Spiritualität in den Gesundheitsberufen
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Spiritualität in den Gesundheitsberufen

Ein praxisorientierter Leitfaden

  1. 234 Seiten
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Spiritualität in den Gesundheitsberufen

Ein praxisorientierter Leitfaden

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Über dieses Buch

Ärzte, Pflegekräfte und Psychotherapeuten erheben in Europa bislang im Rahmen ihrer Diagnostik in aller Regel keine spirituelle Anamnese und gehen in der Behandlung nur selten auf die spirituellen Bedürfnisse ihrer Patienten ein. Angehörige der Gesundheitsberufe betrachten Religiosität und Spiritualität entweder nicht als ihren Zuständigkeitsbereich oder sind unsicher im Umgang damit. Dieses Buch gibt Grundlagen zum Thema und bietet allen Berufsgruppen innerhalb des therapeutischen Teams konkrete Hilfestellungen zum Umgang mit den spirituellen Bedürfnissen ihrer Patienten. Auch problematische Aspekte werden beleuchtet. Gesundheitsrelevante Informationen zu verschiedenen Religionen und ein Muster-Curriculum runden das Werk ab.

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783170275201
Auflage
1
Thema
Medizin

1 Warum Spiritualität einbeziehen?

Warum sollte man Spiritualität in die Patientenbetreuung einbeziehen? Warum sollten sich Gesundheitsfachleute die Zeit nehmen, sich mit spirituellen Bedürfnissen zu befassen oder die religiösen Überzeugungen eines Patienten zu unterstützen? Gesundheitsfachleute müssen solche Fragen klar und eindeutig beantworten können, bevor sie spirituelle Anliegen von Patienten aufgreifen. Ich sehe sechs Gründe, warum sie das tun sollten:
  1. Vielen Patienten ist Religion bzw. Spiritualität wichtig, und sie möchten, dass im Rahmen ihrer Behandlung darauf eingegangen wird.
  2. Religion beeinflusst die Fähigkeit des Patienten, mit einer Krank heit zurechtzukommen.
  3. Patienten sind oft von ihrer religiösen Gemeinschaft abgeschnitten, besonders wenn sie ins Krankenhaus eintreten müssen.
  4. Religiöse Überzeugungen beeinflussen medizinische Entscheidungen und können medizinischen Maßnahmen entgegenstehen.
  5. Aktiv gelebte Religiosität wird sowohl mit psychischer als auch körperlicher Gesundheit in Verbindung gebracht und wirkt sich wahrscheinlich auf den Heilungsprozess auf die eine oder andere Weise günstig aus.
  6. Religion beeinflusst die medizinische Versorgung in der Wohngemeinde.

