Der 2. Weltkrieg - Wendepunkt der deutschen Geschichte
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Der 2. Weltkrieg - Wendepunkt der deutschen Geschichte

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Kein anderes Ereignis des 20. Jahrhunderts hat so viel Leid über die Menschheit gebracht wie der im Namen Deutschlands von Adolf Hitler entfesselte Zweite Weltkrieg. Rund 60 Millionen Menschen kamen ums Leben, unzählige in Europa und Asien verloren ihre Heimat durch Flucht und Vertreibung. Der materielle Schaden war unermesslich. Der Niederlage Deutschlands folgte die Befreiung von der Diktatur, von Militarismus und Obrigkeitsstaat. Für die deutsche Geschichte, so der Historiker Heinrich August Winkler, bedeute das Kriegsende "den Wendepunkt schlechthin". Mit der Kapitulation am 8. Mai 1945 ging das von Bismarck 1871 gegründete Deutsche Reich unter. Namhafte Historiker und SPIEGEL-Redakteure beschreiben, wie es zum Zweiten Weltkrieg kam, wie er verlief, wie er endete und welche tiefgreifenden Folgen die Niederlage hatte. Die Autoren begaben sich auch auf Spurensuche vor Ort - von Pearl Harbor bis al-Alamein, von den Seelower Höhen bis zur Brücke von Remagen.Der "Klassiker" aus dem SPIEGEL-Buchverlag nun erstmals als E-Book.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783877631478
DER ENDKAMPF • „Hitler kaputt, alles kaputt“

„Hitler kaputt, alles kaputt“

Die Niederlage in Stalingrad markiert den endgültigen Wendepunkt in Hitlers Eroberungskrieg. Die Sowjetsoldaten rücken - trotz horrender Verluste - unaufhaltsam nach Westen vor. Ende April 1945 ist Berlin eingeschlossen. Kurz nach dem Fall erfolgt die Kapitulation am 8. Mai. Von Jörg R. Mettke
Zwei Wochen vor seinem 53. Geburtstag phantasiert sich Adolf Hitler noch einmal ein besiegbares Russland in greifbare Nähe. Am 5. April 1942 schickt der ehemalige Gefreite seine Armeen an der Ostfront in die „Operation Blau“ und damit vorwärts in den Untergang.
Nicht die sowjetische Hauptstadt, im „Barbarossa“-Plan noch wichtigstes Ziel, soll mit der geplanten Offensive eingenommen werden, sondern die Erdölfelder des Transkaukasus. Damit sein Eroberungskrieg nicht wegen Treibstoffmangels auf der Strecke bleibt, will Hitler nach Baku. Und auf dem Wege dorthin Russlands fruchtbaren Süden annektieren, den schon 1918 die deutschen Militärs unter Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und dem Ersten Generalquartiermeister Erich Ludendorff besetzten.
Am Ende soll ein gigantischer „Ostwall“ den kolonialen Raub für Generationen absichern. Dann, schwärmt Hitler seinem für jede rassistische Vision empfänglichen Propagandaminister Joseph Goebbels vor, „stehen wir dem übrig bleibenden Russland gegenüber, wie England Indien gegenübersteht“.
Mehr als ein Drittel des ursprünglichen Ostheeres ist zu diesem Zeitpunkt abgeschrieben: über eine Million Gefallene, Verwundete und Vermisste. Von den Panzern, die ausgesandt worden waren, „neuen Lebensraum“ zu erobern, funktioniert gerade noch jeder zehnte. Doch „der Feind“, malt sich Hitler gleichwohl die Lage im Osten schön, sei ja weit übler dran. Er habe „die Massen seiner Reserven“ im ersten Kriegswinter „weitgehend verbraucht“. Das Gegenteil ist richtig. Nach Berechnung von Josef Stalins Oberkommando („Stawka“) stehen einer Million gefallenen und über drei Millionen in Kriegsgefangenschaft geratenen Soldaten 16 Millionen Sowjetbürger im waffenfähigen Alter gegenüber. 1942 soll die Truppe auf neun Millionen Mann in 400 Divisionen aufgestockt werden und mit jenem Kriegsgerät zurückschlagen, das die hinter den Ural evakuierten Rüstungsbetriebe inzwischen produziert haben: 4500 Panzer, 3000 Kampfflugzeuge, 14 000 Geschütze, 50 000 Granatwerfer.
