Frühe Hilfen und Frühförderung
eBook - ePub

Frühe Hilfen und Frühförderung

Eine Einführung aus psychoanalytischer Sicht

  1. 216 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Frühe Hilfen und Frühförderung

Eine Einführung aus psychoanalytischer Sicht

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Schon zu Beginn der psychoanalytischen Bewegung beschäftigten sich Psychoanalytikerinnen und -analytiker mit frühkindlichen Entwicklungsprozessen und dem Aufbau der Mutter-Kind-Beziehung. In diesem Buch wird die Geschichte der psychoanalytischen Eltern-Säuglings- und Kleinkindpsychotherapie nachgezeichnet, die sich aus der Tradition der Bindungs- und Säuglingsforschung entwickelt hat. Anhand vieler Praxisbeispiele beleuchtet die Autorin die Komplexität des Themas und fordert ihre Kolleginnen und Kollegen dazu auf, psychoanalytische Kompetenzen nachdrücklich in diesen wichtigen Bereich der angewandten Psychoanalyse einzubringen.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Frühe Hilfen und Frühförderung von Christiane Ludwig-Körner, Cord Benecke, Lilli Gast, Marianne Leuzinger-Bohleber, Wolfgang Mertens im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Psychologie & Psychoanalyse. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2013
ISBN
9783170259522
Auflage
1

