Lernschwierigkeiten
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Lernschwierigkeiten

Ursachen, Diagnostik, Intervention

  1. 343 Seiten
  2. German
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Lernschwierigkeiten

Ursachen, Diagnostik, Intervention

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Über dieses Buch

Not everybody learns alike - about every 10th child struggles with difficulties in reading, writing or calculation. The reasons for this and the remedy are topic of this work. Learners differ from one another. If and to what extent leaning is successful depends on the pedagogic measures undertaken bearing these differences in mind.This book gives the reasons for learning and achieving difficulties in school and introduces methods of enhancement. A perspective of cognitive psychology is introduced looking at individual preconditions of learning, instruction and educational institutions.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783170322790

1 Wie Kinder lernen

Die meisten Menschen lernen jeden Tag viel Neues. Wie das vor sich geht und welchen Gesetzmäßigkeiten das menschliche Lernen folgt, erforscht die wissenschaftliche Psychologie seit mehr als 130 Jahren empirisch, häufig in laborexperimentellen Studien. Im Alltag lernen wir allerdings meistens außerhalb des Labors und oft, ohne dass wir es merken. Das geschieht dann beiläufig und ohne Lernabsicht, in den meisten Fällen auch ohne bewusste Anstrengung. Gelernt wird vor allem durch Beobachtung und aus Erfahrung.
Das schulische Lernen ist eine besondere Form des Lernens. Es geschieht in aller Regel absichtlich und zielgerichtet und ist oft mit Anstrengungen verbunden. Schulisches Lernen wird gezielt herbeigeführt und dient dem systematischen Aufbau von Wissen und Können. Anders als im Laborexperiment vollziehen sich die schulischen Lernprozesse kumulativ, sie sind also keine isolierten Lernakte. Zuvor Gelerntes ist deshalb in aller Regel eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Neues gelernt werden kann. Der kumulative Charakter schulischer Lernprozesse bringt es auch mit sich, dass der Aufbau neuen Wissens und Könnens dann schwer fällt oder gar misslingt, wenn die dafür notwendigen (Vor-)Wissensbestände nicht oder nur unzureichend vorhanden sind. Dann kumulieren Lerndefizite rasch und Lern- und Leistungsprobleme sind die Folge.
Ob und vor allem wie erfolgreich gelernt wird, hängt von den individuellen Lernvoraussetzungen ab, also z. B. vom Vorwissen, von der Lernmotivation, von der Funktionstüchtigkeit des Arbeitsgedächtnisses und von den beim Lernen eingesetzten Strategien, aber auch davon, ob die notwendigen Entwicklungsvoraussetzungen vorhanden sind, um eine Lernanforderung zu bewältigen. Fünfjährige wird man nicht in die Bruchrechnung einführen können, sie sollten aber zählen und die Mächtigkeit von Mengen unterscheiden können. Von 18-Jährigen erwartet man, dass sie Argumente abwägen und Alternativen bedenken können, bevor sie eine Entscheidung treffen. Man kann jedoch nicht erwarten, dass sie dies, wenn es um eine wichtige Lebensentscheidung geht, mit der Weisheit und Erfahrung eines 60-Jährigen tun. Wie erfolgreich gelernt wird, hängt auch davon ab, ob genügend Lernzeit zur Verfügung steht und ob der Unterricht angemessen und auf den Vorkenntnisstand abgestimmt ist. Auch das Ausmaß und die Güte der häuslichen Lernunterstützung spielen für den schulischen Lernerfolg eine Rolle.

Orientierungsfragen

• Wie funktioniert erfolgreiches Lernen?
• Welche Rolle spielt der Unterricht für den Lernerfolg?

