Teilhabe durch Grundbildung
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Teilhabe durch Grundbildung

Die Förderung Benachteiligter im Sekundarbereich I

  1. 212 Seiten
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Teilhabe durch Grundbildung

Die Förderung Benachteiligter im Sekundarbereich I

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Über dieses Buch

Bildung soll die Teilhabe jedes Menschen in allen Bereichen sichern. Diese Intention realisiert sich nicht bei allen Schülern, wie vor allem die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss oder auch die Zahl der Ausbildungsabbrüche dokumentieren. Davon betroffen sind vor allem sozial benachteiligte Jugendliche. Basierend auf verschiedenen pädagogischen Ansätzen (PISA-Konzept, Alphabetisierung, Berufspädagogik) wird in diesem Buch das Konzept der Grundbildung als Mindeststandard für Bildungsteilhabe bildungstheoretisch entfaltet. Im Mittelpunkt der didaktisch-methodischen Überlegungen steht ein Mehrebenenmodell zur Erfassung, Systematisierung und Ausdifferenzierung schriftsprachlicher und mathematischer Kompetenzen. Die Thematik greift damit ein Desiderat in der Inklusionsforschung auf, die gegenwärtig das Spannungsfeld zwischen Abschlussfokussierung und anschlussfähigen, individuellen Kompetenzen nur wenig berücksichtigt.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783170324176

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Schule und Teilhabe

»Erfolgreiche Bildung zeigt sich neben dem erreichten Schulabschluss am individuellen Bildungserfolg, an einer umfassenden Persönlichkeitsentwicklung, am Erwerb lebenspraktischer, sozialer, kognitiver, sprachlich-kommunikativer und personaler Kompetenzen und an der Fähigkeit zu einer so weitgehend wie möglich selbstbestimmten Lebensführung sowie einer aktiven Teilhabe an der Gesellschaft« (KMK 2011, 8; Herv. BW).
Dieses Zitat spiegelt eine – gerade im Zuge von Inklusion – überfällige und notwendige Modifizierung bzw. Erweiterung unseres Bildungsverständnisses wider. Erfolgreiche Bildung will sich nicht mehr ausschließlich an einem formal-schulischen Abschlusszertifikat messen, sondern muss ihre Bewährung in der Chance jedes Einzelnen finden, von der Vielfalt gesellschaftlicher Angebote (von der eigenständigen Lebensgestaltung über politische Mitbestimmung bis hin zur beruflichen Teilhabe) zu profitieren. Bildung wiederum ist essentiell für eine Teilhabe an der heutigen Informations- und Wissensgesellschaft.
Was aber meint gesellschaftliche Teilhabe? Wie lässt sich deren bislang weitgehend normative Beschreibung auch deskriptiv erfassen und damit letztlich als handlungsleitende Kategorie verstehen? Allein die begriffliche Vielfalt – gesellschaftliche, soziale, berufliche Teilhabe, Teilhabe als Menschenrecht (vgl. Degener/Diehl 2015) – markiert die unterschiedlichen Bedeutungsebenen und Zusammenhänge. Allen Argumentationen gemeinsam ist das Recht jedes Einzelnen auf ein selbstbestimmtes Leben. Dabei ist diskriminierenden Praktiken entgegen zu treten und Marginalisierungen und Vulnerabilität vorzubeugen. In diesem Argumentationszusammenhang ist die Abgrenzung zum Begriff Inklusion nicht mehr eindeutig. Inklusion bedeutet in einem eher allgemeinen Sinn die Einbeziehung in die Gesellschaft (Wansing 2015, 53). Intention der entsprechenden UN-Konvention (2009) ist es, von Beginn an allen Menschen die uneingeschränkte Teilnahme an allen Aktivitäten möglich zu machen. Artikel 3 dieser Konvention betont die »volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und das Einbeziehen in die Gesellschaft« (UN Konvention 2009). Einbezogensein in die Gesellschaft muss daher die Funktion stark ausdifferenzierter Teilsysteme wie beispielsweise Bildung, Arbeit, Gesundheit, Recht, Politik berücksichtigen und ist somit immer mehrdimensional zu denken (Wansing 2015, 47). Es scheint dabei sowohl aus analytischen als auch programmatischen Zwecken geeigneter, von Inklusion in bzw. Teilhabe an einem dieser Subsysteme zu sprechen. Teilhabe lässt sich entlang unterschiedlicher Dimensionen jeweils individuell bemessen: ökonomische Teilhabe am Lebensstandard, rechtliche Teilhabe an der Verwirklichung von Ansprüchen, kulturelle Teilhabe an der Realisierung der gewünschten Lebensführung und soziale Teilhabe an der Einbindung in soziale Beziehungen (Wansing 2015). »Inklusion beschreibt also das, was gesellschaftlich auf der Basis gleicher Rechte als Teilhabeoption für alle Bevölkerungsmitglieder grundsätzlich in Aussicht gestellt wird. Teilhabe meint das, was seitens einzelner Menschen tatsächlich verwirklicht wird bzw. werden kann« (a. a. O., 96). Inklusion kann somit soziale Ungleichheit nicht per se auflösen. Die Chance aber besteht darin, Teilhabehindernisse erst sichtbar und als mögliches Hindernis identifizierbar zu machen.
