Lehren
  1. 176 Seiten
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Über dieses Buch

Die emphatische Vorstellung, dass ein Pädagoge in erster Linie ein Lehrender ist, der eine Lehre vertritt (ein Habitus des Denkens und Urteilens u.ä.) und selbst gelehrt sein sollte, damit er das Lehren überhaupt vollziehen kann, hat sich heutzutage verflüchtigt. Die Lehr-Lernforschung kann damit nichts mehr anfangen. Ihr geht es in erster Linie um ein Wissen, wie letztlich beliebige Inhalte Schülern zu vermitteln sind. Die Inhalte dienen letztlich nur der Illustration. Ähnliches gilt bei den Reformpädagogen: Das selbstgesteuerte und selbstwirksame Lernen braucht den Pädagogen nur noch als Arrangeur von Lernangeboten und eventuell noch als Lernberater, als Mediator oder als Moderator.Kernanliegen dieses Buches ist dagegen eine bildungstheoretische und bildungspraktische Rehabilitation des Lehrens und der Lehre. Das wird veranschaulicht an verschiedenen Modellen unterschiedlicher Lehrpraxen (aus verschiedenen Epochen), wobei die Beispiele für das handwerklich-technische, das ästhetisch-reflexive, das kognitive und das moralische Lehren stehen.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783170253834
Auflage
1
Thema
Bildung

1

Die Semantik: Lehren als Erfahrungshintergrund

Die Rede vom Lehren besitzt ein signifikantes semantisches Umfeld. Dieses verweist uns auf eine alltagssprachliche Weise sowohl der Prädizierung einer bestimmten sozialen Praxis als auch der Normierung von Erwartungen an diese Praxis. Dabei operieren wir mit verschiedenen Konkretisierungen des Begriffs und deren möglicher oder abgelehnter Beziehung auf das Verbindende der Praktiken des Lehrens (mit Unterbegriffen wie: Lehrmittel, Lehrinhalte, Lehrprüfung), die vom Lehren abweichenden pädagogischen Formen (Beraten, Spielen, Strafen – differentia specifica) sowie mehr implizit auf einen Oberbegriff, den wir wie ein genus proximum behandeln können: Bildung, Erziehung oder Pädagogik. Mit semantischer Selbstbesinnung bemühen wir uns um so etwas wie eine Definition. Lehren stellt eine spezifisch absichtsvolle Form der Ansprache in sozialer Kommunikation und Interaktion dar. Die gilt als legitim nur dort, wo sie explizit gewünscht ist oder wo sie institutionell (wie in der Schule) als selbstverständlich vorgesehen ist. Dass Lehren schnell zu einer übergriffigen Form des Sozialkontaktes wird, erkennt man überall dort, wo diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. Dann wird Lehren als unwillkommene Belehrung wahrgenommen. Lehren bedarf einer Autorisierung. Die alltägliche Kommunikation zwischen Erwachsenen unterstellt im Normfall eine Symmetrie der Kommunizierenden. Diese ist beim Lehren nicht mehr gegeben. In der Regel lehrt jemand jemanden etwas, was dieser noch nicht beherrscht, Letzterer wird damit zum Lehrling eines Lehrenden. In Abhängigkeitsverhältnissen kann befohlen und angewiesen werden, in Marktbeziehungen gekauft und verkauft oder einfach getauscht werden, in pädagogischen Verhältnissen ist einer der Modi des hier zugrundeliegenden hierarchischen Verhältnisses das Lehren. Hier will jemand etwas gelehrt bekommen, ein Lehrer möchte etwas beibringen. Am besten ist es, wenn beide sich in diesem Interesse treffen. Lehren findet aber auch statt, wo diese Voraussetzung nicht gegeben ist. Das gilt so auch für das Lernen, das zustande kommt ohne Anleitung durch einen Lehrer.