Hitler bleibt bei seinem Plan: Das Unternehmen „Blau“ wird im Mai 1942 mit Vorstößen auf der Krim vorbereitet. Die 11. Armee unter Erich von Manstein erobert die Halbinsel Kertsch, überrennt drei Sowjetarmeen und nimmt 170 000 Soldaten gefangen. Zwischenziel der deutschen Offensive ist die einstige Steppensiedlung Zarizyn an der unteren Wolga. Im Bürgerkrieg hatte Stalin dort als bolschewistischer Bevollmächtigter für Lebensmittelversorgung mit Massenerschießungen angeblicher Saboteure 1918 traurige Berühmtheit erlangt. 1925 war der Ort dann beflissen in Stalingrad umbenannt worden. Bei Kriegsbeginn lebten in der aufstrebenden Industriestadt 445 000 Menschen.
Hitler sieht sich in seiner Erwartung rascher und nachhaltiger Erfolge zunächst so bestätigt, dass er die Heeresgruppe Süd in die Gruppen A und B aufsplittert und ersterer als Parallel-Kriegsschauplatz zuweist, was ursprünglich erst als zweite Stufe der nun in „Braunschweig“ umbenannten Operation „Blau“ vorgesehen war: die gesamte Schwarzmeerküste und die kaukasische Landbrücke bis an das Kaspische Meer zwischen Astrachan und Baku.
Auf der überdehnten und die deutschen Kräfte samt rumänischen, ungarischen und italienischen Hilfstruppen längst überfordernden Front sollen bis Anfang September im Norden „die Wegnahme von Leningrad“ (Deckname „Feuerzauber“) und im Süden die Besetzung Bakus (Deckname „Edelweiß“) in Szene gesetzt werden.
Stalin erlässt Ende Juli seinen drakonischen Befehl Nr. 227 mit der durch Todesstrafe bewehrten Weisung „Keinen Schritt zurück.“ Obwohl Kommandeure damit zum Verzicht auf taktische Manöver, zu verbissenem Stellungskrieg und bedenkenlosen Menschenopfern genötigt werden, regt sich auch im Moskauer Hauptquartier kein Widerspruch. Georgij Schukow, kurz darauf zum Vize-Oberbefehlshaber und zu Stalins militärischem Stellvertreter befördert, bekennt nach dem Krieg als fast Siebzigjähriger: „Wer in der Stawka das Wort führte? Stalin. Stalin war die Stawka.“
Nur zögernd akzeptiert der Allein- und Selbstherrscher im Kreml den Vorschlag seiner Generäle, Stalingrad nicht nur um jeden Preis zu halten, sondern deutsche Offensivverbände dort einzukesseln und zu vernichten. In sechs Wochen, versprechen Schukow und Alexander Wassilewski am 13. September, stünden ausreichend Truppen für ihre Operation „Uranus“ bereit.
Tags zuvor hat Hitler seinen Hoffnungsträger Friedrich Paulus, Chef der schon seit drei Wochen auf Stalingrader Gebiet in erbitterte Kämpfe verwickelten 6. Armee, bedrängt, ihm Stadt und Wolgaufer unverzüglich zu apportieren: Die Russen seien „am Ende ihrer Kraft“.
So verbeißen sich 250 000 Soldaten unterm Hakenkreuz, kommandiert von
Hitler und rückgratlosen Generälen, in ein wie Chagrinleder schrumpfendes Territorium: in den Schluchten der Trümmerberge, den Fabrikvierteln der Stalingrader Vorstädte, in Getreidespeichern und Wohnkasernen.
