Rudolf Augstein über Bismarck
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Rudolf Augstein über Bismarck

Mit einer Einführung von Hauke Janssen. Ein SPIEGEL E-Book

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  1. 180 Seiten
  2. German
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Rudolf Augstein über Bismarck

Mit einer Einführung von Hauke Janssen. Ein SPIEGEL E-Book

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Über 50 Jahre setzte sich der SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein mit Otto von Bismarck auseinander. In einer ersten Titelgeschichte aus dem Jahre 1950 überwiegen Respekt und Anerkennung, vor allem für den Reichseiniger und Außenpolitiker Bismarck. Wer sich der Mühe - und dem Lese-Abenteuer - unterzieht, kann anhand der zwölf Texte in diesem E-Book verfolgen, wie Augsteins Blick auf den Reichskanzler bis 2001 kritischer wurde. Sein Urteil: "Der Reichsgründer Otto Fürst von Bismarck war ein kleinlicher, oft mieser Despot. Darüber muss man nicht diskutieren. Und dennoch ein großer Mann? Ja."Die vorliegende Sammlung enthält Titelgeschichten, umfassende Besprechungen von Bismarck-Biografien und Kommentare Rudolf Augsteins aus dem SPIEGEL sowie eine Rede zum 100. Todestag des Eisernen Kanzlers.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783877631485
Rudolf Augstein über Bismarck • Vorwort