Inklusion im menschenrechtlichen Kontext bezieht sich als universelles Prinzip sozialen Zusammenlebens vorrangig auf gesellschaftliche Strukturen und Prozesse. Demgegenüber kann Teilhabe stärker als eigenaktive Perspektive gefasst werden, die aus der Perspektive der jeweiligen Person einen Maßstab zur Bewertung gesellschaftlicher Entwicklungen liefert (vgl. Huppert 2015). Diese Argumentation findet sich auch in der systemtheoretischen Semantik von »Inklusion« wider. Nach Luhmann (1975) meint Inklusion, dass »alle Funktionskontexte für alle Teilnehmer des gesellschaftlichen Lebens zugänglich gemacht werden« (Luhmann 1975, 160). »Inklusion (und entsprechend Exklusion) kann sich nur auf die Art und Weise beziehen, in der im Kommunikationszusammenhang Menschen bezeichnet, also für relevant gehalten werden« (Luhmann 1995, 264). Im Gegensatz dazu charakterisiert Exklusion einen weitgehenden Ausschluss von wesentlichen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens. Ausgrenzungen ökonomischer, politischer, kultureller und auch sozialer Dimension können zu Exklusionsprozessen führen. Sie markieren nicht einen Zustand, sondern vorrangig einen Prozess, der die Teilhabe von Menschen begrenzt oder behindert. Pädagogische Maßnahmen müssen grundsätzlich einem Ausschluss aus dem Teilsystem Schule respektive Erziehung, Ausbildung und Erwerbsleben entgegenwirken.
Auf der Basis der Klassifikation der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) (bzw. aus rehabilitationspädagogischer Perspektive) lässt sich Teilhabe als Trias zwischen Inklusion (Einbeziehen), Partizipation (Beteiligung) und Integration (Eingliederung) darstellen. Diese Bestandteile beschreiben »Zustände der ›Daseinsqualität‹«, die u. a. durch Subvention (auch i.S. materieller und finanzieller Unterstützung) für Personen selbst als auch für die Veränderung von Situationen gesichert werden sollen (Grampp et al. 2013, 18;
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Abb. 1). Teilhabe ist dann gegeben, wenn eine Person sozial eingebunden ist, d. h. wenn sie die Lebens- und Wohnangebote, den Sozial- und Gesundheitsschutz, die Bildungsmöglichkeiten, die Chancen zur Erwerbstätigkeit und auch die vielfältigen Freizeit- und Mitbestimmungsmöglichkeiten wahrnehmen und für sich nutzen kann. Teilhabe basiert einerseits auf individuumsbezogenen (z. B. Fähigkeiten) und andererseits auf gesellschaftlichen Voraussetzungen (z. B. Arbeitsbedingungen) (vgl. DVfR 2012). Soziale Teilhabe ist in diesem Sinne kein einmal erreichter, fester Zustand. Sie ist vielmehr ein vielschichtiger, verzahnter und hochgradig dynamischer Prozess, der in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen immer wieder veränderte Schwerpunkte findet (vgl. Bavig 2013).
