Tausend Tode und ein Leben
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Tausend Tode und ein Leben

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder - Ursachen, Folgen und Therapie

  1. 211 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Tausend Tode und ein Leben

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder - Ursachen, Folgen und Therapie

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

"Voller Würde, Humor und Klugheit ist dieses Buch geschrieben." So charakterisiert Prof. Luise Reddemann das Werk, das sich in drei Teile untergliedert. Im ersten Teil werden Zahlen, Daten und Fakten zusammengestellt und sinnvolle Präventionsmöglichkeiten vorgestellt. Der zweite Teil erläutert, wie ein Trauma entsteht und welche langfristigen Folgen es haben kann. Die Autorin verknüpft dabei aktuelle Forschungsergebnisse mit ihren eigenen Erfahrungen; komplexe Zusammenhänge werden so einleuchtend und nachvollziehbar erklärt. Der dritte Teil beschreibt die erfolgreiche Traumatherapie. Das Buch gibt Betroffenen Mut, Hoffnung und Expertise. Fachleute profitieren von dem authentischen Fallbeispiel.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783170290785

Teil 1

Sexueller »Kindesmiss-Brauch« in Deutschland: Zahlen, Daten, Fakten

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder: Definition, Ursachen und Folgen

Als Betroffene bin ich wütend. Auf den Täter, auf diejenigen, die mich nicht geschützt haben? Sicher auf die auch, immer noch. Aber jetzt – erwachsen, betroffen und vielleicht geheilt – jetzt bin ich wütend darüber, wie wir alle als Gesellschaft mit dem Thema »Miss-Brauch« von Kindern umgehen. Täglich, stündlich wird Kindern sexuelle Gewalt zugefügt. Organisiert und quasi öffentlich in den bei uns so beliebten Urlaubs-«Paradiesen«, privat und versteckt in Familien und Institutionen in Deutschland. Vor unserer Haustür, in unserer direkten Nachbarschaft. Was leisten wir heute, um die Kinder zu schützen? Ratlos stehen wir da, überzeugende Antworten gibt es kaum.
Die Familie soll einen Rückzugsort bieten, das Private wird gesetzlich geschützt. Das gehört zu den Grundlagen unserer Gesellschaft, auf dieses Privileg sind wir stolz. Doch alle Statistiken zeigen ein einhelliges Bild: die meisten Delikte sexualisierter Gewalt gibt es im Familien-, Verwandten- oder Bekanntenkreis. Ganz offensichtlich passt da etwas nicht zusammen. Prävention beginnt nicht bei den Kindern. Wir Erwachsene sind in der Pflicht.

Kinder haben ihre eigene Sexualität!

Kinder haben ein sexuelles Empfinden, sie reagieren auf Stimulanzen und sind neugierig bereit, ihren Körper und den von anderen Kindern zu erkunden. »Doktorspiele« unter Gleichaltrigen gehören dazu, auch wenn diese Aktivitäten viele Erwachsene irritieren. Doch nur bei Kindern passen Erwartungs- und Erlebnishorizont zueinander. Diese Erkundungen sollten ohne Überwachung oder Kontrolle von Erwachsenen möglich sein, auch wenn dieser Ansatz ein Risiko beinhaltet. Auch unter nahezu Gleichaltrigen kann es zu Übergriffen oder Grenzüberschreitungen kommen. Kinder, die sich bedrängt fühlen, müssen Schutz bei Erwachsenen finden können. Allerdings gilt: hysterische Reaktionen oder Schuldzuweisungen sind belastend für alle Beteiligten. Stigmatisierungen von »Tätern« und »Opfern« haben weitreichende Folgen für beide. Kinder sollen Lebenskompetenzen erlernen; dazu gehört, die eigenen Grenzen zu erkennen und die Grenzen der anderen zu beachten.
Worauf kommt es an? Unter anderem darauf, die sexuelle Entwicklung der eigenen Kinder nicht zu negieren. Wird das Thema in den Familien tabuisiert, dann kann ein Kind auch einen eventuellen »Miss-Brauch« nur schwer offenbaren. Dabei ist das so wichtig! Je eher ein betroffenes Kind Hilfestellungen erhält, umso harmloser werden die Konsequenzen sein. Nicht jeder sexuelle Übergriff verursacht ein Trauma, nicht jeder Vorfall hat lebenslange Konsequenzen. Es ist die schwierige Aufgabe von Eltern und Erziehern, im richtigen Moment schützend einzugreifen. Uns allen fällt es schwer, einen Maßstab für die Beurteilung von »angemessen« und »übergriffig« zu finden.
Deshalb müssen Eltern lernen, zwischen ihrem und dem Empfinden der Kinder zu trennen. Welche Ängste habe ich, was projiziere ich davon auf mein Kind. Wer ist beunruhigt? Steckt mein Kind in einem Dilemma, oder bietet die Situation eine Plattform für meine alten Kämpfe? Gerade in belastenden Situationen müssen wir daran denken: »Mein Kind ist ein eigenständiges Wesen. Mein Kind hat eine eigene Geschichte. Meine Erlebnisse, Verletzungen und Erfahrungen gehören zu mir. Mein Kind ist davon nicht betroffen. Es hat eigenen Erfahrungen gemacht, es hat eigenen Erlebnisse, eigene Gefühle, eigene Strategien – und eigene Anschauungen.« Bei allem, was passieren kann: Kinder brauchen Unterstützung, Trost und Hilfe, aber keine zusätzliche Aufregung.