Lehren eignet sich als pädagogischer Oberbegriff für eine Fülle von Operationen einer Person, die sich mit ihnen zum Lehrer macht. Wo diese etwas zeigt, vormacht, zu etwas anleitet, etwas erklärt, üben lässt u. Ä. m., kann man von Ausdrucksformen des Lehrens sprechen. Wo sie prüft, straft oder lobt, ist schon nicht mehr eindeutig von Akten des Lehrens zu sprechen, eher schon von unterstützenden Maßnahmen, vielleicht von Ersatzhandlungen, mit denen dem Lehren aufgeholfen werden soll. Dann wird mit der drohenden Prüfung das notwendige vorgängige Lehren gerechtfertigt. Strafen und Loben leisten ebenfalls motivationale Hilfen für die Aufnahmebereitschaft einer Lehre, aber sie sind als solche nicht schon Lehren. Sie können aber dem Schüler als eine »Lehre« dienen, womit er erzogen, ihm aber nicht mehr etwas Fachliches vermittelt wird. Wer mit Schülern diskutiert und das nicht als didaktischen Trick versteht und behandelt, der lehrt nicht mehr, sondern stellt sich mit den Adressaten auf eine Stufe. Es wird nach dem besten Argument entsprechend der gemeinsam geteilten »Logik des besseren Arguments« gesucht. Standpunkte werden vertreten, die als solche nicht hierarchisch geordnet sind: je nach dem Status der Person, von der sie stammen. Diskussionen sind lehrreich, aber nicht als Lehren misszuverstehen. Ebenso ist es mit dem Spielen. Der Lehrende, der Lernende spielen lässt, lässt diese nicht wirklich spielen, auch wenn er mitspielt. Die funktional zu Spielenden Gemachten spielen nicht mehr wirklich. Und natürlich sind Spiele nicht selten äußerst lehrreich, aber eben nicht mit dem Lehren von etwas zu verwechseln. Wer bloß anweist, lehrt noch nicht, sondern setzt seine Macht ein, um jemanden zum Tun von etwas zu bewegen. Der Unteroffizier lehrt ebenso wenig wie der Lehrer, wenn er bloß Befehle erteilt. Wer berät und dabei ernst nimmt, dass ein Ratschlag nicht Schläge für den Beratenen bedeuten darf wie auch nicht eine das Bewusstsein umgehende Manipulation, belehrt nicht mehr, er hilft, vielleicht erzieht er zur Selbständigkeit, vielleicht verstärkt er aber auch Unselbständigkeit. Indem er berät, lehrt er nicht mehr.
Die nähere Bestimmung des Lehrens verlangt damit nach zwei weiteren Elementen. Lehren als Tätigkeit erfordert eine Person, die damit ausgewiesen wird, den Lehrer/die Lehrerin, und eine Sache, die mit dem Tun (Lehren) noch nicht bestimmt ist: die Lehre. Lehren enthält einen methodischen Teil, die Lehrmethode, wie auch einen inhaltlichen Teil, die Lehrinhalte. Das eine wird gerne gegen das andere ausgespielt, so dass das Wie sich vor das Was oder das Was sich vor das Wie schieben lässt, womit Selbstverständnisse des Lehrens, ja solche der Pädagogik, pointiert werden können.
Der Lehrer/die Lehrerin heute ist vor allem der angestellte oder beamtete Pädagoge, der in einer Schule unterrichtet. Der Erzieher/die Erzieherin arbeitet dagegen in einem Kindergarten oder einer anderen sozialpädagogischen Einrichtung. Das bedeutet nicht, dass der Lehrer nicht auch erzieht, oder auch nicht, dass Kindergärtnerinnen den Drei- bis Sechsjährigen nichts beibringen würden. Aber der Lehrer ist vor allem der Schüler-Unterrichtende, und der Erzieher erzieht die Kinder, während er vor allem die Spiele oder das Malen der Kinder arrangiert. Der Lehrer als der Schulmeister wird oder wurde vor allem in der Volksschule als solcher bezeichnet, während sich die anderen Lehrer gerne anders bezeichnen lassen, sei es als Berufsschullehrer oder als Studienräte. Womit schon etwas anderes indiziert werden soll als das grundlegende, einfache Lehren. Der Berufsschullehrer, heute selbst ein Studienrat, theoretisiert das berufliche Tun, der Studienrat berät die bereits so nobilitierten Studien seiner Gymnasialschüler. Das verleiht dem Lehrer bereits etwas Höheres. Das Höchste findet folglich dort statt, wo Lehren in der Hochschule angekommen ist. Dann erlaubt man sich in Deutschland vom Hochschullehrer zu sprechen, womit ausgedrückt werden soll, dass erst dieser es wirklich mit Studien zu tun hat, die die Studenten durchzuführen haben. Studien sind die Aufgaben, die der Professor stellt, deren Umsetzung aber nicht mehr unterrichtet werden muss, sondern eigenständig durch die Studenten erfolgen sollte. In diesem Sinne hat der Hochschullehrer im Geiste Humboldts keine schulische Lehrfunktion mehr. Er ist Professor, ein Forscher und Lehrer in einer Person, womit die Studien, die er anleitet, aus Erkenntnissen stammen können, die er selbst forschend erarbeitet hat.
