Sprache - Entwicklung, Störungen und Intervention
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Sprache - Entwicklung, Störungen und Intervention

  1. 198 Seiten
  2. German
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Sprache - Entwicklung, Störungen und Intervention

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Sprachbeherrschung ist eine unerlässliche Voraussetzung für eine qualifizierte Bildung und Ausbildung. Unterschiede in der Verfügbarkeit von Sprache machen sich bereits im Kindergarten bemerkbar und führen zu eingeschränkten Voraussetzungen für schulisches Lernen. Im Erwachsenenalter können erworbene Sprachstörungen (Aphasien) die bisherige persönliche, berufliche und soziale Situation schlagartig verändern.Dieser Band gibt einen differenzierten Überblick über Laut- und Schriftsprachentwicklung, mögliche Störungen im Kindes- und Erwachsenenalter sowie Interventionsmöglichkeiten einschließlich alternativer Kommunikationsmittel.

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Information

Jahr
2007
ISBN
9783170280564

1 Aspekte der Sprache und theoretische Zugänge

1.1 Komponenten der Sprache

Wenn wir sprechen, machen wir uns meist keine Gedanken darüber, welch komplizierter Vorgang das ist, der im Allgemeinen automatisch und unbewusst abläuft. Die Worte „entstehen in unserem Kopf“ und „kommen aus unserem Mund“. Sprache, die wir produzieren oder die wir hören, kann dabei unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden, die alle zusammen Sprache konstituieren. Gesprochene Sprache besteht zunächst aus Lauten. Im Mund-Nasen-Rachenraum, dem Ansatzrohr, wird mit der Zunge, den Lippen oder den Zähnen der im Kehlkopf erzeugte Ton so verändert, dass einige Dutzend Konsonanten und Vokale entstehen. Die so gebildeten Laute werden in den verschiedenen Sprachen nach unterschiedlichen Regeln kombiniert, die zu Wörtern verbunden werden (Liberman & Liberman, 1992). Individuelle Sprachen nutzen dabei nur einen Bruchteil der möglichen Sprachlaute und Kombinationen (Barret, 1999). In diesen Sprachlauten und ihren Kombinationen wird Bedeutung kodiert. Phoneme, also Laute, sind die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten. Sie haben für sich noch keine Bedeutung, lassen aber beispielsweise aus „Tanne“ „Kanne“ werden.
Die Phonetik als Teil der Lehre von den Lauten, betrifft ihre physikalische Struktur und beschreibt, wie sie mit den menschlichen Sprechwerkzeugen hervorgebracht werden. Unter artikulatorischer Perspektive wird in der Phonetik die Produktion der Laute betrachtet. Wenn im Kehlkopf ein Ton erzeugt und der Luftstrom nicht blockiert wird, entstehen Vokale, die ihren Klang durch die unterschiedliche Öffnung des Mundraumes erhalten. Wenn der Luftstrom auf unterschiedliche Weise bei der Passage durch den Rachen-Mund-Raum blockiert wird, entstehen Konsonanten. Man kann drei Gruppen von phonetischen Merkmalen unterscheiden, nach denen sich alle Laute klassifizieren lassen, die Sonorität (stimmlos/stimmhaft), die Artikulationsstelle (die Stellen, an denen der Luftstrom blockiert wird) und die Artikulationsart (welcher Laut entsteht), z. B. Plosive wie /p/, /b/, /t/, /d/, /k/ oder /g/, bei denen der Luftstrom zunächst vollkommen blockiert und dann „explosionsartig“ freigesetzt wird, Frikative (Reibelaute) wie /f/, /v/ oder die verschiedenen s- und Zisch-Laute, Nasale wie /n/ und /m/, bei denen die Luft durch die Nase entweicht, Laterale wie /l/, bei denen der Luftstrom seitlich austritt, und den Vibranten /r/ und Kombinationen, wie beispielsweise Affrikative, bei denen ein eigentlicher Plosivlaut nicht vollständig aufgelöst wird, sondern in einen Reibelaut übergeht, wie bei /pf/. Unter der akustischen Perspektive werden die Merkmale der Schallsignale als Muster von Frequenzen und Intensitäten im zeitlichen Verlauf betrachtet. Sie lassen sich in einem Schallspektrogramm darstellen.
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Abb. 1.1: Schallspektrogramm einzeln und deutlich gesprochener Wörter (aus Goldstein, E. B. (1997). Sensation and Perception. Washington: Itps Thomson Learning)