1.1 Lernen als Aufbau von Wissen und Können

Kinder lernen in der Regel gern. Gleichwohl lässt schon im Verlauf der Grundschuljahre die Lernfreude sichtbar nach, wie fast alle Studien, die sich mit diesem Thema befasst haben, berichten (Helmke, 1993; Pekrun, 1993). Das hat auch damit zu tun, dass beim schulischen Lernen Erfahrungen gemacht werden, die von denen des spielerischen Lernens im Vorschulalter verschieden sind. Zum einen werden in der Schule die individuellen Lernfortschritte anders und vor allem systematischer beobachtet und bewertet als zuvor. Auch legen die Lehrerinnen und Lehrer andere Vergleichsmaßstäbe an als dies im Kindergarten der Fall war: soziale, die den relativen Lernfortschritt im jeweiligen Klassenverband betreffen, und institutionelle, die an Standards oder Kompetenzen orientiert sind, die von Kindern einer Jahrgangsstufe, eines Lebensalters oder einer Schulform allgemein erwartet werden. Hinzu kommt, dass durch die Einführung externer Anreiz- und Belohnungsstrukturen die ursprünglich intrinsische kindliche Lernmotivation quasi »umgepolt« wird. In der Folge wird im Unterricht weniger aus Freude und aus Interesse an einer Sache selbst gelernt, als vielmehr funktional, um eine Belobigung, z. B. in Form einer guten Note, zu erhalten.
Die Fähigkeit zum Lernen zeichnet Menschen aus. Sie versetzt uns in die Lage, Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben, um unsere Umwelt aktiv zu gestalten. In der wissenschaftlichen Psychologie ist die Erforschung der Gesetzmäßigkeiten des Lernens eine der zentralen Fragestellungen. Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, wie Lernen funktioniert und welchen Regelhaftigkeiten es unterliegt. Das ist auch wenig verwunderlich, weil es sehr unterschiedliche Formen des Lernens gibt. Aber es gibt in der Psychologie eine weithin geteilte Übereinstimmung, wonach es in der Folge von Lernprozessen zu einer überdauernden Veränderung des Verhaltenspotenzials eines Individuums kommt. Diese Veränderung ist das Resultat von Lernen. Der Erfolg von Lernen bemisst sich also an seinen Ergebnissen. Lernen hat auch etwas mit Gedächtnis zu tun – einer Instanz oder Funktion, in der die Ergebnisse von Lernprozessen »festgehalten« werden.
Vier einflussreiche theoretische Auffassungen über Lernen lassen sich unterscheiden:
• Lernen als Assoziationsbildung,
• Lernen als Verhaltensänderung auf der Grundlage operanter Konditionierung,
• Lernen als Wissenserwerb durch Informationsverarbeitung und
• Lernen als Wissenskonstruktion.
Marcus Hasselhorn und Andreas Gold skizzieren in Pädagogische Psychologie. Erfolgreiches Lernen und Lehren (2017) diese vier grundlegenden Auffassungen über das Lernen. Alle vier leisten wichtige Beiträge zur Beschreibung und Erklärung unterschiedlicher Lernphänomene. Den folgenden Ausführungen liegt die Annahme zugrunde, dass sich erfolgreiches schulisches Lernen am besten als gute Informationsverarbeitung beschreiben lässt. Diese Annahme ist genauso hilfreich, wenn es um die Analyse von Problemen und Schwierigkeiten geht, die beim Lernen auftreten können.

Erfolgreiches Lernen als gute Informationsverarbeitung

In den 1960er-Jahren wurden in der Psychologie erstmals Modellvorstellungen formuliert, die Lernen als symbolische Informationsverarbeitung betrachteten und die bestimmte Annahmen über innere (mentale) Strukturen und Mechanismen enthielten. Die wichtigsten dieser Annahmen betreffen die Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses. Ein sehr einflussreiches Informationsverarbeitungsmodell des menschlichen Gedächtnisses formulierten Richard Atkinson und Richard Shiffrin im Jahr 1968 – es enthält in seinen Grundzügen bereits die Bestandteile, die heute noch der kognitionspsychologischen Sichtweise des Lernens zugrundeliegen. Demnach beruht Lernen auf einem Informationsfluss zwischen drei strukturellen Komponenten des Gedächtnissystems:
1. den modalitätsspezifischen sensorischen Registern (vor allem einem auditiven und einem visuellen, um die wichtigsten zu nennen), die für die reiznahe Erstverarbeitung und für die Informationsselektion verantwortlich sind,
2. dem Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis, in dem Informationen durch bewusste kognitive Verarbeitungs- und Kontrollprozesse für das Langzeitbehalten vorbereitet werden, und
3. dem Langzeitgedächtnis, das der überdauernden Speicherung und Konsolidierung der neu erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten dient.
Im Langzeitgedächtnis, so die Modellannahme, ist neben dem Faktenwissen auch das Wissen über die Abläufe einfacher und komplexer motorischer Fertigkeiten überdauernd gespeichert, sowie die Erinnerung an persönliche Erfahrungen, und zwar:
• das Faktenwissen im semantischen Teilsystem,
• das Wissen über Bewegungs- und Handlungsabläufe im prozeduralen Teilsystem und
• das persönliche Erinnerungs- und Erfahrungswissen im episodischen Teilsystem des Langzeitgedächtnisses.
Uneinig waren und sind sich die Wissenschaftler darüber, in welchem Format das überdauernde Wissen im Langzeitgedächtnis wohl repräsentiert ist. Weitgehend einig ist man sich aber in der Annahme, dass beim Lernen neue Wissensstrukturen und neue Fertigkeiten unter Nutzung und durch Veränderung bereits bestehender Strukturen aufgebaut und erworben werden. Beim Lernen kommt es demnach zu einer fortwährenden Umgestaltung des bereits vorhandenen Wissens und Könnens – eine Sichtweise übrigens, die die kognitionspsychologische (Lernen als Informationsverarbeitung) mit der konstruktivistischen Auffassung über das Lernen teilt. Weitgehend einig ist man auch darüber, dass sich der Wissensabruf aus dem Langzeitgedächtnis nicht einfach als Auffinden eines dort abgelegten Wissenselements beschreiben lässt, sondern als eine Rekonstruktion von Wissen, also als Wieder- und Neuzusammensetzen des schon einmal Gelernten.
Zurück zum Informationsfluss durch die drei Gedächtnisspeicher: Schon sehr früh, nämlich in der Phase der Informationsselektion, bedarf es für das absichtliche und zielgerichtete Lernen der gezielten Aufmerksamkeitszuwendung. In der Phase der Informationsorganisation werden die in den Arbeitsspeicher transferierten Informationen reduktiv verdichtet – das ist notwendig, weil die funktionale Kapazität des Arbeitsspeichers begrenzt ist. In der parallel verlaufenden Integrationsphase werden die neuen Wissenselemente oder Teilfertigkeiten mit den im Langzeitgedächtnis bereits vorhandenen elaborativ verknüpft. Lernen gelingt, wenn diese drei Phasen erfolgreich durchlaufen werden. Kompetente Lerner zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch strategische Maßnahmen, sogenannte Lernstrategien, Kontrolle über die kognitiven Prozesse des Selegierens, Organisierens und Integrierens von Informationen gewinnen.