1          Einführung in das Thema

Lange Zeit wurde nicht nur in der Sozialen Arbeit und in der Psychotherapie, sondern auch in der Frühförderung die frühe Kindheit vernachlässigt. Auch heute werden Sozialarbeiter/Sozialpädagoginnen, aber auch Kinderpsychotherapeuten für ihre Arbeit im Frühbereich ungenügend ausgebildet, obwohl bekannt ist, dass die meisten Kindesmisshandlungen und Tötungen im Kleinkindalter geschehen und eine verbesserte Ausbildung unabdingbar wäre.
Wie kann man sich das aktuell größere Interesse an der frühen Kindheit erklären? Welchen Stellenwert Kinder in unserer Gesellschaft haben, welche Bedeutung wir ihnen beimessen und was wir von ihnen erwarten, hängt von vielen Faktoren ab und zeigt sich u. a. auch im Interesse der Forschung an Säuglingen/Kleinkindern. So wurde in den letzten Jahrzehnten der »kompetente Säugling« entdeckt (Stone et al., 1973), in einer Zeit, in der in den westlichen Ländern die Geburtenrate zu sinken begann. Bei einer Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Familie tritt die Einmaligkeit des Kindes in den Vordergrund, zugleich aber erhöhen sich auch die Erwartungen an das Kind. Die Umkehrung der Alterspyramide fordert, die Kinder möglichst optimal zu bilden, damit sie ihre Funktionen in der Gesellschaft bestmöglich erfüllen können. Nur ein gut gebildeter und psychisch gesunder, d. h. zukünftig arbeitsfähiger Mensch, kann die zu erwartende Last einer überalternden Gesellschaft tragen.
Aktuelle bildungs- und familienpolitische Diskussionen in Deutschland stehen auf der einen Seite im späten Einfluss der Pisa-Studien, auf der anderen Seite unterliegen sie der Notwendigkeit, Frauen wieder schneller nach der Geburt des Kindes in die Berufstätigkeit zurückzubringen. Kann es sein, dass die veränderte Sicht auf Kinder vor allem auch mit veränderten wirtschaftlichen Interessen einhergeht?
Neben dieser »ökonomischen Sicht« gibt es auch Überlegungen, dass die lange Ausblendung der frühen Lebenszeit (sowie der Lebensphase des Alterns und Sterbens) als kollektiver Verdrängungsprozess verstanden werden kann. Die völlige Abhängigkeit von anderen, die alle Menschen durchleben mussten (und müssen), ist oft so bedrohlich, dass sie verdrängt bzw. sogar abgespalten werden muss. Wenn der frühen Kindheit nun in weiten Kreisen eine größere Aufmerksamkeit zukommt, könnte dieses auf einen »psychischen Gesundungsprozess« der Gesellschaft hinweisen, in dem ihre Mitglieder sich nun doch mit oft schmerzhaften Gefühlen auseinandersetzen können und weniger verdrängen müssen. Ein veränderter Blick auf das Thema der Kindheit ist nur unter Einbezug der historischen Kontexte zu verstehen. Vielleicht wurden Kinder mit der Freiheit der Frau, sich bewusst für oder gegen ein Kind entscheiden zu können (Pille, Strafgesetzbuch § 218), zusätzlich »aufgewertet«, in dem sie mehr als zuvor als ein Teil der Mütter/Väter im Sinne eines Selbstobjekts erlebt werden?
Eine veränderte Sicht auf das Kind fand Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre statt, als Frauen begannen, für eine »natürliche Geburt« zu kämpfen. Die Säuglinge sollten unter psychisch optimalen Bedingungen ihr Leben beginnen können. Frauen wandten sich auch gegen eine Medizinalisierung und Programmierung der Geburt, wollten ihr Baby in familienfreundlichen Geburtshäusern oder zu Hause zur Welt bringen. Zu verstehen ist diese Veränderung auch vor dem Hintergrund der feministischen Bewegung. Sie war sehr einflussreich, so findet man heute z. B. selbst in den abgelegenen Gegenden Deutschlands die Kreissäle der siebziger Jahre nicht mehr vor. Es war in Deutschland auch der Beginn des »rooming in«. Auf die verheerenden Auswirkungen einer frühen Trennung von Mutter und Kind hatten bereits in den 1950er-Jahren James und Joyce Robertson mit ihren Filmen und Aufsätzen hingewiesen (1998). Beide hatten zuvor in den Kriegskinderheimen von Anna Freud mitgewirkt und arbeiteten dann in John Bowlbys Bindungsforschungen mit (
arrow
Kap. 2.1.3
).
In der psychoanalytischen Bewegung gab es bereits frühzeitig Ansätze, psychoanalytische Erkenntnisse nicht nur an Fachkräfte, sondern auch an Eltern zu vermitteln oder in der Arbeit mit kleinen Kindern umzusetzen (Kindergärten, Kinderheime, spezielle Beratungsstellen). Bereits in den 1930er-Jahren untersuchte der Psychoanalytiker René Spitz in seinen Hospitalismusforschungen die Auswirkungen mütterlicher Trennung auf kleine Kinder und begründete damit die psychoanalytische Säuglingsforschung mit anerkannten Psychoanalytikern wie Daniel Stern, Robert Emde, Louis Sander, Alicia Lieberman, Allen Schore, Beatrice Beebe, Peter Fonagy, Mary Target, Daniel Schechter und Arietta Slade und vielen, die sich ihnen seither anschlossen. Es waren vor allem Psychoanalytikerinnen, die