Dr. Schneider oder die
Kunst, Milliarden zu
erschwindeln
(Königstein)
30. Juni 1997, Verhandlungstag 1
Plötzlich ist er da. Kaum jemand hat gesehen, wie er den Gerichtssaal betreten hat. FĂŒnf Dutzend Journalisten sind gerade hinausgestĂŒrmt, weil die drei Verteidiger vor dem Eingang des GerichtsgebĂ€udes ein kurzes, improvisiertes Interview geben. Atemlos hetzen sie auf die Empore des Gerichtssaals 165C hoch und schauen nach unten. Dort steht er leibhaftig: Dr. Utz JĂŒrgen Schneider, 63 Jahre alt, der Mann, der fĂŒnf Milliarden Mark Schulden gemacht hat. Das Sakko sieht nach feinem Tuch aus, ein Doppelreiher im Kamelhaarton. Dazu eine dunkelblaue Krawatte, schrĂ€g gestreift. Das goldene Brillengestell funkelt im Blitzlicht der Fotografen.
Seine drei Verteidiger stehen um ihren prominenten Mandanten herum: Christoph RĂŒckel aus MĂŒnchen, Franz Salditt aus Neuwied, Eckart Hild aus Frankfurt. Besitzergreifend legt Salditt seinem SchĂŒtzling die Hand auf die Schulter. Jetzt betritt der zweite Angeklagte den Saal: Karl-Heinrich K. Er ist zwei Jahre Ă€lter als Schneider, eine Art Faktotum, ĂŒbernommen aus der Pleite gegangenen Baufirma von JĂŒrgen Schneiders Vater. Er hat Aktentasche und Regenschirm in der Hand, die auberginefarbene Jacke ist ersichtlich nicht maĂgeschneidert. Schneider und K. drĂŒcken sich lange die Hand. Dann nimmt K. mit vergrĂ€mtem Gesicht dort Platz, wo sein Platz immer war â in der zweiten Reihe, hinter Schneider. K. sitzt hier, weil er auf Anweisung seines Chefs Bauzeichnungen gefĂ€lscht haben soll, mit deren Hilfe Schneider dann ĂŒberhöhte Kredite beantragen konnte.
Der Prozess der Prozesse beginnt. Gegen den Mann, der die Elite des deutschen Bankgewerbes narrte: Deutsche Bank, ihre Kölner Tochter Centralbodenkredit, die Dresdner Bank, die Bayerische Hypo-Bank, die Berliner Hypotheken- und Pfandbriefbank und mehr als 50 weitere. Ohne ScharmĂŒtzel, ohne BefangenheitsantrĂ€ge, ohne BesetzungsrĂŒgen, ohne Tricks und Kniffe beginnt die Hauptverhandlung an diesem Tag.
FĂŒnf Minuten, nachdem die 29. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt unter dem Vorsitz von Heinrich Gehrke den Saal betreten hat, verliest Staatsanwalt Dieter Haike die Anklage. Das dauert weniger als 20 Minuten. Richter Gehrke versichert den beiden Angeklagten, das groĂe öffentliche Interesse hindere das Gericht in keiner Weise an einem fairen Verfahren. Er sei âangetanâ von den ĂuĂerungen der Verteidigung, sie sei nicht auf Konfrontation, sondern auf Kooperation bedacht. Die Verteidiger geben das Kompliment artig zurĂŒck. Eine Versammlung von Gentlemen.
Die Verteidiger haben eine ErklĂ€rung vorbereitet. Richter Gehrke muss das hinnehmen, auch wenn er mit mildem Tadel anmerkt, man befinde sich hier in Frankfurt und nicht in Amerika. Die Verteidigung trĂ€gt vor, was ihres Erachtens fĂŒr den prominenten Angeklagten spricht: die hohe Mitwirkungsbereitschaft des Dr. Schneider â gut 400 Seiten umfasst das Vernehmungsprotokoll des Bundeskriminalamts, auf 734 Fragen habe er Rede und Antwort gestanden. Die âverzweifelte Defensiveâ, in der sich Schneider nach seiner Abreise im April 1994 befunden habe sei, vor allem und in erster Linie, die Verantwortung der Banken. Die explosionsartige Entwicklung der Gesamtverschuldung Schneiders, die allen Beteiligten bekannt sein musste, weil die Bundesbank vierteljĂ€hrlich ihre âEvidenzmeldungenâ an die kreditgebenden Institute schickt. Das Wissen der Banken, dass die von Schneider erworbenen Objekte zum gröĂten Teil erst im Bau waren und dass deshalb der KreditgewĂ€hrung âeine gewaltige spekulative Tendenzâ innewohnen musste. Zudem das Wissen darum, dass die von Schneider als âSicherheitenâ angebotenen Festgelder sich zum gröĂten Teil aus neuen Krediten speisten. Ohne Weiteres hĂ€tten die Banken erkennen können, dass der Vermögenszuwachs, den Schneider in jĂ€hrlichen Aufstellungen glaubhaft machen wollte, auf Planungen und Hoffnungen beruhte, sagt Salditt. Diesen âobjektiven Sachverhaltâ gelte es zuvörderst aufzuklĂ€ren. Daran werde Dr. Schneider nach KrĂ€ften mitwirken.
