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Theoretische Modelle und empirische Befundlage zum Thema
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Was ist Motivation?
In diesem Kapitel beschäftigen wir uns zunächst damit, was unter dem Begriff »Motivation« zu verstehen ist. Wir erläutern relevante Begrifflichkeiten und stellen dar, ob Motivation als überdauernde Eigenschaft, als vorübergehender Zustand oder als eine Mischung aus beidem zu verstehen ist.
Motivation gibt Aufschluss sowohl über Ursachen als auch über die Ziele des Verhaltens einer Person. Theoretische Modelle erklären dabei spezifische Aspekte des Verhaltens: dessen Richtung, Intensität und Ausdauer (Kauffeld & Schermuly, 2011; Marcus, 2011). Es geht also darum, zu verstehen, warum sich Menschen in einer bestimmten Art und Weise verhalten (Richtung), wie sie ihre Energie im Handlungsprozess einsetzen (Intensität) und mit welcher Beständigkeit eine Handlung ausgeführt wird (Ausdauer). Die Auseinandersetzung mit Motivationstheorien soll ermöglichen, gezeigtes menschliches Verhalten verstehen zu lernen (Nerdinger, Blickle & Schaper, 2008). Woolfolk (2008, S. 451) fasst zusammen, welche fünf Fragen beantwortet werden müssen, um Motivation zu verstehen:
• »Wie entscheiden sich Menschen in ihrem Verhalten?
• Wie lange benötigt ein Mensch, bis er mit seiner Tätigkeit anfängt?
• Wie stark ist jemand mit der ausgewählten Aufgabe beschäftigt?
• Was veranlasst jemanden bei der Sache zu bleiben und nicht aufzugeben?
• Was denkt und fühlt jemand, der gerade mit einer Aufgabe beschäftigt ist?«
Motivation ist mit ganz individuellen Bedürfnissen, Motiven und Zielen verbunden. Bedürfnisse sind von Person zu Person so verschieden, da sie das Resultat individueller Lernprozesse darstellen. Jedes Individuum macht unterschiedliche soziale Erfahrungen, bringt unterschiedliche Voraussetzungen mit sich und bewegt sich in unterschiedlichen Umwelten. Dadurch entstehen Bedürfnisse, die physiologischer oder psychologischer Natur sein können. Psychologische Bedürfnisse können sich auf Themen wie Leistung, Macht oder soziale Bindung beziehen (Sann & Preiser, 2008). Diese Bedürfnisse stellen nach McClelland (1961; 1987) die klassischen Hauptbedürfnisse dar, wobei neuere Theorien ein anderes Verständnis von Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellen (z. B. die Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan,
Kap. 2). Motive entstehen wiederum aus diesen Bedürfnissen: »Motive sind also Bedürfnisse, die eine Chance zur Erfüllung erhalten« (Berchthold-Ledergerber, 2010, S. 168). Ein Motiv beinhaltet bereits die Neigung, Ziele und die dazu notwendigen Handlungen auszuführen (Sann & Preiser, 2008). Bedürfnisse und Motive sind somit sowohl direkt abhängig von der Person als auch von der Umwelt bzw. der Situation. Heckhausen und Heckhausen (2010, S. 4 f.) unterscheiden darüber hinaus noch implizite und explizite Motive:
• Implizite Motive sind als individuelle Dispositionen von Motiven zu verstehen, die in der frühen Kindheit gelernt wurden und nicht immer zwingend bewusst (also implizit) dazu beitragen, dass Menschen bestimmte grundsätzliche habituelle Bereitschaften besitzen.
• Im Gegensatz dazu sind explizite Motive als die von einer Person sich selbst bewusst (also explizit) zugeschriebenen Selbstbilder, Werte und Ziele zu verstehen.
Wird ein Verhalten beobachtet, müssen bei der Interpretation demnach sowohl die Merkmale (also die impliziten und expliziten Motive) der Person (Wie bewertet diese Person Situationen? Wie reagiert die Person?) als auch der Situation (Wie wirkt sich die Situation auf die Person aus?) berücksichtigt werden (Nerdinger, Blickle & Schaper, 2008). Es gibt schließlich Merkmale der Situationen, die Personen und ihre Motive positiv oder negativ anregen und damit aktivieren (oder auch nicht). Diese werden als Anreize bezeichnet, die sich förderlich oder hemmend auf das menschliche Verhalten auswirken können. Motive fungieren demnach als Beweggründe für Handlungen, die die Grundlage für die Zielsetzung einer Person darstellen (Berchthold-Ledergerber, 2010; Schlag, 2013). Alle Motive, die in einer Situation wirksam sein können, werden zusammengefasst als Motivation für ein bestimmtes Verhalten oder Verhaltensweisen beschrieben. Nerdinger und Kollegen definieren Motivation folgendermaßen (Nerdinger, Blickle & Schaper, 2008, S. 427):
»Motivation ist das Produkt aus individuellen Merkmalen von Menschen, ihren Motiven, und den Merkmalen einer aktuell wirksamen Situation, in der Anreize auf die Motive einwirken und sie aktivieren.«
Motivation betrifft also unmittelbar jegliches menschliches Verhalten. Rudolph (2009) charakterisiert darüber hinaus Merkmale von Handlungen, die willentlich ausgeführt werden, um bestimmte Ziele zu erreichen oder bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen. Dabei wird deutlich, dass dem Menschen eine aktive Rolle in Bezug auf die Auswahl und Aufrechterhaltung eigenen Verhaltens zugesprochen wird.