Eltern-Säuglings-/Kleinkind-Psychotherapien aus den Nöten des Alltags heraus anboten, wie Selma Fraiberg, Alicia Lieberman, Stella Aquarone, und Anstöße für eine große weltweite Bewegung gaben. Zu denken ist an dieser Stelle auch an die frühen Arbeiten von Horst Eberhard Richter, der mit seinem Klassiker »Eltern, Kind, Neurose« (1962), lange bevor die Familientherapie in Deutschland bekannt und aufgebaut wurde, nicht nur auf elterliche Delegationen an ihre Kinder und auf transgenerationale Transmissionen hinwies, sondern mit seinen Mitarbeitern auch praxisnahe Projekte in sozialen Brennpunkten in Gießen anstieß. Hans-Peter Hartmann, der lange in Gießen als Psychoanalytiker arbeitete, baute später in Heppenheim an der dortigen Klinik für Psychotherapie und Psychiatrie eine stationäre Eltern-Säuglings-/Kleinkindpsychotherapie auf. Über die Arbeit weiterer Kolleginnen wird im
arrow
Kap. 8
berichtet, wo nicht nur auf die psychoanalytische Arbeit von Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern eingegangen wird, sondern auch psychoanalytische Zentren und Projekte beschrieben werden.
Nicht zuletzt durch die Medien, die zunehmend mehr von den schrecklichen Schicksalen von Kindern, ihrem Leid und ihren Tötungen berichteten, sah sich die Bundesregierung genötigt – über alle Parteien hinweg einig –, handeln zu müssen. Die Gründung des »Nationalen Zentrums Frühe Hilfen« 2007 unter der Familienministerin von der Leyen könnte als Geburtsstunde der »Frühen Hilfe-Bewegung« in Deutschland angesehen werden. Ihre Zielsetzungen, Aufgaben und Projekte werden im
arrow
Kap. 2.2
erläutert.
Die Bedeutung der Familie und ihr Wandel unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ist wie eine »Folie«, vor der alle Themen betrachtet werden müssen, die im
arrow
Kap. 3
behandelt werden. Familien sind der Ort, wo nicht nur die Bedürfnisse nach Sicherheit, Geborgenheit und Beziehung (Bindung) situiert sind, sondern auch die kindlichen Bildungs- und Erziehungsprozesse stattfinden. Adoleszente Eltern, Mütter mit Schwangerschafts- und Wochenbettdepressionen, Eltern mit psychischen Störungen, Frühgeborene und Kinder mit Regulationsstörungen sind die Hauptgruppen, für die Frühe Hilfen benötigt werden.
Projekte der Frühen Hilfen sind in Deutschland heute so zahlreich, dass in diesem Buch nur ausgewählte ausführlicher dargestellt werden können. Einige Projekte wurden ausgewählt, weil sie in anderen Ländern, aber noch nicht in Deutschland erfolgreich umgesetzt wurden (
arrow
Kap. 4
). Anhand einiger Projekte soll auch auf Möglichkeiten und Grenzen einer Arbeit mit Laien hingewiesen werden (
arrow
Kap. 7
).
Angesichts enger finanzieller Ressourcen ist es auf der einen Seite verständlich, dass Projekte favorisiert werden, die vorrangig mit semiprofessionellen Kräften zusammenarbeiten, andererseits bedarf es hoher professioneller Kompetenz, um jungen Familien zu helfen, sich aus ihren manchmal malignen Familienmustern zu befreien. Es besteht die Gefahr, dass Frühe Hilfen als nicht wirksam angesehen werden und dass sich das Tor, das sich gerade geöffnet hat, rasch wieder schließt. Die Gefahr einer »Verwässerung« wird zudem durch die fließenden Übergänge zwischen Bildungsprozessen (von Erwachsenen und Kindern), Frühförderung, Beratung, Krisenintervention und Psychotherapie verstärkt – Themen, die im
arrow
Kap. 4
behandelt werden. Dort wird ein Modellprojekt vorgestellt, in dem versucht wird, die fiskalischen Grenzen unterschiedlicher Zuordnungsbereiche wie Bildung, Frühe Hilfen, Psychotherapie oder Frühförderung zu integrieren, unter dem Motto »Eltern-Förderung im Kindergarten«.
Wie befähigt sind Laien, aber auch Fachkräfte, wie Sozialarbeiter, Familienrichter, Ärzte und Psychologen, Kindeswohlgefährdungen einzuschätzen? Verfügen sie über das nötige Wissen und die Kompetenz, entscheiden zu können, welche Maßnahme für wen hilfreich sein könnte? Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass es einen starken Professionalisierungsbedarf im Bereich »Frühe Hilfen« gibt, worauf im
arrow
Kap. 9
eingegangen wird.
Dieses Buch wäre nicht entstanden ohne die vielen Menschen, von und mit denen ich lernen konnte, Wiederholungszwänge bzw. transgenerationale Transmissionen und schwere Lebenswege besser zu verstehen. Danken möchte ich an dieser Stelle ganz besonders den vielen Kolleginnen, die jahrelang oft unentgeltlich und unter erschwerten Bedingungen in der Beratungsstelle »Vom Säugling zum Kleinkind« bzw. im »Familienzentrum Potsdam« mitgearbeitet haben. Ohne ihr Engagement, ihre Unterstützung bei immer wieder auftauchenden finanziellen Krisen, dem professionellen »handling« bei schwierigen Familien und ihr offenes Ohr für Lebenswidrigkeiten wäre diese Arbeit nicht möglich geworden.

