Störungsorientierte psychodynamische Therapie im Krankenhaus
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Störungsorientierte psychodynamische Therapie im Krankenhaus

  1. 248 Seiten
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Störungsorientierte psychodynamische Therapie im Krankenhaus

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Über dieses Buch

Dieses Buch behandelt erstmals die Anwendung und Umsetzung bewährter störungsorientierter Therapieverfahren für bestimmte Patientengruppen im Bereich der stationären Psychotherapie. Es versteht sich als anwendungsbezogener Leitfaden und stellt - für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Traumafolge- und somatoformen Störungen - verschiedene Behandlungssettings vor, die aus der Praxis heraus entwickelt wurden und sich im klinischen Alltag bewährt haben.Neben der Erläuterung von Indikation und Kontraindikation der Settings liegt der Schwerpunkt auf der Schilderung konkreter Vorgehensweisen und typischer Schwierigkeiten anhand vieler Beispiele aus der klinischen Praxis mit praktischen Tipps. Dabei finden die spezifischen Vorgehensweisen und Erfahrungen aller an der Therapie beteiligten Berufsgruppen Berücksichtigung.

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Information

Jahr
2010
ISBN
9783170273986

1 Was ist eine störungsorientierte psychodynamische Psychotherapie?

Günther Klug und Michael von Rad
Während früher Therapieschulen von charismatischen Führern gegründet wurden, die ein bestimmtes Menschenbild proklamierten, ihre »Jünger« um sich scharten, Abgrenzungskämpfe gegenüber anderen Schulen oft nach dem Mechanismus des »Narzissmus der kleinen Differenz« führten und Dissidenten von der »reinen Lehre« ausstießen (die dann ihrerseits neue Schulen gründeten), hat die empirische Psychotherapieforschung mit ihrem nüchternen pragmatischen Ansatz: »was hilft wem?« diesen leidenschaftlichen Schulenstreit der Therapien auf den Prüfstand gestellt. Das führte bekanntermaßen zu dem verstörenden Resultat (für Kurztherapien), das wissenschaftlich-seriös »Äquivalenz-Paradox« (Meyer 1990), mehr poetisch »dodo-bird verdict« (Rosenzweig 1936) genannt wird. Es besagt, dass die spezifischen Wirkfaktoren, die die »Markennamen« der verschiedenen Therapieverfahren (psychoanalytisch, psychodynamisch, verhaltenstherapeutisch etc.) ausmachen, nur wenig, nämlich ca. 15 % der Varianz des Behandlungserfolges, aufklären (Lambert und Barley 2002), dagegen die »common factors« (Arbeitsbündnis, Empathie, Echtheit und Wärme des Therapeuten etc.), die in jeder Therapieform vorkommen, doppelt so viel, also 30 %. Die empirische Psychotherapieforschung hat so mit ihrer (Meta-)Analyse dem Therapieschulenstreit die »narzisstische Spitze« abgebrochen. Darüber hinaus aber, zur Synthese benützt, hat sie geholfen, neue Therapien quasi am Reißbrett zu konstruieren. Das von Orlinsky und Howard (1986, 1987) entwickelte »Generic Model of Psychotherapy« ist das Resultat einer Synthese von über 2.300 Befunden aus der Prozess-Outcome-Forschung, deren Bedeutung sich nur nach Effektstärke und statistischer Signifikanz bemisst. Als paradigmatisch für diese Entwicklung kann Grawes »Allgemeine Psychotherapie« (1995) gelten, die auf den Ergebnissen der bis Ende 1983 publizierten, kontrollierten Wirksamkeitsstudien basiert. Sie postuliert vier allgemeine, empirisch gesicherte Wirkfaktoren: Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, aktive Hilfe zur Problembewältigung und motivationale Klärung, die in einem unterschiedlichen Mischungsverhältnis in jeder Psychotherapie vorkommen sollen. Die komplementären Gesichtspunkte Ressourcenaktivierung versus Problemaktualisierung und motivationale Klärung (= Einsicht) versus aktive Hilfe zur Problembewältigung bilden jeweils eine Perspektive, die um die Dimension intrapersonal versus interpersonal ergänzt werde und so (nach Grawe) den konzeptuellen Rahmen bilde, in dem jede einzelne Psychotherapie erfasst werden könne. Essenziell ist, dass diese »allgemeine Psychotherapie« theoriebasiert, aber nicht mit einem bestimmten therapeutischen Ansatz verbunden, sondern schulenübergreifend ist.