Die öffentliche Wahrnehmung

Was denkt »die Öffentlichkeit« über sexuellen »Kindes-miss-Brauch«? Was für eine Frage, »Kinderschänder« tun etwas Verwerfliches, darüber muss man gar nicht diskutieren. Ach so? Fragen Sie einmal die Betroffenen. Fragen Sie mal die Initiatoren des Aufrufs: »Ich habe nicht angezeigt, weil …« In der Regel bläst der Wind nicht den Tätern ins Gesicht. Die Opfer haben die Beweislast, und sie machen immer wieder die Erfahrung, dass man ihnen nicht glaubt.
Schließlich ist es auch ein schwerwiegender Vorwurf, der, wenn er unberechtigt geäußert wird, Existenzen und Familien zerstört. Ist er jedoch berechtigt und wird nicht geäußert, dann gilt dasselbe, und zwar potenziert. Es bleibt nicht bei einem Einzelschicksal, Täter sind in der Regel mehrfach tätig. Werden sie nicht gestoppt, dann finden sie immer neue Opfer.
Die Justiz agiert zurückhaltend, der gesellschaftliche Meinungsbildungsprozess schreit nach Eskalation. Es geht darum, Schuldige an den Pranger zu stellen. Das hat so funktioniert, als 2010 über die Missstände in Heimen und Internaten berichtet wurde. Das funktioniert mit dem Ex-Bundestagsabgeordneten Edathy. Wohlgemerkt: Ich habe nichts dagegen, Schuldige zu bestrafen. Doch hilft der öffentliche Pranger? Leider zeigt die Erfahrung, dass nach dem ersten »shitstorm« alle wieder zur Tagesordnung übergehen. An den Strukturen wird nichts verändert. Eskalierende Meinungsbildungsprozesse sind wie das griechische Drama. Am Ende steht die Katharsis. Der Mensch hat sich so schön aufgeregt, belohnt wird er mit dem Gefühl: »Alles ist gut.« Dieser Eindruck trügt. Das gilt für die Berichterstattung über BSE, die Vogelgrippe, für Lebensmittelskandale – und das gilt uneingeschränkt auch für die Berichte über sexuelle Gewalt gegen Kinder.
Den alltäglich stattfindenden Horror blenden wir aus. Niemand stellt sich gern der Gewissheit, dass zumindest in unserem erweiterten Umfeld Täter und Opfer gibt. Die in den Familien, von Verwandten oder guten Freunden verletzten Kinder haben keine Lobby. Doch um Kinder sinnvoll zu schützen, müssen wir auch das »Undenkbare« für möglich halten. Ohne hysterisch zu werden, ohne Überreaktionen, ohne blinden Aktionismus.

