Sozialtraining für Menschen im Autismus-Spektrum (AS)
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Sozialtraining für Menschen im Autismus-Spektrum (AS)

Ein Praxisbuch

  1. 217 Seiten
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Sozialtraining für Menschen im Autismus-Spektrum (AS)

Ein Praxisbuch

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Menschen im Autismus-Spektrum haben Schwierigkeiten, soziale Signale im zwischenmenschlichen Kontext zu deuten. Wie sieht ein wütendes Gesicht aus und was denken andere Menschen?Soziale Lerngeschichten (Anleitungen), Comic Strip Conversations (nach C. Gray) sowie Empathie- und Emotionstrainings helfen, soziale Schwierigkeiten über den Intellekt zu kompensieren. Soziale Kompetenzgruppen bieten soziale Erfahrungen in einem geschützten und strukturierten Rahmen und üben gezielt Verhaltensweisen ein. Diese Methoden des Sozialtrainings sind ausführlich für den deutschsprachigen Raum zusammengestellt und an hiesige Verhältnisse adaptiert. Die 2. Auflage ist um neue Trainings, die z.B. am PC eingesetzt werden können, erweitert. Zudem wird das Thema Autismus> auch aus Betroffenen-Sicht dargestellt.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783170252967

1 Einleitung

Ein Spezifikum von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Autismus-Spektrum (AS) sind ihre Schwierigkeiten im Bereich der zwischenmenschlichen Interaktion. Warum lächeln Menschen andere an, wenn sie diese begrüßen, warum muss man einander die Hand geben oder in die Augen sehen? Wieso unterhalten sich Erwachsene ständig über das Wetter, wenn es doch niemanden interessiert? Warum antworten sie auf Fragen wie »Wie geht es dir?« nicht ehrlich? Warum sind nicht-autistische Menschen in ihrer Sprache so ungenau?
Dies sind nur einige der vielen Fragen, die sich schon Kinder im Autismus-Spektrum häufig stellen und auf die sie nur selten Antworten finden.
Aus der therapeutischen Praxis ist bekannt, dass ein frühzeitiges Training sozialer Kompetenzen Betroffene für soziale Signale und das Erkennen und Benennen von Gefühlen sensibilisiert. Viele Menschen mit Asperger-Syndrom sind aufgrund ihrer guten kognitiven Fähigkeiten in der Lage, das soziale Miteinander intellektuell zu begreifen und mit zunehmendem Alter erfolgreich anzuwenden.
Dieses Buch soll aufzeigen, wie Alltagsgeschichten (auch soziale Anleitungen genannt) in Anlehnung an Social Stories von Carol Gray geschrieben werden können, die sich in der Praxis als hilfreich erwiesen haben. Auch soll es vorstellen, wie die Fähigkeit, sich empathisch zu verhalten, gefördert werden kann. Erstmals werden im deutschsprachigen Raum somit Methoden und Möglichkeiten des Sozialtrainings ausführlich vorgestellt.
Ein weiterer Fokus liegt auf den sozialen Gruppentrainings, da diese die Generalisierung von Fähigkeiten auf einen Kontext außerhalb der Gruppe bislang nach Erfahrung der Autorin am nachhaltigsten fördern. Soziale Kompetenzen sind am besten innerhalb eines sozialen Rahmens vermittelbar. Dort finden die Gruppenteilnehmer und Teilnehmerinnen Freunde und entwickeln in der Regel mehr Selbstwertgefühl.
Aufgrund der Erfordernis, über verbales Verständnis und »ausreichende« kognitive Fähigkeiten zu verfügen, ist das hier vorgestellte Sozialtraining in der Regel für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit sog. High-Functioning-Autismus oder Asperger-Syndrom geeignet. Es ist jedoch auch möglich, Menschen mit Frühkindlichem Autismus einzelne Komponenten davon zu vermitteln, in dem die Inhalte sehr kleinschrittig und mit vielen Wiederholungen präsentiert sowie an das jeweilige Sprachniveau bzw. kognitive Niveau angepasst werden. Für alle, die ein Emotionstraining/Sozialtraining für Personen mit Frühkindlichem Autismus anstreben, sei auf das 2009 erschienene Buch von Natascha Nicolic mit dem Titel »Gefühle ohne Worte. Wie sich Menschen mit Autismus ihrer Emotionen bewusst werden können« verwiesen. Die Autorin bezieht sich primär auf Menschen mit Frühkindlichem Autismus und stellt eigene praktische Anregungen zu diesen Themenkomplexen vor.

