Angela Merkel - Porträts und Interviews aus dem SPIEGEL
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"Wer das Geheimnis der Angela Merkel ergründen will, wer begreifen will, warum eine Frau aus dem Osten zur Integrationsfigur einer erzwestlichen Partei werden kann, muss mit ihr von Krisensitzung zu Krisensitzung ziehen und dorthin gehen, wo sie herkommt", schrieb Alexander Osang in seiner mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichneten Reportage "Das eiserne Mädchen".SPIEGEL-Kollegen wie Alexander Osang, Jürgen Leinemann, Dirk Kurbjuweit, Matthias Geyer und zuletzt Nikolaus Blome haben genau das im Laufe der Jahre getan. So zeichnet die SPIEGEL-Berichterstattung der vergangenen 25 Jahre ein politisch präzises und psychologisch einfühlsames Bild vom Weg des einstigen "Mädchens" Merkel bis an die Spitze der deutschen und europäischen Politik.

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Vorwort
„Wer das Geheimnis der Angela Merkel ergründen will, wer begreifen will, warum eine Frau aus dem Osten zur Integrationsfigur einer erzwestlichen Partei werden kann, muss mit ihr von Krisensitzung zu Krisensitzung ziehen und dorthin gehen, wo sie herkommt“, schrieb Alexander Osang in seiner mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichneten Reportage Das eiserne Mädchen.
SPIEGEL-Kollegen wie Alexander Osang, Jürgen Leinemann, Dirk Kurbjuweit, Matthias Geyer oder zuletzt Nikolaus Blome haben genau das getan. So entstand im Laufe der Jahre ein politisch präzises und psychologisch einfühlsames Bild vom Weg des einstigen „Mädchens“ Merkel bis an die Spitze der deutschen und europäischen Politik.
Aus Anlass ihres 60. Geburtstages am 17. Juli 2014 legt dieses E-Book eine Auswahl der besten Stücke aus knapp 25 Jahren SPIEGEL-Berichterstattung über Angela Merkel vor.
SPIEGEL 38/1991

„Besser sein als alle anderen“

SPIEGEL-Redakteur Hartmut Palmer über Helmut Kohls Neuentdeckung Angela Merkel
Angela Merkel steht leicht verlegen vor dem Hubschrauber, der eigens für sie in Berlin-Tegel gelandet ist. Vor einer Stunde hat sie ihren schweren Koffer noch selbst ins Flugzeug getragen. Nun steigt die Ministerin Angela Merkel, 37, eskortiert von drei Offizieren, in den Helikopter - und der entschwindet mit ihr.
Sie liebt solche Auftritte nicht. Viel lieber wäre ihr, sie würde gerade jetzt nicht erkannt. Es ist ja auch peinlich, vor den Augen und auf Kosten der mitreisenden Steuerzahler so sichtbar privilegiert zu werden.
Andererseits aber ist es eben praktisch bei den vielen Terminen, die sie jetzt hat. Wie sollte es denn sonst gehen, wo doch alle sie sehen und sprechen wollen, weil sie so bekannt und irgendwie bedeutend geworden ist?
Eine Wohnung in Bonn, eine im Wahlkreis Stralsund und eine mit dem Lebensgefährten Joachim Sauer in Ost-Berlin - da sitzt sie dauernd zwischen den Stühlen und auf den Koffern. Sie ist eben noch nicht abgebrüht genug, das Jet-set-Gehabe der politischen Klasse normal zu finden.
Deshalb wirkt sie neben ihrem neuen Förderer Helmut Kohl, der sie mit seinem Wohlwollen fast erdrückt, immer noch deplaziert - wie die arme Verwandte vom Lande.
Kohl hat große Dinge mit ihr vor. Vize-Vorsitzende der CDU soll die Frauen- und Jugendministerin werden, einzige Stellvertreterin Kohls an der Spitze der CDU, Nachfolgerin des tief gestürzten Lothar de Maizière. Nun hat der Kanzler sie mit auf seine USA-Reise genommen, eine hohe Auszeichnung, wie man bei Hofe weiß.