Am 19. November beginnt der sowjetische Gegenangriff. Paulus bittet seinen „Führer“, in südwestlicher Richtung ausbrechen zu dürfen: Benzin und Granaten seien aufgebraucht, Nachschubverbindungen abgeschnitten, die Armee befinde sich am Rande des Untergangs. Hitler antwortet mit Durchhaltebefehlen: Die 6. Armee solle die Stellung „unter allen Umständen halten“, für ihre Befreiung aus dem Kessel werde gesorgt. Aber schon die von Hermann Göring großmäulig zugesicherte Versorgung der Eingeschlossenen aus der Luft gelingt nicht. Statt eines Minimums an Proviant, Munition und Treibstoff von 300 Tonnen täglich fliegt die Luftwaffe im Durchschnitt gerade ein Drittel davon in den Kessel.
Als endlich Mitte Dezember eine Entsatzoperation für die verblutende, verhungernde, erfrierende 6. Armee anläuft, ist es zu spät: Die Truppe zu abgekämpft, um den Kessel von innen her sprengen zu können; ihr Befehlshaber befangen in unbedingtem Gehorsam: „Auf eigene Verantwortung“ wagt er nicht auszubrechen.
120 Kilometer verschneite Steppe hat die aus Kotelnikowo südlich von Stalingrad zur Rettung heraneilende 4. Panzerarmee des Generalobersten Hermann Hoth zurückzulegen. 48 Kilometer vor dem Ziel, die Explosionen aus der umkämpften Stadt sind bereits zu hören, bleibt sie am Flüsschen Myschkowa stecken.
Paulus wird durch sein Zaudern zum Erfüllungsgehilfen Hitlers, der glaubt, mit der im Kampf um jedes Kellerloch zerschlissenen Stalingrad-Armee bis zum Frühjahr ausharren zu können - bis zum nächsten Versuch, das Germanen-Reich nach Osten zu erweitern. Dafür wird Paulus am 30. Januar zum Generalfeldmarschall befördert, wenige Stunden, bevor sein Gefechtsstand erobert und er gefangen genommen wird. Von Kapitulation will er auch da noch nichts wissen, obwohl er die längst hätte anbieten können - der Tod Zehntausender Soldaten und Zivilisten wäre dadurch zu vermeiden gewesen. 110 000 deutsche Landser geraten in Gefangenschaft. Nur 5000 kehrten Jahre später in die Heimat zurück.
Nach dem in Stalingrad aufgelegten Muster geht es weiter, bis der Krieg zu seinen Meistern in Deutschland heimkehrt und ihnen das Handwerk legt. Sondermeldungen des Reichsrundfunks machen immer neue slawische Ortsnamen bekannt, von Alexandrowka bis Taganrog, die sich mit sterilen Militär-Stereotypen verbinden wie Rücknahme der eigenen Linie, Geländegewinn, Durchbruch, Absetzbewegung. Und immer wieder feindlicher Einbruch.
1943, im „Kulminationsjahr des Krieges“, so der Historiker Walther Hubatsch, wird der Scheitelpunkt nazistischer Terror-Expansion überschritten: Die Invasionstruppe muss sich, trotz aller auch vom Gegner anerkannten Professionalität, beständig zurückziehen. Hitlers „primitive Alternative ,alles oder nichts''“ (Hubatsch) lässt den Deutschen nur noch das Nichts.
Erst seit Stalingrad? Tatsächlich markiert es weniger den „Wendepunkt des Krieges“ (Roosevelt) als vielmehr seiner Wahrnehmung. Einer Mehrheit der am Kriege Beteiligten wird plötzlich bewusst, dass die Kriegsmaschine des NS-Staats nicht nur gestoppt werden kann, sondern dass mit der Demontage ihres Mythos zugleich das Drama ihres Untergangs auf Raten sichtbar wird.