Einführung

„Der Reichsgründer Otto Fürst von Bismarck war ein kleinlicher, oft mieser Despot. Darüber muss man nicht diskutieren. Und dennoch ein großer Mann? Ja.“ Denn als „groß“ müssten diejenigen Menschen betrachtet werden, „ohne die eine ganze Epoche gar nicht vorstellbar, gar nicht denkbar ist“. Dieses Urteil Augsteins aus dem Jahre 2001 steht am Ende einer über 50-jährigen Auseinandersetzung des SPIEGEL-Herausgebers mit Bismarck.
Dabei galt es lange als ausgemacht, dass Augstein zu den Bismarck-Verehrern gehörte und in der Redaktion kursierte, wie Peter Merseburger erzählt, lange das Spottgerücht, er wallfahre an nationalen Feiertagen zum Grab seines Helden vor den Toren Hamburgs im Sachsenwald.
Wer sich der Mühe – oder dem Lese-Abenteuer – unterzieht und nachprüft, was Augstein zwischen 1950 und 2001 tatsächlich zu Bismarck geschrieben hat, kann diesem Urteil nur mit erheblichen Einschränkungen zustimmen. Das hat schon Merseburger festgestellt.
Richtig ist: Als Augstein sich im April 1950 in einer Titelgeschichte erstmals intensiv mit Bismarck auseinandersetzt, überwiegen Respekt und Anerkennung, vor allem für den Reichseiniger und Außenpolitiker. Darin, so Augstein, seien sich die Gelehrten einig: Es sei Kabinettspolitik alten Stils, „aber zu bewundern“.
Doch deckt Augstein bereits damals die Defizite einer autoritären, ja reaktionären Politik auf und erkennt in Bismarck einen „Repräsentanten einer nationalistisch überhitzten Flegelzeit der Deutschen“ und vor allem einen „eingeschworenen Verächter der Freiheit“.
Augsteins Kritik gilt dem Kulturkampf gegen die Katholiken, den Sozialistengesetzen, aber auch einer Sozialpolitik, die nicht daran dachte, die „Arbeitsverhältnisse selbst zu verbessern“.
Die Zerstörung der Nationalliberalen Partei kommentiert Augstein – von Ralf Dahrendorf der „letzte Nationalliberale“ genannt – relativ nüchtern: Diese sei nach Zustimmung zu den Sozialistengesetzen etc. ebenso „an ihrer eigenen Inkonsequenz kaputtgegangen wie am Fürsten Bismarck“.
Später schärft sich der kritische Blick auch in Bezug auf die Außenpolitik. Alle wesentlichen Fehler des wilhelminischen Kaiserreichs seien schon bei ihm angelegt, so der Tenor nun. Verwerflich auch die Mittel, mit denen Bismarck die Reichsgründung betrieben habe. Augstein (2001): „In meinen Augen war diese Politik konsequent und durchdacht. Waren die Mittel schurkisch? Ohne Zweifel ja.“
Dennoch behandelte Augstein den „Schwefelgelben“, wie er Bismarck mit den Worten Theodor Fontanes zum hundertsten Todestag tituliert hatte, stets mit einer gewissen Sympathie - und sei es für den Publizisten Bismarck. Augstein (2001): „Um wie viel wären wir ärmer, wenn wir die Briefe und Denkwürdigkeiten dieses großen Stilisten vermissen müssten“.
Wäre die Einigung der Deutschen (unter preußischer Vorherrschaft), wäre Bismarcks historische Größe, ohne skrupellose Macht- und Gewaltpolitik überhaupt möglich gewesen? Augstein bezweifelt dies: „Welcher großer Mann, wäre ohne Schurkereien ausgekommen?“ Ob solche Mittel angesichts ihrer Erfolge am Ende gar zu rechtfertigen seien, dazu spricht Augstein sich 1950 nicht eindeutig aus.
Erfolge? Seit 1950 hat Augstein Bismarck wiederholt in Schutz genommen, wenn jener als Wegbereiter für Hitler „herabgewürdigt“ wurde, wie es in jenen Jahren seitens der „alliierten Umerzieher“ häufig der Fall war. Augstein fordert, Bismarck müsse „nicht aus der Gegenwart, sondern aus seiner Zeit heraus“ begriffen werden.
Allerdings zeichnet Augstein in seiner zweiten Phase der Auseinandersetzung mit Bismarck, den 1980er Jahren, selber den Weg deutlich nach, der von Friedrich über Bismarck in die Katastrophe der Weltkriege führte. „Der Untergang“, so Augstein 1985, „begann nicht 1939, als der Diktator in seinen Krieg raste; er begann nicht 1933, als er die Macht an sich riß“. Er begann vielmehr, als es hieß: „Periculum in mora“ und „Bismarck muss her“. „Gefahr im Verzug“, denn es ging in Berlin um die preußische Heeresvorlage, um Königs- oder Parlamentsherrschaft.
Darf der Etat für die preußische Armee von der Finanzkontrolle durch das Parlament ausgenommen werden? König Wilhelm I. verlangt dies, das Parlament verweigert sich. Der König denkt an Rücktritt. In diesem Moment - im September 1982 - holt er Bismarck, den sein Vorgänger Friedrich Wilhelm IV. noch mit den Worten abgelehnt hatte: „nur zu gebrauchen, wenn das Bajonett schrankenlos waltet“.
Der neue Ministerpräsident macht seinem Ruf Ehre und verabschiedet den Etat ohne Zustimmung der Abgeordneten. Das ist gesetzwidrig, aber er kommt damit durch. Bismarck damals: „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht“; „nicht durch Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut“.
1866 lässt er sich vom Parlament Absolution erteilen – die berühmte Indemnitätsvorlage. Augstein erklärte den Vorgang in einer launigen Rede wie folgt: „Ich, Bismarck, ich habe vier Jahre gegen die Verfassung regiert und alle, die das kritisiert haben, werden straffrei gestellt.“
„Von Friedrich zu Hitler“, mit der Zwischenstation „Bismarck“? „Es hat nicht so kommen müssen“, schreibt Augstein anlässlich des 200. Todestages des Alten Fritz, „aber dass es so kommen konnte“, das ergeben Augsteins Betrachtungen, hatte eben eine Geschichte, die über Bismarck führte.
Wohin also mit Bismarck, wo ruht er am besten? Kaiser Wilhelm II. wollte ihn mit Pomp im Berliner Dom bestatten lassen. Der 26-jährige Augstein hält es mit dem romantisch angefassten Fontane: ein Grab in freier Natur, tief im Sachsenwald: „Lärmt nicht so, hier unten liegt Bismarck, irgendwo“.
Gut fünfzig Jahre später, nun 77-jährig und selber von schwerer Krankheit gezeichnet, stellt Augstein die Frage neu: „Wo liegt Bismarck nun wirklich?“ Antwort: „Irgendwo im Nirgendwo“.
Hauke Janssen
Rudolf Augstein über Bismarck • Auch ein verlorener Sohn
Abbildung