Modell: Lernen als Informationsverarbeitung

Richard Mayer (1992) hat ein einfaches Modell der mehrstufigen Informationsverarbeitung skizziert, das in der Darstellung die strukturellen mit den prozessualen Komponenten des Gedächtnisses anschaulich verbindet. Weil als Ansatzpunkte pädagogisch-psychologischer Interventionen vor allem die kognitiven Prozesse angesehen werden, nennt man das Modell mit Bezugnahme auf die Prozesse des Selegierens, Organisierens und Integrierens das SOI-Modell (
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Abb. 2).
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Abb. 2: Modell der mehrstufigen Informationsverarbeitung (Mayer, 1992, S. 408).
Michael Pressley, John Borkowski und Wolfgang Schneider (1989) fassten Ende der 1980er-Jahre im GIV-Modell der Guten Informations-Verarbeitung zusammen, was nach damaligem Kenntnisstand zum erfolgreichen Lernen gehörte:
• dass das Arbeitsgedächtnis effizient genutzt wird,
• dass geeignete (kognitive) Lernstrategien eingesetzt werden,
• dass das eigene Lernverhalten (metakognitiv) geplant und überwacht wird,
• dass lernförderliche motivationale Dispositionen und Überzeugungen vorhanden sind, und
• dass ein reichhaltiges und gut organisiertes Weltwissen bereits vorhanden ist.
Zusammengenommen sind das sicherlich die wichtigsten individuellen Voraussetzungen guter Informationsverarbeitung. Es kommt aber ein weiterer Aspekt hinzu:
• dass die notwendige Willenskraft vorhanden ist, um Lernhandlungen, Kognitionen und lernbegleitende Emotionen selbst regulieren zu können.

Und die Übung?