Wampold (2001) hat ein »kontextuelles« Therapiemodell entwickelt, dass sich ganz auf die »common factors« als Wirkfaktoren stützt, und viel empirische Evidenz dafür gefunden. Sein Therapiemodell postuliert mehrere therapieschulenübergreifende Wirkfaktoren wie eine emotional besetzte, vertrauensvolle Beziehung zu einer helfenden Person im Kontext eines heilenden Settings, in dem der Patient annimmt, dass er Hilfe erhält. Ihm wird ein Mythos angeboten, der eine plausible Erklärung für seine Symptome enthält und ein Ritual verschreibt, das vom Patienten und vom Therapeuten akzeptiert wird, aber nicht notwendigerweise »wahr« sein muss; es genügt, dass der Patient an die Behandlung glaubt.
In einem »ironischen Kontrast« (Lambert 2004, S. 175) zu der Erkenntnis, dass die »common factors« der wichtigste Wirkfaktor für den Therapieerfolg sind, steht die zunehmende Entwicklung der störungsspezifischen Behandlungen; Strauss nennt das ein »Spezifitätsparadoxon« (Strauss 2001b, S. 428). Störungsspezifische Psychotherapie entstand auf dem Boden der evidenzbasierten Medizin, die Kriterien für empirisch validierte Psychotherapien bei bestimmten Krankheiten oder Syndromen entwickelte. Als »Störung«, die »spezifisch« psychotherapiert werden soll, wurde also sehr schnell und etwas unhinterfragt ein medizinisch-nosologisches Syndrom (wie z. B. Panikstörung) oder eine Krankheitseinheit (z. B. Anorexia nervosa) unterstellt. In diesem Sinne wurde und wird »störungsspezifisch« in aller Regel verstanden und angewandt. Unter psychodynamischen Gesichtspunkten ist Störung aber nicht nur als nosologische Einheit zu verstehen: Es gibt auch eine spezifische psychische Struktur mit typischen Dysfunktionalitäten, die dann auch in spezifischer Weise behandelt werden kann (als Beispiel siehe die unten angeführte übertragungsfokussierte Psychotherapie (transference-focused psychotherapy, TFP). Der Begriff »störungsspezifisch« wird also unter psychodynamischer Perspektive differenzierter angewandt.
Störungsspezifische Psychotherapien beruhen auf der Annahme, dass spezifische therapeutische Techniken den Therapieerfolg bestimmen, die aber nicht mehr schulengebunden sein müssen, sondern »durchmischt« sein können. Beispielsweise finden sich in einer psychoanalytisch orientierten Behandlung von essgestörten Patienten aus der Verhaltenstherapie entwickelte Maßnahmen zur »response prevention«. Diese »maßgeschneiderten« Therapien (Strauss 2001a), die im stationären Rahmen besonders gut zu gedeihen scheinen, sollen den unspezifischen, »verfahrensorientierten« Therapien überlegen sein, wofür bereits einige empirische Hinweise bestehen (Bateman und Fonagy 2008, Clarkin et al. 2007, Milrod et al. 2007).
Definition
Caspar, Herpertz und Mundt (2008) vertreten die Auffassung, »… dass es als Basis für angemessene Behandlungen essenziell ist, das jeweils Spezielle an einzelnen Störungen herauszuarbeiten und diesem sowohl in ätiologischen Erklärungen wie auch in störungsspezifischen Behandlungstechniken Rechnung zu tragen«. Folgerichtig definieren sie, dass unter störungsspezifischer Therapie Ansätze verstanden werden, »… die ganz auf die Karte des Spezifischen setzen. Typischerweise wird ein bestimmtes störungsspezifisches Ätiologiekonzept in den Vordergrund gestellt, aus dem therapeutische Vorgehensweisen abgeleitet werden.« Demnach liegt am Grunde einer störungsspezifischen Therapie eine (oder mehrere) ätiologische(n) Hypothese(n) und also mehr als lediglich ein Symptom oder ein Syndrom wie z. B. das ICD-10 es vorgibt, das rein phänomenologisch und atheoretisch konzipiert sein will. Zunehmend wird der Begriff »störungsorientiert« statt »störungsspezifisch« gebraucht, der zum Ausdruck bringen soll, dass an den Grenzen des »Spezifischen« nicht Halt gemacht wird (Herpertz et al. 2008, S. V), sondern auch allgemeine (im Sinne von: nicht störungsspezifische) Aspekte zugelassen sind, sodass eine größere Offenheit entsteht. Auch Mundt und Backenstraß plädieren für einen Mittelweg zwischen störungsspezifischer Einheitspsychotherapie und individueller Differenzierung (Mundt und Backenstraß 2001, Mundt und Backstraß 2005). Die Abgrenzung zur allgemeinen (im Sinne von unspezifischen) Psychotherapie wird dadurch schwieriger; Fiedler hält sie nur für einen »Mythos« (Fiedler 2001, S. 408).
