Kinderhospizarbeit
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Kinderhospizarbeit

Konzepte - Erkenntnisse - Perspektiven

  1. 285 Seiten
  2. German
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Kinderhospizarbeit

Konzepte - Erkenntnisse - Perspektiven

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Seit 1990 hat sich die Kinderhospizarbeit zu einem wichtigen Pfeiler im Unterstützungssystem für lebensverkürzend erkrankte Kinder/Jugendliche und ihre Familien entwickelt. Nach englischem Vorbild bietet die deutsche Kinderhospizarbeit heute vielfältige Angebote der Begleitung, Beratung und Hilfe. Sie setzt sich zusammen aus stationären Kinderhospizen, ambulanten Kinderhospizdiensten, Fort- und Weiterbildungsangeboten sowie spezifischen Angebotsformen für die erkrankten Kinder/Jugendlichen, ihre Eltern und Geschwister und die professionellen und ehrenamtlichen Mitarbeiter. Nach einer kurzen Einführung zum Theoriestand der Kinderhospizarbeit beleuchtet das Buch zunächst die Lebenssituation der erkrankten Kinder/Jugendlichen und ihrer Familien. Dann werden Ziele, Aufgaben und Inhalte der ambulanten und stationären Kinderhospizarbeit beschrieben. Auf der Basis empirischer Erkenntnisse gibt das Buch erstmals ein Bild des aktuellen Stands der Kinderhospizarbeit in Deutschland. Neben der Analyse von Stärken und Entwicklungspotentialen der bestehenden Strukturen werden Leitlinien entwickelt, die die Qualität von Kinderhospizarbeit dauerhaft sichern sollen.