Karl-Heinz Frieser, 55, im Potsdamer Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr (MGFA) für den Forschungsbereich „Zeitalter der Weltkriege“ zuständig, hat die Rückwärtsbewegung im Osten in all ihren strategischen und taktischen Details untersucht (seine Forschungsergebnisse werden publiziert in Band 8 der MGFA-Reihe „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“, der voraussichtlich 2006 erscheint). Frieser datiert die eigentliche Wende weit früher: „Der Krieg war definitiv verloren, als der deutsche Angriff in der Winterschlacht vor Moskau erfror.“
Nachdem die Überrumpelung misslungen ist und Stalins Armee sich nicht als leichte Beute erweist, wird dieser Weltkrieg, wie schon der erste, in den Fabrikhallen entschieden - und auch dort erweisen sich Stalins Organisatoren als überlegen. Hitlers Rüstungs-Heloten, hochqualifizierte Fachkräfte wie Arbeitssklaven aus Konzentrationslagern und besetzten Gebieten, produzieren bis Kriegsende die eindrucksvolle Zahl von 61 700 Panzern und Sturmgeschützen; doch die sowjetischen Streitkräfte können 105 232 dagegen setzen.
Die sowjetische Geschichtsschreibung hat stets die moralische Überlegenheit der
Verteidiger im Großen Vaterländischen Krieg in den Vordergrund gerückt. Und damit zugleich jene als unpatriotische Dissidenten ausgegrenzt, die nach dem Preis des Sieges zu fragen wagten. Erst seit dem System-Zusammenbruch vor anderthalb Jahrzehnten beginnt eine neue russische Historiker-Generation, die heroisierende Hinterlassenschaft zu sezieren - überwiegend behutsam und vorsichtig, ohne elementare Unterschiede zwischen Raub- und Verteidigungskrieg zu verwischen.
Den Weg der Sowjetarmee nach Berlin, bislang oft als reines Heldenepos dargestellt, markiert auf der Führungsebene vielerorts wenig Rühmenswertes. Angriffe werden ohne Rücksicht auf eigene Verluste befohlen, auch dort, wo sie vermeidbar wären: „Menschenleben waren in der UdSSR keinen Groschen wert“, resümieren die russischen Historiker Michail Heller und Alexander Nekritsch.
Etwa bei der größten Schlacht des Krieges - um den Kursker Bogen, einer westwärtigen Ausbuchtung der russischen Front zwischen Belgorod im Süden und Maloarchangelsk im Norden. Insgesamt vier Millionen Soldaten mit 69 000 Geschützen, 13 000 Panzern und 12 000 Flugzeugen prallen dort im Sommer 1943 aufeinander. Am heftigsten in der legendären „Panzerbegegnungschlacht“ bei Prochorowka südöstlich von Kursk.
War deren Ausgang nun jener „gewaltige Triumph“, der „das Ansehen der Sowjetunion erhöhte“ - so Schukows jahrzehntelang gültige, quasi-amtliche Wertung? Oder, schlichter, fahrlässige „Vernichtung sowjetischer Panzerkommandanten“ - wie heute Wjatscheslaw Krasikow, ein Moskauer Militärpublizist, urteilt?
Frieser gibt dem Schukow-Kritiker Recht: Die deutsche Offensive „Zitadelle“ sowie zwei sowjetische Gegenoffensiven zwischen dem 5. Juli und dem 23. August 1943 seien die „am meisten fehlgedeuteten Auseinandersetzungen des Krieges“. Besonders bei der Bewertung von Prochorowka hätten es Moskauer Kollegen gut verstanden, das „Ausmaß der eigenen Fehler und Verluste zu verschleiern“. Mehr als 1500 Panzer - 700 deutsche und 850 sowjetische - sollen am 12. Juli auf engstem Raum bei Prochorowka zusammengeprallt sein. Das II. SS-Panzerkorps sei geschlagen, 400 seiner Panzer vernichtet oder beschädigt worden, darunter viele moderne Kampfwagen vom Typ „Tiger“ und „Panther“ - von sowjetischen „Tankisten“ besonders gefürchtet, weil sie deren schwächere „T-34“ ohne Chance auf Gegenwehr aus 1000 Metern abzuschießen vermochten.