Viele Patienten sind religiös

Viele Patienten im amerikanischen Gesundheitswesen sind religiös und haben spirituelle Bedürfnisse. Gemäß einer Gallup-Umfrage von 1996 glauben 96 % der Amerikaner an Gott, über 90 % beten, fast 70 % sind Mitglieder einer Kirche, und über 40 % haben innerhalb der letzten 7 Tage eine Kirche, Synagoge, oder einen Tempel besucht (Princeton Religious Center 1996). Die gleiche Umfrage ergab, dass für 57 % der Amerikaner Religion wichtig ist. Diese Zahl steigt für Amerikaner über 65 Jahre alt auf 72 (Newport 2006). Auch wenn Patienten nicht religiös sind, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich einige von ihnen als spirituell beschreiben würden, denn einer von fünf Amerikanern betrachtet sich als „spirituell aber nicht religiös“ (Fuller 2005). Dies gilt weniger für ältere Erwachsene, die traditionellerweise eher religiös sind und Spiritualität mit Religion gleichsetzen. In einer Studie aus dem Jahre 2004 mit 838 medizinischen, stationären Patienten, im Alter von 60 Jahren oder älter, gaben 88 % der Befragten an, sie seien sowohl religiös wie auch spirituell, 7 % spirituell aber nicht religiös, und 3 % religiös aber nicht spirituell. Nur 3 % der Patienten sagten, sie seien weder religiös noch spirituell (Koenig et al. 2004).
Die Mehrheit der Patienten ist nicht nur religiös, sondern viele von ihnen haben spirituelle Bedürfnisse und möchten gerne, dass im Laufe ihrer Behandlung darauf eingegangen wird. Spirituell zu sein ist für viele Menschen ein fester Bestandteil ihrer Persönlichkeit – es ist die Wurzel ihrer Identität und gibt ihrem Leben Bedeutung und Sinn. In Zeiten, in denen eine Krankheit das Leben oder die Lebensweise bedroht, werden spirituelle Bedürfnisse besonders drängend. In ihrer Untersuchung an 101 psychiatrischen und medizinisch-chirurgischen stationären Patienten an einem Krankenhaus in Chicago haben Forscher herausgefunden, dass die große Mehrheit der psychiatrischen (88 %) und medizinisch-chirurgischen Patienten (76 %) während ihres Krankenhausaufenthalts drei oder mehr religiöse Bedürfnisse anmeldeten (Fitchett et al. 1997). Die spirituelle Dimension zu vernachlässigen wäre genauso, wie wenn man das soziale Umfeld oder den psychologischen Zustand des Patienten ignorieren würde. Das aber würde ein Scheitern in der Behandlung der „ganzen Person“ darstellen.
Die Mehrheit der verfügbaren Daten über Ansichten von Patienten darüber, ob sich die Gesundheitsfachpersonen um spirituelle Bedürfnisse kümmern sollten, bezieht sich auf Ärzte; gegenwärtig existieren wenige Daten für andere Gesundheitsberufe; diese werden in den Kapiteln 8–10 zusammengefasst. In ihrer Untersuchung von 203 stationären Patienten aus allgemeinmedizinischen Abteilungen in zwei Spitälern im Osten der Vereinigten Staaten berichten King und Bushwick, ungefähr drei Viertel (77 %) hätten betont, die Ärzte sollten ihre spirituellen Bedürfnisse berücksichtigen; 37 % von ihnen wollten, dass ihre Ärzte ihre religiösen Überzeugungen mehr zum Thema machen (King und Bushwick 1994). Laut anderen Studien finden zwischen 33 % und 84 % der Patienten, dass Ärzte sich für ihre religiösen oder spirituellen Überzeugungen interessieren sollten, je nach 1) dem Umfeld und der Schwere der Krankheit (Routinebesuch in der Praxis gegenüber Akuteintritt gegenüber unheilbarer Krankheit), 2) der betreffenden Religion des Patienten, und 3) der Ausprägung der Religiosität des Patienten (MacLean et al. 2003; King und Bushwick 1994; Daaleman und Nease 1994; Maugans und Wadland 1991; Miller et al. 2003; Oyama und Koenig 1993, Hamilton und Levine 2006).
