Tatort Frankfurt!
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Was wo wirklich passierte

  1. 256 Seiten
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Was wo wirklich passierte

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Über dieses Buch

Verbrechen in Frankfurt: GabÂŽs da wirklich nur Gretchenund die Nitribitt oder den Mordfall Jakob vonMetzler? Nein, sagen die langjĂ€hrige hr-GerichtsreporterinHeike Borufka und der frĂŒhere LandespolizeiprĂ€sidentUdo Scheu. Da gab es noch jede Menge mehr.FĂŒr ihr aktuelles Buch ĂŒber bekannte und weniger bekannteFrankfurter KriminalfĂ€lle haben die Autorennochmals Gerichtsakten und Urteile akribisch durchgearbeitet.Was die Öffentlichkeit der Mainmetropole bewegte, kommt dabei bis in die jĂŒngste Vergangenheithinein zu Wort: vielschichtig, zuweilen gruselig, aberauch mit Sinn fĂŒr AmĂŒsantes und Skurriles.So geht es um einen Nachmittags-Talker, der wegenVergewaltigung angeklagt und freigesprochen wurde.Oder um den Milliarden-BetrĂŒger JĂŒrgen Schneider, den tiefen Sturz des aufstrebenden Tennisstars MaximilianA., um den Fußball-Wettskandal, einen prominentenTierarzt Hach, der von seinem Stiefsohn erschlagenwurde, und und und 


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Information

Jahr
2014
ISBN
9783955421137

Dr. Schneider oder die
Kunst, Milliarden zu
erschwindeln
(Königstein)

30. Juni 1997, Verhandlungstag 1
Plötzlich ist er da. Kaum jemand hat gesehen, wie er den Gerichtssaal betreten hat. FĂŒnf Dutzend Journalisten sind gerade hinausgestĂŒrmt, weil die drei Verteidiger vor dem Eingang des GerichtsgebĂ€udes ein kurzes, improvisiertes Interview geben. Atemlos hetzen sie auf die Empore des Gerichtssaals 165C hoch und schauen nach unten. Dort steht er leibhaftig: Dr. Utz JĂŒrgen Schneider, 63 Jahre alt, der Mann, der fĂŒnf Milliarden Mark Schulden gemacht hat. Das Sakko sieht nach feinem Tuch aus, ein Doppelreiher im Kamelhaarton. Dazu eine dunkelblaue Krawatte, schrĂ€g gestreift. Das goldene Brillengestell funkelt im Blitzlicht der Fotografen.
Seine drei Verteidiger stehen um ihren prominenten Mandanten herum: Christoph RĂŒckel aus MĂŒnchen, Franz Salditt aus Neuwied, Eckart Hild aus Frankfurt. Besitzergreifend legt Salditt seinem SchĂŒtzling die Hand auf die Schulter. Jetzt betritt der zweite Angeklagte den Saal: Karl-Heinrich K. Er ist zwei Jahre Ă€lter als Schneider, eine Art Faktotum, ĂŒbernommen aus der Pleite gegangenen Baufirma von JĂŒrgen Schneiders Vater. Er hat Aktentasche und Regenschirm in der Hand, die auberginefarbene Jacke ist ersichtlich nicht maßgeschneidert. Schneider und K. drĂŒcken sich lange die Hand. Dann nimmt K. mit vergrĂ€mtem Gesicht dort Platz, wo sein Platz immer war – in der zweiten Reihe, hinter Schneider. K. sitzt hier, weil er auf Anweisung seines Chefs Bauzeichnungen gefĂ€lscht haben soll, mit deren Hilfe Schneider dann ĂŒberhöhte Kredite beantragen konnte.
Der Prozess der Prozesse beginnt. Gegen den Mann, der die Elite des deutschen Bankgewerbes narrte: Deutsche Bank, ihre Kölner Tochter Centralbodenkredit, die Dresdner Bank, die Bayerische Hypo-Bank, die Berliner Hypotheken- und Pfandbriefbank und mehr als 50 weitere. Ohne ScharmĂŒtzel, ohne BefangenheitsantrĂ€ge, ohne BesetzungsrĂŒgen, ohne Tricks und Kniffe beginnt die Hauptverhandlung an diesem Tag.