Unter auditiver Perspektive werden die psychischen Vorgänge bei der zentralen Verarbeitung der Sprachlaute betrachtet. Dabei gibt es keine Eins-zu-eins-Zuordnung zwischen den physikalischen Merkmalen und den wahrgenommenen Lauten. Sprachsignale sind flüchtig, müssen schnell erfasst und trotz unterschiedlicher Sprecher, nicht „hörbarer“ Wortgrenzen im Sprachstrom und anderer Variationen als Einheiten erkannt werden.
Abbildung 1.2 zeigt, wie sich das Schallspektrogramm verändert, wenn der Satz „What are you doing?“ in der Alltagssprache gesprochen wird. Pro Sekunde müssen bei durchschnittlicher Sprechgeschwindigkeit ca. 30 Phoneme erkannt werden, während man gleichzeitig Wortbedeutungen, Satzstrukturen und Satzbedeutungen analysiert (Penner, 2000). Allein die phonetischen Kompetenzen und der Erwerb des Lautbestandes der Sprache und der in der Umgebungssprache erlaubten Kombinationsmöglichkeiten sind Leistungen, die ein Kind in seinen ersten Lebensjahren vollbringt, deren Komplexität dem naiven Betrachter kaum präsent ist. Die Phonologie betrachtet die Lautsysteme einer Sprache, ihre Repräsentationen, also die Zuordnung der bei verschiedenen Personen unterschiedlich gebildeten Laute zu einem Phonem als abstrakter Lauteinheit.
Laute und ihre Kombinationen werden zu Wörtern verbunden und repräsentieren Bedeutungen, dies betrifft die Semantik. Wörter stehen für Begriffe, Konzepte und Beziehungen und verbinden damit sprachliche mit kognitiven Fähigkeiten. Die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten sind die Morpheme, die frei sein können, wie „jung“, „Haus“ oder „Spiel“ oder gebunden wie „heit“, „keit“, „un“ oder „ver“. Wenn sie an ein freies Morphem geheftet werden, machen sie beispielsweise aus einem Verb ein Adjektiv (vergessen – vergesslich) und daraus ein Substantiv (vergesslich – Vergesslichkeit). Wie Morpheme in einer Sprache kombiniert werden dürfen, beschreibt die Morphologie. Morpheme können derivativ (Ableitungsmorpheme) sein, wenn sie die Wortklassen verändern (heiter – Heiter-keit), oder flexiv (Beugungsmorphem), wenn sie Wörter beugen (ich spring-e – du spring-st). Die Syntax beschreibt die Kombinationsregeln von Wörtern in einem Satz, durch die Sätze, die aus den gleichen Wörtern bestehen, unterschiedliche Bedeutungen erhalten können. Beispielsweise bedeutet „Hans liebt Grete“ tragischerweise nicht dasselbe wie „Grete liebt Hans“. Allerdings bedeutet „Grete wird von Hans geliebt“ dasselbe wie „Hans liebt Grete“, ein Ausdruck grammatischer Regeln, die angeben, wie Wörter und Morpheme in einer bestimmten Sprache kombiniert, organisiert und in eine Reihenfolge gebracht werden dürfen.
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Abb. 1.2: In Alltagssprache gesprochener Satz (aus Goldstein, E. B. (1997). Sensation and Perception. Washington: Itps Thomson Learning)
Schließlich muss das Kind noch lernen, wie Sprache in unterschiedlichen Kontexten gebraucht (kommunikative Funktionen), wie Rede und Gegenrede gestaltet wird (Konversation) und wie man seine Rede zusammenhängend aufbaut und auf den Informationsstand und die Perspektive des Partners abstimmt (Diskurs). Alle drei Funktionen gehören in den Bereich der Pragmatik. Inder Pragmatik werden damit die linguistischen Kompetenzen mit sozialen Fähigkeiten verbunden.
Als weitere, suprasegmentale, also über den untergliederbaren Einheiten liegende Komponente, gilt die Prosodie. Damit wird die Betonung und Gliederung der Sprache bezeichnet, die sich durch Tonhöhe, Lautheit, Länge der Sprachlaute und Pausengebung darstellt (Grimm, 1999; Grimm & Weinert, 2002). Durch die typischen Betonungsmuster können Sprachen voneinander unterschieden werden, auch wenn man sie nicht beherrscht. Wir „hören“, ob es sich um eine slawische, eine romanische, eine arabische oder eine asiatische Sprache handelt. Innerhalb einer Sprache gibt die Prosodie Hinweise, wie eine Äußerung zu verstehen ist. „Ich will den Ball“ (und keinen anderen), „Ich will den Ball“ (und nichts anderes), „Ich will den Ball“ (du musst ihn mir geben!), „Ich will den Ball“ (du kriegst ihn nicht!) wird je nach Betonung anders verstanden.
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Abb. 1.3: Komponenten der Sprache (nach Barret, 1999, S. 8)