In einer Erhebung von ambulanten Patienten haben die Untersucher 380 Patienten von Hausarztkliniken in Zentral-Texas und im mittleren Süden von North Carolina befragt (Oyama und Koenig 1998). 73 % von ihnen meinten, Patienten sollten ihre religiösen Ansichten den Ärzten mitteilen. In einer Studie von 90 HIV-positiven stationären Patienten auf der HIV/AIDS-Abteilung des Yale-New Haven Hospitals in Connecticut fand die Mehrheit (53 %), es sei für Patienten wichtig, spirituelle Bedürfnisse mit ihren Ärzten zu besprechen (Kaldjian et al. 1998). Die Zeitschrift USA Weekend hat eine landesweite Umfrage bei 1000 Erwachsenen durchgeführt, und diese stellt die einzige bisherige Untersuchung mit einer Zufallsauswahl von Amerikanern dar (McNichol 1996). Gefragt wurde, ob die Ärzte mit Patienten über deren Glauben sprechen sollten. Fast zwei Drittel (63 %) gaben eine positive Antwort; bei älteren Personen zwischen 55 bis 64 stieg die Zustimmung auf 67 %.
Interessanterweise sagen 66 % bis 81 % der Patienten aus, sie hätten größeres Vertrauen in ihren Arzt, wenn sie von ihm nach dem Glauben gefragt würden (Ehman et al. 1999), und andere Untersuchungen weisen eine signifikante Verbesserung der Arzt-Patienten-Beziehung nach, wenn der Arzt dies tut (Kristeller et al. 2005). Solche Umfragen fußen teilweise auf der Tatsache, dass ein signifikanter Anteil von Patienten (45–73 %) glaubt, religiöse Überzeugungen beeinflussten wahrscheinlich ihre medizinischen Entscheidungen, wenn sie ernsthaft erkrankt sind (siehe unten) (Ehman et al. 1999).
Die Ansichten der Patienten zum Thema Beten mit ihren Ärzten zeigen eine breite Streuung: zwischen 19 % und 78 % befürworten Gebet, je nach Situation, Schweregrad der Krankheit, und Religiosität des Patienten (MacLean et al. 2003). Zum Beispiel haben in der Yale-Studie mit HIV/AIDS-Patienten 46 % von ihnen angegeben, es wäre hilfreich, wenn sie Gelegenheit hätten, mit ihren Ärzten zu beten (Kaldjian et al. 1998). Meist möchten Patienten, die schwerer krank und stärker religiös sind, dass ihre Gesundheitsfachpersonen mit ihnen beten. Aber nur 10–20 % der Patienten berichten, dass ihre Ärzte sie je wegen spirituellen Fragen angesprochen oder mit ihnen gebetet haben (McNichol 1996).
Obwohl sich viele Patienten wünschen, dass Gesundheitsfachleute etwas über ihre religiösen oder spirituellen Ansichten wissen, möchte ein bedeutender Anteil von Patienten – zirka ein Viertel bis die Hälfte von ihnen – nicht mit ihren Ärzten über diese Themen sprechen. Als gesunde Personen, in einer Studie danach gefragt wurden, gaben mehr als zwei Drittel an, sie würden ihre spirituellen Anliegen mit jemandem besprechen wollen, wenn sie ernsthaft erkranken würden (Mansfield et al. 2002) – die meisten aber mit ihren Pfarrern, nicht mit den Ärzten. Unglücklicherweise sind Pfarrer in medizinischen Situationen aber nicht immer verfügbar, in denen Patienten über diese Themen sprechen wollen. Zudem ist das „besprechen“ von religiösen Ansichten mit Ärzten nicht dasselbe, wie wenn der Arzt oder eine andere Gesundheitsfachperson sich nach Glaubensüberzeugungen erkundigt, wofür, wie andere Umfragen zeigen, viel mehr Patienten empfänglich sind. Natürlich möchten die meisten Patienten nicht, dass Gesundheitsfachpersonen sie auf ihre Spiritualität ansprechen, bevor sie zuerst die medizinischen Fragen kompetent behandelt haben (MacLean et al. 2003).