Der Studienrat hat sich früher oft damit profiliert, dass er als Dr. phil., und damit als graduierter Akademiker, eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten nachgewiesen hatte und Lehrwerke schrieb. Das ist heute selten geworden. Der Philologe im Gymnasium ist nicht mehr unbedingt ein solcher, der mit der Analyse und der Edition von Texten hervorgetreten ist. Das dürfte das Lehren in der höheren Schule mit prägen, das nicht mehr die forschend produktive Auslegung von Texten ist, sondern die Vermittlung von Kategorien, mit denen etwa Textsorten unterschieden werden. Lehren ist die Einführung in Klassifikationen, Regeln, Techniken, Formeln, Schemata, Figuren und deren reproduktive Einübung. Sie nähert sich damit der Kunde an, die in den Berufen als Sammlung des berufsspezifischen Wissens, seiner Ordnung und Anwendung auftritt.
Die materiale Gestalt der Kunde ist bis heute das Lehrbuch. Lehrwerke sind in der Schule vor allem Arbeitsbücher geworden. In ihnen wird das fachliche Wissen mit oft gewaltigem didaktischen Aufwand so vereinfacht zum Lernstoff, dass eine fachliche Lehre im Sinne wissenschaftlicher Erkenntnisse fast ausgeschlossen ist. Schüler werden in die Regeln der Aufgabenbearbeitung eingewiesen, aber nicht mehr mit der Lehre oder Kunde von etwas umfassend verwickelt. Modelle werden so vereinfacht, dass die in sie eingegangene Lehre oder Kunde nicht mehr zu erkennen ist. Wissenschaftliche Lehrbücher sind heute vielfach Kopien solcher Schulbücher, nicht mehr unbedingt wissenschaftliche Monografien, die die Darstellung von Wissenschaftsgebieten, Theorien, Arbeitsfeldern, Paradigmen der Forschung u. Ä. m. enthalten. Als einführende Lehrwerke stellen sie nicht mehr unbedingt die Synthese aus eigenen Forschungen dar. Letztere aber würden erst legitimieren, dass der moderne Hochschullehrer auf einer Lehrkanzel sitzt bzw. einen Lehrstuhl besetzt. Er hat die »venia legendi« erhalten, also die Lehrbefugnis in seinem Fach, deren schwacher Abglanz beim Schullehrer das Staatsexamen ist. Während dieses in einem bürokratischen Akt abgenommen wird, stellt jene eine Initiation in die Wissenschaft dar. Die Venia erhebt den Hochschullehrer in den Stand der eigenverantworteten Lehre, in die darf keiner mehr ordnend eingreifen, nicht in sie hineinreden. Hier ist die Lehre frei geworden, und der Hochschullehrer ist damit auf die Einheit von Forschung und Lehre verpflichtet. Die Freiheit ist gebunden an die unbedingte Suche nach Wahrheit der Erkenntnis, die in der Moderne nur noch als dynamisch fortschreitende zu denken ist. Freiheit ist damit das Gegenteil von subjektiver Beliebigkeit.