Nach Kalifornien durfte sie ihn begleiten, zum Privatbesuch beim alten Ronald Reagan, und sie war dabei, als sich das Pfälzer Gesamtkunstwerk von der Universität Berkeley ehren ließ.
In Washington wird der Kanzler sie in die Gesellschaft einführen, beim Besuch im Weißen Haus dem amerikanischen Präsidenten George Bush vorstellen - Kohls Neue.
Noch warnt sie ihr Instinkt, nicht abzuheben. Noch haben sie die Schalmeien-Klänge nicht eingelullt. Noch findet sie es eher unheimlich als amüsant, daß sie von der grauen Maus zur grauen Eminenz befördert werden soll.
Vor einem Jahr war sie - damals stellvertretende Regierungssprecherin in der Regierung de Maizière - in Bonn gänzlich unbekannt. Ein paar Berliner Journalisten schätzten sie als zuverlässige Informantin. Und Günther Krause, der Chefunterhändler beim Vereinigungs-Vertrag, hatte sie als Vertraute gewonnen.
Nun ist sie plötzlich zum „Hoffnungsträger“ (Hamburger Abendblatt) und „Wunschkind“ (Die Zeit) aufgestiegen und wird in den Medien verklärt - als sei der von Wahlschlappen und inneren Krisen gebeutelten CDU über Nacht die heilige Johanna erschienen.
Eine Atempause des Kanzlers genügte, um die neue Personalie in Umlauf zu setzen. Die CDU, so Helmut Kohl nach dem Abgang de Maizières, verfüge über genügend Männer, die an dessen Stelle treten könnten - „und Frauen“, hat er hinzugefügt. Auch das ist Bonn: Seitdem wird die Frauenministerin Merkel mit Lobeshymnen überschüttet.
„Unverdorben“ findet die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt den Import aus dem Osten - eben anders als die anderen in Bonn. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth hält sie „für eine hervorragende Kandidatin“. Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Heiner Geißler macht sich für sie stark. Innenminister Wolfgang Schäuble empfiehlt sie als Parteivize.
Angela Merkel weiß sehr wohl, was gerade mit ihr gespielt wird. Deshalb hat sie sich entschlossen, zunächst einmal eisern zu schweigen.
Es geht ihr nicht anders als der SPD-Landesvorsitzenden Gisela Schröter aus Thüringen, die von SPD-Chef Björn Engholm gerade ins Präsidium der Partei gehievt wurde.
Auch sie liest in der Zeitung, daß sie „andere Sensibilitäten“ habe und der Partei neue Impulse geben soll. Auch sie paßt ins Machtkalkül der Parteistrategen an der Spitze: Sie stieg nicht auf, weil sie auffallend tüchtig ist. Man wählte sie, weil sie die neue Doppelquote erfüllte: erstens Frau und zweitens aus dem Osten.
Daß die Genossin Schröter aus der gleichen Bürgergruppierung kam, in der Angela Merkel ihre Laufbahn begann, ist Zufall. Beide starteten im Demokratischen Aufbruch, aber beider Wege trennten sich früh. Gisela Schröter gehörte zu denen, die eine Zeitlang glaubten, daß eine eigenständige, selbstbewußte und freie DDR nach dem Fall der Mauer entstehen könne.
Sie war damit, paradox genug, dem gelernten DDR-Bürger de Maizière, der „seelisch und geistig immer ein DDR-Bürger“ bleiben wollte, näher als dessen Sprecherin Angela Merkel.
Die nämlich hat sich nie als DDR-Bürgerin akzeptiert. Sie ist in Hamburg geboren und hat es ihrem Vater oft angekreidet, daß der so altmodisch und protestantisch-pflichtbewußt gewesen war, noch 1954, ein Jahr nach dem Volksaufstand vom 17. Juni, wieder „rüberzugehen“. Er fühlte sich der brandenburgischen Kirche verpflichtet, die ihn zum Studium in die Hansestadt delegiert hatte. Die Mutter, eine Danzigerin, war dagegen.
In diesem Zwiespalt wuchs Angela Merkel auf. Die Kreisstadt Templin in der Uckermark wurde ihre Heimat, die DDR aber nie ihr Staat.
