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin – Zwischen Heilung und Grenzüberschreitung
  12. 5 Reproduktionsmedizin und Embryonenschutz aus frauenpolitischer Sicht
  13. 6 Psychologische Aspekte des unerfüllten Kinderwunsches aus wissenschaftlicher Sicht
  14. 7 Zum Umgang mit Risiken und Gefahren im Rahmen der Reproduktionsmedizin
  15. 8 Mehrlingsschwangerschaften – Das große Risiko der Reproduktionsmedizin
  16. 9 »Wir wollten doch einfach nur ein Kind« – Mehrlinge nach Reproduktionsmedizin am Beispiel des Paares Nicole und Martin Becker
  17. 10 Sanfte Wege zur Schwangerschaft für Mann und Frau
  18. 11 Ganzheitliche Kinderwunschbehandlung
  19. 12 Sexualtherapie bei Paaren in reproduktionsmedizinischer Behandlung
  20. 13 Kinderwunschpaare und Sexualität
  21. 14 Eine Familie ... ist eine Familie ... ist eine Familie?
  22. 15 Adoption – Voraussetzungen, rechtliche Aspekte, Verfahrenswege
  23. 16 Auslandsadoption – Gedanken einer Adoptionsmutter
  24. 17 Internationale Entwicklungen und die Gründung von IICO
  25. 18 Richtlinien »Psychosoziale Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch« (PB-Richtlinien von BKiD)
  26. Weiterführende Literatur
  27. Internetlinks
  28. Literatur
  29. Anhang
  30. Glossar wichtiger reproduktionsmedizinischer Begriffe
  31. Stichwortverzeichnis