Mit dieser Öffnung stellt sich die Frage: Was ist dann allgemeine Psychotherapie? Am besten kann sie als Extrem gegenüber der störungsspezifischen Therapie formuliert werden und da bietet sich die »klassische« Psychoanalyse an. Sie hat natürlich störungsspezifische ätiologische Hypothesen, aber sie leitet keine behandlungstechnischen Strategien oder Taktiken daraus ab, mit denen der Therapeut den therapeutischen Prozess strukturiert und lenkt. Der Patient wird zur freien Assoziation aufgefordert, die nicht gestört wird, und der Therapeut stellt sich mit seiner gleichschwebenden Aufmerksamkeit darauf ein. Was Thema wird, bestimmt das Unbewusste des Patienten, das die »pathogenen Komplexe« ins Bewusstsein rückt, und der Psychoanalytiker zielt mit seiner Deutung auf den Dringlichkeitspunkt (Strachey 1935, S. 507), vorzugsweise in oder an der Übertragung, theoretisch gleichgültig, ob er einen depressiven Patienten, einen Borderline-Patienten oder einen Panik-Patienten vor sich liegen hat.
Im Gegensatz dazu wird ein Therapeut in der übertragungsfokussierten Psychotherapie (TFP; Clarkin et al. 1999) bei der Therapie eines Borderline-Patienten von spezifischen Kriterien seiner Persönlichkeitsorganisation ausgehen (der Identitätsdiffusion, dem Gebrauch bestimmter primitiver Abwehrmechanismen und einer, außer in Stresssituationen, meist erhaltenen Realitätsprüfung) und zuerst einen Therapievertrag schließen, der die Verantwortlichkeiten von Patient und Therapeut ganz allgemein regelt und speziell auch den Umgang mit Bedrohungen des therapeutischen Rahmens. Auf der theoretischen Basis der gestörten Selbst- und Objektbeziehungen hat der Therapeut vier Therapiestrategien (»the broad strokes«) zur Verfügung, um sich im therapeutischen Prozess zu orientieren. Auf Stundenebene wird der Therapeut von sieben Taktiken geleitet, die ihm helfen, die oft chaotische Flut von Informationen zu ordnen und vor allem eine Hierarchie der zu bearbeitenden Themen festzulegen, die mit bedrohlichem Agieren wie Suizid- oder Morddrohungen beginnt und über der Bearbeitung der Übertragung bei der Arbeit mit nicht übertragungsbezogenem, affektgeladenem Material endet. Die Deutung der Übertragung auf den Therapeuten im Hier-und-Jetzt ist das zentrale Element der Therapie, Klärung und Konfrontation sind die vorbereitenden Schritte, supportive Interventionen sind nicht Teil des Konzeptes. Die Deutungskompetenz des Therapeuten wird nach den vier Kriterien Klarheit, Schnelligkeit, Relevanz und Tiefe beurteilt; im Manual stehen dafür Ankerbeispiele zur Verfügung. Die therapeutische Haltung ist eindeutig aktiv, was mit einer Einschränkung der freien Assoziation einhergeht. Die Therapietreue kann anhand von Skalen überprüft werden.
Wie fügt sich die störungsorientierte psychodynamische Psychotherapie da ein? Mit diesem an der Ätiologie und nicht am Symptom orientierten Ausgangspunkt »… gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die Psychoanalyse mit störungsspezifischen Therapien an sich Mühe hat« (Küchenhoff 2001, S. 420). Die scheint sie aber doch zumindest initial gehabt zu haben, während die Verhaltenstherapie diesen Begriff rasch besetzt hat, der mittlerweile aber auch zunehmend psychodynamisch orientierte Therapeuten interessiert (Watzke et al. 2007).
