Was ist gerecht?
eBook - ePub

Was ist gerecht?

Argumente für eine bessere Gesellschaft

  1. 262 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Was ist gerecht?

Argumente für eine bessere Gesellschaft

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Die Erfolgsserie jetzt auch als Buch!Haben wir etwas verlernt? Ist uns das Selbstverständliche abhanden gekommen? Oder sind urkonservative Werte wie Gerechtigkeit, Solidarität und Respekt einfach überholt? Man könnte es bisweilen glauben. Das aber ist falsch: In Umfragen geben viele Menschen an, dass für sie Gerechtigkeit und Solidarität wichtige Werte sind.Eine Gesellschaft, die den sozialen Ausgleich nicht mehr sucht, verarmt. Sie nimmt Menschen Chancen: auf eine eigene Existenz, auf ein gelungenes Leben – und beraubt sie so ihrer Zukunft. Eine Gesellschaft, die einigen wenigen übergroßen Reichtum zugesteht, ist in Gefahr, das Schicksal des Gemeinwesens in deren Hände zu legen. Das ist nicht nur nicht sozial, das ist auch das Gegenteil von liberal. Und leider bereits Realität.Ohne die Leserinnen und Leser der Frankfurter Rundschau wäre dieses Buch nicht entstanden. Die ersten Texte der Serie waren gerade erschienen, da gingen bereits Anrufe und E-Mails mit der immer gleichen Frage ein: Ist ein Buch geplant? Nein, zunächst war kein Buch geplant. Aber weil die Frage sich wiederholte und auch das Lob für die Serie, wurde uns klar, dass wir die Debatte über Gerechtigkeit nicht nur in der Zeitung führen müssen. Deutschland braucht diese Debatte.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Was ist gerecht? von Bascha Mika, Arnd Festerling im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Sozialwissenschaften & Wissenschaftliche Forschung & Methodik. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