2 Soziale Schwierigkeiten bei Menschen im Autismus-Spektrum (AS)

Forscher sind sich mittlerweile einig, dass es den Autismus nicht gibt. Im vergangenen Jahrhundert haben Hans Asperger (erster Aufsatz im Jahr 1938) und Leo Kanner (1943) unabhängig voneinander ungefähr zum selben Zeitpunkt den Begriff »autistisch« verwendet, um damit Kinder zu bezeichnen, die sich selbst genügten, kaum oder verändertes Sprachverhalten zeigten, sich mit stereotypem Verhalten oder eingeschränkten Interessengebieten befassten und klinisch spätestens nach dem dritten Lebensjahr auffällig wurden. Heute wissen wir, dass Leo Kanner eher die Kinder beschrieb, die heute die Diagnose Frühkindlicher Autismus erhalten, während Hans Asperger diejenigen beobachtete, die mit dem Asperger-Syndrom diagnostiziert werden.
Frühkindlicher Autismus ist in der Regel vor dem dritten Lebensjahr an auffällig. Die Kinder benutzen Spielsachen nicht der Funktion entsprechend, sondern zweckentfremdet. Sie drehen zum Beispiel viel länger nur die Räder an den Autos statt Autos hin- und her zu fahren. Sie machen ihre Bezugspersonen nicht auf etwas Interessantes aufmerksam, d. h. sie zeigen ihnen keine Lieblingsgegenstände. Auch folgen sie den Zeigegesten der Erwachsenen nicht mit dem Blick. Meistens erfolgt keine Reaktion auf den eigenen Namen. Die Sprache setzt, wenn überhaupt, sehr spät ein. In ca. 25–50 % der Fälle geht der Frühkindliche Autismus mit einer geistigen Behinderung einher.
Kinder mit dem Asperger-Syndrom hingegen werden meistens erst nach dem dritten Lebensjahr an auffällig. Sie verfügen bereits sehr früh über eine stilistisch hoch stehende Sprache. Die Sprachentwicklung beginnt oft schon vor dem zweiten Lebensjahr. Dennoch ist die Sprache verändert, d. h. die Kinder sprechen manchmal monoton, verwenden selbst erfundene Wörter (Neologismen) und treten kaum in einen wechselseitigen Austausch. Vielmehr berichten sie leidenschaftlich und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Kommunikationspartners von ihren Spezialinteressen. Diese Spezialinteressen können für nicht-autistische Menschen eher untypische Themen wie Insekten, Waschmaschinen, Wasserpumpen, Kirchtürme oder Pilze betreffen.
Für Menschen, die in ihrer frühen Kindheit das klinische Bild eines Frühkindlichen Autismus zeigten, sich dann aber eher in Richtung Asperger-Syndrom entwickelten, gibt es mittlerweile die Bezeichnung High-Functioning-Autismus. Autoren wie Tony Attwood verwenden den Begriff High-Functioning-Autismus und Asperger-Syndrom mittlerweile synonym. Differenziert wird er nur aufgrund der unterschiedlich einsetzenden Sprachentwicklung.
Dazwischen gibt es entlang des Autismus-Spektrums diverse Ausprägungen, die auch als tiefgreifende Entwicklungsstörungen bezeichnet werden, die unter anderem das Rett-Syndrom oder andere desintegrative Störungen des Kindesalters umfassen.
Allen Varianten des Autismus-Spektrums gemein sind jedoch Auffälligkeiten in der Kommunikation, der sozialen Interaktion und im Verhalten.
Ich werde im Rahmen dieses Buches von »Menschen im Autismus-Spektrum« sprechen, da »Autismus-Spektrum« die gängige Bezeichnung ist, die ab 2013 für das DSM-V (Psychiatrisches Klassifikationsmanual der USA) verwendet wird. Sollte es mir passieren, dass ich an der einen oder anderen Stelle »mit Autismus« schreibe, bitte ich um Nachsicht. In diesem Manual gibt es die Einteilung in »Frühkindlichen Autismus, »Atypischen Autismus« und »Asperger-Syndrom« nicht mehr. Die tiefgreifenden Entwicklungsstörungen werden seitdem in dem Autismus-Spektrum zusammengefasst.
Für das kommende ICD-11 (Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation WHO) wird die Bezeichnung »Autismus-Spektrum« möglicherweise ebenfalls übernommen.

