Inhalt
Vorwort
Aura macht Aua
Islam, Sport & Kochen
Tommi und Dani bekommen aufs Maul
Horst wird noch gebraucht
Die Geschichte des A.
Der Anwalt der Prinzessin
Siegreich ist der General
Pflegestufe IV
Uff Frankfodderisch
Ganovenehre
Härtere Gangart
Beklopft & behämmert
Meister Eder und sein Pumuckl
Alles für die Katz
Herr M. wird laut
Von Musen & Mäusen
Wenn der Chabo mit dem Notz dratst
Sport ist Diebstahl
Der Hamster des Ibykus
Der Revisor
Der Dämon
Benzin im Blut
Weißer Schimmel
Der Zorn des Khan
Zehn Freunde
Die Nacht des Jägers
Feuerteufelchen
Tramhochzeit
Hallo TÜ-Wagen
Via Mala
Fiat iustitia
Über allen Wipfeln ist Dürre
Überrolldrama
Mecki Messer
Abortkombi & Fitch
Busentführer der Herzen
Nicht ohne meine Tochter
U-Bahn nach Auschwitz
Denkpause
Der getürkte Tod
Urteil mild wie Becher leer
Daniel der Held
Falsche Pfade zum rechten Weg
Hurensohn raus, Troglodyte rein!
Herr Specht singt
Vorwort
Bei Gericht ist es mitunter zutiefst grausig. Meist allerdings ganz lustig. In seltenen Momenten gehen Grauen und Komik Hand in Hand. Das sind die großen Momente, in denen Sätze für die Ewigkeit entstehen. Als Beispiel sei der Vorsitzende Richter am Frankfurter Landgericht genannt, der den Prozess gegen den „Kannibalen von Rotenburg“ führte. Der Menschenfresser hatte einen anderen Mann, den er auf einer Fetisch-Plattform im Internet kennengelernt hatte, mit dessen Einverständnis getötet und verspeist. Die Tat war auf Video dokumentiert, es war wohl einer der für das Publikum nervenzerfetzendsten Fälle, die das Landgericht je verhandelt hat. Aber den Richter, einen harten Hund der alten Schule, packte dennoch mitten in der Beweisaufnahme wohl ein leichtes Hungergefühl, und mit Blick auf die Armbanduhr sprach er den legendären Satz: „Wir machen jetzt noch weiter bis zur Penisamputation – und dann machen wir Mittag.“
Der Schrecken des Kannibalen hat sich längst verflüchtigt. Der Satz aber schwebt nach wie vor in singulärer Schönheit durch die Flure der Frankfurter Justiz und ersetzt zuweilen das landläufige „Mahlzeit“.
In einer ähnlichen Liga kickt wohl auch die resolute Gerichtsdienerin, die in einem Mordprozess gegen ein Mitglied des Rockerclubs Hells Angels die Saiten ultrahart aufzog. Der Rocker hatte einen Türsteher, der ihn nicht in die Disco reinlassen wollte, erstochen. Doch auch große starke Rocker müssen mal für kleine Jungs, und als den Angeklagten während einer Verhandlungspause das menschliche Bedürfnis überkam, wurde er mit Handschellen von zwei Justizwachtmeistern zum Abort eskortiert – und fand dessen Tür wegen Renovierung verschlossen. Der Gang zur nächsthöheren Instanz wurde dem Bedürftigen durch die Gerichtsdienerin verwehrt. Den Einwand der Wachtmeister, dass der arme Kerl nun mal dringend müsse, konterte sie mit dem Argument: „Das hätte er sich überlegen sollen, bevor er einen absticht.“ Erneut war eine goldene Regel der Frankfurter Justiz geboren.
Mehr frommer Wunsch als gängige Praxis hingegen ist die „Lex Otto“, die gerichtsprotokolierte Aussage eines zitatesprudelnden Greises, der auf Seite 59 noch einmal sein Unwesen treiben wird. Der stand mit mehr als 80 Lenzen auf dem Buckel einmal mehr vor dem Kadi, weil er einen anderen Mann beleidigt und mit nur einem Fausthieb zu Boden gestreckt hatte, der sich darüber echauffiert hatte, dass der Rentner mit seinem Cadillac falschrum die Einbahnstraße entlanggefahren war. Den Faustschlag bedaure er, beteuerte er auf der Anklagebank, nicht aber die Beleidigung. „Herr Richter, es muss in einem Rechtsstaat doch möglich sein, ein Arschloch ein Arschloch zu nennen!“, rief Otto ins Leere, denn der Richter beschied ihm, dass dem nicht so sei und verurteilte ihn wegen Körperverletzung und Beleidigung. Der Legende tat das keinen Abbruch.