Dieses Ethos unterscheidet den Professor deutlich vom Lehrer der öffentlichen Schule. Während der Gymnasiallehrer noch die beiden Wissenschaften studiert haben sollte, die er in der Regel mit seiner »facultas« unterrichtet, ist dies mit der kürzeren fachübergreifenden Vorbereitung auf niedere Lehrämter nicht entsprechend der Fall. Die meisten Lehrer sind damit so ausgebildet, dass sie nach dem Studium zwischen Borke und Stamm operieren müssen. Sie haben von beidem zu wenig: Sie sind nicht fachlich gut genug gerüstet, die Inhalte ihrer Fächer in der vollen Zuständigkeit für ihre wissenschaftlichen Voraussetzungen zu unterrichten, und sie sind auch in die Didaktik als Vermittlungswissenschaft nicht ausreichend eingewiesen bzw. eingedrungen, so dass sie kompetent darüber verfügen würden, womit bei Schülern zu rechnen ist, wenn man ihnen dieses und jenes als Schulstoff zu vermitteln versucht.
Je jünger die Schüler sind, desto weniger verfügt der Lehrer schon mit der fehlenden Intensität und Extensität seiner akademischen Vorbereitung über avancierte Vorkenntnisse. Das wird auch damit gerechtfertigt, dass die Lehre der Inhalte in den ersten Jahren einfacher und anspruchloser sei als die in einem Leistungskurs der Oberstufe. Während die Lehre in den frühen Klassen vor allem im Erwerb der Grundlagen des Wissens und für das Wissen besteht, der Einführung in Schrift, Zeichen, Zahl und Symbol, wird in den späteren Jahren die allgemeine Bildung durch die Vorstellung der verschiedenen Bildungsbereiche der Welterschließung propädeutisch, um in der beruflichen Spezialisierung oder der Wissenschaftspropädeutik zu enden. Damit verschieben sich die Lehrinhalte wie die Methoden.
Lehren ist auf die Vermittlung von Inhalten und Methoden verwiesen. Aber der Lehrer tut ungleich mehr als bloß zu lehren, ja man kann heute deutlicher sagen als noch vor nicht langer Zeit, dass das Lehren zunehmend sekundär zu werden droht gegenüber anderen Tätigkeiten, die der Lehrer zu erfüllen hat. Die Steigerung der Aufgaben fing an mit der Wiedererinnerung an die Erziehungsaufgabe anlässlich der erlebten und skandalisierten Erziehungsdefizite, mit denen Kinder in die Schule kommen. Sie ging weiter mit der Ausweitung der Arbeit des Lehrers zum Berater, Diagnostizierer, Schulentwickler usf. Der Lehrer heute also wird keineswegs auf den Kern seines Geschäfts bezogen, das Lehren. Auch innerhalb der Unterrichtstätigkeit kann man nicht davon ausgehen, dass dort das Lehren unbedingt zentral wäre. Unterricht wird finalisiert, und man kann sagen, heute stärker wohl als früher, auf die Prüfung und Testierung von Schülerleistungen. Das Unterrichten wird ausgerichtet auf und durch die Formate, mit denen Leistungen festgestellt werden. Das führt zu der merkwürdigen Situation, dass die Zeit zum Lehren von etwas immer geringer wird gegenüber dem Aufwand des Testierens wie auch jener anderen Aufgaben, die der Unterrichtende zu erfüllen hat. Das gegenwärtig so stark betonte »Classroom-Management« arbeitet sich an dieser Zerstreuung des Unterrichts und der Reduktion der Zeit zum Lehren ab. Hinzu tritt, dass die den Lehrern angediente Lehrmethode gegenwärtig mit der selbstdestruktiven Parole arbeitet, der Lehrer möge weniger lehren, damit die Schüler mehr lernen. Insbesondere darauf ist zurückzukommen (
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Kap. 4
).
Damit sind wir bei dem Zentralbegriff angekommen, mit dem komplementär eine Unterscheidung zum Lehren vorgenommen wird, dem des Lernens. Lernen soll durch Lehrer ermöglicht werden. Das Lehren geht auf, löst sich auf und erfüllt sich produktiv im erfolgreichen Lernen des Schülers. Lehren geht dabei in vielfacher Weise über in das Lernen, je nachdem, welche Lehre mit dem Lehren erteilt werden soll. Dominant ist bis heute die Vorstellung von einem Kontinuum von Lehren und Lernen, einer Art Komplementärverhältnis oder Abbildung des Gelehrten im Gelernten. Auch darauf wird gesondert zurückzukommen sein (Kap. 2). Das damit einhergehende Versprechen erscheint als so unverzichtbar, wie es zugleich das eher unwahrscheinliche Ergebnis des Lehrens darstellt.