FĂŒnf Minuten, nachdem die 29. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt unter dem Vorsitz von Heinrich Gehrke den Saal betreten hat, verliest Staatsanwalt Dieter Haike die Anklage. Das dauert weniger als 20 Minuten. Richter Gehrke versichert den beiden Angeklagten, das große öffentliche Interesse hindere das Gericht in keiner Weise an einem fairen Verfahren. Er sei „angetan“ von den Äußerungen der Verteidigung, sie sei nicht auf Konfrontation, sondern auf Kooperation bedacht. Die Verteidiger geben das Kompliment artig zurĂŒck. Eine Versammlung von Gentlemen.
Die Verteidiger haben eine ErklĂ€rung vorbereitet. Richter Gehrke muss das hinnehmen, auch wenn er mit mildem Tadel anmerkt, man befinde sich hier in Frankfurt und nicht in Amerika. Die Verteidigung trĂ€gt vor, was ihres Erachtens fĂŒr den prominenten Angeklagten spricht: die hohe Mitwirkungsbereitschaft des Dr. Schneider – gut 400 Seiten umfasst das Vernehmungsprotokoll des Bundeskriminalamts, auf 734 Fragen habe er Rede und Antwort gestanden. Die „verzweifelte Defensive“, in der sich Schneider nach seiner Abreise im April 1994 befunden habe sei, vor allem und in erster Linie, die Verantwortung der Banken. Die explosionsartige Entwicklung der Gesamtverschuldung Schneiders, die allen Beteiligten bekannt sein musste, weil die Bundesbank vierteljĂ€hrlich ihre „Evidenzmeldungen“ an die kreditgebenden Institute schickt. Das Wissen der Banken, dass die von Schneider erworbenen Objekte zum grĂ¶ĂŸten Teil erst im Bau waren und dass deshalb der KreditgewĂ€hrung „eine gewaltige spekulative Tendenz“ innewohnen musste. Zudem das Wissen darum, dass die von Schneider als „Sicherheiten“ angebotenen Festgelder sich zum grĂ¶ĂŸten Teil aus neuen Krediten speisten. Ohne Weiteres hĂ€tten die Banken erkennen können, dass der Vermögenszuwachs, den Schneider in jĂ€hrlichen Aufstellungen glaubhaft machen wollte, auf Planungen und Hoffnungen beruhte, sagt Salditt. Diesen „objektiven Sachverhalt“ gelte es zuvörderst aufzuklĂ€ren. Daran werde Dr. Schneider nach KrĂ€ften mitwirken.
Wenn jedoch die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten Schneider an die persönliche WĂŒrde gehe, dann werde der Prozess zum Kampf. „Wir fordern Achtung vor unserem Mandanten, der sein Scheitern zu ertragen gelernt hat“, sagt Salditt pathetisch. Staatsanwalt Haike zitiert zum Einstand aus einer persönlichen Notiz Schneiders aus dem Jahre 1984. Dort heißt es: „Handwerker bescheißen und fĂŒr die Banken alles optimal hochlĂŒgen.“
Dann hat Dr. Utz JĂŒrgen Schneider das Wort. 30 Seiten vorbereiteter Text. Er spricht von der „Zerschlagung meines Unternehmens“. Er spricht von seiner Vision, ganze Quartiere aufzukaufen, um „Einfluss auf die Entwicklung innerstĂ€dtischer LebensrĂ€ume zu nehmen“. Von der „Dynamik der Projekte“, die ihn völlig beherrscht habe. „Ich bekenne, dass ich zu meinen Objekten noch immer ein emotionales VerhĂ€ltnis habe, mit einer ganzen Portion Stolz“, sagt er. Und diese lĂ€cherlichen Dokumente, die er den Banken vorlegte, um weit ĂŒberhöhte Kaufpreise etwa des KurfĂŒrstenecks in Berlin zu suggerieren? Mit grandioser Nonchalance, geradezu beilĂ€ufig, legt Schneider sein GestĂ€ndnis ab: „Ich legte die Kopie einer Scheinrechnung vor. Dass dieses fadenscheinige Dokument akzeptiert wurde, konnte ich mir nur mit einer entsprechenden GeschĂ€ftspolitik erklĂ€ren.“ Dann sagt er: „Ich wollte 365 Millionen. Die Bank wusste, dass das Objekt kurz zuvor fĂŒr 131 Millionen gekauft worden war. Ich fertigte einen Vermerk von drei SĂ€tzen, dass zusĂ€tzlich zum Kaufpreis fĂŒnf weitere Interessenten mit 160 Millionen abgefunden werden mussten. Der Vermerk war eine Fiktion.“ Er habe sich im stillen Einvernehmen mit den Banken geglaubt. Um Zukunft sei es ihm gegangen, immer nur um Zukunft. Wie sollte er ahnen, dass die Banken, knochentrocken und fantasielos, seine Visionen als Beschreibung des aktuellen Zustandes auffassten?
