1 Salutogenese und Resilienz – Psychische Gesundheit von Beschäftigten im Gesundheitswesen
Jana Bäuerlen
1.1 Einleitung
Bei Beschäftigten im Gesundheitswesen geht es den ganzen Arbeitstag um die Gesundheit von anderen – da kann manchmal der Blick auf die eigene Gesundheit aus dem Sichtfeld geraten. Hier soll es nun um die Gesundheit derjenigen gehen, deren berufliche Aufgabe es ist, die Gesundheit von anderen professionell wiederherzustellen, zu schützen oder zu fördern.
Arbeitsplätze im Gesundheitswesen (z. B. Ärzte, Pflegekräfte, Sozialarbeiter, therapeutische Berufe) gehören zu den psychosozialen Berufsfeldern mit überwiegend personenbezogenen sozialen Dienstleistungen. Neben teilweise starker körperlicher Beanspruchung durch Hebe- und Lagertätigkeiten und auch hohen biologischen sowie chemischen Belastungen sind diese Arbeitsbereiche insbesondere durch ein erhebliches berufsspezifisches psychosoziales Belastungsspektrum gekennzeichnet, wie z. B. dem Umgang mit schwerkranken Patienten und der Arbeit in rotierenden Schichten zu Tages-, Nacht- und Wochenendzeiten (z. B. Pelikan et al. 2014). Der Gesundheitssektor weist europaweit das insgesamt vierthöchste Gesundheitsbelastungsrisiko auf, bei den psychischen Belastungen sogar das höchste (Eurofound 2007). Die Gesundheitsberichterstattung der gesetzlichen Krankenversicherungen dokumentiert seit Jahren eine überdurchschnittliche Anzahl an Arbeitsunfähigkeitstagen von Pflegekräften im Zusammenhang mit – auch stressbedingten – Muskel-Skelett-Beschwerden (Harling 2014).
Die heutige soziale Realität einer globalisierten Arbeitswelt mit ihren tiefgreifenden ökonomischen und sozialen Wandlungsprozessen hat die organisatorischen Bedingungen von Erwerbsarbeit auch in den Einrichtungen des Gesundheitswesens nachhaltig verändert. Folge ist insbesondere eine zunehmende Ökonomisierung (verschärfte Kostensteuerung aller betrieblichen Abläufe), die zu einer Intensivierung und Verdichtung der Arbeitsabläufe führt (z. B. Brödner und Lay 2002). Der entsprechend steigende psychosoziale Belastungsdruck ist für viele Beschäftigten spürbar, chronische Stress- und Überlastungserscheinungen mit all ihren langfristigen, gesundheitlichen Auswirkungen nehmen zu und sind als äußerst ernstzunehmende Phänomene zu betrachten.
Neben den strukturell-gesellschaftlichen Problemen und ihren Erfordernissen für politische Gestaltung verlangt dies auch ein Handeln auf der betrieblichen Ebene, nämlich ein Umdenken und Weiterdenken bei der Ausbildung, beruflichen Sozialisation und Weiterbildung und der Unterstützung von Beschäftigten, die im Gesundheitsbereich langfristig arbeiten wollen oder müssen, hinsichtlich der Frage, wie die Gesundheit der Beschäftigten nachhaltig erhalten und gefördert werden kann. Zunehmende Brisanz erhält dies dadurch, dass laut Arbeitsmarktprognosen der demografische Wandel in Kombination mit nicht ausreichend attraktiven Arbeitsbedingungen sowohl für den Pflegebereich als auch für die ärztlichen Berufe bereits jetzt in Teilbereichen zu einem Arbeitskräftemangel führe. Die Notwendigkeit und der Bedarf für Prävention und Gesundheitsförderung sind offensichtlich, und nicht allein wegen des erheblichen Kostenfaktors durch arbeitsbedingte Erkrankungen (Pelikan et al. 2014; Ulich und Wülser 2012).
Hinsichtlich der nachhaltigen Erhaltung und Förderung der Gesundheit der Beschäftigten ist es dringend angeraten, eine grundlegende perspektivische Ausweitung vorzunehmen und den Blick auf Belastungen und deren Vermeidung (Prävention) um den Blick auf Ressourcen als Gesundheitspotenziale und deren Stärkung zu ergänzen. Der Autor, der dies wegweisend erkannt und ausgearbeitet hat, war der amerikanisch-israelische Medizinsoziologe, Epidemiologe und Stressforscher Aaron Antonovsky (1979). Er entwickelte das Modell der Salutogenese (von lat. salus: Heil, Wohlbefinden, Zufriedenheit; griech. genesis: Entstehung). Die hiervon inspirierte Resilienzforschung konzipiert Resilienz (von lat. resilire: zurückspringen, abprallen) als psychische Widerstandsfähigkeit von Menschen, die sie befähigen, widrige Verhältnisse und schwierige Situationen, z. B. auch psychosoziale Belastungen, meistern zu können (Bengel et al. 2009). Beide Konzepte erforschen die Faktoren und Variablen, die zur Entstehung und Erhaltung von psychischer Gesundheit wesentlich beitragen, die sog. Ressourcen, Schutz- oder auch Resilienzfaktoren, und liefern so eine wissenschaftliche Basis für nachhaltige Strategien der Gesundheitsförderung.
