1 Anforderungen in Gesetzen und Rahmenvereinbarungen
1.1 Entwicklung der Qualitätssicherung in der Pflege
Rund 800.000 Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen beziehen derzeit nach der Gesundheitsberichterstattung des Bundes Leistungen der Pflegeversicherung (gesetzlich und privat).
Das Statistische Bundesamt verzeichnete für das Jahr 2013 13.030 stationäre Pflegeeinrichtungen in Deutschland. In diesen Einrichtungen arbeiteten zum damaligen Zeitpunkt über 685.000 Menschen (Bundesgesundheitsministerium, 20.1.2016).
Allein diese drei Zahlen, die nur den Blickwinkel der privaten und gesetzlichen Pflegeversicherung auf die stationäre Pflege darstellen, mögen genügen, um zu verdeutlichen, wie wichtig und sinnvoll es war und ist, der Sicherung von Qualität in Pflege und Betreuung dieser Menschen auch von Seiten des Gesetzgebers besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Er hat dies beginnend mit dem Jahr 1995 in zahlreichen Gesetzen getan. Deren wichtigste Grundzüge sollen im Folgenden dargestellt werden.
Bevor wir uns aber diesem Thema aus dem Blickwinkel des Gesetzgebers nähern, ist es erforderlich, sich auch vor Augen zu führen, was die oben genannten Zahlen darüber hinaus bedeuten:
Wenn 685.000 Mitarbeiter1 in den verschiedensten Funktionen und mit den verschiedensten Professionen in über 13.000 stationären Pflegeeinrichtungen 800.000 Menschen Tag ein Tag aus umsorgen, so werden sie mit allergrößter Wahrscheinlichkeit mit dem langsamen Abschied dieser Menschen aus dem Leben und deren Tod konfrontiert sein und so auch bewusst oder unbewusst immer wieder ihrer eigenen Endlichkeit und den Grenzen ihres Tuns begegnen.
Das soll unseren Blick dahingehend schärfen, dass Qualitätssicherung im Zusammenhang mit der Pflege und Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen und deren Angehöriger einen sehr weiten Blick benötigt, der mit den Mechanismen herkömmlicher Instrumente der Qualitätssicherung schwer abzubilden und der leider immer noch in Begutachtungsverfahren üblichen Checklisten-Mentalität nicht zugänglich ist.
Der Gesetzgeber hat zwar mit seinen zahlreichen Bemühungen, die Realität der Pflege in stationären Einrichtungen in Deutschland durch Gesetze und Verordnungen zu regeln und in den Griff zu bekommen, immer wieder auf die jüngsten Entwicklungen – wenn auch zeitverzögert – reagiert, die Situation schwerstkranker und sterbender Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen größtenteils aber den gesetzlichen Vereinbarungen zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern überlassen. Erstmals mit dem am 8.12.2015 in Kraft getretenen Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) greift er nun die Situation dieser Menschen ganz explizit auf und nimmt in seiner Gesetzesbegründung ausführlich Bezug auf die Situation von Menschen in ihrer letzten Lebensphase in stationären Pflegeeinrichtungen, deren Hospizkultur und Palliativversorgung er mit verschiedenen gesetzlichen Regelungen weiterentwickeln möchte.
Dies nehmen wir mit dem vorliegenden Werk nun zum Anlass, ein in langen Jahren stufenweise entwickeltes und erprobtes Verfahren der Qualitätssicherung zu beschreiben, das einen umfassenden Blick auf die Situationen rund um den Weg aus dem Leben in stationären Einrichtungen zulässt und die Einzigartigkeit jeden Sterbens mit den Mitteln der Qualitätssicherung begleitet.
Wie lange der Weg von der ersten Erwähnung des Wortes »Qualität« im Zusammenhang mit der Versorgung und Pflege in stationären Einrichtungen hin zur tatsächlich möglichen »Hospizkultur und Palliativkompetenz in stationären Einrichtungen« als Grundlage einer Qualitätsentwicklung auch in der Sterbebegleitung in Einrichtungen war, zeigen die nachfolgenden Unterkapitel.