So freilich fand das Treffen nur in sowjetischen Geschichtsbüchern statt. Tatsächlich erleidet die gerade neu aufgestellte 5. Garde-Panzerarmee des Generalleutnants Pawel Rotmistrow, fast unbemerkt an deutsche Linien herangeführt, eine böse Niederlage. Rotmistrows Verbände attackieren „Wagen neben Wagen, Welle auf Welle“, in „unvorstellbarer Massierung, dazu mit höchster Geschwindigkeit fahrend“ (so ein deutscher Augenzeuge).
Doch vor der Höhe 252,2, die sie stürmen, verläuft quer zur Front ein von eigenen Pionieren zur Verteidigung gezogener Panzergraben. Obwohl in allen Operationskarten verzeichnet, ist er beim Angriffsbefehl offenbar einfach vergessen worden.
So kommen, laut Bericht eines anderen deutschen Beobachters, „immer neue T-34 über die Anhöhe, rasten zum Teil den Abhang hinunter und überschlugen sich im Panzergraben, vor dem wir in Bereitstellung lagen“.
Andere entdecken noch die einzige Brücke über den Sperrgraben, stauen sich davor und bieten den beiden gegenüberliegenden SS-Panzerkompanien Gelegenheit zum „Scheibenschießen auf bewegliche Ziele“. So jedenfalls beschreibt es Kompanieführer Rudolf von Ribbentrop, Sohn des deutschen Außenministers, der dafür das Ritterkreuz erhält.
Wie russische Archive inzwischen preisgeben, verliert Rotmistrow an nur fünf Kampftagen mindestens 334 Panzer und Sturmgeschütze. 3597 seiner Männer sind tot oder vermisst, fast genauso viele verwundet. Deutsche Akten dagegen verzeichnen für den 12. Juli nur drei Totalverluste bei Prochorowka.
Stalin erwägt, den schneidigen Panzergeneral vor Gericht zu stellen. Doch ein „Vertuschungskartell“ (Frieser) bewahrt ihn davor: Das Debakel wird zum „titanischen Duell“ (Marschall Wassilewski) und „Schwanengesang“ der deutschen Panzertruppe (Marschall Iwan Konjew). Die Legende bleibt geschichtsbuchmächtig. Nur dass Rotmistrows Soldaten, wie im Armeebericht gerühmt, „heldenmütig und todesverachtend“ kämpften, ist die reine Wahrheit. Für den Dienstgebrauch hält eine Untersuchungskommission immerhin fest, Prochorowka sei ein „Beispiel für eine schlecht durchgeführte Operation“.
Dennoch erreichen die Eroberer Kursk nie wieder. Bis Anfang Februar war die Stadt 15 Monate lang unter deutscher Besetzung gewesen. Das hatte ausgereicht, um 10 000 Einwohner zu erschießen und die gleiche Anzahl verhungern zu lassen. 30 000 wurden nach Deutschland zur Zwangsarbeit abtransportiert.
Stalins Kommandeure haben, das erste Mal seit Beginn des Krieges, die Richtung des deutschen Angriffs exakt vorausgeahnt und rechtzeitig ein tiefgestaffeltes Verteidigungssystem aus Gräben, Drahtverhauen und Minenfeldern bauen lassen. Sie beherrschen nun meisterhaft die „maskirowka“, das Täuschen und Tarnen. Und scheinen aus einem unerschöpflichen Reservoir an Menschen und Waffen zu schöpfen.
