Die Stille am Ende des Flurs
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Die Stille am Ende des Flurs

  1. 96 Seiten
  2. German
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Die Stille am Ende des Flurs

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Wohin sind die Eltern des Jungen verschwunden, und was ist zwischen ihm und der jungen Frau, die auf der Couch der elterlichen Wohnung schläft? Was geschieht mit dem Mädchen, das sich im Kino vor der leeren Leinwand einen Film über die letzten 20 Minuten seines Daseins vorstellt? Wen vermutet der Hotelgast hinter der Tür des anderen Zimmers, an die er klopft?In Die Stille am Ende des Flurs agiert Philipp Röding wie der Regisseur eines Episodenfilms, ein Kameramann, der eine Reihe von Einstellungen liefert, die über Motive und indirekte Verweise miteinander kommunizieren. Dabei kommentiert Röding nie, formuliert keine Erkenntnisse: Er schreibt entlang der äußeren Erscheinung, entwirft Szenen aus dem Leben von Großstadtunbekannten, die allesamt Kinder der Nouvelle Vague sein könnten, ist manchmal ganz nah an seinen Figuren dran, mal zeigt er sie verwackelt und unscharf; und wenn man einen Moment nicht hinsieht, sind sie verschwunden. Aber was geschieht, wenn eine Figur aus der Anordnung bricht? Wenn sie sich mitten im Lauf umdreht, durch die Kamera den Betrachter ansieht und es kurz darauf dunkel wird?

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783902844644

Pretending to be

An diesem Abend geht das Mädchen tanzen.
Es ist neun Uhr, als sie sich vor den Spiegel stellt. Sie hat sich ein Kleid angezogen. Sie hat sich die Beine und auch andere Stellen rasiert. Sie trägt wenig Make-up, weil sie findet, dass ihr Gesicht ohne schöner aussieht.
Dass ein Gesicht ohne Make-up schöner aussieht, hat sie in irgendeinem Magazin gelesen, dessen Titel ihr nicht mehr einfällt.
Sie ist allein. Sie hat sich überlegt, an diesem Abend jemanden anzurufen, eine Freundin, von der sie weiß, dass sie mitgekommen wäre, dass sie mit ihr getrunken hätte, dass sie einander Mut gemacht hätten. Sie hat niemanden angerufen.
Sie steht vor dem Spiegel und zupft ein bisschen an ihrer Strumpfhose, die neu ist.
Sie dreht sich um, schaut sich soweit es geht von hinten an. Winkelt ein Bein an, denkt an eine Szene aus einem Film und findet sich schön. Neben ihr steht ein Glas Wein aus einer Flasche, die sie irgendwann einmal für eine recht hohe Summe gekauft hat, weil ihr das Bild auf dem Etikett gefallen hat und die dann für ein oder zwei Jahre im Regal stand. Neben der Flasche ein Glas, das in ihren Händen zu groß aussieht.
Sie lebt in einer großen Wohnung, die nicht ihre eigene ist und für die sie kaum Miete bezahlen muss. Die Räume haben hohe Decken und sind fast leer, es hallt von den Wänden. Es scheint, als wohne hier niemand, als seien die früheren Bewohner gegangen, geflohen vor irgendetwas. über den Möbeln liegen weiße Tücher und Bezüge aus Plastik, die Geräusche machen, wenn der Wind durch ein offenes Fenster hereinweht. An den Wänden hängen Ansichtskarten von irgendwoher: Eine Insel in der Südsee. Eine Stadt am Ende der Welt. Ein Schnappschuss: Eine Gruppe lächelnder Menschen vor dem Pantheon in Paris.
Sie lächelt sich an und stellt sich vor, wie sie angesprochen wird, sie stellt sich einen Jungen vor, der sie anspricht, sie weiß, sie muss dann lächeln, denn wenn man nicht lächelt, werden die Leute unsicher. Sie stellt sich vor, wie ihr der Junge ein Glas Wein und noch eines ausgibt. Wie sie langsam betrunken wird und lacht, ohne zu wissen worüber.
