Shooting Stars
eBook - ePub

Shooting Stars

  1. 236 Seiten
  2. German
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Shooting Stars

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Dieter, Heidi, Stefan, Anke, Robbie, Brad und Angelina - Darsteller und Projektionsflächen des deutschen oder internationalen Boulevardfernsehens. Sie sind omnipräsent in Talkshows und lllustrierten, über sie wird gesprochen und sie werden bejubelt von ihren Fans. Als Stars erhalten sie ein übergroßes Maß der Aufmerksamkeit, die der Erzähler in Mandlers zweitem Roman schmerzlich vermisst.Shooting Stars erzählt die Geschichte einer persönlichen Enttäuschung und Zurückweisung, auf die der Protagonist aggressiv und zerstörerisch antwortet. Wie sein Vorgänger in 23 Tage fühlt er sich von den überlebensgroßen Bildern der Medien bedrängt und verspottet. Sie hindern uns in seinen Augen daran, unsere eigenen Lebensentwürfe zu verwirklichen, indem sie ihren Schatten über den Rest der Gesellschaft werfen. Um das Gleichgewicht wiederherzustellen, beschließt er ein Exempel zu statuieren und plant einen blutigen Befreiungsschlag.

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783902844620
DREI

1

Die Medien überschlagen sich vor Interesse. Und auch viele Politiker, sogar ein Bischof hat mit seiner größten Anteilnahme, wie es auch der Innenminister formuliert hat, reagiert. Aber noch wichtiger, auch die Linken haben sich zu Wort gemeldet. Sie haben die Anschuldigungen und Verdächtigungen ernst genommen und sich in einer offiziellen Stellungnahme distanziert. Klargestellt, dass sie gegen Institutionen kämpfen. Gegen strukturelle Gewalt, den Terror von Konzernen, gegen das Kapital und gegen die Rechten. Aber sie haben versichert, dass sie die gezielte Tötung von Einzelpersonen nicht als ein legitimes Mittel sehen, um ihre Ziele durchzusetzen, sondern sie im Gegenteil moralisch auf das Äußerste verurteilen.
Und auch wenn vermutlich nicht alle von ihnen unterschrieben haben, scheint die öffentliche Meinung zwar nicht vollkommen zu akzeptieren, aber ernsthaft in Betracht zu ziehen, dass sie dem falschen Gespenst hinterhergelaufen ist. Oder sie schien es zu akzeptieren. Bis heute Morgen. Bis in Frankreich etwas geschehen ist, das so nicht hätte geschehen dürfen.
In einem Vorort von Paris haben sie ein Auto in die Luft gejagt. Einen Kleinwagen, den sie mit einer Mischung aus Sprengstoff und Schrott beladen an einer Straße abgestellt hatten, über die sie täglich gefahren war. In ihrer immer noch gepanzerten Limousine. In einer ihrem kleinen Ehegatten und ihr vom französischen Staat immer noch zur Verfügung gestellten Staatskarosse. In einem der Autos, die ihnen von den vielen, die man ihnen gemeinsam mit der Verantwortung für Frankreich überlassen hatte, geblieben war.
61 Wagen waren es 2009. Und halb Europa hat sich damals darüber beschwert, dass der kleine Franzose gelebt hat wie ein neuer Napoleon. Dass er, so wurde behauptet, 1.000 Angestellte hatte. Oder wenigstens 1.000 Leute, die für ihn gearbeitet haben. Er soll seinen Palast jedes Jahr mit Blumen für 300.000 Euro schmücken haben lassen. Was ja auch stimmen mag. Aber genau wie sich diese Blumenpracht von Staats wegen rechtfertigen lässt, weil man nicht nur durch militärische und politische Handlungen, sondern eben auch durch Blumen Größe zeigen kann, spricht auch die Zahl der Autos nicht nur die Sprache des Prunks, sondern auch die der Sicherheit. Oder vielleicht, denke ich, bringen diese 61 Autos auch nur die Angst zum Ausdruck. Und das Bedürfnis nach Schutz, das alle immer haben, wenn es darum geht, den Mann, den man sich als ersten Mann des Staates vorstellt, in Sicherheit zu wiegen.
