Der Überfall - Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion
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Der Überfall - Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion

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  1. 290 Seiten
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Über dieses Buch

Vor 75 Jahren – am 22. Juni 1941 – begann der barbarischste Krieg in der Geschichte der Menschheit. In den frühen Morgenstunden flogen deutsche Sturzkampfbomber unter nervenzerfetzendem Geheul erste Angriffe, bald ließ das Dröhnen der Geschütze den Boden erbeben, tauchfähige Panzer durchpflügten das vier Meter tiefe Wasser des Grenzflusses Bug. Der "Fall Barbarossa", so lautete der Deckname für Hitlers Angriff auf die Sowjetunion, nahm seinen Anfang. Die beiden stärksten Militärmächte der Welt prallten aufeinander. Höchstens einige Monate, das war die Illusion Hitlers, würde die kampferprobte Wehrmacht für einen Sieg benötigen. Am Ende dauerte das Ringen um die Herrschaft Europas fast vier Jahre. Zwischen Berlin und Moskau kämpften und starben dabei mehr Menschen als an allen anderen Fronten des Zweiten Weltkriegs zusammen. Fast jede Familie verlor Angehörige auf den Schlachtfeldern zwischen Kursk und den Seelower Höhen. Die genaue Zahl der Toten kennt niemand, aber es werden deutlich über 30 Millionen gewesen sein, was beinahe der Bevölkerung des heutigen Kanadas entspricht. Dieses E-Book bietet Analysen zur Geschichte des Krieges und zum Verhältnis von Hitler und Stalin, Auszüge aus Briefen von Soldaten beider Seiten sowie ein Interview mit Winrich Behr, der 1943 Hitler davon zu überzeugen suchte, in Stalingrad zu kapitulieren. Die 25 Texte stammen von renommierten Historikern und SPIEGEL-Redakteuren und sind im SPIEGEL erschienen.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783877631607
1. Vorgeschichte
Abbildung
SPIEGEL-TITEL 35/2009

Sprung ins Dunkle

Es gab Chancen, Hitlers „Drittes Reich“ zu stoppen - sie wurden alle verpasst. Mit dem deutschen Überfall auf Polen begann vor 70 Jahren der Zweite Weltkrieg, und die Deutschen jubelten über die Siege der Wehrmacht. Von Klaus Wiegrefe
Am 25. August 1939 ist die Dienstwohnung Adolf Hitlers in der Alten Reichskanzlei in Berlin wie immer mit Blumenarrangements geschmückt. Vor dem Gartensaal leuchten prächtige Sträuße. Doch Hitler, eigentlich ein Liebhaber sommerlicher Blütenpracht, hat dafür an diesem Freitag keinen Blick.
Der Diktator, in braunem Rock und schwarzer Hose, wirkt abgearbeitet, unruhig wandern die tiefliegenden Augen, die Schultern hängen. Der oberste Nazi ist nervös.
Etwa 150 Kilometer östlich Berlins verläuft seinerzeit die deutsch-polnische Grenze. Dort stehen 54 deutsche Divisionen mit etwa 1,5 Millionen Mann bereit, um ihre Stellungen zu beziehen; 3600 gepanzerte Fahrzeuge und über 1500 Flugzeuge sind für den „Fall Weiß“ vorgesehen - den Angriff auf Polen am nächsten Morgen. Es fehlt nur noch der Befehl des „Führers“.
Doch soll Hitler jetzt angreifen? Was werden dann Paris und London unternehmen, die Verbündeten Warschaus? Und wie wird sich Hitlers Bundesgenosse Benito Mussolini positionieren? Italien gilt als bedeutende Großmacht, die die britischen Seekräfte im Mittelmeer binden kann. Aber wird der Duce mitmachen, der erst seit dem Vortag vage über den anstehenden Waffengang informiert ist?
In den Räumen Hitlers geht es zu wie auf einem Gefechtsstand. Mehrere Dutzend Parteigrößen sind versammelt, dazwischen einige Offiziere; auf Fenstersimsen, Sesseln, Tischen stehen Telefone, von denen aus ununterbrochen gesprochen wird. Diverse Brillen liegen herum, damit der kurzsichtige Diktator jederzeit eine Sehhilfe zur Hand hat. Immer wieder zieht sich Hitler zu Einzelgesprächen in das Musikzimmer oder in den Gartensaal zurück. Zwei SS-Männer sorgen dafür, dass niemand stört.