Die Gesunderhaltung der Beschäftigten zu unterstützen, ist eine zentrale aktuelle Herausforderung für Entscheidungsträger im Gesundheitswesen. Ein nachhaltig wirksames Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) muss ganzheitlich ausgerichtet sein und individuelle Förderungsmöglichkeiten der Verhaltensprävention mit betrieblichen Gestaltungsmöglichkeiten der Verhältnisprävention verbinden (z. B. Ulich und Wülser 2012).
1.2 Psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz und ihre gesundheitlichen Auswirkungen
Das zentrale Tätigkeitsfeld in Gesundheitsberufen besteht in der Interaktion mit anderen Menschen. Dieser hohe soziale Anteil ist nicht per se als belastend zu sehen, kann jedoch einige Schwierigkeiten in sich bergen (Böhle und Glaser 2006). Die Besonderheiten der primär an Menschen und ihren Bedürfnissen ausgerichteten Tätigkeiten liegen in der langfristigen Beziehungs- und Unterstützungsarbeit des professionellen Helfens, was vergleichsweise hohe sozioemotionale Anforderungen mit sich bringt. Hier sei bspw. genannt, die eigenen Emotionen wie Angst und Ekel zu regulieren, aber auch einem verzweifelten Patienten Mut zu machen, die berufsimmanente Konfrontation mit dem Tod sowie Gewalt- oder Belästigungserfahrungen durch z. B. Patienten. Bei entsprechend langer Dauer und Intensität kann dies zu starker emotionaler Beanspruchung, psychischer Überforderung oder gar zu Erschöpfung und psychosomatischen Beschwerden führen (Holz et al. 2004).
Hinzu kommen noch weitere Belastungsfaktoren, die mit der generellen Arbeitsorganisation dieser Arbeitstätigkeiten zu tun haben, wie z. B. gesundheitsbeeinträchtigende Arbeitszeiten wie Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit mit zusätzlichen negativen Konsequenzen für die Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben, hohe Überstundenquote, permanenter Zeitdruck, hohes Ausmaß an Arbeitsunterbrechungen, schwierige Pausenregelungen, geringe Entlohnung und wenig soziale Anerkennung bei gleichzeitig hohem Erwartungsdruck (z. B. Pflegepersonal) (Pelikan et al. 2014; Bäuerlen 2013). Im Zuge der in den letzten Jahrzehnten stark fortgeschrittenen Ökonomisierung auch in der Gesundheitsversorgung und der feststellbaren zunehmenden Arbeitsverdichtung wurden die genannten psychosozialen Anforderungen noch erhöht. Hierbei nicht unerheblich sind in diesem Zusammenhang entstehende Zielkonflikte zwischen Effizienzdenken und dem wertebasierten Arbeitsethos in Gesundheitsberufen einem helfenden Beruf: Das Gefühl, den Anforderungen nicht gerecht werden zu können, die ihnen aufgetragenen Aufgaben vollständig und zum Wohle der Patienten durchzuführen, ist extrem belastend. Es gibt zahlreiche Studien zu den Gesundheitsbelastungen am Arbeitsplatz Krankenhaus (z. B. Iseringhausen 2010), wobei die Belastungsfaktoren der Pflegekräfte (z. B. Braun et al. 2004) besser untersucht sind als die der Ärzte (z. B. Schwartz und Angerer 2010). Auch gibt es bisher noch wenige Studien zur (psychischen) Gesundheit von Psychologen und Psychotherapeuten (z. B. Reimer et al. 2005).
Als theoretische Erklärung für die Entstehung von (arbeitsbedingtem) Stress hat sich weitgehend das von der Forschergruppe um den Psychologen Richard S. Lazarus entwickelte transaktionale Stressmodell durchgesetzt (Lazarus und Launier 1981). Infolgedessen werden Arbeitsanforderungen nur dann belastend bzw. stressrelevant, wenn sie von der betroffenen Person auch als negativer, bedrohlicher Stressor bewertet werden und somit Bewältigungshandeln erfordern. Der Bewertungsprozess wird wesentlich beeinflusst von den individuell angenommenen, zur Verfügung stehenden Ressourcen wie z. B. eigene Handlungsfähigkeiten oder auch soziale Unterstützungspotenziale. Stress ist also immer eine subjektive Interpretation (Franke 2006). Das Phänomen Stress bezeichnet »eine zusammenhängende zentralnervöse Aktivierung auf affektiver, kognitiver, neuronal-endokriner und motorischer Ebene« (Siegrist 2005, S. 304). Diese Aktivierung entsteht typischerweise, aber keineswegs ausschließlich, wenn eine stark aversive und subjektiv relevante Situation als nicht bewältigbar erscheint. Stress ist also zunächst eine Mobilisierung von Energiereserven. Wiederholtes oder fortbestehendes Stresserleben gefährdet jedoch die Gesundheit, denn der Körper benötigt notwendigerweise eine Abwechslung von Anspannungs- und Entspannungsphasen, um in den regenerativen Phasen die Energiespeicher auch wieder aufzuladen. Wenn die Regeneration ausbleibt, bewirkt Dauerstress mittelfristig Erkrankungsprozesse und langfristig die Entstehung von ernsthaften physischen sowie psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen, wie z. B. (chronische) Kopfschmerzen, Anpassungs- und Belastungsstörungen, Muskel-Skelett-Beschwerden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, depressive Störungen oder auch eine Schwächung der Immunkompetenz des Körpers (Franke 2006).
