1 Einleitung
1.1 Gegenstand und Methode der Mikroökonomik
Der Blickwinkel, aus dem heraus die Mikroökonomik ökonomische Phänomene analysiert, ist ein einzelwirtschaftlicher. Ganz offensichtlich wird dies bei Kernthemen der Mikroökonomik wie der Haushalts- oder der Unternehmenstheorie. Im ersten Fall wird versucht, die Konsumentscheidung von Nachfragern zu erklären, wobei zunächst das Nachfrageverhalten eines einzelnen, typischen Nachfragers analysiert wird. Im zweiten Fall geht es um das Angebotsverhalten zunächst eines einzelnen Anbieters, aus dem dann das aggregierte Angebotsverhalten abgeleitet wird. Die Mikroökonomik beschäftigt sich also in erster Instanz mit den ökonomischen Entscheidungen, die Individuen unter Knappheitsrestriktionen treffen. Das Verhalten einzelner Wirtschaftssubjekte steht eindeutig im Vordergrund.
Wenn man das einzelne Subjekt zum Dreh- und Angelpunkt einer Theorie macht, dann kommt man nicht umhin, Annahmen über das Verhalten der Wirtschaftssubjekte zu treffen. Die heute in den gängigen Lehrbüchern dieser Welt etablierte Mikroökonomik geht dabei grundsätzlich von rationalem und strikt egoistischem Verhalten aus. Dieses Menschenbild wird auch als Homo oeconomicus bezeichnet. Rationales Verhalten bedeutet, dass wir durchweg in diesem Buch davon ausgehen werden, dass Individuen versuchen, für sich das Beste aus einer Knappheitssituation zu machen. Das kann konkret etwa bedeuten, dass ein Konsument versucht, mit seinem gegebenen Einkommen einen möglichst großen Nutzen aus seinem Güterkonsum zu ziehen. Oder ein Unternehmen versucht, mit dem gegebenen Bestand an Maschinen und Arbeitskräften ein maximales Betriebsergebnis zu erzielen. Es kann auch sein, dass Wirtschaftssubjekte nicht nur Zielgrößen maximieren möchten. Auch die kostenminimale Produktion eines gewünschten Outputs wäre ein typisches Problem aus der Unternehmenstheorie.
Ob nun Maximierung oder Minimierung: Klar ist, dass wir den handelnden Menschen damit optimierendes Verhalten unterstellen. Dadurch wird auch ersichtlich, warum die Wirtschaftswissenschaft eine mittlerweile durchmathematisierte Disziplin ist: Die Entscheidungsprobleme, mit denen sich Ökonomen typischerweise beschäftigen, sind eben mit den Mitteln der Mathematik hervorragend bearbeitbar und lösbar. Mit der Differentialrechnung ist das entscheidende Instrument vorhanden, um Zielgrößen zu optimieren. Das wurde bereits im 19. Jahrhundert von einigen Ökonomen erkannt und löste ein Ereignis aus, das in der Theoriegeschichte als die marginalistische Revolution bekannt ist. Marginalismus meint technisch gesehen nichts anderes als die Einführung der Differentialrechnung in die Wirtschaftswissenschaft. Inhaltlich gesehen bedeutet der Begriff, dass ökonomisch rationales Verhalten durch Abwägung von Grenzgrößen charakterisiert wird. Wir werden im Verlauf dieses Buches zahlreiche Beispiele für dieses marginalistische Denken kennen lernen und dann wird auch etwas klarer werden, was sich hinter diesem Terminus genauer verbirgt.
Gelegentlich werden Ökonomen für ihre Standardannahme optimierenden Verhaltens kritisiert. Wir werden im Rahmen dieses Buches selbstverständlich auch die Grenzen der Rationalitätsannahme aufzeigen und diskutieren. Trotzdem soll an dieser Stelle zunächst (!) die Annahme optimierenden Verhaltens offensiv gerechtfertigt werden – und das ganz einfach durch Verweis auf die Frage, was die Alternative wäre. Nimmt man an, dass Menschen – zumindest in wirtschaftlichen Angelegenheiten – versuchen, das Beste aus der Knappheit der Güter dieser Welt zu machen, dann ist die Optimierungsannahme nur konsequent. Würden wir von ihr abweichen, dann würden wir damit annehmen, dass Menschen unnötigerweise und systematisch gegen ihre eigenen Interessen verstoßen. Das aber ist schwer vorstellbar.
Etwas schwieriger fällt (vielleicht) die Rechtfertigung der zweiten zentralen Annahme der modernen ökonomischen Theorie, nämlich hinsichtlich des zugrundeliegenden Motivs menschlichen Verhaltens, aus. Unterstellt wird strikt egoistisches Verhalten. Wenn Mikroökonomen Optimierungsverhalten thematisieren, dann gehen sie davon aus, dass Menschen nur ihre eigene Auszahlung im Kopf haben, ein Unternehmer z. B. nur den eigenen Unternehmensprofit. Bei einer Firma mag diese Annahme unmittelbar einleuchten – warum sollte sich der Eigentümer Sorgen um die Gewinnsituation der Konkurrenz machen? Die Berücksichtigung der Gewinnsituation der Konkurrenz wird man wohl nur unter strategischen Aspekten ins Kalkül ziehen, dann aber wieder nur motiviert durch die Maximierung des eigenen Gewinns – wir werden dies bei der Behandlung des Oligopols konkretisieren. Eine »altruistische« Sorge um den Gewinn einer anderen Firma wird man unternehmerischem Handeln aber wohl kaum unterstellen wollen.
