Wer die höchste Unwirklichkeit erfaßt,
wird die höchste Wirklichkeit gestalten.
(Hugo von Hofmannsthal)
1. Adam Elsheimer (1578–1610)
Als ältestes von zehn Kindern wurde Schneidermeistersprössling Adam Elsheimer am 18. März 1578 in Frankfurt im Hause Fahrgasse 120 geboren. Das Elternhaus wurde im Kriegsjahr 1944 durch Bomben völlig zerstört. Schon als vierzehnjähriger Schüler des Frankfurter Altarbildmalers Philipp Uffenbach (1566–1636) orientierte er sich zunächst an der altdeutschen Malerei, eignete sich aber bald die Technik der aus ihrer Heimat nach Frankfurt geflohenen südniederländischen Maler an, die hier die erste „Frankfurter Schule“ aus der Taufe hoben. Die sieben Tafeln des weltberühmten Kreuzaltars, allen voran die Mitteltafel Die Verherrlichung des Kreuzes, aber auch die Barockgemälde Das Opfer in Lystra oder Myrrha sowie zahlreiche Handzeichnungen erinnern im „Städel“ deren viele Bewunderer daran, daß Adam Elsheimer neben Goethe als der wohl bedeutendste Sohn Frankfurts zu würdigen bleibt.
Die lange Zeit verschollen geglaubte und schließlich im fernen Australien wiederaufgetauchte siebte Tafel des Kreuzaltars, Die Befragung des Judas (1603), hat Werner Wirthle 1981 für die Frankfurter Stiftung „Imprimatur“ ersteigert. Mit dieser Trouvaille (Öl auf verkupfertem Silber) konnten die sieben Stationen jener schönen Legende komplettiert werden, welche die Suche und Auffindung des Kreuzes Christi durch Kaiserin Helena, die Mutter Kaiser Konstantins, in Jerusalem zeigen.
Die Sehnsucht nach dem Süden zog Elsheimer 1598 aus dem damals zwanzigtausend Einwohner kleinen Frankfurt zunächst für zwei Jahre nach Venedig und zwei Jahre später in die Stadt der verschwenderischen Sonne: nach Rom. Hier ist um 1606 das wunderschöne Bild Aurora entstanden: Die über der Campagna aufsteigende Sonne überstrahlt darauf die Landschaft mit so unvergleichbarer Morgenröte, daß sogar Goethe sich auf seinen Italienreisen davon faszinieren ließ. Als „Adamo Tedesco“ ist er schon im blühenden Alter von 32 Jahren als Unvollendeter gestorben. Um Aufträge zu erhalten, war Elsheimer zum katholischen Glauben konvertiert. Angeregt durch Tizian und Caravaggio, beeinflußte er seinerseits Rubens, Lorrain und Rembrandt. In seiner kurzen Schaffensperiode vollendete er etwa fünfzig Miniaturmalereien zumeist auf Kupfer sowie zahlreiche Zeichnungen und Radierungen. Seine Technik wurde von dem Holländer Hendrik Goudt in Rom derart geschickt kopiert, daß sich heute in einigen Fällen die tatsächliche Urheberschaft Elsheimers nur schwer feststellen läßt, zumal sich unsere Wahrnehmung in dem Maße verändert, in dem sich unser zeitlicher Abstand zu den Kunstwerken der Vergangenheit vergrößert.
Adam Elsheimer gilt in der Kunstgeschichte als Inbegriff des unbedingten Künstlertums, als Großereignis an der Schwelle vom Manierismus zum Barock. In Elsheimers auf genauen Naturstudien fußenden idealisierten Kompositionen verschmelzen Naturwahrheit und poetische Veranschaulichung zur ergreifenden Stimmungskunst. Sein bedeutendstes Gemälde Die Flucht nach Ägypten ist 1609 in Rom entstanden, ein Jahr vor seinem Tod, den die Nachwelt als Verlust empfunden hat. Sein Freund Peter Paul Rubens beklagte dessen Hinscheiden mit den Worten: „Nach einem solchen Verlust sollte sich unsere Zunft in tiefe Trauer hüllen. Sie dürfte nicht leicht jemanden finden, der seinen Platz einnehmen könnte.“ Der romantische Dichter und Shakespeare-Übersetzer Ludwig Tieck würdigt zweihundert Jahre später den Frankfurter Maler mit den Worten: „Deiner muß ich gedenken, Elsheimer, der mir als erster so die Natur gezeigt“.
Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst
ist die Ausbreitung der Religion und die
Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen.