Aber Schutz vor wem, frage ich mich. Während ich selbst wieder im Auto sitze und auf die Ringautobahn von Berlin auffahre, frage ich mich, wovor genau sie Angst haben und wovor sie ihn schützen wollten. Und sie. Natürlich haben sie immer auch versucht, Carla zu beschützen und nicht nur Nicolas. Vor konspirativen Kräften im Inneren Frankreichs vielleicht, vor Terroristen und radikalen politischen Gegnern, denke ich. Und bin mir nicht sicher. Doch, ich bin mir sicher, dass sie verschiedenste Bedrohungsszenarien in ihren Schubladen liegen haben und dass sie diese Szenarien immer wieder durchspielen. Sie versuchen, das Unvorhersehbare vorwegzunehmen, das Unbekannte in Übungs- und Einsatzplänen konkret zu machen. Und damit versuchen sie im Grunde nichts anderes, als die eigene Angst vor dem, was kommen könnte, auf den Boden konkreter Einsatzpläne zu stellen. Es geht am Ende doch nur wieder um den Schutz vor der eigenen Angst. Sie versuchen dem unbekannten Schrecken eine scheinbare Tatsache entgegenzuhalten. Nein. Sie versuchen es nicht nur. Sie halten ihren Bedrohungsszenarien die Tatsache entgegen, dass man von außen, als nicht Eingeweihter, nie sagen kann, in welchem Auto der Präsident gerade unterwegs ist und welcher seiner vielen Chauffeure gerade den wichtigsten Mann Frankreichs durch die Straßen von Paris, Lyon oder Marseille fährt. Und ein bisschen, denke ich, sind sie wie Kinder, die zu singen beginnen oder sich Geschichten vom Tageslicht erzählen, wenn es draußen dunkel zu werden droht. Genau wie diese Kinder tun auch sie das in erster Linie, um sich von der eigenen Angst abzulenken. All die Sicherheitsvorkehrungen und geheimdienstlichen Tätigkeiten führen zwar zu Ergebnissen und zu mehr Sicherheit. Aber wenn man an der sauberen Oberfläche der prunkvollen Limousinen, maßgeschneiderten Anzüge und geputzten Schuhe kratzt, wenn man die gut geölten Waffen vertrocknen lässt und die echte Motivation hinter den Headsets und Überwachungswagen sieht, wenn man nur einen Schritt weiterdenkt, dann sind all diese Sicherheitsvorkehrungen kein Zeichen der Stärke, sondern jede einzelne ihrer Präventionsmaßnahmen ist nichts anderes als ein kläglicher Versuch, sich der übergroßen eigenen Angst entgegenzustemmen. Ihre Szenarien sind Geschichten, die sie sich selbst erzählen, um sich zu beruhigen, und die sie sich so oft erzählt haben, dass sie mittlerweile schon selbst an ihre Geschichten glauben. Und es sind nicht mehr als Geschichten. Es sind komplexe Zeichen, mit denen sie versuchen die Welt, die sie nicht kontrollieren können, wenigstens gedanklich in den Griff zu bekommen. Denke ich. Und weiß, dass man diese Zeichen und Geschichten doch durchdringen kann. Man kann jeden dieser halb imaginären Verteidigungsringe überwinden. Das hat man ja gesehen. Heute. Weil sie in den engsten Sicherheitskreis des alten Präsidenten eingedrungen sind, mit einer von langer Hand geplanten Aktion. Oder vielleicht war es auch ein Zufallstreffer. Es kann durchaus sein, dass sie nur aus einem dummen Zufall heraus nicht ihn, sondern sie erwischt haben. Und sie auch nur deshalb, weil sie unvernünftigerweise genau in dem Moment das Fenster geöffnet hatte. Weil sie sich, wie die Sicherheitsverantwortlichen im Fernsehen nicht müde werden zu betonen, über einige Regeln hinweggesetzt hatte. Weil sie diese Regeln jetzt, da ihr Mann nichts mehr mit der Führung des Landes zu tun hat, nicht mehr ernst genommen hatte. Trotz Mali und trotz der Anschläge, mit denen man Frankreich bedroht hatte, hat sie offensichtlich lieber die frische Morgenluft genießen wollen. Die Brise Paris, die ihr zum Verhängnis geworden ist, weil keine gepanzerte Scheibe mehr zwischen ihr und dem Metallsplitter gewesen ist, der sich einen Sekundenbruchteil, nachdem das mit Sprengstoff bepackte Auto am Rand der dicht befahrenen Straße explodiert war, mehr zufällig als zielgerichtet in ihren Oberkörper gebohrt hat.

