Wie Menschen entscheiden
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Wie Menschen entscheiden

Anspruch und Wirklichkeit

  1. 239 Seiten
  2. German
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Wie Menschen entscheiden

Anspruch und Wirklichkeit

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Wir Menschen müssen täglich eine Vielzahl von Entscheidungen treffen. Dabei wollen wir optimal, nicht widersprüchlich und möglichst ohne unerwünschte Beeinflussung von außen entscheiden. Manchmal sollen unsere Entscheidungen zusätzlich noch hehren gesellschaftlichen und/oder nachhaltigen Zielen genügen. Unsere Ansprüche und die Wirklichkeit klaffen jedoch oft weit auseinander. Das gilt dann noch verstärkt, wenn wir z. B. als Manager oder Politiker für andere Entscheidungen treffen sollen.Die wissenschaftlich belegten Hintergründe für unser Scheitern sind uns oft nicht bekannt und das Bewusstsein für die damit verbundenen Probleme ist wenig vorhanden. Das Buch erläutert eben jene Hintergründe und zeigt anhand anschaulicher, unterhaltsamer Praxisbeispiele die Bedeutung der Thematik. Darüber hinaus werden Leitlinien angeboten wie tendenziell "besser" entschieden werden kann.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783170311657

1 Unsere Entscheide – Selbstbild und Ansprüche

Das Leben besteht aus der Summe aller Entscheidungen.
Albert Camus

1.1 Selbstbild …

Wir treffen jeden Tag tausende von Entscheidungen. Gleich nach dem Wachwerden entscheiden wir, wann wir aufstehen, was wir frühstücken, was wir anziehen etc. Die meisten unserer Entscheide geschehen unbewusst. Viele Entscheidungen – wir greifen nach dem Handtuch, um uns abzutrocknen, wir halten bei einer roten Ampel, wir grüßen manchmal auch andere, ohne sie bewusst wahrzunehmen – werden routinemäßig getroffen, während sich parallel bewusste Denkprozesse vollziehen. Allen Entscheidungen gehen Einschätzungen von Situationen, Personen, Objekten voraus. Wir beurteilen in Millisekunden, ob fremde Menschen uns freundlich gesonnen sind, ob wir sie leiden können etc. oder ob eine Situation für uns gefährlich werden könnte. Auch wenn wir nicht unmittelbar sichtbar nach außen agieren, so fallen erste Entscheide für ein mögliches späteres Handeln: Wenn uns jemand sympathisch ist, so werden wir ihn vielleicht später ansprechen; erscheint uns eine Situation gefährlich, so bleiben wir in angespannter Haltung etc.
Einen kleinen Teil unserer Entscheide nehmen wir bewusst wahr. Vor allem bei »Nicht-Routinehandeln« kommt unser Bewusstsein »ins Spiel«. Immer wenn wir mit etwas Ungewohntem konfrontiert sind, bei dem es um die komplexere Bearbeitung von Zusammenhängen geht, wird Bewusstsein benötigt. Für detaillierte Wahrnehmung, Vorstellung und Erinnerung sowie für die komplexe Problemlösung, Detailplanung und Kommunikation ebensolcher Sachverhalte brauchen wir Bewusstsein. Die meisten Menschen haben bestimmte Vorstellungen über ihr Entscheidungsverhalten und ihr Entscheidungsvermögen. Es gibt ein bestimmtes Selbstbild:
• Wir gehen davon aus, dass wir unsere bewussten Entscheide, zumindest die, deren Konsequenz für uns und andere eine gewisse Tragweite besitzen, letztlich Kraft unseres Verstandes »rational« entscheiden: Vor- und Nachteile werden bewusst abgewogen und Verstand und Vernunft determinieren den Entscheid. Emotionen wird zwar Einfluss zugebilligt, aber in wichtigen Fragen – so unsere Vorstellung – obsiegt die »Ratio«.
• Wir billigen uns einen freien Willen zu – in dem Sinne, dass wir – angekommen in einer bestimmten Situation und ausgestattet mit einer genetischen Prägung und einer spezifischen Sozialisation – zwischen Alternativen A, B etc. »frei« wählen können.
• Die meisten von uns würden zustimmen, dass Körpergröße, Haarfarbe, Gesichtsform etc. genetisch bedingt sind. Unser Entscheidungsverhalten – z. B. bei Wahlen oder bei Entscheiden für Lebenspartner – wird weniger mit Vererbung in Zusammenhang gebracht.
Die Wissenschaft spricht bezüglich der genannten Aspekte eine andere Sprache. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass alle unsere Entscheide von unserem limbischen System, dem Sitz unserer Emotionen, determiniert werden. Entscheide und Bewertungen, die in unser Bewusstsein dringen, werden unbewusst in diesem Hirnareal gesteuert und dort entschieden. Auch einen freien Willen in der genannten Form gibt es nicht. Ebenso ist wissenschaftlich geklärt, dass unser Entscheidungsverhalten wesentlich schon durch unsere genetische Disposition geprägt ist.
Eine Gemengelage verschiedener Faktoren definiert aus psychologischer Sicht unser Entscheidungsverhalten. Dazu gehören z. B. Charaktermerkmale, Einstellungen, Emotionen, unterschiedlichste – zum Teil auch »sehr niedrige« – Motive oder auch vorhandenes Wissen und Informationen. Auch unsere kognitiven Fähigkeiten – unser IQ, unsere emotionale Intelligenz – beeinflussen unsere Bewertungen und Entscheidungen maßgeblich. Nicht zuletzt bestimmen »Relikte aus der Steinzeit« die Qualität unserer Entscheide: Wir benutzen Heuristiken, die die Evolution herausgebildet hat. Sie sagen uns in Anbetracht des Gesichtsausdrucks, der Körperhaltung etc. von anderen was unsere beste Reaktion ist. Unsere Vorurteile basieren auf diesen »mentalen Abkürzungen« unseres Gehirns, die früher immer nützlich für schnelle Entscheide waren und in der heutigen Zeit teilweise höchst kontraproduktiv sind.
Alle genannten Einflussfaktoren spielen eine Rolle und sind offensichtlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt. In der Konsequenz bedeutet dies, dass bei zwei gleichaltrigen Menschen mit gleichem Geschlecht, gleichen kognitiven Fähigkeiten, gleichen Informations- und Wissensständen, aber verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Risikoeinstellungen) eine Alternative völlig unterschiedlich entschieden wird. Oder: Dass zwei Menschen, die sich nur durch etwas andere Einstellungen unterscheiden, verschiedene Parteien wählen etc. Oder: Weil sie jeweils in einer Stadt bzw. mit einem bestimmten Verein aufgewachsen sind, beurteilen zwei Fans das Spiel der eigenen jeweils Mannschaft besser – und ihr Gehirn findet Begründungen, die das Bessersein »objektiv« darlegbar macht.