Problematischer könnte aber die Annahme streng egoistischen Verhaltens der Individuen sein. Maximieren Konsumenten beispielsweise oder auch Arbeitnehmer nur ihre eigene Auszahlung? Oder gehen nicht möglicherweise, zumindest in manchen Situationen, Auszahlungen anderer Gesellschafts- oder Gruppenmitglieder in die eigenen Überlegungen ein? Wir werden die Beantwortung dieser Frage an dieser Stelle offen lassen, weisen aber darauf hin, dass die Diskussion über die Motive menschlichen Handelns eine höchst aktuelle und kontroverse Diskussion in der heutigen Wirtschaftswissenschaft darstellt, die in diesem Buch zumindest gestreift wird. Die Dinge sind noch lange nicht geklärt, ein abschließendes Urteil ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich.
Zweifel sowohl an der Annahme strenger Rationalität als auch an der Annahme von Egoismus als alleinigem Motiv menschlichen Verhaltens sind genährt worden durch eine Forschungsrichtung, die sich erstaunlicherweise erst in den letzten 50 Jahren durchsetzen konnte – gemeint ist die experimentelle Wirtschaftsforschung. Während in benachbarten Disziplinen wie der Psychologie schon lange Experimente durchgeführt werden, war man verblüffend lange in der Ökonomik der Auffassung, aus Theorien ableitbare Hypothesen nicht experimentell testen zu können. Heute ist man klüger und die Zahl der Aufsätze, die sich mit ökonomischem Individualverhalten aus experimenteller Sicht beschäftigen, geht in die Zehntausende. Dabei sind es vor allem die grundlegenden Hypothesen der ökonomischen Disziplin, die das Augenmerk der Experimentatoren gewonnen haben. Und zu diesen grundlegenden Fragen gehört auch, ob Menschen sich streng egoistisch verhalten. Wie gesagt, wir werden der Diskussion in dieser Einleitung nicht vorgreifen. Damit ist aber klar, warum sich dieses Lehrbuch zur Mikroökonomik dem Gegenstand auch aus einer experimentellen Perspektive annähert. Wann immer es sinnvoll erscheint, werden wir daher in diesem Buch nicht nur die Theorie präsentieren, sondern auch dazu passende Experimente und die experimentelle Evidenz. Damit kann sofort aufgezeigt werden, welchen Erklärungsgehalt das jeweilige Modell für sich beanspruchen kann.
Während wir bei den bisher diskutierten zentralen methodischen Annahmen – Rationalität und Egoismus – also durchaus Diskussionsbedarf sehen und zu Konzessionen bereit sind, sind wir in einer dritten Frage kompromisslos, der Frage des Gebrauchs von Modellen in der modernen Ökonomik. Aus unserer Sicht ist der Einsatz von Modellen sinnvoll und letztlich unverzichtbar, aus mindestens zwei Gründen. Zum einen kommt man oft, insbesondere in der empirischen Wirtschaftsforschung, zwangsläufig an einen Punkt, an dem es gilt, die Stärke bestimmter Effekte zu bestimmen. Manchmal mag es ausreichen, sich mit der Richtung von Effekten, beispielsweise Preisreaktionen, zu beschäftigen. Manchmal möchte man aber nicht nur wissen, ob der Ölpreis z. B. infolge einer Angebotsverknappung steigen wird, sondern auch um wie viel. Spätestens dann benötigt man – empirisch fundierte – mathematische Modelle, die in der Lage sind, quantitative Effekte abschätzen zu können.
Der zweite Grund ist, dass Modelle darüber hinaus den unschlagbaren Vorteil besitzen, zum logischen und strukturierten Denken zu zwingen. Man könnte sie als »Denkzeuge« bezeichnen, Hilfsmittel zur Strukturierung komplexer Sachverhalte. Gelegentlich werden Ökonomen für den Einsatz von Modellen mit dem Hinweis kritisiert, die Modelle seien ja »unrealistisch«. Aus unserer Sicht läuft diese Kritik ins Leere: Ein Modell ist notwendigerweise unrealistisch. Es stellt geradezu ein Wesensmerkmal der Theoriebildung in allen wissenschaftlichen Disziplinen dar, dass nicht alle Aspekte der komplexen Realität abgebildet werden. Dies ist selbst in einer so exakten Wissenschaft wie der Physik der Fall. Das Modell eines Pendels etwa basiert auf gleich mehreren unrealistischen Annahmen, beispielsweise der, dass die Masse des Pendels in einem dimensionslosen Punkt konzentriert ist. Ebenso wird von Reibung abstrahiert. Dennoch liefert das mathematische Modell des Fadenpendels eine exakte Prognose des Schwingungsverhaltens. Entscheidend also ist weniger, ob alle Aspekte der Wirklichkeit im Modell korrekt berücksichtigt werden, sondern vielmehr, ob ein Modell eine brauchbare Prognose über das Verhalten eines Systems liefert. Nebenbei bemerkt wäre ein Modell, das alle Aspekte der Realität berücksichtigt, in etwa so brauchbar, wie eine Landkarte im Maßstab 1:1.