1. Menschen können bewusst zwischen verschiedenen Handlungsalternativen auswählen und sich für eine Verhaltensweise entscheiden (Wahlverhalten).
2. Diese Verhaltensweise wird zu einem gewählten Zeitpunkt begonnen und beendet (Latenz).
3. Die Verhaltensweise kann mit unterschiedlicher Intensität ausgeführt werden (Intensität).
4. Die Handlung wird bestenfalls dann beendet, wenn das Ziel erreicht ist (Persistenz).
Bevor wir uns genauer mit verschiedenen Ansätzen zur Erklärung von Motivation beschäftigen, setzen wir uns im Folgenden noch etwas genauer mit Anreizen und Motiven auseinander. Schließlich ist in der oben genannten Definition deutlich geworden, dass Anreize und Motive eine wichtige Rolle für die Motivation spielen. Wir beziehen uns dabei direkt auf den schulischen Kontext, um den Nutzen der erörterten theoretischen Begrifflichkeiten für Ihren beruflichen Alltag nochmals zu verdeutlichen.
Motive im schulischen Kontext
Im vorangegangenen Abschnitt haben wir erwähnt, dass Leistung ein klassisches Hauptbedürfnis darstellt. Leistungsmotivation wird verstanden als Bedürfnis nach der Demonstration der eigenen Fähigkeiten (Sann & Preiser, 2008). Leistungsmotivation entsteht als Ergebnis der Bewertung des eigenen Verhaltens unter Bezugnahme früherer Erfahrungen oder Vergleichen zu anderen. Damit ist offenkundig, dass die Leistungsmotivation im schulischen Kontext eine bedeutsame Rolle spielt. Es wird außerdem deutlich, dass Leistungsmotivation nicht alles sein kann. Welche anderen Motive spielen eine Rolle? Wie läuft die Selbstbewertung der eigenen Leistung tatsächlich ab, und was hat sie zur Folge? Wie ist Leistungsdruck in diesem Zusammenhang zu verstehen? Wie grenzen sich andere Begrifflichkeiten wie Interesse oder Neugierde von diesen Motiven ab? Diese Fragen versuchen wir in diesem Kapitel unter deutlicher Bezugnahme auf den schulischen Kontext zu beantworten.
In der Erforschung von Bedingungen für schulische Leistungen von Schülerinnen und Schülern steht die Lernmotivation ebenso im Mittelpunkt (Krapp, 1999). Das Lernen zählt schließlich neben der Leistung zu den Aufgaben von Schülerinnen und Schülern. Die Lernmotivation von Lehrpersonen ist in der Forschung bislang viel zu kurz gekommen, obwohl Lehrpersonen dazu aufgefordert sind, ebenfalls lebenslang zu lernen. Wir grenzen das Lernmotiv im Folgenden zunächst vom bereits erläuterten Leistungsmotiv ab.
Unter dem Lernmotiv wird das Bedürfnis nach Wissensaneignung verstanden. Das Lernen wird hier als eigener Wunsch angesehen. Die Abgrenzung zum Leistungsmotiv besteht darin, dass es hierbei nicht um die Demonstration der eigenen Fähigkeiten, sondern die Auseinandersetzung mit Inhalten und Wissensbeständen geht (Sann & Preiser, 2008).
Schlag (2013) spricht außerdem vor allem soziale Aspekte des Lernmotivs an, da Personen im schulischen Kontext einer sozialen Lernumgebung ausgesetzt sind. Schülerinnen und Schüler in der Grundschule zeigen demnach beispielsweise vor allem deshalb Lernbereitschaft, weil sie eine Beziehung zur Lehrperson eingehen und sich sozial eingebunden fühlen wollen. Darüber hinaus sei die Lernmotivation insbesondere vom Anregungsgehalt einer Situation abhängig. Der Anregungsgehalt einer Lernsituation wiederum kann maßgeblich von Ihnen als Lehrperson beeinflusst werden. An dieser Stelle werden intrinsische und extrinsische Motive relevant, die wir im Folgenden erläutern.