Vielen Patienten hilft die Religion, um mit ihrer Krankheit zurechtzukommen

Religion ist nicht nur ein wichtiger Teil der Identität vieler Menschen, sondern sie dient auch oft dazu, beunruhigende Lebensumstände zu bewältigen. Gemäß einer nationalen Gallup-Umfrage stimmen fast 80 % der Amerikaner ganz oder fast ganz der folgenden Aussage zu: „Ich ziehe sehr viel Trost und Unterstützung aus meinen religiösen Überzeugungen“. Das gilt besonders für Personen über 65 Jahre, von denen 87 % zustimmten (Princeton Religious Center 1996). Eine stichprobenartige Umfrage bei der U.S.-Bevölkerung eine Woche nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, ergab, dass 90 % von ihnen auf die Religion zurückgriffen, um mit dem Stress fertig zu werden, den diese Ereignisse verursacht hatten (Schuster et al. 2001). In ähnlicher Weise haben in einigen Teilen der Vereinigten Staaten mehr als 90 % der Patienten berichtet, religiöser Glaube und religiöse Praktiken seien Mittel, mit denen sie eine körperliche Krankheit bewältigen und ihr einen Sinn abgewinnen könnten. Über 40 % von ihnen gaben an, Religion sei der wichtigste Faktor, wenn es darum gehe, weiterzuleben (Koenig 1998). Untersuchungen zeigen, dass eine religiöse Krankheitsbewältigung bei Patienten mit chronischen Krankheiten wie z.B. Herzleiden (Saudia et al. 1991), Arthritis (Cronan et al. 1989), Nierenerkrankungen (Tix und Frazier 1997), zystischer Fibrose (Stern et al. 1992), Diabetes (ibid.), Krebs (Ell et al. 1989), gynäkologischem Krebs (Roberts et al. 1997), HIV/AIDS (Jenkins 1995), chronischem Schmerz (Abraido-Lanza et al. 1996), und unheilbaren Krankheiten (Silber und Reilly 1985), weit verbreitet ist. Das gleiche gilt für Pflegeheimpatienten (Koenig et al. 1998) und Personen, die Demenzpatienten pflegen (Wright et al. 1985).
Was ist unter „religiöser Krankheitsbewältigung“ zu verstehen? Religiöse Krankheitsbewältigung meint den Gebrauch religiöser Überzeugungen und Praktiken, um, die emotionale Not zu verringern, die durch Verlust oder Veränderung verursacht wird. Patienten können zum Beispiel ihre Probleme Gott „übergeben“, im Vertrauen, dass Gott sich um sie kümmern wird, so dass sie sich selber keine Gedanken oder Sorgen darüber machen müssen. Sie glauben vielleicht, dass Gott ein Ziel damit verfolgt, wenn er zulässt, dass sie Schmerz oder Leiden erfahren, und das gibt dem Leiden eine Bedeutung und macht es erträglicher. Religiöse Überzeugungen dieser Art werden mobilisiert, um Besorgnis zu mindern, Hoffnung zu stärken oder ein Gefühl der Kontrolle zu bekommen. Religiöse Praktiken, die den Patienten bei der Verarbeitung der Krankheit helfen, sind beispielsweise Beten, Meditieren, das Lesen von religiösen Schriften, der Besuch religiöser Veranstaltungen, religiöse Rituale (z.B. wie Sakramente oder die Salbung mit Öl), und das Abstützen auf Geistliche und andere Mitglieder ihrer Kirche, Synagoge, Moschee, oder ihres Tempels. Religiöse Überzeugungen und Praktiken werden somit dazu benutzt, Emotion zu regulieren in Zeiten von Krankheit, Veränderung, und Umständen, die außerhalb der persönlichen Kontrolle des Patienten liegen.

Von der religiösen Gemeinschaft abgeschnitten

Wenn Patienten zur Akutbehandlung, Rehabilitation, oder längerfristigen Pflege ins Krankenhaus eingewiesen werden, sind sie oft von ihrer religiösen Gemeinschaft abgeschnitten. Wenn sie spirituelle Anliegen mit ihrem Geistlichen besprechen möchten, sind diese oft nicht zur Stelle. HIPAA 1 Vorschriften können sogar Geistlichen und religiösen Gemeinschaften die Auskunft verwehren, ob eines ihrer Mitglieder im Krankenhaus liegt. Patienten haben also nicht automatisch Zugang zu den normalen religiösen Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen, wenn sie unabhängig sind, zuhause wohnen und reisen können. Wenn zudem Gemeindegeistliche keine spezifische Ausbildung haben und nicht mit den Pflegeanbietern in Kontakt stehen, haben sie Mühe, spirituelle Bedürfnisse zu erfüllen, die auftreten, wenn Menschen krank oder behindert sind oder wenn sie im Sterben liegen. Aus diesen Gründen ist es zwingend erforderlich, dass ein Mechanismus geschaffen wird, mit dem die spirituellen Bedürfnisse der Patienten identifiziert, spirituelle Ressourcen angeboten, und Patienten an professionelle Seelsorger verwiesen werden können. Letztere müssen dafür ausgebildet sind, sich mit spirituellen Bedürfnissen sowie den emotionalen oder gesundheitlichen Konflikten zu befassen, die daraus entstehen können. In Kapitel 7, welches das Thema Geistliche und Seelsorge behandelt, wird die Isolation der Patienten ausführlicher besprochen.