Auch ein verlorener Sohn

Warum ist trotz aller Bemühungen um Bismarck von 1898 bis 1948 keine einzige, wirklich befriedigende, wirklich moderne wissenschaftliche Bismarckbiographie zustande gekommen? Läßt sich das noch mit 'deutscher Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit' rechtfertigen?" Der Freiburger Geschichtsprofessor Gerhard Ritter sparte nicht mit Vorwürfen an die eigene Adresse und die seiner Zunftgenossen auf dem Münchener Historikertag im September 1949.
Ritter, Luther- und Stein-Biograph, griff nicht ohne Grund Bismarck heraus. „An dieser mächtigen Gestalt scheiden sich die Geister, und an ihrer Beurteilung hängt zuletzt alles, was die Historie an politischer Belehrung für unsere Zeit zu bieten hat“, schrieb er gleich nach dem Ende dieses Krieges.
Dabei ist es ihm klar, wie sehr gerade der Reichsgründer tatsächlich der Repräsentant einer nationalistisch überhitzten Flegelzeit der Deutschen war, mit Niederwald-Denkmal und Cherusker-Kult, mit Pickelhaube und den Keimen des irrealen Anspruchs, das Salz der Erde sein.
Aber er weiß auch, daß es vornehmlich die von ihrer Zeit angesteckten Historiker, etwa Sybel und Treitschke, waren, die das Bild des „Eisernen Kanzlers“ als eines fleischgewordenen Macchiavell, als eines eingeschworenen Verächters der Freiheit verherrlichten und verzerrten. Dieses Bild jedoch ist, so beansprucht Ritter, „eine reine Phantasiegestalt, der keine Wirklichkeit mehr entspricht“.
Ritter will es richtiggestellt wissen. Nicht allein um der historischen Wahrheit willen. Vielmehr: „Das nationale Selbstbewußtsein der Deutschen ist heute tief erschüttert – man wird es nicht zur Selbstverzweiflung treiben dürfen.“ Bismarck, der recht verstandene Bismarck, ist ihm der Mann, an dem sich das durch die nationale Katastrophe zerstörte deutsche Nationalgefühl wieder aufrichten kann.
Dabei ist es offensichtlich, daß Bismarck von den Deutschen der Hitler-Katastrophe keineswegs „recht verstanden“ wird, sondern daß er im Bewußtsein des Volkes als mythischer „Getreuer Eckehart“ fortdauert, unter dem „all das nicht hätte passieren können“, wenn seine Politik nämlich so unzerstörbar gewesen wäre wie die Legende um ihn.
Ebenso falsch beurteilten ihn die Umerzieher, als sie es unternahmen, noch den toten Bismarck gleichsam vor eine Spruchkammer zu ziehen, um ihn hier für den 1. und 2. Weltkrieg und für alles sonstige Unglück Europas verantwortlich zu machen.
Noch nicht zu haben. Zur Zeit der Münchener Historiker-Tagung lagen zwei vollständige deutsche Biographien des Reichsgründers bereits fertig vor. Aber das wichtigere, modernere der beiden Werke ist in deutschen Buchhandlungen jetzt noch nicht zu haben.
Es erschien während des Krieges, wenn auch nicht in Deutschland, so doch in der Schweiz, in deutscher Sprache und von einem deutschen Verfasser. Allerdings gehört ihr Autor, Erich Eyck, im engeren Sinn nicht der Zunft der Fachgelehrten an. Der einstige Rechtsanwalt am Berliner Kammergericht verließ 1937 aus rassischen Gründen Deutschland und lebt seither im Londoner Exil. Aber Monographien über „Die Monarchie Wilhelms II.“, über Gladstone, über „Die Pitts und die Fox“ erwiesen seine historische Begabung. Sein sehr umfangreiches Bismarckwerk – drei Bände mit insgesamt 1996 Seiten – macht ihn vollends zunftgerecht.
Die zweite neue Biographie wurde ebenfalls während des Krieges geschrieben. Im September 1943 konnte Arnold Oskar Meyer, zuletzt Ordinarius für mittlere und neuere Geschichte an der Berliner Universität, sie vollenden. Sie ist erst jetzt erschienen.
Beide Verfasser kommen noch aus der Bismarckzeit. A. O. Meyer, geboren 1877, rühmt sich sogar einer persönlichen Begegnung mit dem Altreichskanzler. Im Sommer 1897 bei einer Ausfahrt des Alten aus dem Sachsenwalde „begegnete sein Blick dem meinen“.