1.2 …und Ansprüche

Nun kann man sich auf folgenden Standpunkt stellen: Um ein Auto zu benutzen, einen Computer oder ein Medikament zu verwenden, muss man nicht Ingenieurwissenschaft, Informatik oder Medizin studiert haben. Also ließe sich folgern, dass man zum Entscheiden auch nicht psychologische, neurobiologische u. a. Erkenntnisse über Entscheidungsprozesse parat haben muss. Das Argument erscheint nachvollziehbar, ist aber nur bedingt zutreffend. Denn wir haben Ansprüche an unser Entscheidungsverhalten und vor allem an die Entscheidungsqualität. Wir möchten z. B. im Sinne unserer Ziele »richtig« oder »optimal« entscheiden. Viele haben den Anspruch, bei gleichen Entscheidungssituationen widerspruchsfrei zu agieren – also nicht in einzelnen Fällen für etwas Bestimmtes zu sein und im analogen Fall Gegenteiliges zu behaupten. Fünf Ansprüche kann man darlegen:
• Wir möchten jene Alternativen wählen, die im Hinblick auf unsere Ziele »gut«, »richtig« oder »optimal« sind. Ziele für Entscheide können – so werden wir noch ausführlich erläutern – von uns selbst oder von außen – durch die Gesellschaft, z. B. in Form von Gesetzen, durch Unternehmen oder andere Organisationen, gesetzt werden. Auch dort sollten wir, wenn wir als Angestellte oder Dienstleister agieren – den Anspruch haben, gemessen an Zielen richtig zu entscheiden.
Trivialerweise besteht bei geringen Informationen oder wenig Wissen immer die Gefahr des Fehlentscheids. Diese Problematik steht hier weniger zur Debatte. Wir verfehlen unseren Anspruch des optimalen Entscheidens auch, weil unsere kognitiven Fähigkeiten nicht ausreichen oder unsere »mentalen Abkürzungen« uns in die Irre führen: Schemata und Heuristiken, die in grauer Vorzeit sinnvoll waren, sind es heute nicht mehr unbedingt. Wenn es früher noch sinnvoll war, der »Herde« zu folgen, kann das uns heute zum beträchtlichen Nachteil gereichen. Über 100 sogenannte Verzerreffekte, die sich negativ auswirken können, wie Haloeffekt, Framing, Recency-Effekt etc. sind bekannt und erforscht. Beim Ankereffekt, den wir noch ausführlich vorstellen werden, lässt sich sogar zeigen, dass er relativ unabhängig von der Intelligenz der Entscheider wirkt. Aber auch andere Aspekte wie emotionale Befindlichkeiten – Wut, Ärger etc. – oder überkommende Einstellungen und Werte hindern uns, eigene bzw. im Sinne unserer Auftraggeber adäquate Entscheide zu treffen.
Fehlentscheide sind auch in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Raum an der Tagesordnung und nehmen unter Umständen kaum vorstellbare Größenordnungen an. In der Wirtschaft stellen wir riesige Verluste und Wertvernichtung bei Unternehmen fest. Analog sind in öffentlichen Bereichen Ressourcenverschwendungen und Fehlplanungen in der Diskussion. Sicherlich spielen viele der oben genannten Faktoren wie Intelligenz, Wissen etc. dabei ebenfalls eine Rolle. Oft liegt allerdings bei Unternehmen oder im öffentlichen Bereich eine weitere zentrale Problematik zugrunde: Auftraggeber und die von ihnen eingesetzten oder gewählten Entscheider haben meist nicht die gleichen Interessen wie die Auftraggeber. Zudem haben die Entscheider oft Wissens- und Informationsvorsprünge. Das beschert uns den sogenannten Principal-Agent-Konflikt. Der zweite Anspruch lässt sich wie folgt charakterisieren:
• Wir haben den Anspruch, Objekte oder Situationen konsistent zu beurteilen. Bei identischen Sachverhalten und Ausgangsbedingungen sollte eine Entscheidung gleich ausfallen.
Auch hier spricht die Realität eine deutlich andere Sprache. Wir legen z. B. Wert auf Political Correctness und achten peinlichst darauf, diskriminierende Begriffe nicht zu verwenden, gleichzeitig leben wir auf Kosten von Kinderarbeit und Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt. Wir lehnen Drogenkonsum, sexistisches Verhalten, Aggressionen ab, finden aber bestimmte Musiker, Schauspieler etc. gut, die diese Verhaltensweisen leben. Wir bevorzugen tendenziell attraktive Menschen bei Dienstleistungen, bei der Karriere u. a. Entsprechend benachteiligen wir hässliche oder solche Menschen, die weniger »adrett« auftreten. Wir würden ebenso eine faire Gleichbehandlung anderer für uns in Anspruch nehmen. So auch die Ärzte, bei denen Intensität und Zeit bei der Behandlung von Patienten im Rahmen einer Studie untersucht wurde. Weniger attraktive Menschen wurden weniger intensiv untersucht – unter Umständen mit entsprechender Folge für deren Gesundheit. Der nächste Anspruch betrifft unsere (Un-)Beeinflussbarkeit bei Entscheiden:
• Wir sehen uns auch als Entscheider, die sich im Zweifel und zumindest bei wichtigen Entscheiden, nicht durch andere manipulieren lassen.
Unser Selbstbild hinsichtlich unserer Unabhängigkeit ist bei weitem nicht zutreffend. Die Arten der Einflussnahme sind vielfältig. Werbung hat einen immensen Einfluss auf unsere Kaufentscheide – wenn man sich nur überlegt, dass durch die Etablierung eines Markennamens Produkte zu einem viel höheren Preis gekauft werden wie nachweislich von den Inhaltstoffen her identische Produkte. Medien, gerade wenn kein breites Spektrum an Medienmeinung in einem Staat erkennbar oder zugelassen ist, haben ebenfalls einen erheblichen Einfluss. Je nachdem, ob man z. B. in Deutschland, Russland oder der Schweiz lebt und die lokalen Medien nutzt, hat man recht unterschiedliche Informationen zu Themen wie Ukraine oder Syrien. Unter Umständen – wenn ein Land oder eine Krisenregion nicht im Fokus der Medien ist – hat man vielleicht gar keine explizite Meinung: Die Agenda der Medien bestimmt nämlich, worüber wir überhaupt diskutieren. Einflussnahme geschieht im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld oft über Korruption und Lobbyismus. In unzähligen Fällen lässt sich nachweisen, wie Manager und öffentliche Entscheidungsträger in ihrer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung beeinflusst wurden. Die Einflussnahme hängt von der Macht der Beeinflusser ab. Eine Lobbyorganisation ist nur so stark wie die dahinterstehende wirtschaftliche Macht. Überhaupt scheint Macht ein zentraler Faktor für das Zustandekommen vieler Entscheide zu sein: Wenn Entscheide in einer Gruppe oder zwischen Konfliktparteien getroffen werden müssen, kommt Macht eine überragende Bedeutung zu. Ein weiterer Anspruch betrifft die Frage, ob und wie wir andere Menschen und die Ökologie bei unseren Entscheiden berücksichtigen:
• Die meisten Menschen würden den Anspruch erheben, nicht rein »egoistisch« zu entscheiden. Die Bedeutung von Ökologie und sozialen Belangen wird betont. Was im privaten Bereich gilt, ist für öffentliche Entscheide ein Muss. »Nachhaltigkeit«, »Gerechtigkeit« oder die Wahrung von Menschenrechten werden als zentrale Entscheidungsgrundlagen manifestiert.