Kurz vor dem Mittagessen lässt der Diktator nachfragen: Bis wann müsse er den Marschbefehl geben? Antwort vom Generalstab des Heeres: 15 Uhr.
Da kündet Trommelwirbel aus dem Ehrenhof der Neuen Reichskanzlei von der Ankunft des britischen Botschafters, Sir Nevile Henderson. Der Brite kennt bereits den Weg; Hitlers Büro zweigt von der gigantischen Marmorgalerie ab, die mit 146 Metern exakt doppelt so lang ist wie ihr Vorbild, der berühmte Spiegelsaal des Schlosses in Versailles. Besucher sollen schon auf dem Weg zum Diktator allen Mut verlieren.
Hitler will Henderson freilich nicht einschüchtern, er will ihn locken mit einem Angebot. Das „Dritte Reich“ sei bereit, die Existenz des britischen Weltreichs zu garantieren und den Briten Hilfe zu leisten, wo immer eine derartige Hilfe erforderlich sein sollte. Zentrale Bedingung: London müsse den Krieg gegen Polen hinnehmen.
Zum Schluss des Gesprächs gibt sich der „Führer“ sentimental: Er sei ja „Künstler von Natur und nicht Politiker“. Sei die polnische Frage erst gelöst, werde er „sein Leben als Künstler beschließen“.
Kaum ist der Diplomat weg, gibt Hitler den Angriffsbefehl. Es ist 15.02 Uhr.
Drei Stunden später trifft eine Meldung aus London ein. Großbritannien hat demonstrativ das schon vor Monaten vereinbarte Militärbündnis mit Polen unterzeichnet. Also doch kein Bluff der Briten?
Nicht lange danach überreicht der italienische Botschafter einen Brief Mussolinis: Die Italiener erklären sich außerstande, an einem Krieg teilzunehmen. Mit eisigem Gesicht verabschiedet Hitler den Diplomaten. Die nächste Stunde verbringt er damit, auf und ab zu laufen und auf den treulosen Verbündeten zu schimpfen.
„Der Führer grübelt und sinnt“, notiert Propagandachef Joseph Goebbels, „das ist für ihn ein schwerer Schlag.“
Gegen 19 Uhr erteilt Hitler neue Order: „Sofort alles anhalten.“
Das Kunststück gelingt: Obwohl die Kriegsmaschinerie bereits angelaufen ist, wird der Angriff gestoppt. Nur einen Sondertrupp, der im Handstreich einen strategisch wichtigen Eisenbahntunnel in Südpolen nehmen soll, erreicht die Nachricht nicht rechtzeitig. Die Soldaten stoßen kaum auf Widerstand, besetzen den Bahnhof und kehren erst am nächsten Tag zurück. Eine deutsche Delegation entschuldigt sich offiziell für den „Zwischenfall“. Da sei einer „unzurechnungsfähig“ gewesen.
Also: der Frieden gerettet. Oder doch nicht?
Europa im Sommer 1939. An der Spitze der mächtigsten Militärmacht des Kontinents steht ein Diktator, von dem der damalige Außenamts-Staatssekretär Ernst von Weizsäcker, Vater des späteren Bundespräsidenten Richard, sagt, er sei „kein Mann der Logik oder der Räson“.
Was für eine Untertreibung.
Der junge Offizier Nikolaus von Vormann stößt in jenen Tagen zur Entourage des „Führers“. Er sitzt dabei, wenn Hitler beim Mittagessen oder abends seine Getreuen um sich schart, und verblüfft registriert der Neue, dass die Meinung des Reichskanzlers oft um 11 Uhr „ganz anders lautet als seine Ansicht um 12 oder 1 Uhr“. Mal will er in jenen Tagen Polen angreifen, auch wenn das einen Weltkrieg bedeutet, dann wieder soll der Waffengang verschoben werden.
Nur eine Option taucht im wirbelnden Gedankenkosmos des Adolf Hitler nicht auf: dauerhafter Frieden.
Der Veteran des Ersten Weltkriegs, der die zerfetzten Leichen seiner Kameraden in den Schützengräben sah und selbst Opfer eines Giftgasangriffs war, hat die Niederlage nie verwunden. Politik ist für den Sozialdarwinisten die „Führung und der Ablauf des geschichtlichen Lebenskampfes der Völker“. Ohne Krieg herrsche Stillstand, und Stillstand sei gleichbedeutend mit Untergang. O-Ton Hitler: „Es lebe der Krieg - selbst wenn er zwei bis acht Jahre dauert.“
Wer sich derart an Tod und Verderben delektiert, ist zum Frieden nicht fähig.