Solch leibhaftiges Zusammentreffen mit seinem Helden kann Erich Eyck, geboren 1878, nicht melden. Ob er es gesucht hätte, darf zweifelhaft erscheinen.
Beide Autoren sind Nachfahren des liberalen deutschen Bürgertums des 19. Jahrhunderts. Meyer, Sohn eines Breslauer Physikprofessors, exerziert in sich noch einmal die Wandlung nach, die die deutschen Liberalen zwischen 1850 und 1890 durchgemacht haben. Aus erbitterten Gegnern des „reaktionären Junkers“ Bismarck wurden sie mit und nach 1866 zu den eigentlichen Trägern seiner Reichspolitik.
Folgerichtig geistert noch durch Meyers Buch der „eiserne Kanzler“, die „hünenhafte Reckengestalt“, der „rechte Held aus der Schlacht“. Er sieht in den Augen des Kanzlers die „urgermanische Kampfesfreude“ blitzen. Er vergleicht ihn dem „Riesen aus nordischer Urzeit“, der „in heldischem Wagemut alles an alles setzt“. Meyers Bismarck ist entschieden zu eisern.
Eyck, Sproß einer Kaufmannsfamilie, bleibt Liberaler, gerade auch als Bismarckbiograph. Der radikale Demokrat, der einst in Berlin die juristische Beilage der Vossischen Zeitung redigierte, macht sich, hundert Jahre später, zum Fürsprech seiner liberalen Gesinnungsgenossen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Er will ihre Vorbehalte, ihren Widerstand rechtfertigen, ihr Scheitern erklären. Der Jurist sieht in Bismarck den Mann, der den Grundsatz des Rechts im Staats- und Volksleben unterhöhlt hat. Er will beweisen, daß die nationale Einigung Deutschlands auch ohne Gewaltpolitik möglich gewesen wäre.
Zurück in den Bücherschrank. Beide Autoren haben in Hans Rothfels den gleichen sachkundigen Kritiker gefunden. Der jüdische Gelehrte hat das Buch von Meyer – der Verfasser starb im Juni 1944 an den Folgen eines Unfalls – eingeleitet und herausgegeben. Schon vorher veröffentlichte er die erste umfassende Besprechung von Eycks Werk.
Zum Münchener Historikertag war Rothfels aus Chikago herübergekommen. Dort lehrt er, seit er 1934 von seinem Königsberger Lehrstuhl auf eine Weise davongejagt war, die ihn nur ehren konnte.
Rothfels nun kam aus Amerika. Als er sein Referat „Bismarck und das neunzehnte Jahrhundert“ beendet hatte, folgerten die Zuhörer übereinstimmend, jetzt könnte jeder Deutsche sein Bismarckbild wieder beruhigt an die Wand hängen und die „Gedanken und Erinnerungen“ in den Bücherschrank zurückstellen.
Dabei hatte der Zwangs-Amerikaner Rothfels nichts anderes getan, als die Kritik an Bismarck auf das rechte Maß zurückzuschrauben. Er forderte, den Reichsgründer nicht aus der Gegenwart, sondern aus seiner Zeit herauszubegreifen. Für ihn ist Bismarck der Mann, der Fehler und Vorzüge der klassischen Diplomatie in ihren Extremen vereinigt, der Repräsentant der alten aristokratischen Oberschicht Europas, die sich nur im 19. Jahrhundert noch einmal voll ausleben konnte.
Solche Schau bewahrt nach Rothfels den Altreichskanzler davor, zum „Wegbereiter des Dritten Reiches“ herabgewürdigt zu werden, was nicht nur Mr. Teitelbaum, der Chef der hessischen Entnazifizierung, unternommen hat. Rothfels: „Hitler hat in fast jeder Beziehung das ausgeführt, was zu tun der Gründer des Reiches sich weigerte.“
Während seines Deutschland-Besuches übernahm es Rothfels, Meyers nachgelassenes Werk herauszugeben. Er tat es nicht nur aus Gründen der Pietät, sondern um des „Prinzips freier und vielfältiger Diskussion“, also mit Vorbehalten.
Er hat seine Bedenken offen ausgesprochen: „Diese Bismarck-Biographie hätte sehr wohl vor 1933 geschrieben werden können ... Das Buch ist völlig frei von Verbeugungen gegenüber dem Hitler-Regime, es ist männlich-kompromißlos ... Aber es ist auch unberührt von den Erschütterungen und vertieften Fragestellungen einer deutschen und einer europäischen Krise ersten Ranges.“
