II Frankfurter Autismus-Elterntraining (FAUT-E)
6 Aufbau, Ziele und Rahmenbedingungen
6.1 Hintergrund und Zielgruppe
Das Elterntrainingsprogramm FAUT-E wurde analog zu verhaltenstherapeutisch basierten psychoedukativen Therapieansätzen unter Berücksichtigung autismusspezifischer Erlebens- und Verhaltensweisen sowie autismusspezifischer Behandlungsaspekte im klinischen Kontext einer universitären Autismus-Spezialambulanz entwickelt. Basierend auf den Rückmeldungen bisher teilnehmender Eltern wurden im Verlauf Inhalte ergänzt, Vorgehensweisen ausdifferenziert und spezifiziert. Das Training eignet sich
für Eltern von Kindern mit ASS im Vorschul- bis Jugendalter, insbesondere bei einer Neudiagnose. Es kann aber auch für Eltern nützlich sein, bei deren Kindern die Diagnosestellung bereits einige Zeit zurückliegt. Die Problembereiche der Kinder können unterschiedlich sein, beispielsweise aggressives Verhalten ebenso beinhalten wie Ängste, denn im Rahmen des Trainings werden den Eltern Prinzipien und Techniken vermittelt, die sich auf unterschiedliche Problemverhaltensweisen anwenden lassen. Da Eltern von Kleinkindern und Eltern von Kindern mit geistiger Behinderung deutlich andere Alltagsschwierigkeiten mit ihren Kindern zu bewältigen haben als Eltern von Schulkindern mit hochfunktionalem (atypischem) Autismus oder Asperger Syndrom, wurden einige Inhalte der Sitzungen für die beiden Gruppen spezifiziert und diesbezüglich auch so genannte gruppenspezifische Erweiterungsmodule entwickelt (
Kap. 9–
10). In Kapitel 6.3 finden sich Hinweise zum Vorgehen bei der Gruppenzusammensetzung und in den Übersichtstabellen in Kapitel 6.15 sind die bei beiden Gruppen übereinstimmend bzw. spezifisch durchzuführenden Module enthalten.
6.2 Allgemeine Zielsetzung
Das allgemeine Ziel des FAUT-E Programms besteht im Sinne eines so genannten »Empowerment«-Ansatzes darin, dass die betroffenen Eltern lernen, mit den Herausforderungen, die sich im Alltag bei der Erziehung und im Umgang mit ihren autistischen Kindern ergeben, gut umzugehen und ihre Kinder in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Entsprechend der Ausführungen in Kapitel 4 (Eltern von Kindern und Jugendlichen mit ASS) ist das FAUT-E als eine gezielte, mehrere Ebenen einbeziehende Intervention konzipiert. Die Ebenen beinhalten einmal die soziale und emotionale Unterstützung der Eltern, zum anderen die Erweiterung von Wissen und Verständnis für die Symptomatik des Kindes mit ASS sowie drittens den Erwerb von Methoden und Techniken zur konkreten Handhabung spezifischer Problemsituationen im Alltag. Schließlich sollen durch das Vorgehen der Therapeuten und Therapeutinnen einerseits internale Kontrollüberzeugungen der Eltern und ihr Selbstwirksamkeitserleben hinsichtlich einzelner Probleme gefördert werden. Andererseits soll auch die elterliche Akzeptanz für die mit ASS einhergehenden Wahrnehmungs- und Verhaltenstendenzen, die bei den Kindern weniger veränderbar sind, erhöht werden.
6.3 Gruppenzusammensetzung und Gruppengröße
Das FAUT-E richtet sich an Eltern von Kindern mit ASS im Vorschul- bis Jugendalter. Einbezogen sind sowohl Eltern nonverbaler, geistig behinderter, autistischer Kinder als auch Eltern, deren Kinder über gute bis überdurchschnittliche intellektuelle und gute verbale Fähigkeiten verfügen. Wir raten dazu, weitestgehend homogene Gruppen zu bilden anhand der sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder. So kann eine Gruppe für Eltern durchgeführt werden, deren Kinder keine bzw. einzelne Worte sprechen. Eine andere Gruppe kann für Eltern altersgerecht sprechender, etwa gleichaltriger Kinder angeboten werden. Bisher wurde das FAUT-E jeweils in den genannten homogenen Gruppen durchgeführt, was hinsichtlich des Austausches der Eltern und der Besprechung von Situationen und Beispielen als sehr günstig erlebt wurde.
Die meisten Bausteine des Trainings sind für die Anwendung sowohl bei Kindern mit zusätzlicher geistiger Behinderung als auch hochfunktionalen Kindern mit ASS konzipiert. Die inhaltlichen Ausgestaltungen sind allerdings jeweils anzupassen, so dass beispielweise im Rahmen der Psychoedukation bei Basis 1 Verhaltensbeispiele gegeben werden, die den jeweiligen Kindern entsprechen. Im Rahmen der Erweiterungsmodule wird der Unterschiedlichkeit der Fragen und Probleme in den jeweiligen Gruppen Rechnung getragen, indem es spezifische Erweiterungen für Kleinkinder und Kinder mit geistiger Behinderung gibt (
Kap. 9) sowie Erweiterungen für Vorschul- und Schulkinder ohne geistige Behinderung (
Kap. 10).