2

Sie gehen nicht davon aus, dass sie überleben wird. Und das tun sie auch bei vier der fünf anderen Schwerverletzten nicht, die seit Stunden in Pariser Intensivstationen liegen, wo Ärzte um ihr Überleben kämpfen. Wo sich gerade jetzt ein hervorragender Chirurg darum bemüht, dass die Opferliste nicht noch länger wird. Dass zu den dreizehn Namen der bisher gezählten Opfer nicht auch der vierzehnte geschrieben werden muss, der eigentlich zentrale Name an diesem Tag, ihr Name.
Sie werden es vermutlich nicht verhindern können. Die Ärzte geben den Franzosen nicht viel Hoffnung. Das scharfkantige, glühend heiße Schrapnell hat ihren Oberkörper förmlich zerfetzt, wie sie sagen. Und auch im Elysée-Palast hat man wahrscheinlich schon damit begonnen, die vielen fröhlichen Blumen beiseite zu räumen. Obwohl der Palast nicht mehr ihr Reich ist, ihres nicht und auch seines nicht mehr, hat man bestimmt angefangen, die Trauerflore aus den Schubladen zu nehmen, in denen sie immer bereitliegen. Auch an einem Tag wie heute, an dem kein Mensch der Welt geglaubt hätte, dass man sie so dringend brauchen würde.
Er sei schon eingetroffen, sagen sie. Sei eilig aus England angereist, um sich zu verabschieden. Das erinnert mich an den Unfall von Lady Diana. Nur dass es diesmal kein Unfall war. Und mit dem Unterschied, dass dieser Tod ernstere Konsequenzen nach sich ziehen wird. Konsequenzen, die auch mich betreffen werden. Die meinen Plan stärker beeinflussen werden, als es mir lieb sein kann.

3

Köln. Ich sollte nicht immer und immer wieder nach Köln fahren. Ich hätte auch in Berlin bleiben können. Oder nach Koblenz fahren. Nach Frankfurt. Offenbach. Bamberg. Es ist im Grunde egal, wo ich bin. Wo ich warte, bis ich den nächsten Schritt machen kann. Aber Köln gefällt mir, denke ich. Durch diese Stadt zu spazieren, macht mich. Nein, es macht mich nicht froh. Aber es bereitet mir Freude, in die Fenster der offenen Wohnungen zu schauen, mir die Auslagen anzusehen und Blicke in die Kneipen zu werfen, in denen die Menschen ihre Biere trinken und fröhlich den Rheinländer geben. Und nicht zuletzt, denke ich. Es ist bestimmt all das, es ist diese Stimmung, die ich an Köln mag. Und dass es eine kleine, eine wirklich überschaubare Stadt ist. Aber nicht zuletzt sind es auch meine Erinnerungen an Sarah, denke ich, die mich hierherführen. Weil ich hier in Köln für eine Handvoll Tage glücklich gewesen bin, komme ich immer wieder gerne in diese Stadt zurück. Suche mir ein kleines, gemütliches Hotel. Gehe in die Sushibar, in der wir uns regelmäßig getroffen haben. Nein. Es war nicht regelmäßig. Es war sehr selten, dass wir uns getroffen haben. Sarah und ich. Jedes Mal zauberten mir diese Begegnungen mit Sarah eine Vorstellung von Glück. Nein. Es war keine Vorstellung von Glück. Ich war tatsächlich glücklich, denke ich. Für ein paar Stunden bloß. Für ein Wochenende, das ich gemeinsam mit Sarah verbracht habe, bevor ich wieder zurück musste. Bevor ich zurück wollte in eine Welt, deren Türen ich für Sarah sorgfältig verschlossen hielt, genauso sorgfältig, wie ich die Türen meiner afghanischen oder irakischen Welt für Marian und die Kinder immer verschlossen gehalten habe.
Er macht es klar. Hat sich mit einer Schar ernster Beamter im Rücken und mit dem aktuellen Präsidenten neben sich vor die Kameras gestellt. Er kämpft mit den Tränen. Und ich frage mich, ob es Tränen der Trauer oder der Wut sind, die er gerade noch zurückhalten kann. Ob sich beide Gefühle in ihm vermischen, während er mit Vergeltung droht. Er wird nicht eher ruhen, sagt er, als bis er sie hinter Schloss und Riegel sperren werde.
Als ob er selbst sich auf die Suche machen würde, denke ich. Und nicht mit Hilfe der Regierenden den Geheimdienst von der Leine lassen. Die Spürhunde Frankreichs, die auf der ganzen Welt einsatzbereit sind. Und die es wahrscheinlich nicht viel Zeit kosten wird, die Täter zu finden. Und diese, falls sie nicht vor Gericht zu stellen sind, weil man ihnen auf offiziellem Weg, also durch legitim beschaffte Beweise nichts nachweisen kann, über die Klinge springen zu lassen. Um nur eine Möglichkeit zu denken, wie man die Terroristen erledigen kann. Die Terroristen, von denen im Moment noch niemand die ideologische Ausrichtung, geschweige denn die Namen kennt. Und im Grunde, denke ich, weiß man auch in Frankreich nicht, ob es ein Einzeltäter war oder mehrere. Aber auch heute, auch in Frankreich gehen sie davon aus, dass es viele sind. Sie machen aus einer Bedrohung, die vielleicht nur von einem einzelnen ausgeht, die Bedrohung durch eine Gruppe. Sie lassen sich von der eigenen Angst und von den Bildern lenken, die sie schon so oft zur scheinbaren Wirklichkeit haben werden lassen.