Warum ist es dann überhaupt erst noch erschienen? haben andere Kritiker gefragt. Weil es selbst bereits „Quelle“ im geschichtswissenschaftlichen Sinne ist, weil es das Bismarck-Bild einer vergangenen Zeit widerspiegelt, ist Rothfels' Antwort.
Eycks Werk hingegen nennt Rothfels „in vielen Beziehungen ein zeitgemäßes Buch, besser gesagt, eines, das längst überfällig war.“ Dafür aber distanziert er sich um so deutlicher von Eycks bewußter Einseitigkeit. Für Rothfels ist es nur eine „Hypothese“, daß Deutschland durch weniger gewaltsame Mittel als die von Bismarck angewandten hätte geeinigt werden können. Und er hält es gar für einen „endgültigen Rückschritt“, wenn Eyck Bismarcks Freiheit von ideologischer Voreingenommenheit und seine Selbstbeschränkung nach dem Sieg weitgehend übersieht.
So bleibt Bismarck umstritten, wie alle Täter der modernen abendländischen Geschichte. Dabei hat seine „überragende, rätselhafte Figur zweifellos an Aktualität gewonnen“. Denn er ist „verantwortlich für die entscheidenden Wandlungen, denen Europa ... im 19. Jahrhundert unterworfen war“ (Rothfels).
Aber ob er nur das bewirkte, was seine Zeit forderte, oder ob er dem Verhängnis des 20. Jahrhunderts darüber hinaus den Weg bereitete, für diese Frage gibt es keine verbindliche Antwort. Sie wird weiter nach Geschmack und Ressentiment entschieden werden, und man kann nur versuchen, aus dem Leben dieses nach Eyck „interessantesten Menschen seiner Zeit“ das Abbild einer geschichtlichen Persönlichkeit zu entwerfen.
Achilles, der Unverwundbare. Da ist zunächst der übermütige Korpsstudent, der mit einer mächtigen Dogge den alten Wachtturm auf dem Göttinger Wall bezieht. Der in 28 Mensuren als „Achilles, der Unverwundbare“ nur ein einziges Mal auf der linken Oberlippe eine leichte Schramme davongekriegt und so viele Schulden macht, daß der Vater, der Rittergutsbesitzer Ferdinand von Bismarck, auf dem sächsischen Schönhausen und den pommerschen Gütern Kniephof, Külz und Jarchelin, noch Jahre daran zu knabbern hat.
Der Hörsaal sieht ihn nicht oft. Aus dem Referendarexamen geht er nach drei weiteren Berliner Semestern trotzdem mit der Zensur „Sehr gut befähigt“ hervor.
Da ist der Regierungsreferendar, der „nie Vorgesetzte vertragen“ kann. Den, wie er voraussagt, „der längste Titel und der breiteste Orden ... schwerlich entschädigen wird für die körperlich und geistig eingeschrumpfte Brust, welche das Resultat dieses Lebens sein wird“. Der drei Monate ohne Urlaub und ohne Nachricht dem Amt fernbleibt und einer „jungen Brittin von blondem Haar und seltener Schönheit“ bis in die Schweiz nachreist.
Nach drei vergeblichen Beamtenversuchen in Aachen und in Potsdam, geht der gescheiterte preußische Regierungsreferendar zurück auf seine ostelbischen Güter, um nach Junkerart Landwirt zu werden. „Ich will Musik machen, wie ich sie für gut erkenne, oder gar keine.“
Der gelangweilte Großagrarier wird der „tolle Bismarck“. Noch Jahrzehnte später geht in Hinterpommern, wo er jetzt auf Kniephof sitzt, die Sage um von seinen Ritten bei Tag und bei Nacht und von seinen Gelagen, bei denen er seine „Gäste mit freundlicher Kaltblütigkeit unter den Tisch trinkt“. Schwere Stürze von Roß und Mann sind bezeugt, und auch die Pistole spielt nicht nur bei Ehrenhändeln ihre Rolle.
Den Müttern auf den umliegenden Gutshöfen gruselt es, wenn sie von dem unheimlichen Standesgenossen heimlich wispern, und für die Töchter gilt es geradezu kompromittierend, Herrn von Bismarck zum Tischherrn zu haben.
Dabei ist der...

Inhaltsverzeichnis

  1. Rudolf Augstein über Bismarck
  2. Rudolf Augstein über Bismarck
  3. Anhang