Als Gruppengröße wird eine Teilnehmeranzahl von mindestens fünf bis maximal acht Personen für günstig erachtet.
6.4 Voraussetzungen der Teilnehmer/innen
Die
regelmäßige Teilnahme (mindestens) eines Elternteils ist erforderlich. Es müssen nicht beide Elternteile teilnehmen, obwohl dies natürlich wünschenswert ist. Abgesehen von ausreichend guten
sprachlichen und intellektuellen Fähigkeiten ist das
Belastungsniveau des teilnehmenden Elternteils, wenn möglich, im Vorfeld zu explorieren, da das Training insbesondere für Eltern indiziert ist, die aufgrund der Verhaltensprobleme ihres Kindes vor Fragen und Herausforderungen gestellt sind und Veränderung wünschen. Wenn persönliche Belastungen der Eltern im Vordergrund stehen, ist eine Teilnahme zu überdenken, da das Training zunächst weitere Ressourcen von den Eltern einfordert. Auch wenn die
Verhaltensproblematik des Kindes sehr stark ausgeprägt ist, so dass beispielsweise kein Schulbesuch mehr möglich ist, sind andere Maßnahmen, wie individuelle Beratungstermine oder eine kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung des Kindes, eher angeraten. Eine parallel stattfindende einzel- oder gruppentherapeutische Behandlung des Kindes, z. B. im Rahmen einer autismusspezifischen Therapie, ist gut möglich und beide Ansätze können sich ergänzen. Um diese Voraussetzungen einzuschätzen sowie die Erwartungen der Eltern an das Training zu erfassen und mit unserem Angebot abzugleichen, führen wir einige Monate vor Beginn des FAUT-E
Vorgespräche mit den einzelnen Eltern (
Kap. 6.9).
6.5 Voraussetzungen der Therapeuten und Therapeutinnen
Das Training sollte von zwei Therapeuten/Therapeutinnen durchgeführt werden, um Aufgabenteilungen vornehmen zu können und Kleingruppenarbeit adäquat zu unterstützen. Es sollte immer ein Therapeut/eine Therapeutin als aktiv zuhörender Gesprächspartner für die Eltern zur Verfügung stehen. Die Durchführung von Dokumentationen am Flipchart oder die Beachtung der Einhaltung der Zeit (»Hüter der Zeit«) kann dann von dem anderen Therapeuten/der anderen Therapeutin übernommen werden. Hintergrundwissen und Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen mit ASS sind unbedingt notwendige Voraussetzungen für die Therapeuten und Therapeutinnen. Zudem ist eine verhaltenstherapeutische Ausrichtung eine weitere wesentliche Grundlage, da die meisten angewandten Methoden auf verhaltenstherapeutischen Prinzipien beruhen. Es empfiehlt sich, je nach vorhandenen Kapazitäten, eine weitere Fachkraft themenbezogen einzubeziehen, beispielsweise bei der Vermittlung rechtlicher oder schulischer Themen. So führte z. B. in unseren Trainings eine Lehrkraft des überregionalen Förder- und Beratungszentrums die Beratung der Eltern bei schulbezogenen Fragen durch.
6.6 Anzahl und Dauer der Trainingssitzungen
Das FAUT-E ist für acht Sitzungen von jeweils 120 Minuten konzipiert. Die Basismodule entsprechen meist einer Sitzung dieser Länge. Die Basismodule 3 und 6 sind in kürzerer Zeit durchführbar, so dass in der verbleibenden Zeit noch weitere von den Eltern gewünschte Themen besprochen oder bereits angesprochene Themen vertieft werden können. Als dritte Möglichkeit kann auch ein Erweiterungsmodul mit dem Basismodul 3 und 6 kombiniert werden. Die Erweiterungsmodule benötigen 15 bis 90 Minuten. Somit können in einer Sitzung mehrere Erweiterungsmodule behandelt werden. Die jeweils benötigte Zeit für die Basis- und Erweiterungsmodule ist in Tabelle 6.1 bzw. 6.2 angegeben (
Kap. 6.15). Es wird empfohlen, die ersten fünf Sitzungen in wöchentlichen Abständen durchzuführen. Im Verlauf können die Abstände auf zwei bis drei Wochen verlängert werden, um den Transfer in den Alltag der Familien zu ermöglichen und die Erfahrungen der Eltern bei der Umsetzung in den Sitzungen noch intensiver aufgreifen zu können.
6.7 Auswahl der Trainingsmodule
Zentrale Bestandteile des Elterntrainings sollten die
sechs Basismodule sein. Die
Erweiterungsmodule können
optional ergänzt werden (
Kap. 6.10.1). Wenn sich die teilnehmenden Eltern spezifische, hier nicht aufgeführte Inhalte wünschen, empfehlen wir, diese thematisch ebenfalls aufzugreifen.
6.8 Ablauf ...