Am 1. September 1939 hat das Schwanken ein Ende. Die Wehrmacht fällt im Morgengrauen ins Nachbarland ein. SS-Männer in polnischer Uniform haben zuvor Grenzzwischenfälle inszeniert, und die Leichen ermordeter KZ-Häftlinge werden der Weltöffentlichkeit als Opfer polnischer Aggression präsentiert.
Vormittags um kurz nach zehn verkündet ein sich empört gebender Hitler mit heiserer Stimme im Reichstag: „Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen.“ Nicht einmal die Uhrzeit stimmt - der deutsche Überfall erfolgte eine Stunde früher.
Zwei Tage danach ist aus dem deutschen Angriff ein Weltkrieg geworden. Neben Großbritannien und Frankreich erklären auch die Commonwealth-Mitglieder Australien, Indien, Neuseeland dem „Dritten Reich“ den Krieg; kurz darauf folgen Südafrika und Kanada.
Und das ist erst der Anfang.
2194 Tage währt das große Schlachten. Am Ende befindet sich das Reich mit 54 Staaten im Krieg. Insgesamt 110 Millionen Soldaten kämpfen zwischen Murmansk und Marseille, Tokio und Tobruk gegeneinander, mit Flammenwerfern oder Klappspaten, mit Handgranaten oder Maschinengewehren.
Das von Hitler entfesselte Inferno bringt eine in der Geschichte der Menschheit nie gesehene Eskalation der Gewalt mit sich. Rund sechzig Millionen Tote sind danach zu beklagen, darunter über die Hälfte Frauen, Kinder und Alte; allein im Holocaust sterben sechs Millionen Menschen.
Wie ein gewaltiges Erdbeben zerstört Hitlers Krieg für immer jene Weltordnung, in der Europa im Zentrum steht; seit 1945 bestimmt vor allen Amerika den Pulsschlag des globalen Organismus. Die Westverschiebung Polens, die bis 1989 währende Vorherrschaft der Sowjetunion in Osteuropa, die Teilung Deutschlands - ohne den Zweiten Weltkrieg hätte es all das nicht gegeben.
Was für eine Bilanz.
Und wenn man den Zeitgenossen Glauben schenkt, hat dies alles ein 1,75 Meter großer und gut 70 Kilogramm schwerer Mann verursacht, dessen gutturale Aussprache seine österreichische Herkunft verrät: Adolf Hitler aus Braunau am Inn.
Aber kann ein Mensch, und sei er als Diktator noch so mächtig, ganz allein die Welt in Flammen aufgehen lassen?
Seit einiger Zeit haben sich Zweifel an der zunächst allseits akzeptierten Sicht durchgesetzt; das Bild ist deutlich komplexer geworden. Gewiss bleibt, dass es ohne Hitler den Weltkrieg nicht gegeben hätte. Sicher ist allerdings auch: Eine Reihe von Faktoren trug dazu bei, dass aus den Kriegsphantasien des Nazi-Führers Wirklichkeit werden konnte.
Zum einen war da die Willfährigkeit der konservativen Eliten im Militär, in der Verwaltung, in der Wirtschaft. Sie teilten nicht Hitlers krude Idee eines Rasseimperiums, und viele von ihnen fürchteten auch einen Krieg mit den Westmächten. Doch sie träumten von der Weltmacht und strebten nach einem Großdeutschland, das zumindest den Osten Europas dominierte. Männer wie Franz Halder, Befehlshaber des Heeres, der im Frühjahr 1939 verkündete, seine Männer müssten Polen überrennen und würden dann „erfüllt mit dem Geist gewonnener Riesenschlachten bereitstehen, um entweder dem Bolschewismus entgegenzutreten oder nach dem Westen geworfen zu werden“.
Zum anderen half, mit Leibeskräften, die deutsche Bevölkerung. Hitler war in keiner Weise der ungeliebte Despot, sondern das „Sprachrohr der nationalistischen Massen“, wie sein Biograf Ian Kershaw analysiert, und der Diktator berauschte sich an der Begeisterung, die ihm die Deutschen entgegenbrachten. Erst in dem Wechselspiel zwischen „Führer“ und Volk bildete sich jene Hybris, die dann in den Untergang führte.
Dieser Befund wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass bei Kriegsbeginn auf Straßen und Bahnhöfen Jubelszenen ausblieben. Inzwischen weiß man, dass die Stimmung nach den ersten Siegen rasch umschlug. Die Deutschen waren trotz der Millionen Toten des Ersten Weltkriegs nicht zu Radikalpazifisten geworden; sie wollten nur einen zu hohen Blutzoll vermeiden.