1.2 Pflegeversicherungsgesetz 1995
Nach einer mehr als 20-jährigen Diskussion wurde 1995 in Deutschland eine gesetzliche Pflegeversicherung als fünfter Zweig der Sozialversicherung eingeführt und im neu geschaffenen SGB XI kodifiziert. Der Gesetzgeber entschied sich damals für eine Kombination aus umlagefinanzierter Sozialversicherung und obligatorischer kapitalfundierter Privatversicherung. Dem vorausgegangen war eine lange Diskussion über die Absicherung des Pflegerisikos, die durch ein Gutachten des Kuratoriums Deutsche Altershilfe aus dem Jahr 1974 angefacht wurde (vgl. hierzu auch Rothgang 2010), in dem Pflegebedürftigkeit erstmals aufgrund der problematischen Form der Absicherung als allgemeines Lebensrisiko gekennzeichnet wurde. Dieses war insbesondere dadurch charakterisiert, dass die mit der Heimunterbringung verbundenen Kosten in der Regel das Alterseinkommen und das Vermögen der Pflegebedürftigen überstiegen, so dass stationäre Unterbringung häufig zu finanzieller Bedürftigkeit und damit zum Bezug von Leistungen aus dem damals noch geltenden Bundessozialhilfegesetz (BSHG) führte.
In der bis zum 1.7.2008 geltenden Fassung regelte § 80 SGB XI erstmals die Verpflichtung von Kostenträgern und Leistungserbringern, gemeinsam »Grundsätze und Maßstäbe für die Qualität und die Qualitätssicherung der ambulanten und stationären Pflege sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements, das auf eine stetige Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität ausgerichtet ist«, zu entwickeln (§ 80 SGB XI i. d. F. bis 1.7.2008). Die daraus entstandenen »Gemeinsamen Grundsätze und Maßstäbe zur Qualität und Qualitätssicherung […]« erwähnen noch mit keinem einzigen Wort die Situation schwerstkranker und sterbender Menschen in stationären Einrichtungen.
Die wichtigsten Regelungen im Überblick:
§ 80 Abs. 1 SGB XI
• Vereinbarung von Grundsätzen und Maßstäben für die Qualität, die Qualitätssicherung und das Verfahren zur Durchführung von Qualitätsprüfungen durch die Pflegeselbstverwaltung
• Verbindlichkeit für Pflegekassen und Pflegeeinrichtungen
§ 80 Abs. 2 SGB XI
• Verpflichtung der Pflegeeinrichtungen, sich an Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beteiligen und Verpflichtung der Pflegeeinrichtungen, Qualitätsprüfungen zu ermöglichen
§ 80 Abs. 3 SGB XI
• Maßnahmenbescheid durch die Landesverbände der Pflegekassen bei Qualitätsmängeln
§ 80 Abs. 5 SGB XI
1.3 Pflege-Qualitätssicherungsgesetz 2002 (PQsG)
Das »Gesetz zur Qualitätssicherung und zur Stärkung des Verbraucherschutzes in der Pflege« trat am 1.1.2002 in Kraft und stellt mit einer grundlegenden Überarbeitung des Elften Kapitels des SGB XI vor allem die Verpflichtung der Anbieter zu einrichtungsinternem Qualitätsmanagement, zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Pflegeleistungen und zur Stärkung der Verbraucherrechte in seinen Mittelpunkt. Auch hier lassen die nunmehr zu vereinbarenden Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen (LQVen) noch die ausdrückliche Erwähnung der Sterbesituation vermissen, die insbesondere mit intendierte »Stärkung der Verbraucherrechte«, hinter der der wachsame – oder gutgläubige – Hospizler gar die Selbstbestimmung am Lebensende vermutet hätte, gipfelt lediglich in der Einbeziehung der Heimbewohner und deren Vertreter bei der Entgeltfindung nach § 7 Heimgesetz.