3. Juli 1997, Verhandlungstag 2
„Im Vordergrund steht meine eigene Verantwortung“, lĂ€sst JĂŒrgen Schneider die Richter wissen. Und erklĂ€rt weiter: Zu den in der Anklageschrift aufgefĂŒhrten VorwĂŒrfen des Betrugs, Kreditbetrugs und der UrkundenfĂ€lschung in fĂŒnf FĂ€llen habe er sich „differenziert geĂ€ußert“. Die Mitverantwortung der Banken sei das Ergebnis seiner persönlichen Schlussfolgerung, „freilich auf der Basis einer Reihe von Indizien“.
Die Zusammenarbeit mit den Geldinstituten fasst er in einem Satz zusammen: „Das Bild, das ich frĂŒher von den Banken hatte, hat sich im Laufe der Zeit tief greifend verĂ€ndert.“ Beim Leipziger Zentralmessepalast sei er sich mit dem zustĂ€ndigen Mitarbeiter der Bauboden-Bank ĂŒber „den Charakter der Scheinrechnung“ ĂŒber 29 Millionen Mark einig gewesen. Unstreitig sei gewesen, dass der Wert der Immobilie den Kredit rechtfertigen wĂŒrde. Der Bauboden-Vorstand habe gewusst, dass er, Schneider, „mit StrohmĂ€nnern“ arbeite, um LiquiditĂ€t zu ziehen.
Zur Leipziger MĂ€dlerpassage, wo Schneider laut Anklage einen Schaden von 32 Millionen Mark angerichtet hat, sagt er: „Es ist nicht zutreffend, dass die Grundschuld zur Absicherung dieses GeschĂ€fts wertlos gewesen ist.“ Die Angaben zu den GrundrissflĂ€chen bezeichnet er als nach wie vor richtig. Seine Finanziers bei diesem Objekt, die Bauboden- und die BHF-Bank, seien bei Abschluss des Kreditvertrags und Auszahlung ausreichend abgesichert gewesen.
Und auch ĂŒber die Frankfurter Zeilgalerie redet er. Ja, sagt Schneider, es sei falsch gewesen, das erwartete Mietaufkommen auf eine FlĂ€che von 20.513 statt tatsĂ€chlich 9.000 Quadratmeter zu beziehen. Die Mietprognose wurde so verdoppelt. Aber: „Das war mir willkommen.“ Über den Unterschied bei den FlĂ€chen und den Verkaufswert des Objektes hĂ€tten sich die Experten der Deutschen Bank aber jederzeit informieren können. Schon auf dem Bauschild, das monatelang vor der TĂŒr auf der Zeil stand, hĂ€tten sie die richtige Zahl nachlesen können. Seine Angaben zu den MietansĂ€tzen – pro anno 57 Millionen Mark – hĂ€tten sich „grotesk von den RealitĂ€ten jener Zeit“ abgehoben. Die Mieterlisten waren gefĂ€lscht. Kreditbewilligung und -auszahlung seien am selben Tag ĂŒber die BĂŒhne gegangen.
Auch beim Berliner KurfĂŒrsteneck rĂ€umt er Manipulationen ein. Da war er mit der Dresdner Bank im GeschĂ€ft. Das Vorspiegeln einer Abfindungszahlung ĂŒber 160 Millionen Mark an andere Interessenten habe aber bei den Bankkontakten keine Rolle gespielt. Dann schweigt JĂŒrgen Schneider. Und bittet darum, dies zu akzeptieren. Keine Fragen, keine Vorhaltungen.