Hier klaffen ebenfalls Anspruch und Wirklichkeit teilweise eklatant auseinander. Unsere Entscheide im privaten Bereich, z. B. bei unserem Konsumverhalten, offenbaren, welche Bedeutung wir tatsächlich der Umwelt und anderen Menschen beimessen. Wir leben weit über unsere Verhältnisse: In den Industrieländern verbrauchen wir ein Vielfaches der Ressourcen, die die Natur wieder regenerieren kann. Viele Entscheide in Sachen Nachhaltigkeit bei Unternehmen zeigen sich als reines »Greenwashing«. In puncto Menschenrechte werden durch Politiker gebetsmühlenartig Forderungen an diktatorische Staaten herangetragen. Dennoch werden an eben jene Staaten Waffen verkauft und andere Geschäfte mit der Elite des Landes ausgehandelt. Es gibt noch einen weiteren Anspruch – zumindest in einer Welt, die sich auf die »Aufklärung« und wissenschaftliche Erkenntnisse beruft:
• Die Leitlinien und die Ziele, welche den Rahmen für unsere Entscheide bilden, sollten auf eben jenen wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren oder zumindest ihnen nicht grundlegend widersprechen. Ebenso wäre davon auszugehen, dass die Methoden und die Daten, welche zur Lösung von Fragestellungen herangezogen werden, auf dem Stand des Wissens fußen.
Bei diesem Anspruch geht es wohlgemerkt weniger um rein persönliche Ziele und Herangehensweisen. So macht es wenig Sinn, z. B. bei Entscheidungen über Kleidungsstücke oder das Eingehen einer Freundschaft mit Wissenschaftlichkeit zu operieren. Allerdings kann man im Berufsleben erwarten, dass sich die Berufstätigen auf aktuelle Wissensstände ihres Berufsstandes abstützen. Ähnlich sollten Politiker sowohl bei den von ihnen verwendeten Lösungsansätzen als auch bei den von ihnen vorgetragenen Zielen aktuelles Wissen nutzen. Insbesondere ist wohl zu erwarten, dass solche Entscheider nicht grundlegende Erkenntnisse, die seit der Aufklärung gewonnen wurden, konterkarieren. Diese eher selbstverständlichen Ansprüche scheinen des Öfteren nicht realisiert. Wir beziehen uns dabei nicht auf Staaten, die von vornherein Wissenschaft der Religion unterordnen, dort sind solche Ansprüche erst gar nicht zu erwarten. Man denke aber in unserer aufgeklärten Welt z. B. an den »Kreationismus«: Der ehemalige Präsident George W. Bush sprach sich für diese Lehre im Fach Biologie aus und jeder achte US-Biologielehrer lehrte 2008 Kreationismus (vgl. Welt24 2008). Aber dieses Phänomen findet sich nicht nur in den USA, auch in Europa scheint sie sich zu verbreiten (vgl. Blancke/Kjærgaard 2016). Zur Aufklärung gehört die Trennung von Kirche und Staat. Wie der Islamwissenschaftler Bassam Tibi (vgl. Tibi 2015) feststellen, findet in manchen Ländern in Folge des zunehmenden Anteils der muslimischen Bevölkerung eine Entsäkularisierung statt. Der Islam und viele seiner Vertreter setzen eine Agenda, die von Politikern und anderen Personen des öffentlichen Raums aufgegriffen wird: Anpassungen an religiöse Verbote, die im Kontext von öffentlichen Schulen vollzogen werden, Gerichtsurteile, welche geplante »Ehrenmorde« als Totschlag einstufen, Gewalt gegen Ehefrauen, die durch den »kulturellen Hintergrund zu relativieren« seien oder die Nichtveröffentlichung von Satire, die den Islam betrifft, zeigen wie sich Entscheidungskriterien und Entscheide entsprechend geändert haben.