Die Vorstellung von einem inszenierten Kontinuum zwischen Lehren und Lernen ist aber bereits eine Engführung, sobald man sich bewusst macht, dass Lehren in der Form einer Lehre wie in der Person eines Lehrers auf viel mehr verweist als auf die schlichte Übertragung eines Stoffes auf einen Schüler. Lehren, als Lehre begriffen, enthält primär die Vorstellung von einem festgefügten System von Wissen, Einsichten, Methoden, Kenntnissen, Fähigkeiten. Sie kann aber auch verstanden werden als eine Form der Beeinflussung, der Habitusbildung, der moralischen und oder ästhetischen Einstimmung. Jedenfalls haben sich Klassiker der Pädagogik wie Herbart gerade daran versucht.
Das »Das soll dir eine Lehre sein!« mag jemand erzieherisch vorbringen. Er setzt mit der Mischung aus abstrafender Drohung und Hoffnung auf eine gesteigerte Einwirkung. Wer in eine Lehre geht, unterwirft sich einem Regime der Einübung und der Ausbildung von Fähigkeiten, einer disziplinierten, konsequenten Abarbeitung von typischen Aufgaben des Berufs und der Inkorporierung eines Standards, mit dem der Professionelle sich ausweist gegenüber dem Laien.
Dermaßen rigide wird es in der Schule nicht zugehen. Wenn dort von Lehre die Rede ist, so ist damit vor allem das Lehrpensum in den Fächern gemeint. Die Verschiebung von Erwartungen ist auch deswegen interessant, als damit der Lehrer in der Schule vor allem als »Zirkulationsagent« (Adorno) kenntlich wird, der nur begrenzt für das einsteht, was er unterrichtet. Von ihm wird erwartet, dass er über die Sache verfügt, die er lehrt, vor allem, dass er weiß, wie er sie an den Schüler/die Schülerin heranbringen kann. Aber er ist kein Meister, der es zu der optimalen Ausbildung der zu lehrenden Fähigkeiten gebracht hat. Dass der Lehrer für eine besondere Form der Lehre seines Faches stehen würde, lässt sich nur bei solchen Lehrenden erwarten, deren Besonderheit gegenüber bloßen Vermittlern damit kenntlich wird: Man mag sich vor allem an solche Lehrer erinnern, die aus der Sache, die sie vertraten, und der Art und Weise, wie sie es taten, sich zu Trägern eines entfalteten Wissens machten.
Das Lehren als schulische Tätigkeit hat wegen der nicht unbedingt vorauszusetzenden Meisterschaft ein schillerndes Renommee. Auf der einen Seite ist es bloße Weitergabe des Einmaleins, des Wissens aus zweiter Hand. Auf der anderen Seite aber steckt gerade in der Weitergabe etwas hoch Bedeutsames. Ohne das erfolgreiche Lehren würde der Erkenntnisstand der Menschheit schrumpfen. Was nicht lehrbar ist, wird vergessen, es geht verloren. Weswegen es mit der Expansion des potenziell Lehrbaren beim Lehren um eine höchst schwierige Selektion geht. Aus dem Universum von Wissensinhalten sind diejenigen herauszunehmen, welche die Tradierung des Wissens als Ganzes ermöglichen und damit dessen weiteren Ausbau. Insofern haben die Lehrenden eine unerhörte Verantwortung. Und damit nimmt nicht mehr wunder, dass der Lehrer in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten in höchstem Ansehen stand. Er war der Bewahrer der Kultur mit der Sicherung ihrer Überlieferung. Möglich, dass sich davon bis heute etwas erhalten hat. Denn in einem besonnenen Sinne wird auch dem Lehrer noch immer diese Funktion zugutegehalten.