Wenn jedoch die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten Schneider an die persönliche WĂŒrde gehe, dann werde der Prozess zum Kampf. âWir fordern Achtung vor unserem Mandanten, der sein Scheitern zu ertragen gelernt hatâ, sagt Salditt pathetisch. Staatsanwalt Haike zitiert zum Einstand aus einer persönlichen Notiz Schneiders aus dem Jahre 1984. Dort heiĂt es: âHandwerker bescheiĂen und fĂŒr die Banken alles optimal hochlĂŒgen.â
Dann hat Dr. Utz JĂŒrgen Schneider das Wort. 30 Seiten vorbereiteter Text. Er spricht von der âZerschlagung meines Unternehmensâ. Er spricht von seiner Vision, ganze Quartiere aufzukaufen, um âEinfluss auf die Entwicklung innerstĂ€dtischer LebensrĂ€ume zu nehmenâ. Von der âDynamik der Projekteâ, die ihn völlig beherrscht habe. âIch bekenne, dass ich zu meinen Objekten noch immer ein emotionales VerhĂ€ltnis habe, mit einer ganzen Portion Stolzâ, sagt er. Und diese lĂ€cherlichen Dokumente, die er den Banken vorlegte, um weit ĂŒberhöhte Kaufpreise etwa des KurfĂŒrstenecks in Berlin zu suggerieren? Mit grandioser Nonchalance, geradezu beilĂ€ufig, legt Schneider sein GestĂ€ndnis ab: âIch legte die Kopie einer Scheinrechnung vor. Dass dieses fadenscheinige Dokument akzeptiert wurde, konnte ich mir nur mit einer entsprechenden GeschĂ€ftspolitik erklĂ€ren.â Dann sagt er: âIch wollte 365 Millionen. Die Bank wusste, dass das Objekt kurz zuvor fĂŒr 131 Millionen gekauft worden war. Ich fertigte einen Vermerk von drei SĂ€tzen, dass zusĂ€tzlich zum Kaufpreis fĂŒnf weitere Interessenten mit 160 Millionen abgefunden werden mussten. Der Vermerk war eine Fiktion.â Er habe sich im stillen Einvernehmen mit den Banken geglaubt. Um Zukunft sei es ihm gegangen, immer nur um Zukunft. Wie sollte er ahnen, dass die Banken, knochentrocken und fantasielos, seine Visionen als Beschreibung des aktuellen Zustandes auffassten?
3. Juli 1997, Verhandlungstag 2
âIm Vordergrund steht meine eigene Verantwortungâ, lĂ€sst JĂŒrgen Schneider die Richter wissen. Und erklĂ€rt weiter: Zu den in der Anklageschrift aufgefĂŒhrten VorwĂŒrfen des Betrugs, Kreditbetrugs und der UrkundenfĂ€lschung in fĂŒnf FĂ€llen habe er sich âdifferenziert geĂ€uĂertâ. Die Mitverantwortung der Banken sei das Ergebnis seiner persönlichen Schlussfolgerung, âfreilich auf der Basis einer Reihe von Indizienâ.
Die Zusammenarbeit mit den Geldinstituten fasst er in einem Satz zusammen: âDas Bild, das ich frĂŒher von den Banken hatte, hat sich im Laufe der Zeit tief greifend verĂ€ndert.â Beim Leipziger Zentralmessepalast sei er sich mit dem zustĂ€ndigen Mitarbeiter der Bauboden-Bank ĂŒber âden Charakter der Scheinrechnungâ ĂŒber 29 Millionen Mark einig gewesen. Unstreitig sei gewesen, dass der Wert der Immobilie den Kredit rechtfertigen wĂŒrde. Der Bauboden-Vorstand habe gewusst, dass er, Schneider, âmit StrohmĂ€nnernâ arbeite, um LiquiditĂ€t zu ziehen.