1.2 Das Sprachlernproblem

Lange hat man den Beginn der Sprachentwicklung mit dem Auftauchen des ersten Wortes gegen Ende des ersten Lebensjahres gleichgesetzt. Heute weiß man, dass Sprachentwicklung bereits vor der Geburt des Kindes beginnt und Einjährige schon wichtige Schritte auf dem Weg in die Sprache unbemerkt vollzogen haben. Wie sie das tun, warum sie das im Allgemeinen so perfekt schaffen, welche Lernmechanismen sie zur Verfügung haben, beschäftigt Psychologen, Psycholinguisten und Linguisten seit Jahren, ohne dass sie bisher zu einem allgemein akzeptierten Ergebnis gekommen wären. Zwar wird niemand bestreiten, dass „normale Kinder in normaler Umgebung Sprache erlernen“ (Hoff-Ginsberg, 2000, S. 463), genauso wenig wie die Tatsache, dass es bei „normalen Kindern in normaler Umgebung“ erhebliche Unterschiede in der Geschwindigkeit und im Verlauf der Sprachentwicklung gibt. Welche sprachspezifischen und/oder welche allgemeinen Fähigkeiten das Kind benötigt, erlernt oder mitbringt und welche Rolle der sprachliche Input dabei spielt, wird je nach der Theorie zugrundeliegender Annahme unterschiedlich gesehen.
Grundsätzlich kann man drei große Gruppen von Spracherwerbstheorien unterscheiden, die als inside-out, outside-in und die radikale Mitte gekennzeichnet werden können (Hennon, Hirsh-Pasek & Golinkoff, 2000; Hirsh-Pasek & Golinkoff, 1996).
  • Inside-out-Theorien beschreiben den Spracherwerb überwiegend als Ausdruck einer angeborenen, bereichsspezifischen Prädisposition. Ein Minimum an sprachlichem Input, der nicht einmal vollkommen sein muss, triggert das bereits vorhandene Sprachlernprogramm (Chomsky, 1965, 1981; Pinker, 1996, 2003). Sprache wird gedacht als ein Modul oder eine Gruppe von Modulen. Module sind voneinander unabhängige Einheiten (encapsulation), die einen bestimmten Input mit nur diesem Modul eigenen Prozessen verarbeiten (domain specific). Sie werden nicht oder kaum von anderen Modulen und Prozessen beeinflusst und sind zur unwillkürlichen Verarbeitung des Inputs zwingend nötig (mandatory) (Fodor, 1983; Temple, 1 997). Inside-out-Vertreter gehen also von angeborenen, sprachspezifischen Mechanismen aus, die die Teilprozesse der Sprache verarbeiten.
  • Outside-in-Theorien dagegen sehen den Hauptmotor der Sprachentwicklung in den sozialen Interaktionen in der sprechenden Umgebung (Bruner, 1983; Tomasello, 2003a). Das Kind abstrahiert nach dieser Grundannahme die sprachlichen Regeln seiner Umwelt und folgt dabei allgemeinen kognitiven Mechanismen. Es kommt zur Sprache, indem es im Gebrauch (usage-based) Intentionen erkennt und Muster anhand der Auftretenshäufigkeiten herausfiltert (L. Bloom, 1998; Nelson, 1996, 1999; Tomasello, 2003a, 2003b).