II.
Wie wir leben

„Recht haben statt Recht tun ist das Motto“

Die Metropole der Ungleichheit

Von Sebastian Moll
Man ist ihn eigentlich gar nicht mehr gewohnt in New York, den Anblick von Obdachlosen in Parks, Bahnhöfen und auf der Straße. Jenen Anblick, der noch vor 15 Jahren ein selbstverständlicher Teil des Stadtbildes war. Die beiden letzten Stadtregierungen der konservativen Bürgermeister Giuliani und Bloomberg hatten es geschafft, die Obdachlosenbevölkerung effektiv zu „verwahren“ und die empfindlichen Augen und Nasen ihrer treuen und teuren Steuerzahler davor zu schützen.
Doch seit einigen Monaten gibt es diesen Anblick wieder – auf Parkplätzen, leerstehenden Grundstücken und unter Brücken. In Parkanlagen werden Konflikte mit Anwohnern gemeldet. Die städtischen Asyle, die oft an den äußersten Rändern der Metropole stehen, sind schlicht und einfach überlastet, die Zustände sind dort, wie jüngst in einer großen Reportage der „New York Times“ gezeigt, zum Teil katastrophal. Die Stadt kann ihre nahezu 55.000 Wohnsitzlosen nicht mehr, wie das Gesetz es fordert, adäquat beherbergen. Die Zahl derer, die auf der Straße leben, ist im vergangenen Jahr um sechs Prozent auf rund 3.400 gestiegen.
Zugleich liest man in der Lokalpresse Meldungen wie diese: In einem neuen Luxus-Apartmentkomplex im Manhattaner Stadtteil SoHo kostet der Parkplatz zusätzlich zum Wohnungspreis von acht Millionen eine weitere Million. Eine Million, nur um sein Auto abzustellen. In der ganzen Stadt schießen neue Apartmenthochhäuser für die Superreichen aus dem Boden, es werden Spitzenpreise von bis zu 95 Millionen Dollar pro Wohnung bei einer globalen Kundschaft erzielt, die von New Yorker Immobilien gar nicht genug bekommen kann.
Cartoonhafte Kontraste wie diese illustrieren dramatisch eine wohl bekannte Tatsache: In New York herrscht ein soziales und wirtschaftliches Ungleichgewicht, das in der westlichen Hemisphäre seinesgleichen sucht. Das mittlere Haushaltseinkommen des wohlhabendsten Prozents der Bevölkerung beträgt 716.000 Dollar, das mittlere Einkommen der unteren 20 Prozent rund 14.000 Dollar. Die Einkommen von mehr als 200.000 Dollar im Monat machen 34 Prozent der Gesamteinkommen aus, die Mittelschicht verdient gerade einmal 8,8 Prozent aller Einkommen. Die Armutsrate in der Stadt, die die höchste Dichte an großen Vermögen in den USA aufweist, liegt bei schockierenden 21 Prozent. In Problemgebieten wie der Bronx, dem ärmsten Wahlbezirk der USA, beträgt sie knapp 30 Prozent. Laut dem von der Weltbank verwendeten Gini-Koeffizienten für Einkommensverteilung liegt New York auf dem Niveau von Swaziland.
Natürlich ist New York mit dieser Entwicklung alles andere als alleine. Die Stadt liegt bei der Verschlimmerung der sozialen Ungleichheit in den USA ganz im nationalen Trend. Laut einer OECD-Studie aus dem Jahr 2013 hat sich in den USA in den vergangenen 50 Jahren die Einkommensungleichheit so stark verschlechtert wie nirgendwo sonst in der westlichen Welt. Doch New York ist schon deshalb einzigartig, weil hier die Mechanismen der sozialen Polarisierung so ungefiltert und ungehemmt gegriffen haben wie nirgendwo anders. Wer Ungleichheit in Amerika verstehen will, der braucht nicht weiter als nach New York zu schauen.
Anfang der 1970er Jahre war die Stadt in eine tiefe fiskalische Krise gerutscht. Das sich beschleunigende Schwinden von Handwerk und Industrie aus dem Stadtgebiet hatte die Steuereinnahmen ebenso verringert wie die einsetzende Stadtflucht. New York musste massive Kredite aufnehmen, um die Sozialausgaben zu decken und die Infrastruktur zumindest notdürftig am Leben zu erhalten. Als dann die Banken kalte Füße bekamen und die Kommunalobligationen abstießen, kam es zur finanziellen Katastrophe.
Die Stadt schrammte haarscharf am Bankrott vorbei, die Regierung musste im letzten Augenblick New York vor demselben Schicksal bewahren, das jüngst Detroit ereilt hat. Der finanzielle Ruin konnte gerade noch abgewendet werden. Der politische Schaden hingegen dauert bis in die Gegenwart an.
Die Beinahe-Pleite von New York spielte der konservativen Bewegung in die Hände, die sich gerade in Amerika als Reaktion auf die Gegenkultur der 1960er Jahre formierte und den Weg für die Reagan-Ära bereitete. Das liberale New York wurde als Exempel dafür dargestellt, welchen Schaden sozial orientierte Regierungen anrichten können. Die Stadt wurde als Hort für Sozialschmarotzer aller Art von Gewerkschaftern über Einwanderer bis hin zu Hippies dargestellt, die das Gemeinwohl gefährden.
Die Kritik hatte nachhaltige Folgen für die Stadtregierung. Eine neue Generation von Politikern kam an die Macht, für die „Austerität eine Frage der Ehre“ war, wie die Stadthistorikerin Kim Philips Fein schreibt. Es wurde der Weg für das bereitet, was der Stadtsoziologe Julian Brash jüngst die „Neo-Liberalisierung New Yorks“ nennt.
Diese Neo-Liberalisierung der Stadt bestand in einer radikalen Neu-Orientierung der Politik. Laut Brash wurde der Haushaltsausgleich zum obersten, wenn nicht gar zum einzigen Ziel der Stadtpolitik: „Sparmaßnahmen sowie der Zugang zum Markt für Staatspapiere wurden zur obersten Priorität.“ Auf der Einnahmenseite wurden die Anstrengungen darauf fixiert, durch Steuervorteile und andere Privilegien private Investitionen anzulocken.“ Mit all dem einher ging eine immer engere Verbindung der Stadt mit der Geschäftselite. Organisationen wie die Municipal Assistance Corporation, eine Vereinigung von Wall-Street-Institutionen, die der Stadt Zugang zu den Finanzmärkten sicherte, gewannen enorm an Einfluss.