Als störungsorientiert psychodynamisch soll hier eine Psychotherapie verstanden werden, die auf einem psychodynamischen Ätiologiekonzept basiert, daraus psychodynamische Therapiestrategien ableitet und oft mit anderen therapeutischen Interventionen als der Deutung arbeitet; der Rückgriff auf therapeutische Techniken anderer theoretischer Schulen kommt immer wieder vor. Störung muss sich also nicht am Symptom oder Syndrom orientieren, sondern kann sich auch von spezisch gestörten, intrapsychischen Strukturen herleiten, wie z. B. die strukturbezogene psychodynamische Psychotherapie (Rudolf 2004) oder die mentalisierungsbasierte Therapie (mentalization-based treatment, MBT; Bateman und Fonagy 2006).
Ein Beispiel
Mittlerweile gibt es einige störungsorientierte psychodynamische Psychotherapien; hier sollen nur die übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP; Clarkin et al. 1999), die mentalisierungsbasierte Therapie (Bateman und Fonagy 2006), die strukturbezogene psychodynamische Therapie (Rudolf 2004), die panikfokussierte psychodynamische Psychotherapie (panic-focused psychodynamic psychotherapy, PFPP; Milrod et al. 1997, Busch et al. 2009) und die psychoanalytisch orientierte Fokaltherapie der Generalisierten Angststörung (Leichsenring et al. 2005) erwähnt werden. Zur Verdeutlichung soll als Beispiel für eine störungsorientierte psychodynamische Psychotherapie die panikfokussierte psychodynamische Psychotherapie im Folgenden dargestellt werden.
Der Formulierung der ätiologischen und pathogenetischen Hypothesen ging voraus:
  1. ein Literaturstudium auf der Basis eigener Therapieerfahrung (Busch et al. 1991),
  2. eine computergestütze Übersichtsarbeit über 35 Fälle psychodynamisch oder psychoanalytisch behandelter Patienten mit Panikstörung (Milrod und Shear 1991) und
  3. eine Pilotstudie von neun Patienten mit Panikstörung, mit denen
  4. ein psychodynamisches Interview durchgeführt wurde, das auf Video aufgezeichnet und dann von erfahrenen Psychoanalytikern konsensuell eingeschätzt wurde (Shear et al. 1993).
Daraus wurde das folgende psychodynamische Modell der Panikstörung entwickelt: Eine angeborene exzessive Ängstlichkeit vor unvertrauten Situationen (»shyness«) und eine neurophysiologische Übererregbarkeit führt beim Kind zu einer erhöhten Abhängigkeitsneigung, die zu einer ängstlichen Abhängigkeit wird. Wegen des adäquaten, unvermeidlichen Versagens der Eltern, dem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis des Kindes zu genügen, aber auch wegen eines real abweisenden oder überkontrollierenden Verhaltens der Eltern, kann das Kind keine angstmodulierenden intrapsychischen Strukturen aufbauen. Die daraus resultierende Objektbeziehung zu den primären Bezugspersonen wie auch die späteren Objektbeziehungen sind charakterisiert durch die intrapsychische Repräsentanz eines schwachen Selbst gegenüber einer Repräsentanz eines mächtigen Objektes, von dem man sich weder zu weit entfernen noch dem man zu nahe kommen darf. Die ängstliche Abhängigkeit prädisponiert zu narzisstischer Kränkung und Ärger auf wirkliches oder vermeintlich zurückweisendes oder ängstigendes Verhalten der Eltern, was abgewehrt wird, aber so zu der Fantasie führt, die Eltern zu verlieren oder zu beschädigen und damit die lebenswichtige Bindung zu zerstören. Diese bewussten und unbewussten negativen Affekte führen auch dazu, dass sie bei der gesteigerten neurophysiologischen Übererregbarkeit, deren vegetative Korrelate besonders beunruhigen, katastrophiert werden und so die Angst weiter steigern. So entsteht ein Teufelskreis aus: ängstlicher Abhängigkeit – Angst – narzisstischer Kränkung – Ärger – Schuld – Angst – ängstlicher Abhängigkeit. Auslöser von Panikattacken können verstanden werden als tatsächliche oder fantasierte Attacken auf die Bindung an wichtige Objekte durch Verlust und Trennung, die auch durch die Entwicklung von mehr Unabhängigkeit vom Objekt entstehen. Die Panikattacke vermindert diese Angst dadurch, dass die unbewusste Aggressivität zurückgeht und die Bindung durch die Hilflosigkeit wieder gestärkt wird.