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Information

Jahr
2011
ISBN
9783170278387

1 Einführung – zur Entstehung und Zielsetzung des Buches

„Es ist uns ein zweites Zuhause geworden!“ So berichtet eine Mutter, die seit einigen Jahren mit ihrem lebensverkürzend erkrankten Kind ein Kinderhospiz besucht. Dort kann sie ausschlafen, endlich in Ruhe ein Buch lesen, sich um sich selbst und die kleine Schwester kümmern, da sie ihren kranken Sohn gut betreut, gepflegt und umsorgt weiß.
Genau dieser Aufgabe hat sich die seit 1990 in Deutschland bestehende Kinderhospizbewegung verpflichtet: die Begleitung lebensverkürzend erkrankter Kinder und ihrer Familien auf ihrem Lebensweg. Dies bedeutet Entlastung, Unterstützung, Kommunikation von Lebens- und Todesthemen, Information, spezifische Freizeitangebote und vieles mehr. Zunehmend hat sich die Kinderhospizarbeit zu einem wichtigen Pfeiler im Unterstützungssystem für lebensverkürzend erkrankte Kinder/Jugendliche und ihre Familien entwickelt. Nach englischem Vorbild aus den Bedürfnissen von Eltern Betroffener entstanden, bietet die deutsche Kinderhospizarbeit heute vielfältige Angebote der Begleitung, Beratung und Hilfe. Sie setzt sich zusammen aus stationären Kinderhospizen, ambulanten Kinderhospizdiensten, Fort- und Weiterbildungsangeboten sowie jeweils spezifischen Angebotsformen für die lebensverkürzend erkrankten Kinder/Jugendlichen, ihre Eltern und Geschwister und die professionellen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Treffen alle diese Angebote tatsächlich auch die Bedürfnisse der betroffenen Kinder und ihrer Familien? Wo gibt es Entwicklungsmöglichkeiten und Optimierungsbedarfe? Diese Frage beantwortet das vorliegende Buch, das die Zusammenfassung einer ersten bundesweiten Studie zur Qualität von Kinderhospizarbeit darstellt (sämtliche Ergebnisse vgl. Jennessen et al. 2010).
Im Einzelnen wurde folgenden Fragen nachgegangen:
  • Was kennzeichnet die Lebenssituationen lebensverkürzend erkrankter Kinder und ihrer Familien?
  • Welche Bedarfe an Unterstützung und Begleitung resultieren aus dem familiären Leben mit lebensverkürzend und final erkrankten Kindern?
  • Welche Begleitungs- und Unterstützungsangebote stellen stationäre Kinderhospize und ambulante Kinderhospizdienste den betroffenen Familien zur Verfügung?
  • Wie erleben die Familien diese Angebote?
  • Wie bewerten die professionellen und ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Kinderhospizarbeit ihre Arbeit?
Und letztendlich:
  • Was ist auf der Grundlage dieser Erkenntnisse gute Kinderhospizarbeit?
In der im Zeitraum von Juni 2007 bis Juli 2010 in Kooperation mit dem Deutschen Kinderhospizverein e.V. durchgeführten explorativen Studie wurde bundesweit erstmalig die Qualität der verschiedenen Tätigkeitsbereiche stationärer Kinderhospize und ambulanter Kinderhospizdienste exemplarisch erfasst. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Bedürfnisse und Erwartungen der Familien und die Frage, inwieweit die stationären und ambulanten Angebote von ihnen als hilfreich, unterstützend und entlastend wahrgenommen werden.
Die auf Grundlage dieser Studie entstandene Publikation gibt zunächst einen Überblick über den aktuellen Theoriestand der Kinderhospizarbeit. Hierzu werden zum einen die Lebenssituationen lebensverkürzend erkrankter Kinder und Jugendlicher und ihrer Familien dargestellt. Zum anderen werden die Angebote der jungen Kinderhospizbewegung und ihre Zielrichtung beschrieben. Es wird deutlich, dass diese intendiert, eine Begleitungs- und Versorgungslücke zu schließen, die bis dato dazu geführt hat, dass viele Familien in ihrer spezifischen Lebenssituation nahezu ausschließlich auf eigene Ressourcen zurückgreifen mussten.