Religiöse Überzeugungen beeinflussen medizinische Entscheidungen

Religiöse Überzeugungen beeinflussen die medizinischen Entscheidungen, die Patienten treffen, wenn sie ernsthaft erkrankt sind, und können den für Patienten geplanten medizinischen Maßnahmen zuwiderlaufen. So hat eine kürzlich durchgeführte Studie von 177 konsekutiven ambulanten Patienten in der pulmonären Klinik am Universitätskrankenhaus von Pennsylvania folgendes herausgefunden: Fast die Hälfte der Patienten (45 %) gaben an, Religiöse Überzeugungen würden ihre medizinischen Entscheidungen beeinflussen, wenn sie ernsthaft erkranken würden (Ehman et al. 1989). Religiöse oder spirituelle Überzeugungen könnten auch die medizinischen Entscheidungen jener Patienten beeinflussen, die nicht auf traditionelle Weise religiös sind. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage von 458 „Neo-Heiden“ (Wiccan, Druiden, Asatruaner) hat ergeben, dass 73 % der Befragten religiöse oder spirituelle Überzeugungen hatten, die ihre medizinischen Entscheidungen beeinflussen würden (Hamilton und Levine 2006).
Entscheidungen am Lebensende werden oft von der religiösen Überzeugung von Patienten oder Familienmitgliedern geprägt, besonders wenn es darum geht, auf Wiederbelebungsmaßnahmen zu verzichten oder Behandlungen einzustellen (Kaldjian et al. 1999). Ein Patient oder Familienmitglied betet zum Beispiel in einer medizinisch aussichtlosen Situation für ein Wunder. Diese Überzeugung kann die Hoffnung aufrechterhalten und Patienten davon abhalten aufzugeben, auch wenn Aufgeben in der betreffenden Situation vielleicht angemessener wäre. Der Verzicht auf Wiederbelebungsmaßnahmen oder eine aggressive Therapie kann für den Patienten oder die Familie Aufgeben bedeuten.
Religiöse Überzeugungen beeinflussen Behandlungsentscheidungen am Ende des Lebens; das ist ein Effekt, den Ärzte oft unterschätzen. Zum Beispiel bat man in einer Untersuchung von 100 Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs, deren Betreuern und 257 medizinische Onkologen, die an einer Jahresversammlung der Amerikanischen Gesellschaft für Klinischen Onkologie teilnahmen, eine Rangordnung von 7 Faktoren aufzustellen, welche die Entscheidung beeinflussen könnten, ob man einer Chemotherapie zustimmen würde oder nicht (Silvestri et al. 2003). Diese Faktoren waren: die Empfehlung des Onkologen, der Glaube an Gott, die Eignung der Maßnahme, die Krankheit zu heilen, Nebenwirkungen der Chemotherapie, die Empfehlung des Hausarztes, die Empfehlung des Ehepartners sowie diejenige der Kinder. Patienten, Familie, und Ärzte haben diese Faktoren in eine Rangordnung gestellt, von 1 (am wichtigsten) bis 7 (am wenigsten wichtig). Obschon sowohl Patienten als auch Familienmitglieder den Faktor „Glaube an Gott” an die 2. Stelle gesetzt haben – nur die Empfehlung des Onkologen rangierte höher – haben die Onkologen den Faktor „Glaube an Gott“ auf den letzten Rang gesetzt (7).
Religiöse Überzeugungen können sich auch auf das Essverhalten des Patienten auswirken, sowohl im Krankenhaus als auch nach der Entlassung, auf den Umgang mit Geburt und Geburtenkontrolle, sowie auf Riten rund um Krankheit, Tod und Sterben (siehe Kapitel 13). Überzeugungen können beeinflussen, ob Patienten medizinische Behandlungen oder Blutübertragungen akzeptieren, ihre Kinder impfen lassen, Schwangerschaftsvorsorge erhalten, Antibiotika und andere verschriebene Medikamente einnehmen, ihren Lebensstil ändern, eine Überweisung an einen Psychologen oder Psychiater akzeptieren, oder sogar, ob sie für ein medizinisches Follow-up zurückkehren. Wie also sollen die Gesundheitsfachpersonen die Krankheit des Patienten angemessen behandeln, wenn sie nichts über die religiösen bzw. spirituellen Überzeugungen des Patienten wissen?