2 Zur Geschichte der psychoanalytischen Arbeit mit Säuglingen/Kleinkindern

Einführung
Nach einem Überblick über die Anwendung psychoanalytischer Konzepte und Erfahrungen in der Pädagogik, die zumeist mit Weiterbildungen für Erzieher, Fürsorger und Pädagogen begann, werden die ersten psychoanalytischen Einrichtungen wie Kinderkrippen, Kriegskinderheime (Anna Freud und Dorothy Burlingham) und Erziehungsberatungsstellen (Kate Friedlander) vorgestellt. Die Bedeutung von René Spitz, Donald W. Winnicott, John Bowlby, James und Joyce Robertson für die Arbeit mit Säuglingen und Müttern bildet einen weiteren Schwerpunkt. Des Weiteren werden die Projekte von Margret Mahler und der hierzulande weniger bekannten, aber doch sehr bedeutsamen Judith Kestenberg vorgestellt. Den Abschluss dieses historischen Überblicks bilden die einflussreichen und international bekannten psychoanalytischen Säuglingsforscher. Schließlich wird noch die Entstehung der »Frühen Hilfe« skizziert, die sich psychoanalytischen, psychiatrischen, psychologischen und pädagogischen Initiativen verdankt.

Lernziele

• Die Anfänge der Anwendung psychoanalytischer Ideen auf pädagogische Themen kennenlernen
• Einen Eindruck von den ersten sehr verdienstvollen Einrichtungen psychoanalytischer Pädagogik bekommen
• Einen Überblick über die Konzepte und Vorgehensweisen von Psychoanalytikerinnen gewinnen, die sich mit der adäquaten Betreuung von Säuglingen und kleinen Kindern befasst haben
• Wichtige psychoanalytische Kleinkindforscher kennenlernen
• Verstehen lernen, aus welchen Wurzeln sich die Initiative der »Frühen Hilfe« zusammengesetzt hat

2.1 Psychoanalytische Arbeit mit Erzieherinnen, Pädagogen und Eltern

Traditionell beschäftigte sich die Psychoanalyse intensiv mit der kindlichen Entwicklung. Besonders in der frühen Zeit der psychoanalytischen Bewegung arbeiteten viele Psychoanalytiker aktiv und kreativ psychoanalytisch-pädagogisch. Tatsächlich war nämlich die Psychoanalytische Pädagogik das erste außerklinische Anwendungsgebiet der Psychoanalyse.
Früh engagierten sich Psychoanalytiker in der Weiterbildung von Erziehern, Fürsorgern, Pädagogen und Eltern. Siegfried Bernfeld und Willi Hoffer konnten von 1919 bis 1920 psychoanalytische Kenntnisse im Kinderheim Baumgarten anwenden. Die beiden vermittelten zusammen mit August Aichhorn, Anna Freud und Editha Sterba in einem zweijährigen Lehrgang, an dem neben Ausbildungskandidaten auch Pädagoginnen und Fürsorgerinnen teilnahmen, psychoanalytisch pädagogische Kenntnisse. Später boten auch die Psychoanalytikerinnen Steff Bornstein, eine Heilpädagogin, und Edit Gyömröi, nachdem sie von Berlin nach Prag und Budapest emigriert waren, dort ebenfalls Weiterbildungen für Erzieherinnen, Pädagogen und Mütter an. Die...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Geleitwort zur Reihe
  6. 1 Einführung in das Thema
  7. 2 Zur Geschichte der psychoanalytischen Arbeit mit Säuglingen/Kleinkindern
  8. 3 Warum Angebote in der frühen Zeit so wichtig sind
  9. 4 Frühe Hilfen – Frühförderung – Bildung – Schnittfelder
  10. 5 Auswahl einiger Präventionsprogramme
  11. 6 Frühe Hilfen in ausgewählten Handlungsfeldern
  12. 7 Möglichkeiten und Grenzen einer Arbeit mit Laien und Paraprofessionellen in der primären Prävention
  13. 8 Psychoanalytische Arbeit mit Eltern, Säuglingen und Kleinkindern
  14. 9 Professionalisierung der Frühen Hilfen
  15. 10 Ausblick – Chancen
  16. Literatur
  17. Stichwortverzeichnis
  18. Personenverzeichnis