Neben dem skizzierten Stressmodell von Lazarus gibt es noch andere Konzepte zur Erklärung von arbeitsbedingtem Stress (Faltermaier 2005; Franke 2006; Ulich und Wülser 2012), die dem transaktionalen Stressverständnis zwar nicht widersprechen, aber doch bestimmte Aspekte unter Auslassung anderer besonders hervorheben. Zwei etablierte Konzepte seien hier kurz genannt: So hebt zum einen das Anforderungs-Kontroll-Modell (demand-control-model) von Karasek und Theorell (1990) hervor, dass in Arbeitssituationen das Missverhältnis von hohen psychischen Anforderungen und niedrigem Handlungs- und Entscheidungsspielraum entscheidend für die Entstehung von Stress ist. Zum anderen betont das Modell beruflicher Gratifikationskrisen von Siegrist (1996), dass ein Gleichgewicht zwischen der beruflichen Verausgabung und den dafür erhaltenen Gratifikationen, wie Einkommen, soziale Anerkennung und auch Arbeitsplatzsicherheit, herrschen muss. Ein andauerndes Missverhältnis von hohem Arbeitseinsatz bei gleichzeitig geringer Entlohnung und Anerkennung (Gratifikationskrise) führt zu ausgeprägten Stressreaktionen und in der Folge zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Eine weitere Auswirkung von chronischem Stress wird unter dem Phänomen des Burnout als Ausgebrannt-Sein aufgrund von psychisch belastenden Arbeitsbedingungen gefasst. Es ist ein spezifisches Störungsbild mit Symptomen auf der physischen, psychischen und der Verhaltensebene. Zunächst wurde Burnout vor allem im Zusammenhang mit beruflicher Arbeit in psychosozialen Feldern untersucht, dessen Auftreten ist jedoch nicht als darauf beschränkt zu sehen (Weber 2007). Im Anschluss an das verbreitete Konzept von Maslach und Leiter (2001) wird die Symptomatik des Ausgebrannt-Seins mit drei wesentlichen Elementen beschrieben:
• emotionale Erschöpfung, die sich in einem vorwiegend psychischen Erschöpftheitszustand äußert, wie auch dem Gefühl von Überforderung und der Angst vor dem nächsten Arbeitstag
• Depersonalisation im Umgang mit den Patienten, also eine innere Distanziertheit, die von Zynismus geprägt sein kann, und die zu einem ausschließlich sachlichen, gefühllosen Verhalten führt
• verminderte Leistungszufriedenheit, also der Eindruck, den gestellten Anforderungen nicht mehr genügen zu können, bedingt durch eine negative Einschätzung der persönlichen Kompetenz und beruflichen Leistungsfähigkeit
Die Entstehung des Burnout-Syndroms ist ein schleichender, oft lang dauernder Prozess. Bleiben die Symptome unbeachtet, kann dies ähnliche wie oben beschriebene schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen (hierzu Weber 2007).
1.3 Salutogenese und Resilienz – Zentrale Erklärungskonzepte von (psychischer) Gesundheit
Prospektive Strategien zum Umgang mit den aufgezeigten psychosozialen Herausforderungen gehen über den präventiven Ansatz der Vermeidung von gesundheitsgefährdenden Belastungen bzw. der Verminderung von Risiken und Gefahren hinaus (Hurrelmann et al. 2014). Die theoretische Grundlage hierfür bieten Erklärungsmodelle, die neben der Vermeidung von Belastungen individuell verfügbare Ressourcen als Potenzial zur Belastungsbewältigung in den Mittelpunkt rücken (
Kap. 1.3.1). Die hier wohl prominentesten Konzepte der Salutogenese (
Kap. 1.3.2) und der Resilienz (
Kap. 1.3.3) betonen konsequent die Faktoren, die die Gesundheit bzw. Widerstandsfähigkeit eines Individuums schützen oder fördern, die sog. Ressourcen oder auch Resilienzfaktoren (
Kap. 1.3.4).
Im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Auf...