2.1 Kommunikation

In der Arbeit bzw. im Zusammensein mit Menschen im Autismus-Spektrum fallen immer wieder Besonderheiten in der Kommunikation auf. Kinder kommen beispielsweise in einen Raum, ohne anwesende Personen zu begrüßen und ohne Blickkontakt herzustellen. Sie beginnen sofort, von ihren speziellen Interessen zu berichten oder spezifische Fragen zu stellen, ohne Rücksicht darauf, ob das Gegenüber an den Themen interessiert ist. Bringt sich das Gegenüber ein, wird diese Äußerung nicht adäquat beachtet. Eine Wechselseitigkeit, bei der beide Gesprächspartner einen Beitrag zu der Unterhaltung leisten, findet nicht statt. Dieses Problem tritt auch bei Jugendlichen und Erwachsenen noch auf.
Auch erwachsene Menschen im Autismus-Spektrum haben häufig noch Probleme, ein Gespräch anzufangen bzw. im wechselseitigen Sinn aufrechtzuerhalten. Häufig wissen sie nicht, wie und worüber sie sich mit anderen Menschen unterhalten können. Erwachsene berichten davon, dass ihnen die Themen, die nicht-autistische Menschen für Small Talk benutzen, nicht wichtig erscheinen und sie daher keinen Sinn darin sehen können. Gesellschaftliche Anlässe werden gemieden. Kinder beschreiben, wie sie versuchen mitzureden, aber es ihnen nicht gelingt, da sie nicht wissen, was sie sagen sollen oder wann sie an der Reihe sind, sich einzubringen.
Den diagnostischen Kriterien zufolge fallen bei Menschen im Autismus-Spektrum zudem eine mangelhafte Mimik und Gestik sowie eine eingeschränkte Körpersprache auf. Nonverbale Kommunikationsformen werden nicht für die Kommunikation mit anderen eingesetzt. Selbst, wenn Kinder über keine verbale Sprache verfügen, wählen sie keine nonverbalen Ausdrucksformen, um sich mitzuteilen.
Kinder mit Asperger-Syndrom verfügen im Allgemeinen über eine hoch stehende Sprache. Ihr Wortschatz ist komplex und sie drücken sich gewählt und korrekt aus. Dies bringt ihnen häufig die Bezeichnung »kleine Professoren« ein. Es kann sein, dass ein zehnjähriges Kind wie ein Erwachsener von »unlösbaren Konflikten«, »verbalen Aggressionen« oder »deutlicher Inkonsequenz« spricht. Auch sind die Kinder in ihrer Sprache oft kreativ und erfinden Wörter, die nur sie selbst verstehen können. Häufig wissen sie nicht, dass andere Menschen diese Wörter gar nicht kennen. Ein berühmtes Beispiel autistischer Sprache gibt der Schriftsteller Axel Brauns, der in seinem Buch Buntschatten und Fledermäuse einen beeindruckenden Einblick in seine autistische Gedankenwelt gibt.
Meistens sprechen vom Asperger-Syndrom betroffene Menschen ausführlich über ein Spezialthema, wobei ihre Sprechweise auffällig ist. Es kann sein, dass sie fast flüsternd reden oder ein wenig zu laut dabei sind. Die Sprechweise kann kontextunabhängig einen monotonen Klang haben. Dies führt zu Irritationen, wenn das Gegenüber von einem emotionalen Thema spricht, die Stimmlage sich dabei jedoch nicht verändert.
Schwierigkeiten in der Kommunikation ergeben sich auch durch die Tendenz, Gesagtes wortwörtlich zu interpretieren oder Informationen assoziativ zu verarbeiten. Das bedeutet, dass Menschen mit Asperger-Syndrom häufig von einem Thema zum nächsten »springen«, ohne den roten Faden der Kommunikation aufrecht zu erhalten.