Am 20. September notierte der amerikanische Journalist William Shirer aus Berlin, er müsse „den Deutschen erst noch finden - selbst unter denen, die das Regime nicht mögen -, der irgendetwas schlecht findet an der Zerstörung Polens“. Solange größere Verluste ausblieben, werde dies „kein unpopulärer Krieg“ sein. Eine treffende Prognose.
Und schließlich bereiteten die Spätfolgen des Ersten Weltkriegs den Boden für die Katastrophe. Diverse Mächte suchten die Nachkriegsordnung zu revidieren, schon bald herrschte pure Anarchie. Italiens Faschisten, Japans Militärs, die Sowjetunion unter Josef Stalin, auch das Obristenregime in Polen - sie alle strebten nach Einflusszonen oder Imperien und kooperierten dafür zeitweise mit den Nazis. Sogar die Demokraten in Großbritannien und Frankreich kamen dem Diktator entgegen. Viel zu lange, wenn auch überwiegend aus einem ehrenwerten Motiv: Sie wollten den Frieden retten.
Am Anfang waren freilich die Deutschen. Als Hitler 1933 Reichskanzler wurde, lag der Erste Weltkrieg nicht einmal eine Generation zurück, doch eine Aufarbeitung der eigenen Rolle war unterblieben. Enttäuscht von der Niederlage und gekränkt von den Bestimmungen des Versailler Vertrags, sannen Deutsche aller Schichten und politischen Couleur auf dessen Korrektur. Der Revisionismus, urteilt der Historiker Rolf-Dieter Müller, war „die stärkste Kraft“ im Land.
Das „Dritte Reich“ war zu dieser Zeit international isoliert (siehe Grafik); die Demokraten in London, Paris und Prag hielten ebenso Distanz wie das faschistische Italien und die Sowjetunion. Der braune Kanzler fürchtete in der ersten Zeit sogar einen Präventivkrieg der Nachbarländer - eine übertriebene Sorge.
Denn schon bald zeigte sich, wie brüchig die Nachkriegsordnung geworden war. Ausgerechnet die Junta Polens, das unter dem Zweiten Weltkrieg mehr leiden sollte als jedes andere Land (siehe Grafik Seite 69), ließ sich mit Hitler auf eine „Juniorpartnerschaft“ (Historiker Frank Golczewski) ein. 1934 schlossen Warschau und Berlin einen Nichtangriffspakt, der Hitler fortan im Osten den Rücken frei- hielt. Das polnische Regime nutzte seinerseits die Konstellation, um Nachbarländer unter Druck zu setzen, gegen die Warschau Ansprüche erhob.
Hitler sah sich dabei zunächst in der für ihn ungewohnten Situation, das Auswärtige Amt und die Militärs zu bremsen. Die Generalität strebte eine schnellere und umfassendere Aufrüstung an, als es der Diktator außenpolitisch für opportun erachtete.
Auch so wirkte das Tempo auf die Zeitgenossen atemberaubend, mit dem das „Dritte Reich“ die Fesseln von Versailles abschüttelte. Am 10. März 1935 gab Luftfahrtminister Hermann Göring bekannt, dass er über eine Luftwaffe verfüge, eine knappe Woche später verkündete Hitler die Einführung der Wehrpflicht, um die Wehrmacht auf 550 000 Mann aufzustocken - beides glatte Brüche des Versailler Vertrags, der eine weitgehende Abrüstung Deutschlands festlegte.
Hitler stürmte indes durch offene Tore, denn längst hatten die europäischen Siegermächte des Ersten Weltkriegs - Großbritannien, Frankreich, Italien - erkannt, dass die Bedingungen von Versailles einem dauerhaften Frieden im Weg standen. Und wer weiß, wie die Geschichte des 20. Jahrhunderts verlaufen wäre, wenn die Alliierten der unpopulären Weimarer Republik all das zugestanden hätten, was sie schließlich murrend akzeptierten, als der Diktator es sich nahm.
Immerhin lud im Frühjahr 1935 Mus-solini den britischen Premier Ramsay MacDonald und den französischen Ministerpräsidenten Pierre-Étienne Flandin ins mondäne Grandhotel in Stresa am Lago Maggiore. Der Jugendstilbau liegt direkt an der herrlichen Uferpromenade, und der eitle Mussolini reiste propagandawirksam mit dem Schnellboot an. Dann versprachen sich der italienische Volksschullehrer, der schottische Pazifist und der schnauzbärtige Franzose in die Hand, „mit allen geeigneten Mitteln“ künftige Übergriffe Hitlers zu ahnden.