Bauzeichner Karl-Heinrich K. redet dafĂŒr. Und erzĂ€hlt, er habe auf Anweisung seines Chefs Unterlagen geĂ€ndert. Aber: „Das hĂ€tte jeder andere auch gemacht“, sagt er. Die Frage von Richter Heinrich Gehrke, ob er in blindem Vertrauen zu Schneider gehandelt habe, bejaht K. „Dr. Schneider konnte alle Bedenken immer zerstreuen.“ K. wird Beihilfe zum Betrug vorgeworfen.
8. Juli 1997, Verhandlungstag 3
Eigentlich erwarten die Prozessbeobachter einen ruhigen Verhandlungstag. Doch weit gefehlt. ZunĂ€chst sitzen vor Prozessbeginn Schneiders Ehefrau Claudia und Tochter Ysabel samt Fahrer in der ersten Zuschauerreihe. Zum ersten Mal. Getrennt durch eine schusssichere Glasscheibe. Dann kommt JĂŒrgen Schneider. Und freut sich ĂŒber seine Familie. Die darf im Saal bleiben, obwohl beide Frauen mögliche Zeugen sind. Richter Gehrke lĂ€sst im Protokoll vermerken: „Ehefrau und Tochter haben dem Gericht gegenĂŒber schriftlich erklĂ€rt, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen werden.“ Schneiders Fahrer wird nicht als Zeuge gebraucht.
Dann kommt der zweite Knaller. Richter Gehrke redet. ZunĂ€chst harmlos von einem ZwischenresĂŒmee, das er nach zwei Tagen ziehen wolle. Dann aber sehr deutlich. Die Erwartungen, die Schneider mit seinen AnkĂŒndigungen geweckt habe und die auch die Staatsanwaltschaft zufriedenstellen sollten, habe er bei Weitem nicht erfĂŒllt. Zu allgemein, pauschal und unverbindlich, teilweise sogar nebulös sei die ErklĂ€rung gewesen. Nichts Konkretes. „Das ist keine erhebliche AufklĂ€rungshilfe und trĂ€gt nicht zur AbkĂŒrzung des Verfahrens bei“, sagt der Richter. Und fordert: „Butter muss bei die Fische“. Er nennt eine FĂŒlle ungeklĂ€rter Fragen. Zum Beispiel zu Schneiders einstigen Renommierobjekten, wie eben die Frankfurter Zeilgalerie oder die MĂ€dlerpassage in Leipzig. „Wer hat gefĂ€lscht? Sind Unterlagen bewusst gefĂ€lscht worden? Geben Sie zu, in TĂ€uschungsabsicht gehandelt zu haben?“ Gehrke schimpft, er habe bisher eindeutige Bekenntnisse vermisst. Er wolle mehr Hinweise zu den angeblichen Scheinfirmen Schneiders. Gehrke will Unterschrift fĂŒr Unterschrift, Beleg fĂŒr Beleg durchgehen. Doch das lassen die Verteidiger nicht zu. „Die schwierige Aufgabe der VerhandlungsfĂŒhrung haben Sie und nicht wir“, sagt Christoph RĂŒckel. Und Salditt ergĂ€nzt: Die ErklĂ€rung Schneiders sei gerade kein GestĂ€ndnis gewesen, das fĂŒr sich alleine eine Urteilsgrundlage bilden könne. „Dieser Prozess braucht Entwicklung und FlexibilitĂ€t, wir sind bereit, mitzugehen.“
Gehrke fragt Schneider: „Wie sollen HintergrĂŒnde aufgeklĂ€rt werden, wenn die VordergrĂŒnde nicht aufgedeckt sind?“
9. Juli 1997, Verhandlungstag 4
Schneider schweigt. „Der Vorsitzende hat krĂ€ftig an den StĂ€ben unseres SchweigekĂ€figs gerĂŒttelt. Doch unser KĂ€fig hĂ€lt“, sagt Verteidiger Franz Salditt. Und macht Hoffnung, in ein paar Monaten rede der Angeklagte vielleicht doch wieder. Jetzt aber nicht.