Immer waren die Augen und Ohren nach Westen gerichtet. Heiß und heftig wurde in dem Pfarrhaus über alle politischen Streitfragen geredet, die in den sechziger und siebziger Jahren die Bundesrepublik bewegten, jede Debatte des Bundestags im Radio verfolgt.
Seit ihrem achten Lebensjahr kannte Angela Merkel die Namen aller Minister. Die kann sie heute noch aufzählen. Das ferne, unerreichbare Bonn war ihr so geläufig wie anderen Kindern Grimms Märchen oder die Sagen des Klassischen Altertums.
Daß sie nicht ihren Lieblingsberuf erlernen durfte, hat sie dem SED-Staat nicht verziehen. Dolmetscherin wäre sie gern geworden. Russisch sprach sie so fließend, daß sie sogar einen Schulwettbewerb („Russisch-Olympiade“) gewann.
In Mathematik war sie gut. Nur mit der Physik kam sie nicht zurecht - Grund genug, fand sie, genau dieses Fach zu studieren. Die DDR brauchte Physiker. Angela Merkel konnte auch ohne Mitgliedschaft in der SED ihr Studium beginnen.
Ehrgeizig war sie - auch da. „Besser sein als alle anderen“, diesen Anspruch hatte die Mutter den Kindern eingebleut. Gerade weil die Pfarrerfamilie mit der SED und ihrem Staat nichts im Sinn hatte, sollte sie durch Leistung unangreifbar sein.
Angela Merkel schrieb eine Doktorarbeit über die „Berechnung von Geschwindigkeitskonstanten von Elementarreaktionen am Beispiel einfacher Kohlenwasserstoffe“ und fand dabei, wie sie heute unterkühlt mitteilt, „sogar etwas Kleines heraus“, was andere noch nicht wußten.
„Rackern für einen Staat, den man ablehnt?“ Sie hat sich diese Frage oft gestellt und - angeblich schon damals - mit der Feststellung beantwortet, sie müsse jetzt rackern und den Anschluß an die internationale Wissenschaft halten, um eines Tages, wenn es denn zur Einheit komme, nicht abgehängt zu werden.
Logisch, daß sie dann, als der Tag in greifbarer Nähe war, bei denen stand, die den schnellen Anschluß wollten.
Auch ihr Weg zu Krauses und Kohls CDU erklärt sich zwingend aus ihrer Biographie: Sie wollte die DDR nicht mehr, sie hatte sie nie gewollt. Dennoch hatte sie, anders als Krause, in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober ein wehmütiges Gefühl im Bauch - weil ein Lebensabschnitt zu Ende ging.
Kein Wunder, daß Angela Merkel in der Blockflöten-CDU nur wenige Freunde besaß. Als sie sich entschied, in den Bundestag zu gehen, blitzte sie in Brandenburg und Thüringen erst einmal ab: „zu links“, hieß es. Dabei war sie nie „links“ im herkömmlichen Sinn. Aber sie kam mit den „Blockis“ aus der Honecker-Zeit einfach nicht zurecht. Niemals wäre sie Mitglied in der alten Ost-CDU geworden.
Das hängt ihr auch heute nach. Seit sie in dem von Generalsekretär Volker Rühe entfachten Streit Position für die Erneuerer bezog, ist sie den alten CDU-Funktionären im Osten suspekt. Gar nicht glücklich scheint der Landesverband Brandenburg über die Absicht des Kanzlers zu sein, die Frauenministerin zu seiner Stellvertreterin zu machen. Sogar ihr einstiger Förderer Krause geht auf Distanz: „Es muß kein Ossi sein.“
„Eine Kopfgeburt“, tönt es aus Berlin und Umgebung. Viel zuwenig bekannt sei die Frau im Lande, viel zuwenig entspreche sie dem normalen Typ des CDU-Mitglieds „drüben“ - solche Komplimente hört sie gern.
Ernster freilich nimmt sie die Einwände jener Frauen, die sich in der Abtreibungsfrage von der Frauenministerin im Stich gelassen fühlen.