4

Als ob die Welt nichts von Brejvik und all den anderen Einzeltätern gelernt hätte. Als ob nicht auch ein Mensch alleine es schaffen könnte, eine ganze Nation ins Taumeln zu bringen. Denke ich. Während ich wieder einmal in einem Hotelzimmer sitze und mit meiner Zeit, wie schon so oft, nichts Besseres anzufangen weiß als fernzusehen. Aber immerhin, denke ich, bin ich es heute. Nein, es bin nicht nur ich. Aber ich bin es auch, der beeinflusst hat, was die Nachrichtensprecher und Kommentatoren im Fernsehen heute zu sagen haben.
Es ist elend. Hier zu sein und mich zu verstecken. Ich habe es nicht nötig, mich vor ihnen zu verstecken. Und trotzdem ist meine Zurückgezogenheit eine Erniedrigung. Sie, die Polizei, die Geheimdienste, oder wer auch immer, sind nicht auf meiner Spur. Und ich fühle mich dennoch von ihnen gejagt. Ich weiß, dass sie nicht konkret nach mir suchen. Sie fahnden bloß nach einem Gespenst, das hinter den Anschlägen in Deutschland steckt. Und sie können nicht, ich bin mir sicher, dass sie keine Möglichkeit haben, auch nur zu glauben, dass ich derjenige sein könnte, der die Sache ins Rollen gebracht hat. Und der schon bald weitermachen wird.
Nein, ich verstecke mich nicht vor ihnen. Und doch verstecke ich mich vor ihnen. Weil ich mich nicht bei meinen Freunden und Bekannten melde, die ich hier habe. Nicht unbedingt in Köln, aber auch in Köln. Ich schneide mich aus meiner sozialen Umgebung heraus, um nicht das geringste Risiko einzugehen. Keiner von ihnen darf wissen, dass ich hier bin. Also verkrieche ich mich in Hotelzimmern wie diesem. Versuche mich unsichtbar zu machen. Und habe dabei immer mehr das Gefühl, tatsächlich nicht mehr da zu sein.
Ich frage mich, ob ich Sarah anrufen soll. Ob sie immer noch dieselbe Nummer hat und was es ändern würde, wenn ich sie anriefe. Vielleicht begebe ich mich gar nicht in Gefahr, wenn ich Sarah treffe. Und es würde mir gut tun. Bestimmt würde es mich aufmuntern, mit jemandem zu sprechen, der mir nicht bloß einen Kaffee, einen Tee, ein Abend- oder Mittagessen serviert. Mit jemandem, dessen Beziehung zu mir sich nicht in einer professionell an den Tag gelegten Höflichkeit erschöpft.
Ich werde niemanden treffen. Nicht Sarah. Nicht Micha, der hier wohnt. Und auch nicht Björn in Bonn. Denn ich habe mir vorgenommen, schon bei mir zu Hause, in meiner Villa in Florida, in der mich alle glauben, habe ich mir vorgenommen, alle in ihrem Glauben zu lassen. Selbst wenn es mich zu Björn hinzieht. Ich stelle mir vor, mit ihm eine Flasche Wein zu trinken. In seiner prächtigen Wohnung in der Poppelsdorfer Allee, in einer schicken Villa, keine fünf Minuten vom Bonner Bahnhof entfernt. Ich könnte mit dem Zug dorthin fahren, denke ich. Ihn vorher anrufen oder ihm, von mir geplant aber für ihn zufällig, über den Weg laufen. Wenn er, wie meistens, zwischen halb sieben und sieben nach Hause kommt.
Ich werde nicht nach Bonn fahren. Es könnte hundertmal harmlos sein, jemanden zu treffen. Trotzdem habe ich beschlossen, jede Unbekannte in meiner Rechnung zu vermeiden. Das Risiko ist schon jetzt groß. Noch nicht unbeherrschbar. Aber es wächst. Jeden Tag.
Der Anschlag in Frankreich steht mir im Weg. Die Konsequenzen, die man in Frankreich und bestimmt auch in Deutschland, die man vermutlich in ganz Europa aus diesem Vorfall ziehen wird, schränken meinen Bewegungsspielraum schon jetzt ein. Und sie werden ihn vermutlich noch viel mehr einschränken, als ich jetzt gerade befürchte.