Es stört sie nicht, wenn ein Junge ihre Brüste berührt oder andere Teile, sie registriert die Berührung und weiß, wie sie auf sie reagieren muss. Es ist in Ordnung, eine Berührung, das bringt sie nicht aus der Fassung.
Aus einem der vielen Zimmer kommt Musik, sie tanzt ein bisschen vor dem Spiegel, wiegt den Kopf hin und her, nimmt einen Schluck aus dem Glas und verschluckt sich.
Auf dem Boden liegen Klamotten, zwei oder drei andere Kleider, die sie einfach so einmal anprobiert hat. Das Kleid, das sie jetzt anhat, ist weiß, mit blauen Blumen darauf, ungefähr auf Höhe des Bauchnabels kann man es mit einem Band zusammenbinden. An der Schleife kann man dann gut herumspielen und sie zwischen den Fingern drehen. Sie öffnen, wenn es nötig wird. öffnet man die Schleife, kann es sein, dass es einfach so vom Körper abgleitet. So etwas hat sie einmal in einem Film gesehen, dass ein Kleid vom Körper einer Frau einfach so abgleitet, während sie vor einem Mann steht.
Sie geht vom Spiegel weg und setzt sich auf einen Sessel im Wohnzimmer. Sie raucht Zigaretten aus einer Schachtel, die jemand mal dort vergessen hat, es sind starke Zigaretten und sie muss hin und wieder ein bisschen husten.
Sie denkt: Seltsam, in einer so großen Wohnung zu leben. Auf dem Tisch vor ihr Stehen zwei Tassen: Die eine ist rot und auf der anderen steht in großen Buchstaben das Wort MICHIGAN.
Sie erinnert sich nicht daran, mit wem sie hier saß, mit wem sie hier Tee getrunken hat und warum. Manchmal bleibt jemand am Morgen bei ihr und setzt sich zu ihr hin. Manchmal ist dieser Jemand noch nackt.
Sie schaut sich dann oft den Penis an und die Hoden, etwa so wie man in einem Museum eine abstrakte Skulptur ansieht: abwesend, unkonzentriert.
Wenn derjenige den Blick bemerkt, ist es ihm unangenehm und er zieht sich schnell etwas an.
Sie selbst ist morgens fast nie nackt, obwohl es ihr wahrscheinlich egal wäre.
Wenn jemand morgens bei ihr ist, verhält sie sich so, als sei sie allein. Sie setzt für sich selbst Kaffee auf, geht unter die Dusche, blättert in einer Zeitung, frühstückt für sich. Sie empfindet es nicht als unfreundlich, der andere wahrscheinlich schon. Sie bringt ihn dann nicht zur Tür, schaut ihm nicht nach, wählt nicht die Nummer, die man ihr dagelassen hat, schreibt nicht an eine fremde Adresse. Nur manchmal hält sie den Zettel mit der Telefonnummer in der Hand und fragt sich, was das alles wohl bedeuten könnte.
Oft bleibt die Tür offen und wirkt dann wie eine Einladung, jemandem nachzulaufen, eine Sache zu verfolgen. Manchmal sitzt sie Stunde um Stunde im Türrahmen, ein Bein ragt ins Treppenhaus. Sie sieht dann aus wie jemand, der Angst hat, in kaltes Wasser zu gehen, und der behutsam ein Glied nach dem anderen eintaucht.
Jemand hat ihr einmal gesagt, sie wirke abwesend und kalt. Abwesend und kalt, das sind Worte, die Leute in Romanen lesen und von denen kaum einer weiß, was sie eigentlich bedeuten. Ein Park ganz früh morgens, eine leere Telefonzelle. Wenn ihr jemand so etwas sagt, dann zuckt sie meist mit den Schultern. Abwesend, kalt, abwesend, kalt. Worte aus einem Roman.
Sie selbst liest oft Bücher und denkt sich hin und wieder, dass es schön wäre, selbst in einem zu leben. Sie fragt sich dann oft, wie man sie beschreiben würde: Ein junges Mädchen, um die zwanzig, schulterlange blonde oder braune Haare, ein weißes Kleid mit Blumen darauf. Ein Mädchen, das auf andere abwesend und kalt wirkt, das sich aber selbst nicht so empfindet.