Zur Leipziger MĂ€dlerpassage, wo Schneider laut Anklage einen Schaden von 32 Millionen Mark angerichtet hat, sagt er: âEs ist nicht zutreffend, dass die Grundschuld zur Absicherung dieses GeschĂ€fts wertlos gewesen ist.â Die Angaben zu den GrundrissflĂ€chen bezeichnet er als nach wie vor richtig. Seine Finanziers bei diesem Objekt, die Bauboden- und die BHF-Bank, seien bei Abschluss des Kreditvertrags und Auszahlung ausreichend abgesichert gewesen.
Und auch ĂŒber die Frankfurter Zeilgalerie redet er. Ja, sagt Schneider, es sei falsch gewesen, das erwartete Mietaufkommen auf eine FlĂ€che von 20.513 statt tatsĂ€chlich 9.000 Quadratmeter zu beziehen. Die Mietprognose wurde so verdoppelt. Aber: âDas war mir willkommen.â Ăber den Unterschied bei den FlĂ€chen und den Verkaufswert des Objektes hĂ€tten sich die Experten der Deutschen Bank aber jederzeit informieren können. Schon auf dem Bauschild, das monatelang vor der TĂŒr auf der Zeil stand, hĂ€tten sie die richtige Zahl nachlesen können. Seine Angaben zu den MietansĂ€tzen â pro anno 57 Millionen Mark â hĂ€tten sich âgrotesk von den RealitĂ€ten jener Zeitâ abgehoben. Die Mieterlisten waren gefĂ€lscht. Kreditbewilligung und -auszahlung seien am selben Tag ĂŒber die BĂŒhne gegangen.
Auch beim Berliner KurfĂŒrsteneck rĂ€umt er Manipulationen ein. Da war er mit der Dresdner Bank im GeschĂ€ft. Das Vorspiegeln einer Abfindungszahlung ĂŒber 160 Millionen Mark an andere Interessenten habe aber bei den Bankkontakten keine Rolle gespielt. Dann schweigt JĂŒrgen Schneider. Und bittet darum, dies zu akzeptieren. Keine Fragen, keine Vorhaltungen.
Bauzeichner Karl-Heinrich K. redet dafĂŒr. Und erzĂ€hlt, er habe auf Anweisung seines Chefs Unterlagen geĂ€ndert. Aber: âDas hĂ€tte jeder andere auch gemachtâ, sagt er. Die Frage von Richter Heinrich Gehrke, ob er in blindem Vertrauen zu Schneider gehandelt habe, bejaht K. âDr. Schneider konnte alle Bedenken immer zerstreuen.â K. wird Beihilfe zum Betrug vorgeworfen.
8. Juli 1997, Verhandlungstag 3
Eigentlich erwarten die Prozessbeobachter einen ruhigen Verhandlungstag. Doch weit gefehlt. ZunĂ€chst sitzen vor Prozessbeginn Schneiders Ehefrau Claudia und Tochter Ysabel samt Fahrer in der ersten Zuschauerreihe. Zum ersten Mal. Getrennt durch eine schusssichere Glasscheibe. Dann kommt JĂŒrgen Schneider. Und freut sich ĂŒber seine Familie. Die darf im Saal bleiben, obwohl beide Frauen mögliche Zeugen sind. Richter Gehrke lĂ€sst im Protokoll vermerken: âEhefrau und Tochter haben dem Gericht gegenĂŒber schriftlich erklĂ€rt, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen werden.â Schneiders Fahrer wird nicht als Zeuge gebraucht.