Diese ätiologischen und pathogenetischen Hypothesen führten zu einer panikfokussierten, manualisierten, 24-stündigen, psychodynamischen Psychotherapie mit definierten therapeutischen Strategien (Milrod et al. 1997). Die Autoren achteten darauf, dass die wesentlichen Bestandteile einer psychoanalytischen Psychotherapie (freie Assoziation, Aufklärung unbewusster Bedeutungen und Konflikte, Deutung und Bearbeitung der Übertragung) gewahrt wurden und auf die oben beschriebenen ätiologischen Hypothesen fokussiert wurde. Dieses Ziel wurde durch viele konkrete Fallvignetten im Manual unterstützt. In einer ersten Fassung wurde es vier in der Behandlung von Panikstörungen besonders erfahrenen Psychoanalytikern zur Prüfung der Inhaltsvalidität vorgelegt und von ihnen angenommen. Der Behandlungsprozess wird in drei Phasen gegliedert:
  1. Phase: Sie fokussiert auf die unbewusste Bedeutung des Symptoms und auf die zugrunde liegenden Konflikte mit Autonomie, Trennung und Aggressivität. Das Ziel der ersten Phase ist die Reduktion von Stärke und Häufigkeit der Angstattacken.
  2. Phase: Hier geht es um das Verstehen und Durcharbeiten der Grundkonflikte durch die Arbeit mit der Übertragung. Ziel ist die Verbesserung der Beziehungen und die Reduktion von konflikthaften und angstbesetzten Erfahrungen mit Trennungen, Ärger und Sexualität.
  3. Phase: Sie umfasst mindestens das letzte Drittel der Therapie und fokussiert auf die Bearbeitung von Trennungsangst und Ärger in der Hier-und-jetzt-Situation der Therapie. Das Ziel dieser Phase ist die bessere Bewältigung von Trennung und Autonomie.
Mittlerweile wurde in einer naturalistischen (Milrod et al. 2000, Milrod et al. 2001) und in einer kontrollierten (Milrod et al. 2007) Effektivitätsstudie die Wirksamkeit der panikfokussierten psychodynamischen Psychotherapie nachgewiesen.
Zusammenfassung
Die kurz gestreifte Debatte über den Anteil unspezifischer und spezifischer Wirkfaktoren in der Psychotherapie ist trotz einer bereits beträchtlichen Zahl an Forschungsarbeiten keineswegs abgeschlossen. Vieles liegt noch im Dunkeln oder harrt solider empirischer Überprüfung: Es könnte ja sein, dass bestimmte Patientengruppen mehr von spezifischen, andere von unspezifischen Behandlungsstrategien profitieren.
Das Genannte lässt sich auch gut durch die bekannte Freud’sche Metapher ausdrücken, dass für die Massenanwendung der Psychoanalyse »das reine Gold der Analyse reichlich mit dem Kupfer der direkten Suggestion legiert werden musste« (Freud 1972, S. 193). Dabei kam zunächst die psychodynamische Psychotherapie auf die Welt; jetzt sieht es so aus, dass aber, um »diese Psychotherapie fürs Volk zu gestalten« (Freud 1972, S. 194), für verschiedene Patientengruppen je spezifische, andere Schwermetalle hinzugefügt werden müssen. Welche das jeweils sind, wird in den folgenden Kapiteln dargestellt oder in der Zukunft noch deutlicher werden.

2 Das Integrationssetting (Borderline-Persönlichkeitsstörungen)

Christoff Ehmer-von Geiso, Julia Brey, Rainer Koelsch, Manfred Jakobi, Ursula Preinhelter-Pouwels, Swantje Röck, Raphael Steiger, Anna von Thüngen, Andrea Wild und Dorothea Huber

2.1 Entstehung des Settings

Das störungsspezifische Behandlungsprogramm für Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen und ähnlichen schweren Persönlichkeitsstörungen hat eine längere Tradition in unserer Klinik und wurde immer wieder Veränderungen unterzogen. Auffallend ist, dass Änderungen der Settingstruktur und des behandlungstechnisc...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Einleitung
  6. 1 Was ist eine störungsorientierte psychodynamische Psychotherapie?
  7. 2 Das Integrationssetting (Borderline-Persönlichkeitsstörungen)
  8. 3 Das Essstörungssetting (Anorexie und Bulimie)
  9. 4 Das Traumasetting (Traumafolgestörungen)
  10. 5 Das Psycho-Soma-Setting (Somatoforme Störungen)
  11. 6 Die psychoonkologische Beratung
  12. Abkürzungen
  13. Autorenverzeichnis
  14. Literatur
  15. Register