Sie steht vom Stuhl auf, die Zigarette drückt sie nicht aus, sondern lässt sie im Aschenbecher liegen. Sie mag die zerdrückten Stummel nicht. Sie sieht es nicht gern, wenn jemand mit ihnen im Aschenbecher herumfährt. Es macht sie ärgerlich, so wie wenn jemand die ganze Zeit irgendwie herumtrommelt oder an den Nägeln kaut.
Sie läuft in der Wohnung herum, es ist erst halb zehn und noch zu früh, um irgendwo hinzugehen. Um diese Uhrzeit tanzt noch niemand, alle Stehen nervös an der Bar, essen Nüsse und sehen sich um. Sie kennt das gut: Diese ersten Stunden, ein paar Einsame auf der Tanzfläche, Paare, die sich nicht anschauen und miteinander nicht reden wollen, die Musik kommt einem zu laut und unangebracht vor. Man raucht Zigaretten und zuckt zusammen, wenn man einander durch Zufall berührt, entschuldigt sich wortreich, starrt auf sein Glas.
Später dann der Schweiß und etwas, was man gemeinhin und als Außenstehender als Rausch bezeichnen könnte.
Sie stellt sich ans Fenster und schaut hinaus. Unten auf der Straße steht ein Baum, in dem einmal ein Vogel gebrütet hat. Das hat ihr gut gefallen und hin und wieder hat sie ein paar Brotkrümel auf den Gehweg geworfen. Die Vögel sind verschwunden, in den Ästen hängen die Reste des Nests.
Auf der anderen Straßenseite stehen ein paar Leute auf einem Balkon, rauchen und reden miteinander. Aus den Fenstern kommt Musik und Menschen gehen mit großen Schritten herum, stehen voreinander, Grüppchen vor Grüppchen.
Sie kann in die Küche hineinsehen: Dort hat sich ein Mädchen auf die Ablage gesetzt und spricht mit einem Jungen. In der Hand hat es eine Flasche aus der es aber anscheinend nicht trinken will. Mit den Fingernägeln rupft es Papier vom Flaschenhals, formt es zu Kugeln und wirft sie dann fort. Der Junge scheint irgendetwas zu erzählen, seine Hände fahren wie wild in der Luft herum, malen Kreise, werfen ein Wort weg, nehmen ein anderes.
Hin und wieder lächelt das Mädchen und nickt. Irgendwann senkt der Junge den Kopf, schweigt eine Zeit lang und geht. Das Mädchen bleibt sitzen, schaut traurig auf seine Flasche, gibt sich einen Ruck und geht selbst aus der Küche. Sich einen Ruck geben, das ist auch so ein Ausdruck.
Sie sieht das Mädchen auf dem Balkon wieder, es raucht und schaut auf die Straße unter sich.
Dann bemerken sie einander. Das Mädchen hebt die Hand und winkt, macht eine Geste, die sie auffordern soll herüberzukommen. Sie antwortet, indem sie auf eine imaginäre Uhr auf ihrem Handgelenk zeigt.
Es ist schon spät, ich gehe noch wohin, jemand steht in der Küche und wartet auf mich.
Sie denkt sich: Ich spreche mehrere Lügen gleichzeitig aus. Dann schließt sie das Fenster und geht ins Badezimmer.
Das Badezimmer mag sie am meisten, ganz einfach, weil man es abschließen kann, oft sitzt sie eine Stunde oder zwei auf dem geschlossenen Toilettendeckel, konzentriert sich auf den eigenen Atem, raucht Zigaretten und wirft die Stummel ins Waschbecken.
Es klingelt an der Tür, es ist ein leises Geräusch, und erst denkt sie, es klingele nicht in ihrer Wohnung, sondern ganz woanders. Sie rührt sich nicht, sie denkt nicht darüber nach, wer das sein könnte. Sie atmet ein und aus und denkt über das Geräusch der Klingel nach. Wie hört es sich an? Wie ein Tier, wie ein Insekt, wie ein Roboter? Es hallt von den Wänden wider, fährt durch die ganz Wohnung.