Dann kommt der zweite Knaller. Richter Gehrke redet. ZunĂ€chst harmlos von einem ZwischenresĂŒmee, das er nach zwei Tagen ziehen wolle. Dann aber sehr deutlich. Die Erwartungen, die Schneider mit seinen AnkĂŒndigungen geweckt habe und die auch die Staatsanwaltschaft zufriedenstellen sollten, habe er bei Weitem nicht erfĂŒllt. Zu allgemein, pauschal und unverbindlich, teilweise sogar nebulös sei die ErklĂ€rung gewesen. Nichts Konkretes. âDas ist keine erhebliche AufklĂ€rungshilfe und trĂ€gt nicht zur AbkĂŒrzung des Verfahrens beiâ, sagt der Richter. Und fordert: âButter muss bei die Fischeâ. Er nennt eine FĂŒlle ungeklĂ€rter Fragen. Zum Beispiel zu Schneiders einstigen Renommierobjekten, wie eben die Frankfurter Zeilgalerie oder die MĂ€dlerpassage in Leipzig. âWer hat gefĂ€lscht? Sind Unterlagen bewusst gefĂ€lscht worden? Geben Sie zu, in TĂ€uschungsabsicht gehandelt zu haben?â Gehrke schimpft, er habe bisher eindeutige Bekenntnisse vermisst. Er wolle mehr Hinweise zu den angeblichen Scheinfirmen Schneiders. Gehrke will Unterschrift fĂŒr Unterschrift, Beleg fĂŒr Beleg durchgehen. Doch das lassen die Verteidiger nicht zu. âDie schwierige Aufgabe der VerhandlungsfĂŒhrung haben Sie und nicht wirâ, sagt Christoph RĂŒckel. Und Salditt ergĂ€nzt: Die ErklĂ€rung Schneiders sei gerade kein GestĂ€ndnis gewesen, das fĂŒr sich alleine eine Urteilsgrundlage bilden könne. âDieser Prozess braucht Entwicklung und FlexibilitĂ€t, wir sind bereit, mitzugehen.â
Gehrke fragt Schneider: âWie sollen HintergrĂŒnde aufgeklĂ€rt werden, wenn die VordergrĂŒnde nicht aufgedeckt sind?â
9. Juli 1997, Verhandlungstag 4
Schneider schweigt. âDer Vorsitzende hat krĂ€ftig an den StĂ€ben unseres SchweigekĂ€figs gerĂŒttelt. Doch unser KĂ€fig hĂ€ltâ, sagt Verteidiger Franz Salditt. Und macht Hoffnung, in ein paar Monaten rede der Angeklagte vielleicht doch wieder. Jetzt aber nicht.
BKA-Kommissar Georg R. ist der erste Zeuge in einem der gröĂten deutschen Wirtschaftsprozesse ĂŒberhaupt. Er erzĂ€hlt: âAls JĂŒrgen Schneider vor gut einem Jahr von der Frankfurter Staatsanwaltschaft und dem Bundeskriminalamt drei Monate lang vernommen wurde, ging es des Ăfteren richtig zur Sacheâ. GebrĂŒllt habe er. Schneider sei ein âbesonders harter Brockenâ gewesen. Immer nur ausweichende Antworten auf konkrete Vorhalte. 300 Fragen habe ihm der Polizist gestellt. Auf etwa 500 eng bedruckten Seiten fĂ€nden sich die Antworten.
Richter Gehrke liest einen Eintrag aus dem Terminkalender der Schneider-Tochter vor: âGefĂ€ngnis â Gefahr â MietvertrĂ€geâ, steht dort. Der Angeklagte schweigt dazu. Auch Tochter Ysabel hinter der Glasscheibe zeigt keine Regung. Und so bleibt es beim Verdacht, die Familie habe wohl doch gelegentlich ĂŒber die gefĂ€hrliche Taktik des Angeklagten gesprochen, Milliarden zu scheffeln.
16. Juli 1997, Verhandlungstag 5
Auch Vorlesestunden in einem Strafprozess können SpaĂ machen. Pikante SchriftstĂŒcke, meist verfasst von Bankiers aus dem Reich der Deutschen Bank, lesen die Richter vor. Die meisten Beobachter reiben sich vor Verwunderung die Augen. Nur Schneiders Gattin Claudia und Tochter Ysabel, die wieder im Zuschauerraum sitzen, wippen scheinbar unberĂŒhrt weiter mit ihren FĂŒĂen.