(Carl Philipp Emanuel Bach)
2. Georg Philipp Telemann (1681–1767)
Schon lange bevor anno 1795 der erste Frankfurter Ehrenbürger gekürt wurde, hatte ein ehrenbürgerwürdiger Komponist neun Jahre lang von Frankfurts kultureller Strahlkraft musikalisch geniale Signale versendet: Georg Philipp Telemann.
Am 14. März 1681 in Magdeburg als Pfarrerskind auf die Welt gekommen, schuf er schon im zarten Alter von zwölf Jahren seine erste Oper Sigismundus (1693). Auf Wunsch des Vaters ging er zum Jurastudium nach Leipzig, wo der Zwanzigjährige umfangreiche musikalische Aktivitäten entfaltete: Er gründet und leitet ein studentisches Collegium musicum, ist als Sänger und künstlerischer Leiter der Leipziger Oper und als Organist an der Neuen Kirche tätig und komponiert, neben Opern, Kantaten für die Thomaskirche. Mit seiner hohen musikalischen Begabung avancierte er in der höfischen Welt zum Kapellmeister des Grafen Erdmann von Promnitz in Sorau (1705) und zum Hofkapellmeister in Eisenach (1708), wo er sich mit dem in Weimar wirkenden Johann Sebastian Bach befreundete. 1712 folgt er einem Ruf nach Frankfurt am Main, um als Kapellmeister der Barfüßerkirche die Andacht mit musikalischem Flair zu umfloren. Hier brachte er mit wunderbarer Virtuosität die Orgel zum Jubilieren. In der Stadt mit 25 000 Einwohnern komponierte er religiös beseelte Kantaten und Kammermusik galanten Stils, Sonaten und Sonatinen. Vertragsgemäß mußte er nicht nur leibhaftig in der Barfüßerkirche immer präsent und dem lieben Gott gefällig sein, sondern Musik nach „bestem Verstand moderieren, bestellen und ausrichten“. Dafür erhielt er eine Art Gotteslohn in Höhe von dreihundertundfünfzig Gulden per annum und „obendrein“ noch vom sogenannten „Korn-Ambt zwölff Achtel Korn“ als Almosen, was dem guten Ton nicht unbedingt entsprach.
In Frankfurt avancierte Telemann schließlich zum städtischen Musikdirektor. Später leitete er auch das „Collegium musicum“ im vornehmen Haus eines der reichsten Patrizier Frankfurts, Brun von Braunfels. Unter dessen Dach hatte bereits kein Geringerer als Kaiser Maximilian I. 1495 dem Reichskammergericht präsidiert, und 1632 fand auch der Schwedenkönig Gustav Adolf hier angemessene Herberge. Später tagte im Haus Braunfels die Frankfurter Börse, bei der die Rothschilds eine Zeitlang die Kurse diktierten. Dem Genie Telemann gewährte die adelige „Gesellschaft Frauenstein“ im Hause Braunfels freie Wohnung, fünfzig Gulden Lohn und vierzig Gulden Holzgeld. Dafür mußte er auch noch das Haus verwalten. Gleichwohl verbeugte sich die vornehme Gesellschaft staunend vor solcher Größe. Seine Frankfurter Jahre dürfen außerordentlich produktiv genannt werden: Hier entstanden seine fünf Davidischen Oratorien (1718) und seine Opern Der gedultige Sokrates (1721) und Sieg der Schönheit (1722).
In Frankfurt brachte seine Frau Maria Katharina Textor acht Söhne und zwei Töchter zur Welt, weshalb er unbedingt Frankfurter Bürger bleiben wollte, auch nachdem ihn 1721 die Hansestadt Hamburg zum Kantor und zum Musikdirektor der fünf Hauptkirchen berufen hatte.
Dem produktiven Wegbereiter der musikalischen Klassik, dem Frankfurt die erste Blüte seines Musiklebens verdankt, wurde dieser Wunsch nur unter der Bedingung gewährt, bis 1761 jedes dritte Jahr eine neue Kirchenkantate für Frankfurt zu komponieren.
Zu Telemanns heute noch oft gespielten Werken zählen auch die besten seiner tausend Orchestersuiten. Leidenschaft war das große Movens seiner extremen Produktivität. Die Musikgeschichte ordnet Telemanns kompositorisches Genie zwischen Bach und Händel und den späteren Haydn, Mozart und Beethoven ein.
Telemann starb 1767 an der Alster. Sein Nachfolger in Hamburg wurde Carl Philipp Emanuel Bach.