„Bitter enttäuscht“ ist die Vorsitzende der SPD-Frauen, Inge Wettig-Danielmeier, daß Angela Merkel jetzt plötzlich Zugeständnisse an die Konservativen gemacht hat. „Man hat den Eindruck, daß ihr die Karriere wichtiger ist als ihre Überzeugungen.“
Nicht nein sagen zu können hat der gescheiterte CDU-Vize Lothar de Maizière als seinen größten Fehler bekannt. Es könnte auch Angela Merkels größtes Problem werden.
SPIEGEL 1/1994

„Ich muß härter werden“

SPIEGEL-Reporter Jürgen Leinemann über die stellvertretende CDU-Vorsitzende Angela Merkel
Niemand scheint sie wahrzunehmen. Unauffällig, aber zielsicher strebt die Frau durch den vollbesetzten Volksparksaal im mecklenburgischen Städtchen Tessin. Dunkles Kostüm, gestreifte Bluse, harter Pagenhaarschnitt.
Langsam, fast widerwillig rappelt sich vor ihr einer der Honoratioren hoch, Christoph Brandt, der Kreistagspräsident der heimischen Union. Eine Weile tuschelt er mit der Angekommenen, dann quäkt er mißmutig durchs Mikrofon, daß der CDU-Kreisparteitag „unsere Landesvorsitzende“ begrüße, „Frau Minister Angela Merkel“.
Die nickt knapp, lächelt geschäftsmäßig in den spärlichen Beifall hinein. „Gemeinsamkeit finden“, verlangt das Spruchband über ihr.
Auf dem CDU-Kreisparteitag wird ihr Vorgänger, der geschaßte Bonner Verkehrsminister Günther Krause, bei seiner Ankunft geradezu überschüttet mit Applaus und Aufmerksamkeit: „Wie schön, daß du Zeit gefunden hast“, schallt es ihm entgegen, „komm doch ins Präsidium.“
Angela Merkel, 39, die ein feines Gespür hat für Signale der Macht, nimmt das eher belustigt zur Kenntnis. Sie weiß, daß sie hier „Angela, die Sanfte“ genannt wird. Daß sie das nicht ist, beginnen die Unionsherren an der Ostsee inzwischen zu ahnen.
Zunächst hatten es die zerstrittenen Provinzgockel im Landtag und in den Kreisen von Mecklenburg-Vorpommern für eine prachtvolle Idee gehalten, daß ausgerechnet eine Frau dem Machtmacker Krause nachfolgen sollte. Die könnte mal ein bißchen Harmoniesoße über den Laden kippen. „Als ich denen dann sagte: ,So nicht, meine Herren'', da warn se baff.“
Klar, daß sie nicht Krause ist, „bei weitem nicht“. Die Ministerin grinst pfiffig, sie muß die sturen Fischköppe eben anders kirre kriegen. Also drückt sie ihnen den Baden-Württemberger Klaus Preschle, 33, als Generalsekretär auf, ihren Statthalter sozusagen, und spart nicht mit herbem öffentlichen Tadel an Postengezänk und persönlichen Eitelkeiten. „Seither lebe ich politisch gefährlich“, sagt sie. Aber ist denn Politik etwa ein Beamtenjob bei ''ner Versicherungsgesellschaft? Risiko muß sein.
Das klingt weder leichtfertig noch provozierend. Ihre Sicherheit und die Selbstverständlichkeit ihres Auftritts verblüffen. Diese Frau weiß auch ohne Beifallsstürme, daß sie die steilste politische Karriere gemacht hat, die es in Nachkriegsdeutschland je gegeben hat.
In gut drei Jahren mauserte sie sich von einer blassen Helferin des Demokratischen Aufbruchs in Berlin zur Ministerin in Bonn, zur Stellvertreterin des CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl und zur Landesvorsitzenden in Mecklenburg-Vorpommern. Im Superwahljahr 1994 soll vor allem sie im Osten die abbröckelnde Unionsfront halten.