Äußeren Anreizen kann im Zusammenspiel mit individuellen Bedürfnissen eine besondere Bedeutung zukommen, da sie als Motivatoren wirken und eine Steigerung der Motivation auslösen können (Marcus, 2011). Handlungsgründe können als intern oder extern charakterisiert werden. Als klassische Unterscheidung gilt die Trennung von personenbezogenen und umweltbezogenen Faktoren: intrinsischer und extrinsischer Motivation. Woolfolk (2008, S. 452) definiert diese beiden Konzepte folgendermaßen:
• Intrinsische Motivation: »Eine Person wird durch Aktivitäten zu Handlungen veranlasst; sie möchte die Handlungen ausführen, weil sie an den Aktivitäten selbst interessiert ist.«
• Extrinsische Motivation: »Eine Person wird durch Aktivitäten zu Handlungen veranlasst, die nicht Teil der Aktivitäten sind und außerhalb ihrer Person liegen, wie etwa Belohnung und Bestrafung durch andere.«
Eine solche dichotome Abgrenzung zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation kann – wie wir im folgenden Kapitel 2 sehen werden – als problematisch angesehen werden, da insbesondere extrinsische Motive einer Differenzierung nach dem tatsächlichen Grad ihrer Fremdbestimmung bedürfen. Da diese Unterscheidung aber häufig vorgenommen wird, wollen wir uns zunächst mit dieser Unterscheidung zufrieden geben und – bevor wir ein Beispiel anführen – eine Abgrenzung der Motivation zum Interesse sowie zur Neugierde vornehmen.
Krapp (2010) verdeutlicht, dass es grundsätzlich zwei unterschiedliche Arten von Interesse gibt: individuelles Interesse und situationsspezifisches Interesse. Individuelles Interesse kann als vorliegende, überdauernde Vorlieben und Neigungen, z. B. für bestimmte Tätigkeiten oder Fächer, verstanden werden und ist damit Teil der Persönlichkeit. Situationsspezifisches Interesse ist dadurch gekennzeichnet, dass dieses durch bestimmte Aktivitäten oder Unterrichtsmaterialien angeregt wird, die Aufmerksamkeit erregen. Dieses situationsspezifische Interesse ist dadurch kurzlebiger und kontextabhängiger (Woolfolk, 2008).
Um Ihren Unterricht an die individuellen Interessen Ihrer Schülerinnen und Schüler anzupassen, können Sie sich beispielsweise fragen: Welche Interessen haben meine Schülerinnen und Schüler? Welchen Hobbies und Freizeitbeschäftigungen gehen meine Schülerinnen und Schüler nach? Kann ich einen sinnvollen Bezug zu den Inhalten meines Unterrichts und den Freizeitaktivitäten der Schülerinnen und Schüler herstellen? Woolfolk (2008, S. 268) stellt in der Diskussion um die Frage »Lernt man besser, wenn Lernen Spaß macht?« Pro- und Contra-Argumente gegenüber. Die weiteren Ausführungen zum Zusammenhang zwischen Interesse und Lernmotivation würden zu sehr von unserem eigentlichen Thema – die Motivation von Lehrpersonen – abweichen. Für alle interessierten Leserinnen und Leser, die sich näher mit den Interessen und der Lernmotivation Ihrer Schülerinnen und Schüler auseinandersetzen wollen, empfehlen wir daher die anschauliche Darstellung, die Sie in Woolfolks Buch »Einführung in die Pädagogische Psychologie« finden.
Durch diese kurzen Erläuterungen wird aber deutlich, dass Interesse mit dem Grad der (Lern-)Motivation eng zusammenhängt, da die Lerninhalte, wenn sie als interessant empfunden werden, für die Aktivierung der Motivation eine entscheidende Rolle spielen.
Ein weiterer wichtiger, persönlicher Aspekt zur Aktivierung der Motivation ist die Neugier eines Menschen. Was ist unter Neugierde zu verstehen und wie steht diese in Zusammenhang mit Motivation? Woolfolk (2008) behandelt auch diesen Aspekt in ihrer Darstellung der relevanten Aspekte für die Entwicklung der Motivation im Lehr- und Lernprozess. Sie definiert Neugierde in Anlehnung an Pintrich (2003) als eine Tendenz, »sich für zahlreiche Bereiche zu interessieren« (Woolfolk, 2008, S. 470). Hier wird deutlich, dass, ähnlich wie bei dem Interesse, der Inhalt und Anregungsgrad einer Aufgabe die Neugierde mehr oder weniger wecken kann.
Wir versuchen nun anhand eines kurzen Beispiels die Bedingungen und Voraussetzungen für Lernmotivation auf den Lehrberuf zu übertragen.
Eine Lehrerin hat seit ihrer Schulzeit außerordentlich hohes Interesse am Fach Geschichte, sie hat Geschichte und Germanistik auf Lehramt studiert und unterrichtet seit zehn Jahren an einem Gymnasium. Im Fachkollegium Geschichte finden regelmäßige Treffen statt, bei denen der Austaus...