Den Duce empörten vor allem Versuche österreichischer Nazis, in Wien die Macht zu übernehmen. Er verlangte eine „Strafexpedition“ gegen Berlin: „Sie alle, die Sie hier versammelt sind, wissen, dass Deutschland die Absicht hat, alles bis nach Bagdad zu erobern.“
Aber derselbe Mussolini träumte seinerseits von der Wiedergeburt eines römischen Reichs, und dazu sollte Abessinien gehören, das heutige Äthiopien. Wenige Monate nach Stresa griff er das afrikanische Kaiserreich an, was sein Verhältnis vor allem zu den Briten nachhaltig schädigte.
Mit diabolischem Geschick wusste Hitler die Konstellation für sich zu nutzen. Er lieferte insgeheim den Afrikanern Waffen, um einen vorzeitigen Sieg der Italiener zu verhindern; zugleich bot er dem international isolierten Mussolini Wirtschafts- und Rüstungshilfe an.
Anfang 1936 hatte der „Führer“ die Italiener, wo er sie haben wollte. Ein um Unterstützung buhlender Mussolini erklärte die sogenannte Stresa-Front „als ein für alle Mal tot“ und ließ Hitler nun wissen, er habe keine Einwände, sollte Österreich ein Satellit Deutschlands werden. Bald sprach Mussolini von der Achse Rom-Berlin.
Ohne italienischen Schutz war Österreich dem Druck des „Dritten Reichs“ ausgeliefert. Fiele Österreich erst in den deutschen Machtbereich, verschlechterte sich auch die strategische Situation der Tschechoslowakei. Und hatte Hitler erst Prag und Bratislava aus dem Weg geräumt, war Polen kaum mehr erfolgreich zu verteidigen, Nichtangriffspakt hin oder her.
„Der Führer ist glücklich“, notierte Goebbels.
Allerdings blieb das Reich an seiner Westgrenze verwundbar, und dieser Sachverhalt ließ Hitlers großen Gegenspieler Winston Churchill später urteilen, „niemals hätte sich ein Krieg leichter verhindern lassen“ als der Zweite Weltkrieg.
Im Westen Deutschlands galt eine Regelung aus dem Versailler Vertrag, die Außenminister Gustav Stresemann 1925 ausdrücklich akzeptiert hatte. Im Rheinland und längs einer Zone von 50 Kilometern östlich des Stroms durfte es keine deutschen Panzer geben, keine Garnison, keinen Fliegerhorst. So war es für die französische Armee jederzeit möglich, das Ruhrgebiet - die Waffenschmiede des „Dritten Reichs“ - ohne große Opfer zu besetzen. Ein unerträglicher Zustand, wie nicht nur die Nazis, sondern auch fast alle führenden deutschen Militärs und Diplomaten urteilten.
Am 7. März 1936 war es so weit. Noch vor Tau und Tag rollten die ersten Güterzüge, beladen mit Feldkanonen und Zugpferden, ans östliche Rheinufer. Dabei agierte Hitler überaus vorsichtig. Er schickte nur gut 30 000 Soldaten in die entmilitarisierte Zone; und gerade einmal 3000 der Männer durften den Strom überqueren und an die Grenze vorrücken. Der Befehl lautete, einen Kampf mit den Franzosen unbedingt zu vermeiden und stets in der Lage zu sein, innerhalb einer Stunde den Rückzug antreten zu können.
Doch die Franzosen unternahmen - nichts. Während begeisterte Rhein- und Saarländer den Landsern zujubelten, tagte in Paris das Kabinett. Ministerpräsident Albert Sarraut wollte sich die Zone keinesfalls „rüde und einseitig“ nehmen lassen. Wie er später berichtete, stand er damit in Frankreich allerdings weitgehend allein. Die Bevölkerung, die Parteien, die Kollegen - alle tra...

Inhaltsverzeichnis

  1. Der Überfall
  2. Einleitung
  3. 1. Vorgeschichte
  4. 2. Der Überfall
  5. 3. Die Winterkatastrophe 1941
  6. 4. Die Belagerung von Leningrad
  7. 5. Besatzung und Verbrechen
  8. 6. Stalingrad
  9. 7. Der Untergang
  10. 8. Der Streit um den Krieg
  11. Anhang