Hitlers „Tischtuch“, so der Berliner Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller, dagegen ist längst „zu klein“ geworden: „In welche Richtung er es auch zog, vergrößerte er nur die Blöße an anderer Stelle.“ Das Zeitfenster für die letzte Großoffensive an der Ostfront unter Einsatz aller Kräfte schließt sich. Am 10. Juli 1943 landen Amerikaner und Briten in Sizilien und eröffnen eine zweite Front. Nicht ganz die, welche Stalin erwartet - aber immerhin. Hitler lässt das Unternehmen „Zitadelle“ stoppen: Er braucht nun Truppen für die Bedrohung seines Reiches im Süden und Westen.
„Im Osten“, revidiert er frühere Pläne von großzügiger ungestrafter Landnahme, sei „Bodenverlust auch größeren Ausmaßes“ hinnehmbar, „ohne den deutschen Lebensnerv tödlich zu treffen“. An Deutschlands Osten, den Stalins Truppen ein Jahr später erreichen, denkt er dabei offenbar nicht. Feldmarschall von Manstein solle einfach überall stehen bleiben, verlangt Hitler, „bis der Feind von der Nutzlosigkeit seiner Angriffe überzeugt ist“.
Doch die Rote Armee greift weiter an: Sie erobert Belgorod und Orjol zurück, danach das Donez-Gebiet, Brjansk, Smolensk, Dnjeprpetrowsk, Kiew - alles Orte, von deren Eroberung deutsche Rundfunkhörer noch die Fanfarentöne im Ohr haben. Mit den Vorstößen wächst das Partisanenheer im Rücken der Deutschen: 142 000 Kämpfer im Juli 1943, weitere 215 000 in Reserve.
Mit jeder befreiten Region gelangen neue Berichte über deutsche Gräueltaten nach Moskau. Etwa der monotone Nekrolog des Parteisekretärs Roman Lin über eine Strafaktion in seinem weißrussischen Landkreis Leltschizy, in dem während der Besatzungszeit insgesamt 7500 Menschen erschossen werden:
„Dorf Krupka: Iwan Mischura, 83, lebend ins Feuer seiner brennenden Hütte geworfen; Marija Korbut, 32, von einer Gruppe Hitler-Leute vor den Augen ihrer Mutter vergewaltigt. Dorf Berestjany Sawod: Jossif Akulitsch, 82, Arme und Beine ausgerenkt, Augen ausgestochen, Zähne ausgeschlagen, Schädel gespalten, nach langen Qualen gestorben.“
Zusammen mit den Deutschen verschwindet auch ein Unikum der Besatzungspolitik: die kleine russische Nazi-Republik von Lokot südlich von Brjansk. Dort hat Bronislaw Kaminski, Ingenieur der örtlichen Wodka-Fabrik und fanatischer Sowjetgegner, mit Wohlwollen des Generaloberst Schmidt, Kommandeur der 2. Panzerarmee, eine handzahme NS-Partei gegründet, eine Befreiungs- und Volksarmee aufgestellt und das Propagandablatt „Golos Naroda“ (Volksstimme) herausgegeben.
Mit 20 000 Flintenträgern müht sich der Warlord der Brjansker Wälder den deutschen Gönnern gegen 20 000 Partisanen des Gebietes beizustehen. Dafür darf Oberbürgermeister und Brigadekommandeur Kaminski fünf Kraftwagen und sogar zwei Panzer besi...

Inhaltsverzeichnis

  1. Der 2. Weltkrieg
  2. DER ZWEITE WELTKRIEG
  3. SCHICKSALSJAHR 1945
  4. GRIFF NACH DER WELTMACHT
  5. DIE GEGENSPIELER
  6. TÖDLICHE RIVALEN
  7. DER VÖLKERMORD
  8. DIE RAUBGEMEINSCHAFT
  9. DEBAKEL IM PAZIFIK
  10. DER ALLIIERTE VORMARSCH
  11. DER ENDKAMPF
  12. DIE ABRECHNUNG
  13. ANHANG