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Abb. 1: Bestandteile des Begriffes Teilhabe (nach Grampp et al. 2013)
Soziale Teilhabe meint die gleichberechtigte Einbeziehung von Individuen und Organisationen in gesellschaftliche Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse. Menschen und Gruppen nehmen an Errungenschaften eines »sozialen Gemeinwesens« teil, angefangen von guten Lebens- und Wohnverhältnissen, Sozial- und Gesundheitsschutz, ausreichenden und allgemein zugänglichen Bildungschancen und der Integration in den Arbeitsmarkt bis hin zu vielfältigen Freizeit- und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten (vgl. Bagiv 2013).
Bildung und Arbeit sind entscheidende Voraussetzungen für das Gelingen gesellschaftlicher Integration. Teilhabe – genauer: berufliche und gesellschaftliche Teilhabe – wird zur zentralen Ziel- und Inhaltskategorie. Politisch-normativ ist das Ziel von Teilhabe, dass alle Menschen mit ihren je individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen und -potentialen ihre eigenen Lebensvorstellungen verwirklichen können (vgl. Teilhabebericht 2013, 10). Die UN-Konvention (2009) schreibt die »volle und wirksame Teilhabe« in »allen Lebensbereichen« fest, die selbstverständlich auch den Lebensbereich Erwerbstätigkeit einschließt. In Artikel 27 der Konvention wird das Recht auf Arbeit und Beschäftigung festgeschrieben: » dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen« (UN-Konvention 2009). Damit wird der Erwerbsarbeit, der beruflichen Teilhabe ein hoher Stellenwert zu Sicherung gesellschaftlicher Teilhabe zugeschrieben. Arbeit respektive berufliche Tätigkeit/Erwerbsarbeit erfüllt nicht allein existenzsichernde Funktion. Darüber hinaus kann sich der Mensch in Arbeit selbst verwirklichen, seine eigenen Ziele, Vorstellungen und Wünsche realisieren und seine individuell gegebenen Möglichkeiten und Talente ausschöpfen. Arbeit ist Grundlage gesellschaftlicher Anerkennung und ermöglicht bzw. sichert soziale Kontakte und Beziehungen.
Schulische und im Anschluss eine berufliche Bildung sind mehr denn je Mindestvoraussetzungen für existenzsichernde Beschäftigung. Durch die starke »bildungsmäßige Schließung des Arbeitsmarktes« haben jedoch vor allem formal gering Qualifizierte Probleme im Zugang zu regulären Arbeitsverhältnissen (Konietzka 2012, 824).
Die hier skizzierten Überlegungen knüpfen an bisherige Forschungsbefunde zur Bildung bei Benachteiligungen an und erweitern den Blick auf Teilhabe als zentrale Ziel- und Inhaltskategorie. Damit liegt der Fokus auf einem eher bildungssoziologisch geprägten Bildungsverständnis, das Sozialisations-, Erziehungs- und Bildungsprozesse in den Mittelpunkt stellt. Pädagogische Fragen begründen sich aus der Perspektive der sich entwickelnden Individuen und nicht vorrangig aus einer »gesellschaftsförderlichen« Perspektive (Grundmann 2009, 80). In diesem Verständnis dienen Bildung und Erziehung der Formung des Lebenslaufs. Im Erziehungssystem geht es um »das Personwerden von Menschen« (Luhmann 2002, 38) bzw. »um die Vorbereitung des Einzelmenschen auf sein späteres Leben, um seinen Lebenslauf‹« (a. a. O., 47).
Eine gerechte Schule und Chancengleichheit in der Bildung gelten als wichtige Merkmale einer demokratischen, sozial gerechten Gesellschaft. Zahlreiche Befunde vor allem aus der Bildungs- und Sozialforschung dokumentieren jedoch auch Gegenteiliges. »Deutsche Schulen sind seit Langem in der Kritik. Unter anderem weil sie ungerecht sind. Kinder von Akademikern machen wesentlich häufiger Abitur und studieren danach als Kinder aus den sogenannten bildungsfernen Schichten« (Die Zeit online). Brake und Büchner (2012) stellen das »erschreckend hohe Niveau an herkunftsbedingter Ungleichheit beim Zugang zu schulischer und außerschulischer Bildung« als das Hauptdefizit unsers Bildungssystems heraus (Brake/Büchner 2012, 19 f.). Diese Einschätzungen des deutschen Schulsystems sind exemplarisch und stellvertretend für unzählige weitere soziologische, systemtheoretische, erziehungswissenschaftliche, bildungspolitische sowie psychologische Diskurse und Befunde.