Sie werden nicht nur vorsichtiger sein. Sie werden nicht nur herrenlose Koffer in Europa unter schweren, extra dafür bereitgehaltenen Explosionsglocken sprengen. Nicht nur Minister und Parteivorsitzende werden sich zu Wort melden. Sich für mehr Kontrolle aussprechen und gleichzeitig für das Festhalten an der demokratischen Freiheit. Und hoffentlich, denke ich, wird man irgendwelche Islamisten ins Visier nehmen. Ich bin mir beinahe sicher, dass sie über die Risiken radikalislamischen Terrors sprechen werden und nicht über mich. Dass sie das Bedrohungspotenzial diskutieren und immer wieder feststellen werden, dass man solche Anschläge beim besten Willen und mit den allerbesten Sicherheitsvorkehrungen der Welt nicht zu 100 Prozent verhindern kann. Dass man wegen eines solchen tragischen und empörenden Anschlages die Errungenschaften der Demokratie nicht aufgeben darf. Diese Errungenschaften, die schon lange dabei sind, uns zu bedrohen. Sie lassen sich, ohne dass uns das bewusst wird, lassen sie sich leicht und mit einer ungeheuren Präzision gegen unsere Gesellschaft als Ganzes und noch leichter auch gegen jeden Einzelnen von uns verwenden.
Vielleicht werden sie mich einen Mittäter nennen. Oder die deutsche Zelle der Terrorgruppe. Und so gründlich sie das können, werden die Geheim- und Nachrichtendienste, der Verfassungsschutz und Sonderkommissionen ermitteln. Werden in Frankreich, in Deutschland, in Italien, in ganz Europa werden mit Schutzwesten behangene Polizeibeamte sichtbar ihre MPs vor sich hertragen. Sie werden versuchen, ein Klima der Sicherheit dem Gefühl der Angst entgegenzustellen. Und doch werden sie nur noch mehr Angst verbreiten. Mit der demonstrativen Zurschaustellung ihrer operativen Macht werden sie die Menschen in eine nervöse Panik versetzen.
Nicht nur auf der Straße, vor allem hinter den Kulissen werden sie mit allem Nachdruck tausende Spuren verfolgen. Spuren, die früher oder später zwangsläufig zu mir führen werden. Es ist nur eine Frage der Zeit. Und es wird schneller gehen, als es mir lieb ist. Denn schon heute, wegen Frankreich, haben sie ganz andere Mittel zur Hand. Die Motivation, mit der sie nach mir suchen, hat sich vervielfacht. Mit diesem Nachdruck und ihren erheblich erweiterten Möglichkeiten habe ich noch nicht gerechnet. Ich habe die Stärke meines Gegners. Nein. Es ist nicht seine Stärke, die ich falsch eingeschätzt habe. Aber sie ziehen ihre Kräfte jetzt schneller zusammen und ich werde immer weiter in die Enge getrieben.
Man weiß nie, wie sich eine Sache entwickeln wird. Denke ich. Und fange an mich zu ärgern. Wut durchströmt mich. Von meinem Bauch ausgehend dringt sie bis in meine Arme und Beine. Denn dass sie in Frankreich Carla umgebracht haben, verwässert meine Idee. Es wird dem, was ich der Welt zu sagen habe, gefährlich. Es schwächt meine Botschaft ab und bringt mein gesamtes Vorhaben ins Wanken. Und es wird sie in die Lage versetzen, nein, es versetzt sie schon jetzt in die Lage, mich in einer atemberaubenden Geschwindi...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. EINS
  6. ZWEI
  7. DREI
  8. VIER
  9. FÜNF
  10. SECHS
  11. SIEBEN
  12. ACHT
  13. NEUN
  14. ZEHN
  15. ELF