Die Ziele, Aufgaben und Inhalte ambulanter und stationärer Kinderhospizarbeit werden anschließend mit den zentralen Ergebnissen der oben vorgestellten Studie in Beziehung gesetzt.
Diese Ergebnisse zeichnen ein auf differenzierten empirischen Erkenntnissen beruhendes, vielschichtiges Bild der jungen Kinderhospizbewegung. Grundlage sind die mit verschiedenen qualitativen und quantitativen Verfahren erhobenen Ergebnisse zu den Lebenssituationen lebensverkürzend erkrankter Kinder und Jugendlicher, ihrer Geschwister und Eltern. Auch die Perspektiven der professionellen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden in der Kinderhospizbewegung fließen in die Auseinandersetzung mit den bestehenden Begleitungsangeboten ein. Diese werden dahingehend hinterfragt, ob sie den Bedarfen der lebensverkürzend erkrankten Kinder/Jugendlichen und ihrer Familien tatsächlich entsprechen. Stärken und Entwicklungspotenziale der Bewegung werden aufgezeigt und interpretiert. Aus der Diskussion der verschiedenen qualitativen und quantitativen Daten werden Leitlinien entwickelt, die die Qualität von Kinderhospizarbeit weiterentwickeln und dauerhaft sichern sollen. Diese Leitlinien sind jedoch nicht im Sinne von Standards als einheitliches und vereinheitlichendes Raster für die Kinderhospizarbeit zu verstehen, sondern sollen als Orientierungshilfen dazu beitragen, die verschiedenen Angebote inhaltlich zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Hierzu bedarf es des intensiven Diskurses der Akteurinnen und Akteure der Kinderhospizarbeit auf ihren unterschiedlichen Ebenen. Zu diesem Diskurs möchten wir mit dem vorliegenden Buch herzlich einladen! Insofern trägt die vorliegende Studie auch zur fachlichen Begründung und evidenzbasierten Professionalisierung der Kinderhospizarbeit bei. Deren Angebote sind – so die Essenz der Studie – unverzichtbarer Bestandteil der Lebensqualität vieler lebensverkürzend erkrankter Kinder/Jugendlicher, ihrer Geschwister und Eltern.
Wir würden uns freuen, wenn dieses Buch möglichst viele Menschen erreicht, die sich auf einer persönlichen oder fachlichen Ebene mit der Thematik lebensverkürzender Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter auseinandersetzen: betroffene Familien, Mitarbeiter(innen) in Arbeitsfeldern der Begleitung lebensverkürzend erkrankter Kinder und Jugendlicher (Kinderhospize, Kliniken, Schule, Pflegedienste, Selbsthilfe) und Wissenschaftler(innen) und Studierende der Sonderpädagogik, Sozialen Arbeit, Pflegewissenschaft, Medizin (Pädiatrie und Palliative Care).
Danken möchten wir an dieser Stelle vor allem den erkrankten Kindern und ihren Eltern und Geschwistern, die uns intensive Einblicke in ihre Lebenssituationen gewährt sowie ihre kostbare und häufig begrenzte Lebenszeit geschenkt haben. Eure und ihre Erfahrungen bilden das Fundament dieses Buches.
Danken möchten wir auch
  • den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in stationären Kinderhospizen und ambulanten Kinderhospizdiensten, die uns auf vielfältige Weise über ihre Perspektiven auf ihre Tätigkeiten berichtet haben sowie
  • Joana Kleinhempel für ihren ausdauernden, erfrischenden und zuverlässigen Einsatz in unserem Projekt.
Unser Dank gilt außerdem dem Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration und der Stiftung Deutsche Jugendmarke e.V., die durch ihre Finanzierung das Projekt erst ermöglicht haben, sowie dem Deutschen Kinderhospizverein e.V. für die unkomplizierte, lebendige und kritische Kooperation.
Sven Jennessen
Oldenburg und Landau im Januar 2011
Astrid Bungenstock
Eileen Schwarzenberg