Vor allem aus bildungssoziologischer Perspektive wird dem Schulsystem in Deutschland immer wieder eine hohe soziale Selektivität nachgewiesen, d. h. der individuelle Schulerfolg ist primär von den Familien, von der sozialen Herkunft und erst nachrangig von der Schulform abhängig. Medial spiegelt sich dies im einem begrifflichen Spektrum von »Risikobiografien« (Spies/Tredop 2006), Hauptschülern als »Produkt gesellschaftlicher Verachtung« (Wellgraf 2012), von »Ausgeschlossenen« (Bude 2008), »zertifikatsarmen Jugendlichen« (Solga 2009) bis hin zu sogenannten »Risikogruppen, bzw. -schülern« (vgl. PISA 2012) wider. Die letztgenannte Gruppe umfasst die Schüler, die nicht über die Grundfähigkeiten im Lesen, in Mathematik und in den Naturwissenschaften verfügen und deshalb erwartungsgemäß massive Schwierigkeiten auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt haben (PISA-Konsortium 2004, 2007). Die ungleichheitsverstärkenden Effekte des Bildungswesens zeigen sich auch in den Analysen zu Schullaufbahnentscheidungen, die vor allem schichtenspezifische Differenzen in der Bildungsbeteiligung und im Leistungsvermögen belegen (vgl. Choi 2009; Ditton 2009).
Die soziale Herkunft erweist sich als zentrale Stellgröße für Bildungsbeteiligung. Trotz formaler Chancengleichheit beim Erwerb von Bildung haben bestimmte Personen/Gruppen deutlich geringere berufliche Chancen. Gerade für Schüler im Förderschwerpunkt »Lernen« und »sozial-emotionale Entwicklung«, aber auch für schulleistungsschwache Hauptschüler zeigen sich diese Risiken mangelnder Bildung besonders gravierend. Damit einher gehen mangelnde und/oder fehlende Ausbildung und Berufsperspektiven, aus denen wiederum die Gefahr von Armut und sozialer Isolation wächst. Die Abgänger all dieser genannten Bildungsgänge verlassen die Schule zum Großteil ohne einen Schulabschluss. Die Logik des Erziehungssystems geht davon aus, dass nur mit dem Erreichen eines Schulabschlusses Prognosen über die Kompetenz einer Person in nachfolgenden Systemen möglich sind. Schulen sind vorrangig auf standardisierte Abschlüsse fixiert. Ein guter Schulabschluss sichert vermeintlich eine reibungslose und erfolgreiche nachschulische Bildungslaufbahn. Ein fehlender Schulabschluss manifestiert und kommuniziert demgegenüber eine Nicht- bzw. Schwer-Vermittelbarkeit auf dem Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt. An diesem Punkt droht die Logik der Bildungsstandards und die damit verbundene Vorstellung einer »Normalbiografie« (Schule – Ausbildung – Beruf) nicht mehr tragfähig zu sein. Immer längere Schulbesuchszeiten und ein späterer Eintritt in Ausbildung und Erwerbsleben führen wiederum zu einer »›Schulförmigkeit‹ des Bildungslebens« (Bojanowski 2012, 116). In derartigen Bildungsbiografien entwickelt sich oft die Einsicht, dass »Schule […] nicht das Leben« ist (a. a. O.). Die Prognostik auf der Basis der Bildungsstandards muss zumindest für die Gruppe der sogenannten Bildungsverlierer bzw. Risikoschüler kritisch hinterfragt werden. Immer wieder bestätigt sich, dass der Hauptschulabschluss weder ein fundiertes, hinreichend valides Kriterium für die Feststellung der Ausbildungsreife, noch prognostisch valide für eine gelungene berufliche Teilhabe ist. Schulen »sollten sich doch eigentlich für die Anschlüsse interessieren, die ihre Absolventen zuwege bringen müssen (…)« (Herrmann 2003, 629) bzw. sollten sich »systematisch als Individuation- und Sozialisationsinstanz reflektieren« (Bojanowski 2012, 129). So wünschen sich die Unternehmen u. a., über die Schulzeugnisse hinaus, besser über die Stärken und Schwächen der Schüler informiert zu werden (Gentner/Meier 2012, 63). Besonders für diese Jugendlichen sind Bildungsangebote zu modellieren, die auch jenseits der Bildungsstandards anschlussfähig für die Teilhabe an Ausbildung- und Arbeitsmarktangeboten sind.