Ebenso ungewollt unsterblich wurde das eigentlich bedauernswerte Opfer einer besonders skurrilen Körperverletzung. Seine eher zierliche Ehefrau hatte den stattlichen Kerbeburschen, Feuerwehrmann und Modelleisenbahner über Monate gequält, indem sie ihm Sinnsprüche und Verhaltensempfehlungen mit einer Heißklebepistole auf den Leib tätowiert hatte. Der Richter, dem solcherlei Rituale eher befremdlich erschienen, konnte es kaum fassen. Warum er sich denn nicht gewehrt habe, wollte er von dem Opfer und Zeugen wissen. „Weil sie mich dann noch mehr gequält hätte“, lautete die Antwort des Mannes. Aber er sei doch ein großer, starker Mann, er hätte doch etwas tun können und müssen. Habe er ja auch, sagte der Mann – „ich habe in mein Kissen geweint“. Um dann noch einmal den Lauf der Dinge aus seiner ganz persönlichen Weltsicht heraus zusammenzufassen: „Normal ist es ja, dass der Mann die Frau schlägt. Bei uns war‘s eben annersrum.“
Natürlich ist es nicht komisch, wenn Männer Frauen schlagen, genausowenig wie umgekehrt. Aber mit dem Gerichtsprozess verhält es sich ähnlich wie mit David-Lynch-Filmen: Sie zeigen uns, dass hinter der bürgerlichen Fassade das Grauen steckt. Manchmal in schockierend realistischer, oft aber auch in dermaßen überzeichneter Form, dass es schon wieder Laune machen kann. Dieses Buch soll kein repräsentativer Querschnitt von mehr als einem Jahrzehnt Berichterstattung aus den Frankfurter Gerichtssälen sein. Es sind die kleinen Prozesse, die es vielleicht gerade mal in die Tageszeitung schaffen, aber eine Woche später aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht sind, die einem als Chronisten am meisten im Gedächtnis haften bleiben. Und sie sind es auch, die tägliche Arbeit dominieren. Mord und Totschlag sind auch in Frankfurt die Ausnahme. In Wirtschaftsstrafsachen, das muss der Neid uns lassen, hat diese Stadt die Nase weit vorn. Aber das ist zumeist eine furztrockene Materie.
Frankfurt wird oft „Hauptstadt des Verbrechens“, eine Bezeichnung, die genauso falsch und doof ist wie der Titel „Main-Metropole“. Frankfurt liegt zwar am Main, wer aber eine Metropole will, am Ende noch eine Verbrechens-Metropole, der soll gefälligst nach New York oder Moskau fliegen. Frankfurt ist ein groß gewordenes Konglomerat aus von Stadtluft angezogenen hessischen Landeiern und Bankern, die es nicht ganz bis nach London geschafft haben, aber solvent genug sind, den Mietspiegel zu versauen. Kurz gesagt: Der ideale Humus aus Spießbürgerlichkeit, Großmannsgetue und aus Not geborener Prekariatskriminalität, in dem Fälle wie die folgenden prächtig gedeihen können.
Wobei nicht das Geringste gegen Frankfurt gesagt sein soll. Man kann dem ruppigen Charme und der Bauernschläue dieser Stadt durchaus verfallen und sie lieben lernen. Und nirgendwo ist der Job eines Gerichtsreporters so interessant und facettenreich wie in diesem beschaulichen Mainstädtchen. Und das sagt einer, der aus Offenbach kommt!
Aura macht Aua
Die Staatsanwaltschaft sieht das so: Im Oktober 2012 klaute die Historikerin im Sachsenhäuser Bio-Supermarkt wie ein Rabe – Kosmetika, Duftspray, Dinkelstollen, Granatapfelsaft und biodynamisches Allerlei im Gesamtwert von 313 Euro und 98 Cent. Als die Verkäuferin sie festhalten wollte, haute sie ihr auf den Arm. Diebstahl mit Körperverletzung könnte man das nennen, und die Staatsanwaltschaft tut ebendieses. Aber wer glaubt, Ladendiebstahl sei dermaßen profan, der kennt die Historikerin schlecht.
Die Historikerin trägt vor dem Amtsgericht ein Kostüm mit Spitzenkragen und einen Doppelnamen. „Heute ist der schwärzeste Tag in meinem Leben“, sagt die 62-Jährige, aber der damals im Oktober 2012 war auch nicht sonderlich helle. Jetzt muss man wissen, dass die Historikerin nicht immer Historikerin war. Früher nämlich war die nach eigenen Angaben studierte Soziologin und Diplomdesignerin mal Kommunikationsberaterin. So habe sie etwa irgendwann mal den „europaweit größten Zuckerhersteller“ beraten – seit dieser leidvollen Erfahrung habe sie Süßes aus ihrem Speiseplan gestrichen und kaufe nur noch in Bio-Supermärkten, „man kriegt ja sonst keine Fri...