BKA-Kommissar Georg R. ist der erste Zeuge in einem der grĂ¶ĂŸten deutschen Wirtschaftsprozesse ĂŒberhaupt. Er erzĂ€hlt: „Als JĂŒrgen Schneider vor gut einem Jahr von der Frankfurter Staatsanwaltschaft und dem Bundeskriminalamt drei Monate lang vernommen wurde, ging es des Öfteren richtig zur Sache“. GebrĂŒllt habe er. Schneider sei ein „besonders harter Brocken“ gewesen. Immer nur ausweichende Antworten auf konkrete Vorhalte. 300 Fragen habe ihm der Polizist gestellt. Auf etwa 500 eng bedruckten Seiten fĂ€nden sich die Antworten.
Richter Gehrke liest einen Eintrag aus dem Terminkalender der Schneider-Tochter vor: „GefĂ€ngnis – Gefahr – MietvertrĂ€ge“, steht dort. Der Angeklagte schweigt dazu. Auch Tochter Ysabel hinter der Glasscheibe zeigt keine Regung. Und so bleibt es beim Verdacht, die Familie habe wohl doch gelegentlich ĂŒber die gefĂ€hrliche Taktik des Angeklagten gesprochen, Milliarden zu scheffeln.
16. Juli 1997, Verhandlungstag 5
Auch Vorlesestunden in einem Strafprozess können Spaß machen. Pikante SchriftstĂŒcke, meist verfasst von Bankiers aus dem Reich der Deutschen Bank, lesen die Richter vor. Die meisten Beobachter reiben sich vor Verwunderung die Augen. Nur Schneiders Gattin Claudia und Tochter Ysabel, die wieder im Zuschauerraum sitzen, wippen scheinbar unberĂŒhrt weiter mit ihren FĂŒĂŸen.
Noch Mitte 1992, also nicht einmal zwei Jahre vor der Flucht Schneiders, erging sich eine FĂŒhrungskraft der Baden-Badener Filiale der Deutschen Bank in einem Brief an die Zentrale in Lobeshymnen auf den spĂ€teren Pleitier und MilliardenbetrĂŒger. Schneider verfĂŒge ĂŒber die „kompetenteste, fĂ€higste und schlagkrĂ€ftigste Immobilien-Gruppe“ in Deutschland, und dies sowohl in technischer als auch in kaufmĂ€nnischer Hinsicht. In den Bewertungen der Objekte steckten „erhebliche Reserven“. Mit diesen Werten sei man „auf der absolut sicheren Seite“. Zufrieden attestierte der Bankier dem Immobilienspekulanten ein „exzellentes GespĂŒr“ fĂŒr das Marktgeschehen und konstatierte eine „nahezu unglaubliche Entwicklung des Vermögens“. Er empfiehlt: „Wir sollten uns voll zu dem Kunden bekennen.“
Schneider-Anwalt Salditt spricht von einer „euphorischen Engagement-Darstellung“ der Bank. Dass manches bei Schneider unglaublich war, weiß mittlerweile jeder. Damals schien es niemand zu bemerken. So soll sich ein Mieter in der Frankfurter Zeilgalerie laut Schneider vertraglich verpflichtet haben, 942.000 Mark Miete pro Monat zu berappen und eine Barkaution von fĂŒnf Millionen Mark zu leisten. Niemand fragte nach. Angesichts dieser Summen erscheint es fast logisch, dass in dem Mietkontrakt eine Pflicht zur Geheimhaltung verankert wurde.