Die konsequente Umsetzung der UN-Konvention (2009) i.S. eines »allgemeinen Grundsatzes der Teilhabe und der Inklusion wird sich verstärkt mit pluralen, nichtstandardisierten Bildungsbiografien, mit nicht mehr institutionalisierten Sonderlebensläufen« (Lindmeier 2014, 93) auseinandersetzen müssen.
Die bisherigen Ausführungen verweisen darauf, dass Kinder und Jugendliche sowie deren Familien aus sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten eine Gruppe sind, denen mehr Beachtung als bislang geschenkt werden muss.
Dass dieser Auftrag in der Erziehungswissenschaft respektive der Sonderpädagogik zu verorten ist, zeigt sich u. a. in dem Positionspapier zur Realisierung inklusiver Erziehungs- und Bildungsangebote des Arbeitskreises Förderschwerpunkt Lernen (2012). Hier wird u. a. gefordert, »Anwaltschaft für arme und sozial benachteiligte Kinder, Jugendliche und Erwachsene« zu übernehmen (Bleher 2013, 106). In diesem Zusammenhang wird vor allem auf die Notwendigkeit verweisen, milieusensible, lebenslagen- und kulturspezifische und sozialraumbezogene Bildungsangebote zu installieren (vgl. Bauer et al. 2006; Bindl et al. 2011; Bleher 2013; Hiller/Stein 2008; Müller 2005; Schroeder 2012, 2015; Werner 2011a; Ellinger 2013a).
Auch Lindmeier und Lindmeier (2012) verwiesen auf der Basis des Klassifikationssystems der ICF auf die erziehungswissenschaftliche Vorortung der Benachteiligung in die Sonderpädagogik.
Schroeder (2015) verortet ebenfalls diesen Auftrag nachdrücklich in den Verantwortungsbereich einer Pädagogik bei Beeinträchtigungen des Lernens. Diese »reflektiert kritisch an historischen und kulturvergleichenden Beispielen die besondere Funktion, Bedeutung und Aufgaben, die den Bildungsinstitutionen im gesellschaftlichen Einstellungswandel zum Lernen zukommt« (Schroeder 2015, 28). Der zentrale Gegenstand dieser besonderen pädagogischen Handlungsfelder ist die Begleitung und Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in prekären Lebenslagen. Der Verantwortungsbereich geht weit über eine rein schulische Bildung hinaus, greift Fragen des Lernens in allen Lebensphasen und an allen Lernorten auf und verknüpft unterschiedliche erziehungswissenschaftliche Disziplinen wie Sonder-, Sozial-, Berufs- und Erwachsenenpädagogik (vgl. Bojanowski 2013; Schroeder 2015; Ellinger 2013b; Bildungsbericht 2012; Konietzka 2012; IAB 2013; Severing 2013).
Bislang fehlen konzeptionelle Aussagen zur Berücksichtigung von Lernwegen jenseits von Bildungsstandards sowie der Etablierung notwendiger Bildungsangebote auch außerhalb der curricularen Vorgaben.
Aus der Sicht der Sonder- bzw. Benachteiligtenpädagogik, speziell aus der Perspektive des Förderschwerpunktes Lernen – dies sind rund 3% al...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort zur Reihe Inklusion praktisch
  5. Inhalt
  6. Einleitung – Teilhabe durch Grundbildung oder Grundbildung durch Teilhabe?
  7. 1 Schule und Teilhabe
  8. 2 Bildung bei herkunftsbedingter Benachteiligung
  9. 3 Grundbildung als Mindeststandard zur gesellschaftlichen respektive beruflichen Teilhabe
  10. 4 Konzeptionelle Überlegungen
  11. 5 Grundbildung durch Teilhabe und Teilhabe durch Grundbildung
  12. Literatur