2 Leben mit dem frühen Sterben

2.1 Progredient erkrankte Kinder und Jugendliche

Forschungsstand

Die Situation von Kindern und Jugendlichen mit lebensverkürzenden Erkrankungen ist bislang im deutschsprachigen Raum kaum erforscht. Volker Daut hat mit seiner qualitativen Studie zur Lebenssituation von jungen Männern mit Duchenne Muskeldystrophie die bislang einzige Untersuchung zur Perspektive der Betroffenen selbst vorgelegt (Daut 2005). Ansonsten existiert eine multimethodische Untersuchung zur schulpädagogischen Situation der betroffenen Kinder und Jugendlichen (Ortmann & Jennessen 2003), eine qualitative Erhebung zur Situation der Lehrkräfte (Leyendecker & Lammers 2001) und eine die Schule als Bildungssystem unter dem Fokus lebensverkürzender Erkrankung fokussierende triangulative Studie (Jennessen 2008). Die schulbezogenen Untersuchungen zeigen erhebliche thematische Entwicklungsbedarfe sowohl bezüglich der individuellen Kompetenzen der Lehrkräfte als auch hinsichtlich der Frage der Auseinandersetzung mit thanatalen Themen in der Schule als Institution.

Begriffe und Lebenslagen

Über die Anzahl von fortschreitend erkrankten Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die aufgrund dieser Erkrankungen im Kindes-, Jugend- oder frühen Erwachsenenalter versterben, liegen bislang lediglich Schätzwerte vor, ohne dass eine verlässliche Statistik verfügbar wäre. Zernikow beruft sich auf Untersuchungen, die von einer Mortalität zwischen 1,2 und 3,6/10 000 Lebendgeborenen ausgehen sowie auf Schätzungen, die die Punktprävalenz an lebensverkürzenden Erkrankungen bei 12–13 Kindern pro 10 000 Einwohner angeben (vgl. Zernikow 2008, 4). Der Deutsche Kinderhospizverein e.V. geht davon aus, dass in Deutschland etwa 22 000 Kinder und Jugendliche mit einer lebensverkürzenden Krankheit leben. Etwa 1500 von ihnen sterben pro Jahr an unheilbaren Krankheiten, davon 500 Kinder und Jugendliche an Krebs.
Wingenfeld & Mikula (2002) übertragen die für Großbritannien vorliegenden Prävalenzraten auf die Bundesrepublik und kommen aufgrund der Anzahl der Kinder und Jugendlichen im Alter bis zu 18 Jahren in Deutschland (15,5 Millionen) auf 15 000 bis 16 000 Kinder und Jugendliche mit einer fortschreitenden Erkrankung bzw. auf 7500 bis 8000 Fälle mit einem Bedarf an palliativer Versorgung.
Kennzeichen lebensverkürzender Erkrankungen (life-limiting/life-shortening conditions) im Kindes- und Jugendalter sind die Unheilbarkeit (no reasonable hope of cure), die zunehmende Verschlechterung des Gesundheitszustandes (progressive deterioration) und ein an der altersgemäßen Morbiditätsrate gemessener früher Tod. Unter lebensbedrohlichen Erkrankungen (life-threatening conditions) werden Krankheiten verstanden, die potenziell heilbar sind, deren Therapie jedoch nicht in jedem Fall erfolgreich verläuft (z. B. Tumorerkrankungen).
Der fortschreitende Verlauf einer Erkrankung kann in einen schnellen (akuten) und chronischen (vergleichsweise langsamen) Verlauf unterschieden werden. Befinden sich Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene aufgrund dieser Kriterien im Endstadium ihrer Erkrankung, kann ihr Zustand als final oder terminal bezeichnet werden. In Theorie und Praxis im Kontext progredienter Erkrankungen liegen unterschiedliche Positionen bzgl. der terminologischen Vor- und Nachteile der Begriffe progredient, lebensverkürzend oder lebenslimitierend erkrankt vor. Während die beiden letztgenannten stark die Fokussierung auf ein verfrühtes Lebensende implizieren, beinhaltet der Begriff der Progredienz vorrangig den zunehmenden Verlust von Fähigkeiten durch das Fortschreiten des Krankheitsverlaufes. Der Terminus Lebenslimitierung ist insofern eher unpräzise, da jedes Leben begrenzt ist und das Spezifische – der verfrühte Tod – hier nicht terminologisch zum Ausdruck kommt. Zu beobachten ist zudem, dass der Begriff progredient eher in wissenschaftlich-theoretischen Kontexten und der Begriff lebensverkürzend eher in der Praxis der Begleitung und Versorgung der Betroffenen Anwendung findet. Aufgrund des dieser Studie zugrunde liegenden Praxisbezuges werden deshalb nachfolgend die Begriffe lebensverkürzend und progredient erkrankt synonym verwandt.
Zu den lebensverkürzenden Erkrankungen zählen neben Krebserkrankungen Stoffwechselerkrankungen, progressive Muskeldystrophien, Virusinfektionen, lysosomale und neurodegenerative Speichererkrankungen, spezifische Syndromerkrankungen sowie Organerkrankungen.
Ebenso heterogen wie die Krankheitsbilder zeigen sich auch die Lebenssituationen betroffener Kinder und Jugendlicher. Das Erleben der individuellen Situation der betroffenen Heranwachsenden ist von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren abhängig.