Blaß ist die schmucklose Physikerin freilich immer noch. Daß ihr die zu diesem Aufstieg gehörende Aura des Erfolges völlig abgeht, irritiert im mediengeilen Bonn manchen. „Sie hat alle Insignien einer blendenden Erscheinung“, findet die FDP-Abgeordnete Uta Würfel, „aber sie macht einfach keinen Gebrauch davon.“
Das ist schwer zu verstehen und noch schwerer zu verzeihen. Angela Merkel liebt keine Selbstdarstellung, auf eine „Politik vordergründiger Wirkung“ glaubt sie verzichten zu können. Ohnehin sei bei ihr alles viel zu schnell gegangen und habe zu hoch hinauf geführt, findet sie. „Da fehlt der solide Unterbau. Ich sitze auf hoher Plattform mit wackligen Stützen.“
Mit großer Selbstverständlichkeit ist sie ihre politische Laufbahn nach der Wende angegangen. Lehrerin wäre sie gern geworden für Russisch und Physik; in der DDR mußte sie, aus christlichem Haus stammend, in die Forschung ausweichen. Heute sagt sie: „Es hat mich immer gereizt, wie man eine Gesellschaft in eine bestimmte Richtung drängen kann.“
So wie Ludwig Erhard. In den DDR-Zeiten heimlich, öffentlich nach der Wende beim Demokratischen Aufbruch, und in der Kohl-Partei tritt sie wie eine Art heilige Johanna der sozialen Marktwirtschaft auf. Sie verficht sie mit einer Leidenschaftlichkeit, die sich von der Geschmeidigkeit anderer Wendegewinnler beträchtlich unterscheidet.
Daß ihr die Union heute als die verläßlichste Verfechterin Erhardscher Politik erscheint, hat ihren Widerwillen gegen die „Blockflöten“ aus dem Osten neutralisiert und ihr das „Mittun“ erleichtert.
Tatsächlich, bekennt sie heute, „war die Ost-CDU früher für mich eine schlimme Partei“. Inzwischen sei sie selbst „weitherziger“ geworden, urteile milder: „Ich habe gelernt, daß diese Partei für viele auch ein Hort war.“
Fasziniert von Bonn war sie lange. Immer schon ist die Pastorentochter aus Templin stolz darauf gewesen, in Hamburg zur Welt gekommen zu sein. Zur überzeugten DDR-Bürgerin, sagt sie, habe sie sich nie entwickelt, obwohl sie schon als Kind aufzusagen wußte, wer im Politbüro saß.
Politik war ihr Ding. Als Fünfjährige hielt Angela ihrer Großmutter darüber Vorträge. Mit acht Jahren wußte sie alle Namen des christ-liberalen Bonner Kabinetts auswendig, von Adenauer bis Wuermeling. Die wichtigsten Bundestagsdebatten verfolgte sie am Radio. „Die Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten habe ich heimlich in der Schule auf dem Klo gehört.“
Nein, Angela Merkel verdankt ihre Karriere keineswegs der „Doppelquote Ossi und Frau“. Diese ebenso ehrgeizige wie disziplinierte Dame ist eine politische Naturbegabung. Instinktsicher wittert sie Spannungen und geheime Untiefen. Die Machtmechanismen in Partei, Regierung und Parlament sind ihr inzwischen vertraut. Sie kann sich wehren. Sie hat Geduld. „Und“, sagt sie, „ich bin Realist.“
Von ungefähr kommen diese politischen Talente natürlich nicht. Im Hause Merkel wurde immer politisiert, vor allem der Vater engagierte sich heftig. In der DDR sympathisierte er mit dem Sozialismus, heute gehört er zum Neuen Forum. Der Bruder, Physiker wie seine älteste Schwester, ist Mitglied beim Bündnis 90/Grüne. Nur die jüngere Schwester, von Beruf Krankenschwester, ist politisch nicht aktiv.
Während der DDR-Zeit bemühte sich die Mutter zwar nach Kräften, die hitzigen Debatten zu dämpfen, Politik vom Küchentisch fernzuhalten. Auch sie ist heute aktiv, als SPD-Stadtverordnete in Templin. Einen leichten politischen Stand kann die Ministerin bei ihren Besuchen zu Hause nicht haben. Aber darüber redet sie nicht.
Sie sagt überhaupt nicht viel, was sie kenntli...

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