Sie steht auf, langsam und nicht ohne Anstrengung, bewegt sich zur Tür, wie ein Eremit, der seinen Körper zum Höhleneingang schleppt, um auf eine weitläufige Ebene zu blicken. Sie drückt auf den Knopf, der die Tür öffnet, geht ins Treppenhaus und wartet.
Es sind Mädchenschritte, zwei Füße in Stöckelschuhen, jemand läuft eilig die Stufen hinauf, sie hört den Jemand atmen.
Es ist das Mädchen aus dem Haus gegenüber, aus der Nähe betrachtet fällt ihr auf, wie schön dieses Mädchen ist, wie schön die Haarsträhne, die, aus der Frisur herausgefallen, ihm nun ins Gesicht hängt. Es trägt ein weißes Kleid und sieht festlich aus.
Es hat eine Flasche Wein in der Hand, schnauft, lacht, ist offensichtlich betrunken und fällt ihr in die Arme. Sie spürt den Schweiß auf der Stirn des Mädchens und die Härchen auf den freiliegenden Achseln. Beide gehen hinein.
Das Mädchen im weißen Kleid hat die Stöckelschuhe aus- gezogen und läuft nun barfuß herum, fährt mit der Hand über die kühlen weißen Wände, geht wie jemand, der eine Wohnung besichtigt, in die er bald einziehen will, der Kopf vermisst Räume, stellt Möbel da oder dorthin.
Sie selbst lehnt im Türrahmen, raucht, schaut dem Mädchen nach, weiß nicht, was das bedeuten soll, sieht aus wie ein Liebhaber, ein Verführer. Tatsächlich hat es etwas Männliches, wie sie dort steht, dem Mädchen nachschaut, der Schwung seiner Hüften, die nackten Arme, die weiße Haut, dort wo die Schenkel sind. Jetzt passiert etwas, das sie nicht versteht. Sie bewegt sich wie ferngesteuert zum Aschenbecher, drückt die Zigarette aus und löst die Schleife an ihrem Kleid. Es fällt nicht herunter, sie muss nachhelfen. Sie trägt jetzt noch Unterwäsche und Socken, sie öffnet den Verschluss des BHs und zieht auch ihr Höschen aus, ist bis auf die Socken nackt. Sie führt diese Bewegungen ruhig aus, alltäglich, als wolle sie unter die Dusche gehen.
Irgendwo, aus ihrem Zimmer vielleicht, hört sie das Mädchen. Sie geht dem Geräusch nach und findet es vor dem Spiegel. Sie sehen sich an. Das Mädchen im weißen Kleid schaut, wie jemand, der auf die Pointe eines Witzes wartet, das Lachen sitzt in seinen Mundwinkeln. In der Hand hält es noch immer die Weinflasche, sie ist offen. Es führt die Flasche zum Mund, trinkt und verschluckt sich, reicht ihr die Flasche. Die offensichtliche Verrücktheit des Moments fällt ihnen nicht auf. Es ist still in der Wohnung, man hört nur das leise Knarren des Bodens, auf dem sie stehen.
Was passiert dann? Ihr ist, als würde das Mädchen im Kleid unscharf, als lösten sich seine Konturen auf, der Rest des Raums sieht so aus, wie er immer aussieht, die Möbel haben ihre Kanten, im Fenster sieht man das Licht der Straßenlaternen. Nur der Körper des Mädchens verschwimmt, als hätte jemand Wasser auf ein Gemälde geschüttet.
Dabei lacht es, verschluckt sich noch einmal und ist dann ganz verschwunden.
Sie selbst fällt auf den Boden, schließt die Augen.
Sie liegt in ihrem Bett, neben d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Rost
  5. Astronaut.
  6. Outside, looking in
  7. Anna
  8. Ohne Titel, undatiert
  9. Die Stille am Ende des Flurs
  10. Pretending to be
  11. Erbsen
  12. Das gefrorene Meer
  13. Zehntausend mal trauriger
  14. Inhalt