Juristischer Begriff und die Grundlagen der Rechtsprechung

Vorsicht Trigger
Angst…
ist das, was durch mich kriecht, unbestimmt und immer da.
Im Hinterkopf, im Bauch – als Kloß in der Kehle.
Angst ist das, was mich verschwimmen lässt.
Grenzenlos ins Unendliche.
Angst ist Knoten und Auflösung zugleich.
Sexualisierte Gewalt an Kindern ruft Traumata hervor. Die Sexualwissenschaftler (
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Kap. Plädoyer gegen Pädosexualität, S. 21) äußern sich eindeutig und unmissverständlich: Sexuelle Handlungen von Erwachsenen – oder älteren Jugendlichen – an Kindern sind immer Gewalt, auch wenn das Kind nicht geschlagen oder bedroht wird. Denn in der Regel wehren die Kinder sich nicht, die Gründe dazu sind vielfältig (
arrow
Kap. Das Bindungs-Dilemma, S. 141). Das macht den sexuellen Angriff nicht weniger schlimm. Keine Gegenwehr bedeutet niemals Einverständnis.
Vorsicht Trigger
Wenn ich jetzt hier sitze – erwachsen, in meinem privilegierten Haus, mit funktionierender Familie und abgesicherter Existenz – und ich horche in mich rein, dann ist es immer noch da. Eine große Welle übergroßer Traurigkeit steigt auf. In meiner Blase meldet sich ein Brennen und Ziehen. Meine Atmung wird flacher, mein Hals tut mir weh. Ich halte die Luft an, der Kopf schmerzt. Der Kloß im Hals wird immer stärker, ich kann kaum noch atmen. Alle Glieder schmerzen, Arme und Beine sind bewegungsunfähig.
Da ist so großes Leid. Obwohl ich jetzt und hier in meinem gesicherten und guten Leben sitze. Horche ich in mich hinein, dann ist die Grenze zwischen Leben und Tod immer noch fließend. Ich könnte hier sitzen bleiben und einfach aufhören mit der Existenz.
In der Justiz gilt der § 176 des Strafgesetzbuches.i Der besagt: alle sexuellen Handlungen eines Erwachsenen (oder Jugendlichen) an, mit oder vor einem Kind unter 14 Jahren oder die Anleitung eines Kindes zu sexuellen Handlungen an sich oder anderen können mit Freiheitsstrafen von 3 Monaten bis zu 10 Jahren sanktioniert werden. Die Betonung liegt auf können. Zwar ist die Anzeigebereitschaft in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, doch durchschnittlich nur 32% der Angeklagten wurden in den letzten 20 Jahren auch verurteilt; Tendenz nicht steigend. Die Gründe für diese Diskrepanz? Sie liegen vielleicht in den verkrusteten Strukturen, bezeugen vielleicht ein immer noch vorhandenes patriarchalisches Denken im Justizapparat. In nahezu jedem Verfahren lassen sich »Schwierigkeiten in der Beweislast« finden.
Richter, Anwälte und Staatsanwälte kennen sich mit Traumafolgen nur rudimentär aus. Dieser Umstand wird in den Justizverwaltungen intern bemängelt, zu Weiterbildungen fehlt jedoch die Zeit (vgl. Bergmann 2011). Es gibt kein eindeutiges »sexual abuse syndrom«, das hat Folgen für die juristische Praxis. Die Auswirkungen der erlebten sexuellen Gewalt sind individuell sehr unterschiedlich und können nicht zweifelsfrei bestimmten sexuellen Handlungen zugeordnet werden. Sofern akute physische Verletzungen nicht dokumentiert wurden, sind die Aussagen der Opfer die einzigen Hinweise.
Schwere Anschuldigungen können eine Karriere, ein Leben zerstören. Schwere Anschuldigungen, zu Unrecht vorgetragen, sind ein infames Mittel, um den Gegner heftig zu treffen. Vergewaltigungsvorwürfe nach Beendigung einer Partnerschaft, Miss-Brauchsvorwürfe, um den Vater zu diffamieren: sicher wird es Fälle geben, in denen die vermeintlichen »Opfer« die tatsächlichen Täter sind und so ihren persönlichen Rachefeldzug starten. Genau deshalb soll die Justiz für Aufklärung sorgen. Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich jedoch daraus, dass sowohl die Laien als auch die Fachleute (und genau das ist so erschreckend!) zu einer Vorverurteilung neigen. Wenn Anzeige erstattet wird, dann geraten zunächst einmal die Anzeigenden in Verdacht. Opfer eines Gewaltverbrechens geworden zu sein, und dann die Erkenntnis, dass einem niemand glaubt: das ist nur schwer zu ertragen. Und es ist kein Einzelfall, das ist gut belegbar (vgl. u. a. #ichhabenichtangezeigt). Es gibt 1000 gute Gründe dafür, den Schritt zur Justiz nicht zu wagen. Und trotzdem ist dieser Schritt so wichtig. Warum? Weil wir mittlerweile wissen, dass Täter sich mehr als nur ein Opfer suchen. Weil sie über Jahre, über Jahrzehnte aktiv sein können. Und dabei die Entwicklung von vielen jungen Menschen in den Grundfesten erschüttern können.