Auf der anderen Seite aber ist der Lehrer und das Lehren mit all dem Negativen belastet, was die Schüler von ihm übernommen und mit ihm erlebt haben. Die von Adorno heuristisch erinnerten »Tabus über dem Lehrberuf« (1977, S. 656 ff.) zeigen eindringlich, welche Abwehr und Gegenreaktion weniger der emphatisch hervorgehobene Lehrer als der alltägliche hervorgerufen hat, der weit unter dem Niveau dieser Kulturträgerschaft auf die unmündigen und nur begrenzt wehrfähigen Kinder und Jugendlichen »losgelassen« wurde. Das gerade führt auf die normative Erwartung an das Lehren und mit ihr auf die keineswegs gesicherte Realisierung dieser Erwartung.
Nicht erst mit der Durchsetzung der Massenschule wird der Lehrberuf von der Erfahrung der Diskrepanz zwischen dem hehren Anspruch und dessen brüchiger Realisierung wesentlich geprägt. Man mag sich an gute und kompetente Lehrer erinnern, aber ebenso wird der Beruf durch die schlechten und unfähigen Pauker gekennzeichnet. Das meint nicht die schwarzen Schafe, sondern diejenigen, deren Pädagogik abgelehnt oder als nicht entwickelt kritisiert wurde.
Lehren will gekonnt sein, nicht jeder Lehrer verfügt über eine Lehre oder auch nur zureichend über die Sache, die er lehrt, jedenfalls nicht so weit, dass er die vielen unerwarteten Schwierigkeiten der Vermittlung lösen könnte. Diese entstehen aus der nicht begriffenen inneren Verfassung der Dinge der Lehre wie aus dem nicht zureichenden Wissen darüber, was die Lehranlässe an innerer Bewegung im Schüler auslösen. Erst danach ergeben sich methodische Fragen, wie auf beides reagiert werden kann. Nicht umsonst sprach man gerne vom geborenen Erzieher oder Lehrer, der es einfach konnte, was vielen anderen letztlich versagt blieb, auch wenn sie durch zwei Staatsexamen durchgekommen waren. Lehren kann man in diesem Sinne nicht einfach lernen und wohl auch nicht lehren. Es wird nicht ganz zu Unrecht als Lehrkunst bezeichnet.
Man kann stures Einweisen praktizieren, den Lehrling schleifen, man kann Programme durchnehmen, aber Lehren verlangt als solches ungleich mehr, weil es darin besteht, in je spezifischer Weise den Schüler für eine Sache und die Sache für den Schüler zu erschließen. Das geschieht gemeinhin nicht in der einmal als ideal ausgelegten Dyade zwischen dem einen Schüler und dem Lehrer, sondern in einem Betrieb, von dem die Gründerväter der bürgerlichen Schule, wie etwa Campe, als Massenbelehrung in Angst und Schrecken versetzt wurden und von dem die Reformer der Bewegung um 1900 sagen mochten, hier würden mit dem bürokratischen Regime der überfordernden einseitigen Instruktion »Kinder gemordet«. Wie soll das, was schon dem Hauslehrer Herbart nur in wenigen Fällen zureichend gelang, nun von einem Lehrer vollzogen werden, der in vielen Klassen die sich dort auch gegen den Unterricht zusammenrottenden Mengen von Schülern parallel zu unterrichten hat? Wie soll das vollzogen werden unter institutionellen Rahmenbedingungen, die eine professionelle Zuwendung zur Aufgabe erschweren, wenn nicht – wie manche argwöhne...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort der Herausgeber
  5. Inhalt
  6. Einleitung: Motivierung des Bandes
  7. 1 Die Semantik: Lehren als Erfahrungshintergrund
  8. 2 Das Dilemma: Das Lehren soll zum Lernen übergehen, kann aber die operative Geschiedenheit des Lehrens und Lernens nicht überwinden
  9. 3 Der aktuelle Fokus: Kompetenzorientierung und das damit an den Rand Gedrängte: Was soll gelehrt werden?
  10. 4 Der Kontrast: Die beiden gegenwärtigen Negationen des Lehrens
  11. 5 Die Empirie: Eingehüllte Rationalität und Unvernunft in der alltäglichen Lehrpraxis deutscher Schulen
  12. 6 Acht Modelle des Lehrens
  13. 7 Das Resümee: Eine Übertragung
  14. Literatur