2.2 Soziale Interaktion

Aus den eben genannten Schwierigkeiten, mimische und gestische Signale für die Kommunikation einzusetzen bzw. diese »lesen« zu können, ergeben sich Probleme in der sozialen Interaktion. Das Gegenüber kann nicht einschätzen, wie eine autistische Person sich gerade fühlt, wenn das Gesicht kein Anzeichen einer Emotion oder gar Widersprüchliches (zur Situation nicht Passendes) spiegelt. Ein Kind mit Asperger-Syndrom freut sich möglicherweise über ein neues Computerspiel und drückt seine Freude verbal aus, lächelt dabei aber nicht und signalisiert auch nicht über den Körper, dass es glücklich ist. Andererseits kann es nicht erkennen, wann jemand von seinem Vortrag über neue PC-Spiele gelangweilt ist, da es den mimischen Ausdruck sowie die Körpersprache des Gegenübers nicht entschlüsseln kann.
Ein großes Problem in der sozialen Interaktion stellt auch der mangelnde Blickkontakt autistischer Personen dar. Wenn das Gegenüber während eines Gesprächs oder einer Begrüßung auf den Boden statt in das Gesicht des Gesprächspartners schaut, ist das für die meisten nicht-autistischen Menschen ungewohnt und irritierend. Daraus resultiert sehr häufig ein Kontaktabbruch, ehe er überhaupt begonnen hat.
Kennzeichnend für die Probleme in der sozialen Interaktion ist ebenso die fehlende sozio-emotionale Gegenseitigkeit, also zum Beispiel mangelndes Interesse am Teilen bestimmter Ereignisse, Interessen oder Gefühle. Ein Kind mit Asperger-Syndrom, welches sich für das Weltall interessiert, ist in der Regel zufrieden, sich alleine mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Es wird anderen gerne darüber berichten, aber im Gegenzug keine Fragen zu Themen stellen, die die andere Person vielleicht interessieren könnten. Hierbei muss differenziert werden, dass jemand Fragen stellen kann, weil er an einem Thema oder an einer Person (oder beidem) interessiert ist. Ist ein nicht-autistischer Mensch an einer Person interessiert, wird er vermutlich auch dann Fragen zu einem Thema stellen, das ihn nicht sonderlich interessiert. Beschränkt sich das Interesse aber ausschließlich auf ein Thema, so dass das Gegenüber das Gefühl hat, funktionalisiert und nicht als Person wahrgenommen und geschätzt zu werden, dann bricht der Kontakt meistens recht bald ab.
Es kommt vor, dass Kinder im Autismus-Spektrum generell kein Interesse an anderen Kindern haben. Auf die Frage, warum sie nicht mit anderen Kindern spiele, gab mir ein Mädchen (damals sieben Jahre alt) mit der Diagnose High-Functioning-Autismus die Antwort: »Warum denn? Ich kann doch alleine spielen, ich bin doch schon groß.«
In der Regel wollen Kinder im Autismus-Spektrum aber Kontakte zu anderen Kindern haben und sehnen sich nach Freundschaften. Sie wissen nur nicht, wie sie diese herstellen können. Sie sind unsicher, was sie zu anderen Kindern sagen sollen, spüren, dass sie anders sind als andere Kinder und mit diesen keine oder wenig gemeinsame Interessen teilen. Teilen Sie deren Interessen, so unterscheiden sie sich dennoch in der Intensität der Beschäftigung mit diesen Vorlieben. Dadurch kann es auch zu einem unterschiedlichen Kontaktbedürfnis kommen, da ein Kind mit Asperger-Syndrom möglicherweise länger mit eigenen Interessen als mit Verabredungen beschäftigt ist.
Erwachsene Personen mit Asperger-Syndrom äußern, selbst im Rahmen einer Freundschaft ein seltenes Kontaktbedürfnis zu haben, wenn auch die Bedeutung der Freundschaft aus ihrer Sicht dadurch nicht geschmälert wird. Dies führt dazu, dass viele Freundschaften wieder in die Brüche gehen, obwohl die Betroffenen dies nicht beabsichtigen. Ein Mangel an sozialer Interaktion kann bis ins hohe Erwachsenenalter ein Grund für Sekundärphänomene wie Depressionen sein.