Ich kann leicht für das Anzeigen votieren, mein Täter ist seit vielen Jahren tot. Ich kann ihn nicht mehr anzeigen. Ansonsten hätte ich gute Voraussetzungen: Ich lebe schon seit Jahrzehnten in einem anderen Bundesland, habe mich formal schon vor langer Zeit aus den familiären Zusammenhängen gelöst. Eine Anzeige würde mein Alltagsleben nicht beeinträchtigen, meine sozialen Kontakte würden nicht gestört. Das ist heute so: mehr als 40 Jahre, nachdem der Miss-Brauch das letzte Mal geschehen ist. Wie war das früher? Ich erinnere mich an entsetzliche Seelenqualen. Als Jugendliche habe ich die ersten Trigger erlebt: Gerüche verursachten Abscheu, Bilder poppten auf, Körpererinnerungen machten sich bemerkbar. Ich wusste zwar nicht genau, was passiert war. Aber ich wusste genau: da war etwas mit diesem Onkel. Und dann kam eine bittere Erkenntnis: seine Enkelin! Dieses Mädchen, 7 Jahre jünger als ich, dieses Mädchen hatte schon lange meine Stelle eingenommen.
Ja, ich wäre in der Pflicht gewesen. Ich hätte etwas sagen müssen, für Aufklärung sorgen, dieses Mädchen »retten« müssen. Aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht darüber reden. Aus eigener Kraft hätte und habe ich das damals nicht geschafft. Wobei ich die kleine Suse nicht nur verraten habe. Denn mir war plötzlich klar, dass es mit ihr schon lange so gegangen sein muss. Und ich habe mich daran erinnert, dass die Angst vor der Entdeckung durch andere ähnlich qualvoll war wie der Miss-Brauch selbst. Ich habe gelitten, da war wirkliches Mit-Leid mit dem neuen Opfer. Aber ich habe nichts gesagt. Auch, um sie nicht zusätzlich zu verletzen.
Heute ist mir klar, dass vor mir zumindest seine eigene Tochter sein Opfer war. Und mir fallen noch zwei, drei, vier andere Mädchen ein, die dazugehören könnten. Und wie viele kamen danach noch? Damals, in meiner jugendlichen grenzenlosen Naivität, habe ich mir eingeredet, dass er dann ja schließlich zu alt für »solche Sachen« geworden ist. Heute weiß ich, dass es keine Altersgrenzen gibt. Viele kleine Leben, die von ihm in vielen Bereichen zerstört worden sind. Und niemand hat ihn aufgehalten. Ich auch nicht. Mit dieser Schuld muss ich leben. (Therapietagebuch)
Die Anzeigepflicht ist ein heiß diskutiertes Thema. Es gibt gute Argumente, die dagegen sprechen. Das wichtigste: noch weniger Betroffene würden den Schritt »Offenbarung« wagen, wenn polizeiliche oder juristische Konsequenzen die Folge wären. Jetzt eine Anzeigepflicht einzuführen würde bedeuten, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Momentan ist es noch so, dass die Unschuldsvermutung für den Angeklagten gilt – und die Anklage unter Generalverdacht gestellt wird. Es gibt etliche Anwaltskanzleien, die sich auf die Verteidigung von Sexualstraftätern spezialisiert haben. Die werben damit, dass 90% ihrer Fälle schon während des Ermittlungsverfahrens eingestellt werden. Das bedeutet: der Sachverhalt kommt nicht mal vor Gericht. Wenn doch, dann droht ein Glaubwürdigkeitsgutachten. Das bedeutet: Die Aussagen werden auf Widersprüche untersucht und dann als unglaubwürdig deklassiert; im Anhang finden Sie dazu ein Informationsschreiben eines Anwaltsbüros, dass sich auf die Abweisung von Anklagen wegen sexualisierter Gewalt gegen Kinder spezialisiert hatii. Liest man diese Seiten, dann wird eines überdeutlich: In den Aussagen traumatisierter Menschen lassen sich mit Leichtigkeit genau die Widersprüchlichkeiten finden, die laut der derzeit geltenden Auslegung auf nicht wahrheitsgemäße Aussagen hindeuten. Mit der Überprüfung der Glaubwürdigkeit wird zudem eine Verleumdungsklage angekündigt. Diese Anwälte wissen: Angriff ist die beste Verteidigung.
Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt kann in letzter Konsequenz nicht auf der juristischen Ebene gewonnen werden. Prävention ist wichtiger als Sanktion! Aber wir wissen um die Schwächen unserer Rechtsprechung. Eine aufgeklärte und demokratische Gesellschaft sollte daran arbeiten, diese Fehlentwicklungen zu optimieren. Idealistisch gedacht, sicherlich. Aber ich bin nun einmal ein bedingungsloser Optimist …