Übung spielt beim Lernen zweifellos eine wichtige Rolle. Und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen werden Informationen besser behalten, wenn sie häufiger dargeboten und wahrgenommen sowie häufiger memoriert werden. Atkinson und Shiffrin (1968) waren sogar der Meinung, dass das Ausmaß des Behaltens eine direkte Funktion der Intensität des aufrechterhaltenden Wiederholens im Kurzzeitgedächtnis sei. Auch in Alan Baddeleys Konzept des Arbeitsgedächtnisses spielt diese Vorstellung eine Rolle (Baddeley, 1986). Neben dem aufrechterhaltenden Memorieren ist das elaborierende (anreichernde) Wiederholen von großer Bedeutung für das Einprägen neuer Informationen. Zum anderen wird durch Übung das bereits Gelernte gefestigt und automatisiert, wenn nämlich das neue Wissen und Können mehrfach durchgearbeitet und wiederholt wird. Aus der laborexperimentellen Lernforschung ist bekannt, dass das wiederholte Aufsagen verbaler Inhalte und das wiederholte Ausführen motorischer Tätigkeiten zu den wirksamsten Einprägungshilfen gehören.
Interessant ist, dass der Erwerb von Fertigkeiten und Kenntnissen zwar von der für das Lernen aufgewendeten (Übungs-)Zeit abhängt, es aber durchaus einen Unterschied macht, wie man die für das Lernen aufgewendete Zeit verteilt. Hermann Ebbinghaus hat den positiven Effekt der verteilten Übung schon am Ende des 19. Jahrhunderts beim Auswendiglernen von Wort- bzw. Silbenlisten im Selbstversuch entdeckt. Alan Baddeley hat diesen Effekt in einer empirischen Studie am Beispiel des Erwerbs einer manuellen Fertigkeit (Maschinenschreiben) in den 1970er-Jahren bestätigen können (Baddeley & Longman, 1978). Katherine Rawson und Walter Kintsch (2005) replizierten in einer Stichprobe von Studentinnen und Studenten, die wissenschaftliche Texte lesen und behalten sollten, diesen Befund für das Lernen aus Texten. Vor allem für das längerfristige Behalten, so die Erkenntnis der Wissenschaftler, ist das verteilte Lernen wirksamer als das massierte. Im Wesentlichen besagt der Effekt der verteilten Übung, dass es sinnvoller ist, die insgesamt aufgewendete Lernzeit auf unterschiedliche Zeitintervalle zu verteilen und dazwischen Pausen einzulegen, als sie in einem einzigen Zeitblock zu bündeln. Konkrete Empfehlungen, wie groß die Zeitabstände zwischen diesen Intervallen sein sollten, lassen sich aus den Studien allerdings nicht ableiten.
Übung ist notwendig, weil durch das wiederholende Üben die neu gelernten Kenntnisse und Fertigkeiten automatisiert werden. Am Beispiel des verstehenden Lesens lässt sich das gut illustrieren: Ein im Lesen noch ungeübter Schüler erliest einen neuen Text nur langsam und stockend. Buchstaben für Buchstaben wird er zunächst in Laute transformieren, aus den zusammengezogenen Lauten und Silben Sinneinheiten (Wörter), aus den einzelnen Wörtern noch größere Sinneinheiten (Sätze) konstruieren. Bei der begrenzten Kapazität des Arbeitsspeichers – hier ist vor allem die phonologische Schleife gefordert, von der später noch ausführlich die Rede sein wird – kann der ungeübte Leser anfangs nur mühsam, wenn überhaupt, zu höheren Verstehensleistungen auf der Satz- und Textebene vordringen. Deshalb dürfen die Sätze und Texte anfangs nicht zu lang sein und nicht zu viele unbekannte Wörter enthalten. Mit anderen Worten: So lange die Prozesse der Worterkennung noch so viele Verarbeitungsressourcen beanspruchen, kommen die höheren Verstehensprozesse auf der Satz- und Textebene zu kurz. Erst wenn die basalen Dekodierprozesse auf der Wortebene durch vorangegangenes Üben und Wiederholen weitgehend automatisiert vonstattengehen – viele Wörter also direkt erkannt und nicht mehr lautierend erlesen werden müssen –, werden die notwendigen Ressourcen für das verstehende, sinnentnehmende Lesen frei.
Übung allein genügt aber nicht, weil es Grenzen der Übungseffizienz gibt. Das wird vor allem deutlich, wenn es um den Erwerb einer besonderen bereichsspezifischen Expertise geht. Natürlich haben herausragende Experten, sei es im Sport, in der Musik, in einem Handwerk oder in den Wissenschaften, auf dem Weg zu ihrer Expertise viel Zeit mit dem angeleiteten, später selbstständigen Einüben von Fertigkeiten verbracht. Dennoch kann nicht jeder von uns in jedem Bereich allein durch Übung zum Experten werden. Individuelle, teils dispositional-angeborene, teils in der intensiven Nutzung früher Lerngelegenheiten begründete Unterschiede zwischen den Lernerinnen und Lernern beeinflussen ebenso das spätere Leistungsvermögen, wie die investierte Anstrengung und die Übungszeit. Wichtig ist allerdings in der Tat, dass dem Wiederholen und Üben am Ende eines jeden Lernprozesses die notwendige Bedeutung und die dafür benötigte Zeit eingeräumt werden. Am Ende – und nicht zu Beginn des Lernens! Denn das Auswendiglernen und Üben darf erst nach dem Verstehen stattfinden – sonst wird behalten, was zuvor nicht verstanden wurde.

Macht Lernen intelligent?

Lernen hat auch mit Intelligenz zu tun, aber was genau? Ist Intelligenz nichts anderes als das Ausmaß der angeborenen Lernfähigkeit eines Individuums, oder wird man erst durch Lernen intelligent...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort zur 2. Auflage
  6. Einleitung: Lernschwierigkeiten als Bildungsrisiken
  7. 1 Wie Kinder lernen
  8. 2 Bildungserfolg – wie ungleich Lernergebnisse sind
  9. 3 Ursachen – wieso Lernschwierigkeiten entstehen
  10. 4 Diagnose – wie schwer das Lernen fällt
  11. 5 Prävention – wie sich Lernschwierigkeiten vermeiden lassen
  12. 6 Intervention – wie sich Lernschwierigkeiten behandeln lassen
  13. 7 Inklusiv oder nicht – wo Kinder am besten lernen
  14. Lernschwierigkeiten in der Lehrerbildung
  15. Literatur
  16. Der Autor
  17. Stichwortverzeichnis