Noch Mitte 1992, also nicht einmal zwei Jahre vor der Flucht Schneiders, erging sich eine FĂŒhrungskraft der Baden-Badener Filiale der Deutschen Bank in einem Brief an die Zentrale in Lobeshymnen auf den spĂ€teren Pleitier und MilliardenbetrĂŒger. Schneider verfĂŒge ĂŒber die âkompetenteste, fĂ€higste und schlagkrĂ€ftigste Immobilien-Gruppeâ in Deutschland, und dies sowohl in technischer als auch in kaufmĂ€nnischer Hinsicht. In den Bewertungen der Objekte steckten âerhebliche Reservenâ. Mit diesen Werten sei man âauf der absolut sicheren Seiteâ. Zufrieden attestierte der Bankier dem Immobilienspekulanten ein âexzellentes GespĂŒrâ fĂŒr das Marktgeschehen und konstatierte eine ânahezu unglaubliche Entwicklung des Vermögensâ. Er empfiehlt: âWir sollten uns voll zu dem Kunden bekennen.â
Schneider-Anwalt Salditt spricht von einer âeuphorischen Engagement-Darstellungâ der Bank. Dass manches bei Schneider unglaublich war, weiĂ mittlerweile jeder. Damals schien es niemand zu bemerken. So soll sich ein Mieter in der Frankfurter Zeilgalerie laut Schneider vertraglich verpflichtet haben, 942.000 Mark Miete pro Monat zu berappen und eine Barkaution von fĂŒnf Millionen Mark zu leisten. Niemand fragte nach. Angesichts dieser Summen erscheint es fast logisch, dass in dem Mietkontrakt eine Pflicht zur Geheimhaltung verankert wurde.
Und noch einen Brief liest der Vorsitzende vor. Er stammt vom 4. April 1994. Er war der Auslöser fĂŒr den gröĂten Zusammenbruch eines Immobilienunternehmens in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Denn als der Brief des Dr. JĂŒrgen Schneider drei Tage spĂ€ter Ulrich W., Vorstandsmitglied der Deutschen Bank AG, erreichte, reagierte das Bankunternehmen sofort. Mit Strafanzeigen und KonkursantrĂ€gen. Schneider schien zu diesem Zeitpunkt jeden Bezug zur RealitĂ€t verloren zu haben. Er schrieb: âAufgrund der von mir nicht zu beeinflussenden schleichenden Entwicklung am Immobilienmarkt und der Tatsache, dass man doch in einem Boot sitzt, beantrage ich die Stundung aller Zinszahlungen auf zwei Jahre, ein sofortiges ĂberbrĂŒckungsdarlehen von 80 Millionen Mark und die Verhinderung ĂŒbereilter MaĂnahmen kleiner Banken.â Und Schneider jammerte: âDie Verhaltensweisen der Banken haben sich dahingehend verĂ€ndert, als sie aufgrund ungeprĂŒfter GerĂŒchte Informationen anfordern, die bis in die PrivatsphĂ€re reichen. Einige kleine Banken verlangen plötzlich ohne jede stichhaltige BegrĂŒndung Zusatzversicherungen.â Gekrönt wurde das Schreiben dann von dem unzumutbaren Interesse der Presse an Schneider und seiner Frau. Deshalb, teilte Schneider Bank-Vorstand W. mit, hĂ€tten die Ărzte geraten, jeden Stress zu vermeiden und verboten, seinen Aufenthaltsort mitzuteilen. Da war Schneider bereits auf dem Weg nach Miami, zusammen mit seiner Frau und einem Taschengeld von 245 Millionen Mark.
22. Juli 1997, Verhandlungstag 6
BesaĂ die Zeilgalerie in Frankfurt tatsĂ€chlich eine HauptnutzflĂ€che von knapp 10.000 Quadratmetern oder von mehr als 20.000 Quadratmetern? HĂ€tte es der Deutschen Centralboden AG in Köln auffallen mĂŒssen, dass das GebĂ€ude gar nicht 20.000 Quadratmeter vermietbare FlĂ€che haben konnte? Der Architekt der Zeilgalerie, Professor RĂŒdiger K., sagt dazu als Zeuge: Bei den VorentwĂŒrfen zur Planung der Zeilgalerie, die er JĂŒrgen Schneider Anfang 1989 vorgelegt habe und die an die Banken weitergereicht worden seien, habe es sich deutlich erkennbar um Skizzen, nicht aber um fertige BauplĂ€ne gehandelt.
Schneiders Mitarbeiter und jetziger Mitangeklagter K. habe auf dem Vorentwurf drei Eintragungen mit Tippex gelöscht. Die Banken sollten den Eindruck haben, sie hielten PlÀne in den HÀnden. Und so wurden aus einer vermietbaren FlÀche von 9.842 Quadratmetern auch mehr als 20.000. Experten merken so etwas. Normalerweise.