Und noch einen Brief liest der Vorsitzende vor. Er stammt vom 4. April 1994. Er war der Auslöser fĂŒr den grĂ¶ĂŸten Zusammenbruch eines Immobilienunternehmens in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Denn als der Brief des Dr. JĂŒrgen Schneider drei Tage spĂ€ter Ulrich W., Vorstandsmitglied der Deutschen Bank AG, erreichte, reagierte das Bankunternehmen sofort. Mit Strafanzeigen und KonkursantrĂ€gen. Schneider schien zu diesem Zeitpunkt jeden Bezug zur RealitĂ€t verloren zu haben. Er schrieb: „Aufgrund der von mir nicht zu beeinflussenden schleichenden Entwicklung am Immobilienmarkt und der Tatsache, dass man doch in einem Boot sitzt, beantrage ich die Stundung aller Zinszahlungen auf zwei Jahre, ein sofortiges ÜberbrĂŒckungsdarlehen von 80 Millionen Mark und die Verhinderung ĂŒbereilter Maßnahmen kleiner Banken.“ Und Schneider jammerte: „Die Verhaltensweisen der Banken haben sich dahingehend verĂ€ndert, als sie aufgrund ungeprĂŒfter GerĂŒchte Informationen anfordern, die bis in die PrivatsphĂ€re reichen. Einige kleine Banken verlangen plötzlich ohne jede stichhaltige BegrĂŒndung Zusatzversicherungen.“ Gekrönt wurde das Schreiben dann von dem unzumutbaren Interesse der Presse an Schneider und seiner Frau. Deshalb, teilte Schneider Bank-Vorstand W. mit, hĂ€tten die Ärzte geraten, jeden Stress zu vermeiden und verboten, seinen Aufenthaltsort mitzuteilen. Da war Schneider bereits auf dem Weg nach Miami, zusammen mit seiner Frau und einem Taschengeld von 245 Millionen Mark.
22. Juli 1997, Verhandlungstag 6
Besaß die Zeilgalerie in Frankfurt tatsĂ€chlich eine HauptnutzflĂ€che von knapp 10.000 Quadratmetern oder von mehr als 20.000 Quadratmetern? HĂ€tte es der Deutschen Centralboden AG in Köln auffallen mĂŒssen, dass das GebĂ€ude gar nicht 20.000 Quadratmeter vermietbare FlĂ€che haben konnte? Der Architekt der Zeilgalerie, Professor RĂŒdiger K., sagt dazu als Zeuge: Bei den VorentwĂŒrfen zur Planung der Zeilgalerie, die er JĂŒrgen Schneider Anfang 1989 vorgelegt habe und die an die Banken weitergereicht worden seien, habe es sich deutlich erkennbar um Skizzen, nicht aber um fertige BauplĂ€ne gehandelt.
Schneiders Mitarbeiter und jetziger Mitangeklagter K. habe auf dem Vorentwurf drei Eintragungen mit Tippex gelöscht. Die Banken sollten den Eindruck haben, sie hielten PlÀne in den HÀnden. Und so wurden aus einer vermietbaren FlÀche von 9.842 Quadratmetern auch mehr als 20.000. Experten merken so etwas. Normalerweise.
Dann kommt Gerhard W. zu Wort, seit 1988 der Vorstandsvorsitzende der CIP AG. Das war die Immobilienverwaltungstochter im Schneider-Imperium. Etliche Aufstellungen ĂŒber die abgeschlossenen MietvertrĂ€ge, sagt er, seien zwar mit seinem Namen versehen worden, stammten aber nicht von ihm. Die Unterschriften waren gefĂ€lscht.
23. Juli 1997, Verhandlungstag 7
Der erste Bankgutachter sagt aus. Der Frankfurter SachverstĂ€ndige Werner N. erzĂ€hlt, er habe den Wert der Zeilgalerie aufgrund von Unterlagen errechnet. Die hatte er von der Deutschen Bank erhalten. An deren Echtheit habe er nicht gezweifelt, weil er seine Partner fĂŒr „ehrbare Leute“ gehalten habe. Den von ihm errechneten Wert begrĂŒndet N. mit dem „außergewöhnlichen Konzept“ fĂŒr die Ladengalerie. Mit Schneider oder dem ReprĂ€sentanten der Bank, Friedrich M., habe es vorher keine Absprachen gegeben. Woher kamen die FlĂ€chenangaben, will der Richter wissen. Aus den ArchitektenplĂ€nen, sagt der Zeuge.