2.3 Verhalten

Das Verhalten von Menschen im Autismus-Spektrum wird stark von ihren Kommunikations- und Interaktionsschwierigkeiten beeinflusst. So werden Menschen, die die sozialen Signale anderer Menschen schlecht verstehen können, sich vermutlich lieber alleine beschäftigen. Ist die Gegenwart vieler Menschen vielleicht zudem akustisch problematisch, wird auch dies zum Rückzugsverhalten führen. Werden Berührungen als unangenehm empfunden, wird eine Liebesbeziehung deutlich erschwert.
Nicole Schuster erklärt in einem Interview aus dem Jahr 20074, wie sie im Kindergarten als Kind am liebsten in einer Ecke saß und Puzzles legte. Sie nahm zwar wahr, dass die anderen Kinder an gemeinsamen Aktivitäten teilnahmen, war daran aber nicht interessiert. Das Legen ihrer Puzzles machte sie vollkommen zufrieden. Dieses Rückzugsverhalten autistischer Kinder kann in Kindergärten immer wieder beobachtet werden. Sie rieseln mit Murmeln, klappern mit Bausteinen, reihen Autos aneinander, betrachten das Sonnenlicht durch reflektierende Gegenstände oder drehen sich im Kreis.
Wenn die Kinder älter werden, verändern sich die stereotypen Verhaltensmuster. Dabei gibt es nach Attwood bei Kindern mit High-Functioning-Autismus/Asperger-Syndrom Unterschiede zwischen den Spezialinteressen von Jungen und Mädchen. Mädchen, so Attwood, interessieren sich für Puppen, das Schreiben und Lesen von Romanen (zum Beispiel Harry Potter), Fantasiewelten, Tiere und Soap Operas (Attwood 2007, S. 230). Jungen finden Computerspiele und Themen wie Elektrizität und Sport interessant. Das Thema Musik und Zeichnen ist bei beiden Geschlechtern häufig vertreten. Wie bereits erwähnt, können Spezialthemen auch weniger sozial akzeptierte Themen betreffen, wie zum Beispiel Bierdeckel oder Waschmaschinen. Fragt ein Kind einen Besucher, ohne ihn zunächst zu begrüßen, sofort nach der Anzahl der Umdrehungen der häuslichen Waschmaschine, ist dies meistens ein irritierender Erstkontakt. Tiere können für viele Menschen mit Asperger-Syndrom zu einem Ersatz für zwischenmenschliche Kontakte werden. Ein junger Mann, den ich kurz kennenlernte, interessierte sich intensiv für Zeichnungen von Autos, aber auch für Wellensittiche. Die Sittiche hatten besondere Namen wie G3512 und wurden an einem Großteil der am Tage zur Verfügung stehenden Zeit beobachtet. Sobald der junge Mann eine Missempfindung des Wellensittichs bemerkte, tat er alles, um diese zu beseitigen. Er sprach mit großer Zärtlichkeit von seinen Tieren. Diese dienten auch ihm als Quell der Freude.
Angstauslösende Gegenstände oder Themen können ebenfalls zum Spezialinteresse werden. Wenn Kinder Angst vor Hunden haben, kann es passieren, dass sie wie besessen alles über das Thema Hund erfahren wollen. Auch sehr ungewöhnlich wirkende Interessen können so erklärt werden: »Die Angst vor dem Geräusch einer Toilettenspülung führte zum Interesse an Rohrleitungen« (Attwood 2007, S. 231).
Da Trost spendende Worte anderer Menschen auf die Kinder weniger Einfluss haben, müssen sie ihre Ängste auf diese Weise bekämpfen, so Attwood. Werden diese Interessen ernst genommen und das Beschäftigen mit ihnen gefördert, so besteht die Möglichkeit großer beruflicher Erfolge.

3 Ursachen für soziale Schwierigkeiten bei Menschen im Autismus-Spektrum

Die Ursachen für die sozialen Schwierigkeiten von Menschen im Autismus-Spektrum (AS) sind vielfältig. Häufig werden sie unter Wahrnehmungsbesonderheiten und einem veränderten kognitiven Stil zusammengefasst.

3.1 Wahrnehmungsbesonderheiten

Besonderheiten in der Wahrnehmung finden sich bei autistischen Menschen in allen Sinnesbereichen. Es kann Überempfindlichkeiten oder Unterempfindlichkeiten geben, d. h. eine Person kann entweder zu viel oder zu wenig Sinnesreize empfangen. Die Wahrnehmung kann aber auch verlangsamt erfolgen oder der intermoda...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Geleitwort – Biodiversität und Neurodiversität, oder: Ab wie viel Störung sagt man Autismus?
  6. Vorwort
  7. 1 Einleitung
  8. 4 Intervention bei Autismus
  9. 5 Soziales Gruppentraining
  10. Anhang
  11. Sachwortverzeichnis