Zu diesen die Diversität der Lebenssituation kennzeichnenden Variablen gehören beispielsweise:
  • Zeitpunkt der Diagnose
  • Individuelles Entwicklungsalter
  • Auswirkungen des Krankheitsverlaufes auf die Physis
  • Auswirkungen des Krankheitsverlaufes auf die Kognition
  • Auswirkungen des Krankheitsverlaufes auf die Kommunikation
  • Kommunikationsbedürfnisse in Bezug auf thanatale Fragestellungen
  • Personale und soziale Ressourcen sowie individuelle Resilienz.
Als allen lebensbegrenzenden Erkrankungen gemeinsame Kennzeichen lassen sich folgende Faktoren benennen:
  • Fortschreitender Verlust von Fähigkeiten
  • Verfrühter Tod
  • Leben mit Abschieden
  • Bedarf an medizinisch-therapeutischer Behandlung und Pflege
  • Irritationen des näheren und weiteren sozialen Umfeldes
  • Spezifische Entwicklungsaufgaben
  • Beibehaltung entwicklungsgemäßer Lebensthemen (vgl. Jennessen 2010).
In den meisten wissenschaftlichen Texten zur personalen Situation lebensverkürzend erkrankter Kinder und Jugendlicher überwiegt eine deutlich negative und belastungsorientierte Beschreibung der Situation der Betroffenen. Die Bedeutung von individuellen Ressourcen und Coping-Strategien sowie Resilienzfaktoren wird bislang kaum in Verbindung mit der Herausforderung einer progressiven Erkrankung gesetzt und somit meist dem vorherrschenden kompetenzorientierten sonderpädagogischen Paradigma widersprechende Schlussfolgerungen gezogen. Hier scheint ein Perspektivenwechsel hin zu einer eher ressourcenorientierten Auseinandersetzung erforderlich, die sich verstärkt den individuellen Bedürfnissen des Einzelnen widmet und diese zum Ausgangspunkt der jeweiligen Begleitungs- und Förderangebote erklärt, ohne dabei Erschwernisse und besondere Herausforderungen aus dem Blick zu verlieren (vgl. Jennessen 2008). Aufgrund der Heterogenität der Gruppe progredient erkrankter Kinder und Jugendlicher und ihrer je nach Schädigungsform und individueller Resilienz sehr unterschiedlichen Begleitungs- und Förderbedürfnisse in den Bereichen Kognition, Emotion, Motorik, Wahrnehmung und Verhalten bedürfen grundlegende Kenntnisse bezüglich medizinischer und psychosozialer Auswirkungen immer des Transfers auf die jeweilige Lebenssituation der Betroffenen.
Für das psychosoziale Erleben der Betroffenen lässt sich unter Zuhilfenahme des salutogenetischen Modells nach Antonovsky (1997) konstatieren, dass dieses immer in Abhängigkeit zum Erleben des individuellen Kohärenzgefühls (SOC) steht. So lassen die grundlegenden Erkenntnisse zur psychosozialen Situation von Kindern und Jugendlichen mit lebensverkürzender Erkrankung die Hypothese zu, dass ein entwicklungsgemäßes, höchstmögliches Maß an Kenntnis der Krankheit und ihrer Entwicklung (SOC-Komponente Verstehbarkeit) und die Möglichkeit, auf die eigene Situation Einfluss nehmen zu können (SOC-Komponente Handhabbarkeit), ebenso positive Auswirkungen zeitigen wie das primäre Erleben der eigenen Situation als Herausforderung denn als Belastung (SOC-Komponente Sinnhaftigkeit). Diese Teilkomponenten des Kohärenzgefühls können als übergeordnete Bezugspunkte für pädagogische Begleitungsansätze gelten, die dazu beizutragen vermögen, die Lebensqualität und -zufriedenheit der Betroffenen elementar positiv zu beeinflussen.
Da die Entwicklung eines stabilen Kohärenzgefühls eines Kindes oder Jugendlichen maßgeblich von den ökosystemischen Bedingungen des Aufwachsens und Umgehens mit einer progredienten Erkrankung abhängt, sollen Spezifika der unterschiedlichen Sozialisationsebenen nachfolgend ebenfalls skizziert werden (in Anlehnung an Jennessen 2008).

Spezifische Sozialisations- und Entwicklungsbedingungen bei progredienter Erkrankung

„Sozialisation bezeichnet den Prozeß der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und dinglich-materiellen Umwelt“ (Hurrelmann 2001, 70). In diesem Begriffsverständnis ist zum Ausdruck gebracht, dass die Entwicklung des Individuums durch soziale und gesellschaftliche Faktoren beeinflusst ist und es sich in einem Prozess der sozialen Interaktion konstituiert. Diese allgemeine Aussage behält selbstverständlich für die Sozialisationsprozesse von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen ihre Gültigkeit. Auch hier handelt es sich um einen individuellen Prozess, ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Zum Geleit
  6. 1 Einführung – zur Entstehung und Zielsetzung des Buches
  7. 2 Leben mit dem frühen Sterben
  8. 3 Was ist Kinderhospizarbeit?
  9. 4 Eine schwierige Frage: Qualität und Kinderhospizarbeit?
  10. 5 Ergebnisse einer Studie zum aktuellen Stand der Kinderhospizarbeit in Deutschland
  11. 6 Leitlinien für die Kinderhospizarbeit
  12. 7 Verzeichnisse