29. Juli 1997, Verhandlungstag 8
Ruth G. war Schneiders SekretĂ€rin. Ob alle 70 gefĂ€lschten MietvertrĂ€ge von den Mitarbeitern hergestellt wurden oder von Schneider selbst? Oder vielleicht von seiner Familie, will Richter Gehrke wissen. Und bringt die Zeugin ins Schleudern. Da bricht Schneider, ganz Gentleman, sein SchweigegelĂŒbde und hilft. „Ich habe Frau G. die Anweisung erteilt. Auch wurden alle Listen mit den MietvertrĂ€gen bei mir im BĂŒro geschrieben“, sagt er, steht auf und lĂ€uft mit Unterlagen in der Hand zum Richtertisch. Er habe sie angewiesen, die aus der Luft gegriffenen MietvertrĂ€ge anzufertigen. Die Zeugin sagt: „Was Dr. Schneider angeordnet hat, wurde ohne Nachfragen erledigt.“ Jedem sei klar gewesen, dass trotz seiner verbindlichen Art Nachfragen nicht erwĂŒnscht waren.
30. Juli 1997, Verhandlungstag 9
ZĂ€rtlich streicht Claudia Schneider-Granzow in den Prozesspausen im Gerichtssaal mit der Hand ĂŒber das Revers am Zweireiher ihres Mannes. Dann kĂŒsst sie ihn. Tochter Ysabel steht eng daneben. Auch von ihr gibt es KĂŒsschen. Alle drei lachen herzlich. Die Richter kommen rein, die Damen Schneider mĂŒssen gehen, zurĂŒck hinter die Glasscheibe in den Zuschauerraum.
Zeuge heute: der ehemalige Kreditvermittler der Deutschen Centralbodenkredit AG, Friedrich M. Rund 15 Millionen Mark habe er in den Jahren 1986 bis 1993 dank Schneider verdient. Dann allerdings hatte die Centralboden ihm den seit 1967 bestehenden Agenturvertrag fristlos gekĂŒndigt, weil M. sich zu sehr fĂŒr Schneider engagiert habe. M. bestreitet, dass sein finanzielles Eigeninteresse die KreditgewĂ€hrung der Bank maßgeblich beeinflusst habe. Als ungeheuerlich bezeichnet er Schneiders Darstellung, auf seine Anweisung hin seien den KreditantrĂ€gen unrealistische ErtragsschĂ€tzungen fĂŒr die Frankfurter Zeilgalerie zugrunde gelegt worden.
Dass M. nur als Briefbote zwischen Schneider und der Bank fungierte, glauben ihm die Richter erkennbar nicht. „Sie haben doch die BonitĂ€t JĂŒrgen Schneiders extrem hochgejubelt“, sagt Gehrke. M. bleibt ausweichend und ungenau.
6. August 1997, Verhandlungstag 10
Richter Gehrke zitiert aus einem Schreiben des Kreditvermittlers M. Darin lobt er das Engagement Schneiders und bezeichnet dessen Angaben zum Barvermögen Anfang 1994 als „absolut plausibel“ und „erstklassig“. Gehrkes Eindruck: „M. hat sich wohl eher als PR-Mann und Kreditbetreuer Schneiders ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titelseite
  2. Impressum
  3. Inhalt
  4. Vorwort
  5. Des SĂ€ngers Fluch (A66, Hofheim)
  6. Der tödliche Stich des Höllen-Engels (Westend)
  7. Wenig Licht, viel Schatten (Kunstraub, Schirn)
  8. Sechs Tote im Edelbordell (Westend)
  9. Marias Katze (Ostpark, Höchst)
  10. Asiatische Spielart in der Bundesliga (Wettmafia)
  11. Von Stimmen bedroht (Stadtwald und Oberursel)
  12. Tragödie am Heiligen Abend (Enkheim)
  13. Dr. Schneider oder die Kunst, Milliarden zu erschwindeln (Königstein)
  14. Die verlorene Ehre des Andreas TĂŒrck (Osthafen)
  15. Im Bett der Kommissarin (Bahnhofsviertel)
  16. Hui Buh, das traurige Gespenst am Geldautomat (Sachsenhausen)
  17. Verbrecher aus Leidenschaft (Rödelheim)
  18. Jenseits der Schmerzgrenze (Sachsenhausen)
  19. Aneinander gefesselt (GerbermĂŒhle)
  20. Wenn der Leuchtturm im Morast versinkt (Fechenheim)
  21. In die Haut gebrannt (Nieder-Eschbach)
  22. Danksagung
  23. Die Autoren