Dann kommt Gerhard W. zu Wort, seit 1988 der Vorstandsvorsitzende der CIP AG. Das war die Immobilienverwaltungstochter im Schneider-Imperium. Etliche Aufstellungen ĂŒber die abgeschlossenen MietvertrĂ€ge, sagt er, seien zwar mit seinem Namen versehen worden, stammten aber nicht von ihm. Die Unterschriften waren gefĂ€lscht.
23. Juli 1997, Verhandlungstag 7
Der erste Bankgutachter sagt aus. Der Frankfurter SachverstĂ€ndige Werner N. erzĂ€hlt, er habe den Wert der Zeilgalerie aufgrund von Unterlagen errechnet. Die hatte er von der Deutschen Bank erhalten. An deren Echtheit habe er nicht gezweifelt, weil er seine Partner fĂŒr âehrbare Leuteâ gehalten habe. Den von ihm errechneten Wert begrĂŒndet N. mit dem âauĂergewöhnlichen Konzeptâ fĂŒr die Ladengalerie. Mit Schneider oder dem ReprĂ€sentanten der Bank, Friedrich M., habe es vorher keine Absprachen gegeben. Woher kamen die FlĂ€chenangaben, will der Richter wissen. Aus den ArchitektenplĂ€nen, sagt der Zeuge.
29. Juli 1997, Verhandlungstag 8
Ruth G. war Schneiders SekretĂ€rin. Ob alle 70 gefĂ€lschten MietvertrĂ€ge von den Mitarbeitern hergestellt wurden oder von Schneider selbst? Oder vielleicht von seiner Familie, will Richter Gehrke wissen. Und bringt die Zeugin ins Schleudern. Da bricht Schneider, ganz Gentleman, sein SchweigegelĂŒbde und hilft. âIch habe Frau G. die Anweisung erteilt. Auch wurden alle Listen mit den MietvertrĂ€gen bei mir im BĂŒro geschriebenâ, sagt er, steht auf und lĂ€uft mit Unterlagen in der Hand zum Richtertisch. Er habe sie angewiesen, die aus der Luft gegriffenen MietvertrĂ€ge anzufertigen. Die Zeugin sagt: âWas Dr. Schneider angeordnet hat, wurde ohne Nachfragen erledigt.â Jedem sei klar gewesen, dass trotz seiner verbindlichen Art Nachfragen nicht erwĂŒnscht waren.
30. Juli 1997, Verhandlungstag 9
ZĂ€rtlich streicht Claudia Schneider-Granzow in den Prozesspausen im Gerichtssaal mit der Hand ĂŒber das Revers am Zweireiher ihres Mannes. Dann kĂŒsst sie ihn. Tochter Ysabel steht eng daneben. Auch von ihr gibt es KĂŒsschen. Alle drei lachen herzlich. Die Richter kommen rein, die Damen Schneider mĂŒssen gehen, zurĂŒck hinter die Glasscheibe in den Zuschauerraum.
Zeuge heute: der ehemalige Kreditvermittler der Deutschen Centralbodenkredit AG, Friedrich M. Rund 15 Millionen Mark habe er in den Jahren 1986 bis 1993 dank Schneider verdient. Dann allerdings hatte die Centralboden ihm den seit 1967 bestehenden Agenturvertrag fristlos gekĂŒndigt, weil M. sich zu sehr fĂŒr Schneider engagiert habe. M. bestreitet, dass sein finanzielles Eigeninteresse die KreditgewĂ€hrung der Bank maĂgeblich beeinflusst habe. Als ungeheuerlich bezeichnet er Schneiders Darstellung, auf seine Anweisung hin seien den KreditantrĂ€gen unrealistische ErtragsschĂ€tzungen fĂŒr die Frankfurter Zeilgalerie zugrunde gelegt worden.
Dass M. nur als Briefbote zwischen Schneider und der Bank fungierte, glauben ihm die Richter erkennbar nicht. âSie haben doch die BonitĂ€t JĂŒrgen Schneiders extrem hochgejubeltâ, sagt Gehrke. M. bleibt ausweichend und ungenau.
6. August 1997, Verhandlungstag 10
Richter Gehrke zitiert aus einem Schreiben des Kreditvermittlers M. Darin lobt er das Engagement Schneiders und bezeichnet dessen Angaben zum Barvermögen Anfang 1994 als âabsolut plausibelâ und âerstklassigâ. Gehrkes Eindruck: âM. hat sich wohl eher als PR-Mann und Kreditbetreuer Schneiders ...