Für die Liebhaber barocker Musik ist es ein Glück, daß sich der Wunsch von Vater Telemann, sein Sohn Georg Philipp solle Jurist werden, nicht erfüllte. Kaum auszudenken, daß ein so wunderbares Oratorium wie Der Messias nach Texten von Klopstock nicht existierte, um unsere Sinne zu betören. Das Genie Telemanns manifestiert sich in der gottgefälligen Kunst, uns Erdenkindern das Geheimnis der Seele zu offenbaren.
[...] so habe ich allezeit den Gedanken gehegt, für alle
Wohltaten, welche ich Zeit meines Lebens [...]
in meiner Vaterstadt genossen habe nach meinem
geringen Vermögen mich dankbar zu erweisen.
(Johann Christian Senckenberg)
3. Johann Christian Senckenberg (1707–1772)
Jeder, der in Frankfurt die Schulbank gedrückt hat, kennt „das Senckenberg“. Das Naturmuseum an der Senckenberganlage gehört wie das Goethemuseum zum Pflichtpensum aller Frankfurter Schulen. In Johann Christian Senckenberg hatte das Mäzenatentum seine Frankfurter Inkunabel. Der approbierte Mediziner, Landphysikus und Hessen-Casselsche Hofrat, der in erster Ehe eine begüterte Landestochter zum Altar geführt hatte, konnte sich leisten, 117 400 Gulden (etwa drei Millionen Euro) in die vielen medizinischen, sozialen und kulturellen Einrichtungen seiner 1763 gegründeten Dr. Senckenbergischen Stiftung zu investieren, namentlich etwa in das heute noch bestehende Bürgerhospital. Senckenberg lag die Zirkulation sozialer und kultureller Energien am Herzen, um die Menschen des Lebens zu versichern.
Die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft wurde erst 1817 gegründet, zunächst um die nach Senckenbergs Tod gefährdeten Institute seiner Stiftung zu unterstützen. 1820/21 rief die Gesellschaft das Forschungsinstitut und das Naturmuseum Senckenberg ins Leben, die bis 1907 am Eschenheimer Turm residierten. Senckenberg selbst besaß ein größeres Herbarium und eine Mineraliensammlung – beide wurden zu seiner Zeit in seinem Bürgerhospital aufbewahrt, aber nur geringe Teile sind heute noch im Besitz des Museums. Zu diesem universalen Komplex zählen außerdem die berühmte Senckenbergische Bibliothek und der Botanische Garten mit exotischer Flora.
1907 bezogen die Sammlungen und 22 Forschungsabteilungen der Gesellschaft den neobarocken Neubau an der heutigen Senckenberganlage, den der Architekt Ludwig Neher konzipierte. Auf sechstausend Quadratmetern offenbart das Museum Spuren der Evolution anhand von Originalen und Replikaten vom Erdaltertum bis zur Neuzeit: den ganzen Kosmos der Mineralien, Amphibien, Reptilien, Insekten, Vögel, Fische und Säugetiere. Im Senckenberg-Museum erlebt der Besucher Natur nicht als Abstraktum, seine natürliche Neugier wird durch plastische Anschauung sinnlich befriedigt. Das heute in neun Abteilungen gegliederte Forschungsinstitut und seine Dependancen in Messel, Wilhelmshaven – mit eigenem Forschungskutter „Senckenberg“ – und anderswo liefern die wissenschaftliche Basis für die Myriaden von Museumsobjekten, darunter das 150 Millionen Jahre alte Gerippe der Donnerechse, Fischsaurier, Dreihorn oder Trachodon.
Der didaktisch-sinnliche Charakter der Präsentation dieses größten Museums seiner Art in Deutschland galt unter Museologen lange Zeit als richtungsweisend, und unter seinem agilen Direktor Fritz Steininger wird das „Senckenberg“ wieder als führend unter seinesgleichen betrachtet. Das „Senckenberg“ gehört wie das „Städel“ und das Freie Deutsche Hochstift zu den wenigen durch die Wissenschaftsgemeinschaft G. W. Leibniz dafür ausgezeichneten nichtstädtischen und nichtstaatlichen Museen der Bundesrepublik Deutschland, dass sie das Humboldtsche Idealbild der Einheit von Forschung und Lehre, Anschauung und Vermittlung verwirklichen.