Beide Auffassungen können als Extreme eines Kontinuums angesehen werden (Hirsh-Pasek & Golinkoff, 1996) und beide Auffassungen können die Frage, wie Sprache gelernt wird, nicht vollständig erklären. Outside-in-Vertreter können nicht ausreichend erklären, warum Kinder auf dem Weg in die Sprache viele mögliche induktive Schlüsse nicht ziehen, sondern relativ zielsicher die „richtigen“, während Inside-out-Vertreter, die von einer sprachspezifischen Vorausstattung ausgehen, zunächst erklären müssen, wie das Kind die relevanten Einheiten aus dem Strom der gesprochenen Sprache erkennen kann (Tracy, 2000). Die Theorie muss auch erklären können, wie die abstrakte, als angeboren angenommene, universelle Grammatik an die verschiedenen Zielsprachen gebunden wird (linking problem), und warum sich auf der Welt so viele sehr unterschiedliche Sprachen gebildet haben, wenn alle Menschen mit derselben sprachspezifischen Ausstattung geboren werden. Im Verlauf der Sprachentwicklung eines Kindes lassen sich qualitative Veränderungen feststellen, die erklärt werden müssen, wenn die universelle Grammatik immer dieselbe ist (continuity problem) (Tomasello, 2003a).
  • Die rational-konstruktivistische oder „radikale Mitte“ (Grimm, 1999; Grimm & Weinert, 2002; Hennon et al., 2000; Hirsh-Pasek & Golinkoff, 1996) vereint beide Auffassungen. Das Kind bringt Voreinstellungen zum Erwerb der Sprache mit und konstruiert sie in Wechselwirkung mit den Angeboten seiner Umgebung.
Die Geschwindigkeit und der frühe Zeitpunkt, zu dem ein Kind Sprache erwirbt, sprechen dafür, dass es eine biologisch determinierte Bereitschaft auf Sprache zu achten, sprachrelevante Reize bevorzugt zu verarbeiten und sprachliche Regeln zu erkennen, mitbringt. In sozialen Interaktionen, in der Ausbildung von Routinen und Mustern und in kommunikativen Anforderungen, kann das Kind das sprachliche Angebot der Bezugspersonen nutzen, um aus den relevanten Informationen sein Sprachwissen zu konstruieren. Die Bezugspersonen zeigen intuitiv ein sprachliches und kommunikatives Verhalten, das dem Kind den „Einstieg“ in die Sprache erleichtert, indem sie zum Kind in kurzen, grammatikalisch korrekten Sätzen sprechen und dabei die sinntragenden Wörter besonders betonen. Aber selbst dieses, oft als universell angenommene Verhalten der Eltern, die kindgerichtete Sprache (Ammensprache, Babytalk) ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Einführung
  3. 1 Aspekte der Sprache und theoretische Zugänge
  4. 2 Sprachentwicklung
  5. 3 Ansprüche an die Wirksamkeit von Interventionen
  6. 4 Beeinträchtigungen des Spracherwerbs und Interventionen
  7. 5 Erworbene Sprachstörungen bei Erwachsenen
  8. 6 Alternative Sprachsysteme
  9. Glossar
  10. Literatur
  11. Stichwortverzeichnis