Das Verhältnis von Religion und Gesundheit

Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben mehr als 1.200 Untersuchungen das Verhältnis von Religion und Gesundheit erforscht, wovon die Mehrheit einen signifikant positiven Zusammenhang ergeben hat (Koenig et al. 2001). Viele davon waren Querschnitterhebungen mit einer schwachen Methodologie, weil sie oft ohne Forschungsförderung ausgeführt wurden; eine solche wurde erst in den letzten Jahren verfügbar. Es gab aber auch viele gut konzipierte prospektive Studien und sogar eine Handvoll klinische Studien, welche die Ergebnisse der Querschnitterhebungen bestätigten und untermauerten. Seit der Wende ins 21. Jahrhundert sind viele neue Forschungsberichte publiziert worden, welche die Ergebnisse von früheren, weniger gut strukturierten Untersuchungen reproduziert und nochmals bestätigt haben. Viel dieser Untersuchungen sind in Bereichen durchgeführt worden, die für die Patientenbehandlung relevant sind.
Religiöse Krankheitsbewältigung und Depression. Patienten, die sich bei der Bewältigung ihrer Krankheit auf Religion stützen, stellen sich viel schneller auf ihre Krankheit ein als diejenigen, die es nicht tun (Koenig 2002). Sie neigen viel weniger dazu, Depressionen zu entwickeln (Koenig et al. 1992; Koenig 2007; Pressman et al. 1990), und sogar wenn sie depressiv werden, erholen sie sich viel schneller als Patienten, die weniger religiös sind (Koenig et al. 1998; Koenig 2007). Dies gilt auch für Betreuer von Patienten mit Alzheimer oder Krebs, die sich viel schneller in ihre Betreuerr...

Inhaltsverzeichnis

  1. Geleitwort
  2. Einleitung
  3. 1 Warum Spiritualität einbeziehen?
  4. 2 Wie bezieht man Spiritualität ein?
  5. 3 Wann bezieht man Spiritualität ein?
  6. 4 Was könnte daraus hervorgehen?
  7. 5 Grenzen und Hindernisse
  8. 6 Wenn Religion bzw. Spiritualität schadet
  9. 7 Geistliche und Seelsorge
  10. 8 Spiritualität in der Pflege
  11. 9 Spiritualität in der Sozialarbeit
  12. 10 Spiritualität in der Rehabilitation
  13. 11 Spiritualität in der Psychiatrie
  14. 12 Ein Muster-Lehrgang
  15. 13 Informationen zu spezifischen Religionen
  16. 14 Zusammenfassung der wichtigsten Punkte
  17. Literatur
  18. Zum „Forschungsinstitut für Spiritualität und Gesundheit“ (FISG)