Um „die bessere Gesundheitspflege hiesiger Anwohner und die Versorgung der armen Kranken“ zu gewährleisten, hatte Senckenberg 1765 das „Bürgerhospital“ gegründet, damals am Eschenheimer Turm. Er finanzierte außerdem den überfälligen Bau einer Anatomie. An einem kalten Novembertag des Jahres 1772 bestieg Senckenberg den eben erst vollendeten Uhrturm des Bürgerhospitals, um aus dieser Höhe das Umfeld zu inspizieren, und stürzte sich dabei zu Tode. Man darf es wohl Ironie des Schicksals nennen, daß Senckenbergs Leichnam der erste war, der auf den Seziertisch seiner neuen Pathologie gebettet wurde. Obwohl der Stifter des „Theatrum anatomicum“ dies in seinem Testament ausdrücklich untersagt hatte, wurde sein Leichnam zwei Tage später öffentlich seziert.
Zeitgenosse Goethe sah den 1707 geborenen und im „Haus zu den drei Hasen“ in der Hasengasse aufgewachsenen Senckenberg mit gelindem spöttischen Soupçon als Sonderling in Erscheinug treten: „Er war immer sehr nett gekleidet, und man sah ihn nie anders auf der Straße als in Schuhen und Strümpfen und einer wohlgepuderten Lockenperücke, den Hut unterm Arm. Er ging schnell, doch mit einem seltsamen Schwanken vor sich hin, so daß er bald auf dieser, bald auf jener Seite der Straße sich befand und im Gehen ein Zickzack bildete. Spottvögel sagten: er suche den abgeschiedenen Seelen aus dem Weg zu gehen, die ihn in gerader Linie wohl verfolgen möchten.“
Wie hoch aber Goethe das mäzenatische Mandat schätzte, das Senckenberg sich nobel selbst erteilt hatte, beweist sein Aufruf vom November 1817, der entscheidend zur Gründung der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft beigetragen hat. Über dreißig naturliebende Bürger sind Goethes Aufruf gefolgt und haben Teile ihrer relevanten Privatsammlungen gestiftet.
Während Senckenbergs älterer Bruder Erasmus ein von seinem Amt als Frankfurter Senator suspendierter Krimineller war und nach 25 Jahren Kerker daselbst seine Seele aushauchte, hat Johann Christian auf seiner Lebensbahn das Glück begleitet und den begnadeten Arzt und leidenschaftlichen Humanisten von hoher Gesittung hervorgebracht, der eine Weile seine brüderliche Hand auch schützend über Erasmus gehalten hat, bis er zu der erweiterten Erkenntnis kam: „Mein Bruder und der Senat sind zusammen faule Eier und stinkende Butter“.
Sein in Gleichmut gehüllter Charakter ließ Senckenberg keine Ehrungen annehmen, so lehnte er, wie später Goethe aus anderen Gründen, die Ehrenbürgerschaft der Stadt ab. Auch verweigerte er seine Erhebung in den Adelstand.
Von Jugend auf nährte ich Liebhaberei an
Malereien, Kupferstichen und anderen Kunstsachen.
(Johann Friedrich Städel)
4. Johann Friedrich Städel (1728–1816)
Das Städel zählt zu den bedeutendsten Kunstmuseen Deutschlands. In die Sammlung von wertvollen Originalen der Stiftung sind die Kunstwerke der 1907 gegründeten „Städtischen Galerie im Städel“ inkorporiert, die etwa vierzig Prozent des Bestands ausmachen. Die Patrizier Carl Schaub und Ludwig Joseph Pfungst hatten zur Gründung der Städtischen Galerie durch Zustiftung ein gehöriges Scherflein beigetragen. Das Städel ist das älteste Museum Frankfurts. Städel selbst hat Goethe durch seine Sammlung geführt und ihn für die Idee einer Museumsgründung begeistert.
Als eine der damals noch seltenen Stifterfiguren mit abgeschlossenem Lebenswerk hielt es der 87jährige Handelsmann und Bankier Johann Friedrich Städel, der als ewiger Junggeselle ohne Erben geblieben war, für seine sozialmoralische Pflicht, seinen Reichtum zu vergesellschaften: Er hat in seinem Testament aus dem Jahre 1815 1,1 Millionen Gulden zweckgebunden der nach ihm benannten Stiftung vermacht. Mit dieser Summe wurden in den Jahren nach 1870 der großdimensionierte Museumsbau des Architekten Oskar Sommer sowie die angeschlossene Städelsche Kunsthochschule auf dem Nachbargrundstück an der Dürerstraße gebaut, die „der hiesigen Stadt zu einer wahren Zierde gereichen möge“ (Städel).
In der Städelschule haben Johann Nepomuk Zwerg...