1.3 Definition und Formen von Entscheidungen

Bislang haben wir von »Entscheid« gesprochen ohne den Begriff näher zu definieren. Jeder Entscheid besteht aus einem Prozess. Selbst bei den Fällen, in denen wir unbewusst bemerken, dass wir frieren und dann unser Körper entsprechend Bewegungen vornimmt, um nicht zu frieren, liegt ein Prozess vor, auch wenn der Vorgang nur Millisekunden dauert. Im Falle bewusster Entscheidungen steht am Anfang immer die bewusste Wahrnehmung einer »Fragestellung«: Welches Auto sollen wir kaufen, sollen wir einem Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung geben, welche Partei sollen wir wählen. Neben der gängigen Unterscheidung bewusst und unbewusst sind fünf Entscheidungstypen zu unterscheiden. Diese Unterscheidungen treffen Hirnforscher; wir werden in Kapitel 2 genauer darauf eingehen. Die Typisierung ist auch eine wichtige Grundlage für Schlussfolgerungen, die man hinsichtlich eines »besseren« Entscheidens ziehen kann. Die fünf Typen lassen sich wie folgt beschreiben (vgl. Roth 2014):
• Zunächst kann man automatisierte Routineentscheidungen nennen. Die meisten Entscheidungen unseres täglichen Lebens gehören dazu. Wir stehen auf, ziehen uns an, gehen zur Arbeit etc. Die meisten Ents...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. 1 Unsere Entscheide – Selbstbild und Ansprüche
  7. 2 Vorurteile versus Forschungsstand
  8. 3 Wann sind Entscheide richtig oder falsch?
  9. 4 Anspruch und Wirklichkeit
  10. 5 Wie besser entschieden werden kann
  11. Literaturverzeichnis