1.2 Experimentelle Methode
Die Wirtschaftswissenschaft galt im Unterschied zu den Naturwissenschaften lange als nicht-experimentelle Disziplin. Samuelson und Nordhaus, zwei bekannte US-amerikanische Ökonomen, haben dies folgendermaßen formuliert: »Economics … cannot perform the controlled experiments of chemists or biologists because [it] cannot easily control other important factors. Like astronomers or meteorologists, [it] generally must be content largely to observe.« (Samuelson und Nordhaus 1985, S. 8). Zwar wurden die ersten ökonomischen Laborexperimente bereits in den 1950er und 1960er Jahren in Deutschland und den USA durchgeführt, dennoch blieben Laborexperimente in der Wirtschaftswissenschaft lange Zeit relativ exotisch und wenig beachtet.1 Dies änderte sich in den 1980er Jahren, als ökonomisch relevante Fragestellungen wie Auktionen, Verhandlungen und die Bereitstellung öffentlicher Güter verstärkt experimentell untersucht wurden. Mittlerweile gehören Experimente fest zum methodischen Instrumentarium der Wirtschaftswissenschaft.
Was aber zeichnet die experimentelle Methode aus? Kurz gesagt: Die zentralen Elemente der experimentellen Methode sind Reproduzierbarkeit und Kontrolle. Reproduzierbarkeit bedeutet, dass andere Forscher über die Möglichkeit verfügen, ein bestimmtes Experiment zu wiederholen und dabei das Resultat dieses Experiments unabhängig zu bestätigen. In der Wirtschaftswissenschaft erlauben Laborexperimente eine relativ günstige, unabhängige Reproduktion von Beobachtungen, während Felddaten (z. B. Befragungen) oft relativ teuer sind. Kontrolle ist die Fähigkeit, die Laborbedingungen so zu gestalten, dass das beobachtete Verhalten genutzt werden kann, um Theorien und institutionelle Lösungsansätze zu bewerten. Felddaten (z. B. Daten von statistischen Ämtern) mangelt es dagegen häufig an Kontrolle. Zum einen können die relevanten Daten nicht erhoben werden, da die Bedingungen im Feld nicht den Annahmen der zu prüfenden Theorie entsprechen. Zum anderen sind erhobene Felddaten häufig zu ungenau, um zwischen verschiedenen Theorien diskriminieren zu können.
Laborexperimente sind dagegen besonders gut geeignet, um ökonomische Theorien zu testen. Was aber ist eigentlich eine
Theorie? Um es ganz einfach auszudrücken: Eine Theorie ist nichts anderes als ein geschlossenes System, das es erlaubt, »Wenn-Dann-Aussagen« zu machen (Weimann 2004). Das
Gesetz der Nachfrage aus der Konsumtheorie (
Kap. 5) ist nichts anderes als eine solche Wenn-Dann-Aussage: Wenn unter sonst gleichen Bedingungen (»ceteris paribus«) der Preis für ein Gut steigt, dann geht die Nachfrage nach diesem Gut zurück. In diesem Sinne stellt die Theorie eine
Prognose hinsichtlich des zu erwartenden Ergebnisses auf – in diesem Fall des zu erwartenden Verhaltens der Konsumenten. Eine Theorie besteht aber nicht nur aus einer Wenn-Dann-Beziehung. Zu einer Theorie gehören immer auch Angaben, unter welchen Bedingungen die behauptete Gesetzmäßigkeit gilt. Beim Gesetz der Nachfrage zählt hierzu insbesondere die ceteris-paribus-Bedingung, die in diesem Fall besagt, dass sich nur der Preis des Gutes ändert, alles andere aber konstant bleibt. Konkret: Die Gesetzmäßigkeit, dass mit steigendem Preis die Nachfrage zurückgeht und mit sinkendem Preis steigt, gilt nur dann, wenn die Preise der übrigen Güter, das Einkommen der Konsumenten, ihre Präferenzen und alle weiteren Faktoren, die die Nachfrage beeinflussen, gleichbleiben. Alle ökonomischen Theorien (und nicht nur diese) haben diese Grundstruktur und oft ist die ceteris-paribus-Bedingung Teil der zugrundeliegenden Annahmen der Theorie.
Die Bedingungen, unter denen eine Theorie Gültigkeit beansprucht, sind nun von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, die Theorie wissenschaftlich zu überprüfen oder – mit anderen Worten – zu testen. Schließlich will man wissen, ob aus einer Theorie die richtigen Prognosen folgen. Eine Theorie, die systematisch falsche Prognosen abgibt, wird sich keiner großen Beli...