Täter und ihre Charakteristiken

Wer kann Täter sein? Nahezu jeder - und jede. Bis vor einigen Jahren waren wir der festen Überzeugung, dass nur die Männer »missbrauchen« und die Opfer fast immer weiblich sind. Das stimmt so nicht. Auch Frauen sind Täter, zum einen dadurch, dass sie Beihilfe leisten. Aber es gibt auch aktive Miss-Braucherinnen. Wenn ich im Folgenden also von den Tätern spreche, dann meine ich damit auch Frauen. Fakt ist: es gibt kein äußeres Merkmal, an dem Sie einen Täter erkennen können, nicht einmal das Geschlecht. Nichts. Nada. Niente.

Plädoyer gegen Pädosexualität

Die Sexualforscher gehen davon aus, dass 25 bis 50% der sexualisierten Gewalt an Kindern von pädophilen Tätern begangen wird (vgl. Marshall 2005). Im Umkehrschluss bedeutet das: 75 bis 50% der Täter sind nicht pädophil! Die genaue Anzahl lässt sich nicht bestimmen, da zum einen die große Mehrzahl der Täter nicht angezeigt wird. Zum anderen: auch bei bekannt gewordenen Fällen wird keine Diagnostik durchgeführt.
Doch was versteht die Sexualwissenschaft unter Pädophilie? Sie bezeichnet eine sexuelle Präferenz für kindliche Körper bis zur Vorpubertät. Diese Präferenz bildet sich in der Regel bis zum 16. Lebensjahr, spätestens jedoch bis zum Ende der zweiten Lebensdekade heraus. Sexuelle Präferenzen des Menschen sind nicht veränderbar. Das gilt für die Homophilie genauso wie die Pädophilie. Doch die beiden Sexualpräferenzen unterscheiden sich grundlegend: Homosexualität funktioniert in der Regel im gegenseit...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Geleitwort von Luise Reddemann
  5. Geleitwort von Gabriele Heyers
  6. Inhalt
  7. Einführung
  8. Teil 1: Sexueller »Kindesmiss-Brauch« in Deutschland: Zahlen, Daten, Fakten
  9. Teil 2: Trauma und Traumafolgeschädigungen
  10. Teil 3: Heilung ist möglich!
  11. Literaturverzeichnis
  12. Anhang
  13. Endnoten
  14. Index