Die wichtigsten Regelungen im Überblick:
§ 80 Abs. 1 SGB XI
• Festlegung von Grundsätzen für ein umfassendes Qualitätsmanagement durch die Pflegeselbstverwaltung
• Wegfall der Kompetenz zur Regelung des Verfahrens für Qualitätsprüfungen
§ 80 a Abs. 1 SGB XI
• Abschluss von Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen
§ 113 SGB XI
• Leistungs- und Qualitätsnachweise durch die Träger der Einrichtungen
• Zulässige Stellen für die Nachweise:
− durch die Pflegekassen anerkannte unabhängige Sachverständige
− durch die Pflegekassen anerkannte Prüfstellen
• neben der MDK-Prüfung
§ 114 SGB XI
• Durchführung der Qualitätsprüfungen
§ 115 SGB XI
• Folgen der Qualitätsprüfung
§ 117 SGB XI
• Zusammenarbeit mit der Heimaufsicht
§ 118 SGB XI
• Rechtsverordnung zu Beratungs- und Prüfvorschriften zur Qualitätssicherung
1.4 Pflege-Weiterentwicklungsgesetz 2008
Mit dem in seinen wesentlichen Teilen zum 1.7.2008 in Kraft getretenen Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflegeweiterentwicklungsgesetz) hat der Gesetzgeber die soziale Pflegeversicherung 13 Jahre nach ihrer Einführung erstmals umfassend reformiert. Im Zentrum der Novellierung des SGB XI steht neben einer Ausweitung der Pflegeleistungen, die durch eine Anhebung des Beitragssatzes um ein Viertel Prozentpunkt gegenfinanziert werden soll, vor allem das Bemühen, die Qualität der erbrachten Leistungen durch ein Mehr an Kontrolle und Transparenz stärker als bisher zu sichern und Leistungsberechtigte bei der Inanspruchnahme pflegerischer Leistungen intensiver zu beraten und zu unterstützen. Erreicht werden sollte dies etwa durch die konsequente Umsetzung des Konzepts des Case-Managements oder den Aufbau sogenannter Pflegestützpunkte. Darüber hinaus sollte dem allgemeinen Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf von Menschen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen besser Rechnung getragen werden können (BT-Drs Nr. 16/7439).
Neben diesen sozialrechtlichen Änderungen des Pflegeversicherungsrechts tritt die Verabschiedung des Pflegezeitgesetzes, nach dem Angehörige von Pflegebedürftigen unter bestimmten Voraussetzungen einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf Freistellung geltend machen können.
Auch hier wird der engagierte Hospizbewegte vergeblich nach der Erwähnung der zentralen Thematik, der er sich verschrieben hat, suchen, während der von Qualitätsmanagement in zunehmenden Maße Begeisterte erneut fündig wird:
§ 113 SGB XI
• Festlegung von Anforderungen an Sachverständige und Prüfinstitutionen
• Festlegung von Zertifizierungs- und Prüfverfahren
• Aufhebung des Systems der Leistungs- und Qualitätsnachweise
§ 113 a SGB XI
• Expertenstandards zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege
§ 113 b SGB XI
• Schiedsstelle Qualitätssicherung
§ 114 a Abs. 7 SGB XI
• Rechtsgrundlage für die Richtlinienkompetenz des GKV-Spitzenverbandes für die Prüfung der in Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität (QPR)
§ 115 Abs. 1a SGB XI
• Veröffentlichung von Ergebnissen der Qualitätsprüfungen
1.5 Pflege-Neuausrichtungsgesetz 2012
Auch das Pflege-Neuausrichtungsgesetz, das der Deutsche Bundestag am 29.6.2012 verabschiedete, bleibt die Erwähnung der Sterbesituation weiterhin schuldig. Es trat am 1.1.2013 in Kraft und blieb während des gesamten Gesetzgebungsprozesses weiterhin umstritten, obwohl es zumindest in folgenden Hauptbereichen Veränderungen brachte:
• Leistungsverbesserungen, insbesondere für demenziell erkrankte
• die Anhebung des Beitragssatzes zur sozialen Pflegeversicherung
• die Einführung einer privaten Pflegezusatzversicherung, die mit einem staatlichen Zuschuss versehen wurde
• die Stärkung von Rechten der Pflegebedürftigen
Kritisiert wurde zum einen die Tatsache, dass die durch das Gesetz intendierten Leistungsverbesserungen schon mit dem Inkrafttret...