Die Belange der einfachen Leute und der Minderheiten der Stadt gerieten allerdings noch immer nicht völlig unter die Räder. Auch wenn in den 1990er Jahren unter Bürgermeister Giuliani die Stadt immer rabiatere Polizeimethoden anwandte, um New York für die Geschäftswelt – vor allem die mächtige Immobilienbranche – sauber und sicher zu machen. Gewerkschaften und Bürgerrechtsgruppen hatten im weiterhin zutiefst liberalen New York noch immer ein gewichtiges Wort. Gänzlich zu sich selbst kam das neo-liberale New York erst mit dem Amtsantritt von Bürgermeister Bloomberg unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September 2001. Der erfolgreiche Geschäftsmann und Multi-Milliardär versprach, die Stadt unideologisch und pragmatisch zu führen und mit seinem Können als Manager durch die ökonomischen Untiefen zu steuern, die die Terroranschläge nach sich zogen. In Wirklichkeit stellte sich die Regierung von Bloomberg jedoch als alles andere als unideologisch heraus. „Bloomberg“, schreibt Julian Brash in seinem Buch über das New York seit dem 11. September, „betrieb eine ungehemmte Klassenpolitik. Er hat alle Anstrengungen unternommen, die Stadtregierung und die physische Gestalt der Stadt den Interessen einer einzigen sozialen Gruppe zu unterwerfen.“ Bloombergs vermeintlich ideologisch neutraler Führungsstil deutete die Stadt vollständig in ein Unternehmen um. Der Bürgermeister, so schreibt Brash, wurde zum CEO, die Regierung ein Vorstand, die Kunden waren finanzkräftige Individuen und Firmen, die es zu umwerben galt. Die Stadt selbst wurde zum Produkt, das es an eben diese globale Klientel zu vermarkten galt.
Unter Bloomberg wurden die Verschränkungen zwischen der Geschäftselite und der Politik enger denn je. Großbauprojekte, die praktisch ausnahmslos der Errichtung von Luxuswohnungen, Luxuseinkaufsgelegenheiten und hochpreisigem Büroraum dienten, wurden unter Umgehung, ja teils Verhöhnung des demokratischen Prozesses durchgesetzt. Eine Ära der „Hypergentrifizierung“, wie der einflussreiche Blogger Jeremiah Moss es nennt, setzte ein.
Die Mittel- und Arbeiterschicht wurde unter Bloomberg marginalisiert wie noch nie. In seiner Äußerung, New York sei ein Luxusprodukt und wem das nicht passe, der müsse eben wegbleiben, kam ungefiltert Bloombergs Vision der Stadt zum Ausdruck. Das New York des 21. Jahrhunderts ist ein New York, das fest in der Hand einer transnationalen, postindustriellen Geschäftselite ist.
Wie sehr diese Bloomberg am Herzen lag, kam während der Occupy-Proteste im Jahr 2011 zum Ausdruck. Bloomberg eilte an die Wall Street, um den Bankvorständen zu versichern, dass die Stadt weiterhin hinter ihnen stehe. Bei der ersten Gelegenheit, die sich Bloomberg bot, ohne allzu großen politischen Schaden zu nehmen, ließ Bloomberg das Occupy-Lager im Finanzdistrikt von der Polizei räumen.
Dass sich die Botschaft von Occupy im Bewusstsein auch der New Yorker Wähler festsetzt, konnte Bloomberg jedoch nicht verhindern. Spätestens zur Mitte seiner dritten Amtszeit hatten die New Yorker Bürger nicht nur von seinem plutokratischen Regierungsstil die Nase voll, sondern auch davon, dass sich immer weniger Menschen, die nicht zur globalen Business-Elite gehören, die Stadt noch leisten konnten. Zwischen 2002 und 2012 stieg die mittlere Miete in New York um 75 Prozent an. New Yorker bezahlen im Schnitt 50 Prozent ihres Einkommens für ihre Wohnung. In der Bronx sind es 66 Prozent.
Bloombergs Nachfolger Bill De Blasio, der nun seit beinahe einem Jahr im Amt ist, hat sich auf die Fahne geschrieben, diese Entwicklung wieder umzukehren. Er gewann die Wahl mit einem einzigen Wahlkampfthema: Der extremen Spaltung der Stadt in Arm und Reich. Ob De Blasio es schafft, gegen die tiefsitzenden neoliberalen Strukturen und die extreme Verquickung von Politik und Business in New York anzukommen, ist allerdings noch eher ungewiss. Erste Anzeichen geben dabei wenig Anlass zum Optimismus. Ähnlich wie US-Präsident Barack Obama scheint De Blasio als Amtsinhaber weit weniger Biss zu haben denn als Kandidat.
So heuerte De Blasio eine neue stellvertretende Bürgermeisterin an, die 200.000 Einheiten an „bezahlbarem Wohnraum“ schaffen soll. Alicia Glen war vorher Leiterin der „Urban Investment Group“ beim Bankhaus Goldman Sachs, was ihr, wie sie sagt, bei Verhandlungen mit der anderen Seite, der Immobilienbranche, zugute kommt, weil sie diese versteht. Aber ob sie auch die bedürftigen Mieter versteht?
Bei der Polizeireform, einem seiner zentralen Wahlkampfthemen, zeigt De Blasio sich zur Enttäuschung seiner Wähler deutlich mehr als Hardliner, denn als echter Progressiver. Er heuerte Law-and-Order-Mann Bill Bratton als Polizeichef an und sträubte sich lange gegen die Entkriminalisierung trivialer Drogenvergehen.
Das alles erinnert eindeutig an Obama. Auch Obama konnte oder wollte sich letztlich nicht in letzter Konsequenz gegen die herrschenden Strukturen und Eliten durchsetzen. Und so muss die Hoffnung auf wahrhaft soziale Politik, wie De Blasio sie versprochen hat, in den USA wohl weiterhin gedämpft bleiben. Ob in Washington oder Manhattan.

Arm, krank – und nicht schuld daran

Ein Gastbeitrag von Heike Köckler
Die großen Einfallstraßen sind in der Regel nicht die besten Wohnlagen einer Stadt. Dort wohnen insbesondere Menschen mit einem relativ geringen Einkommen. Ein Blick auf die Klingelschilder in diesen Straßen zeigt zudem häufig Namen ausländischen Ursprungs. Da der Lärm an Hauptverkehrsstraßen verkehrsbedingt ist, herrscht dort in der Regel auch eine hohe verkehrsbedingte Luftbelastung mit Feinstaub und Stickstoffdioxid vor. In der Summe führen die verschiedenen Belastungen zu gesundheitlichen Auswirkungen wie Asthma, Schlafproblemen oder Herz-Kreislauferkrankungen.
Häufig verfügen einkommensschwache Haushalte gar nicht über ein Auto und tragen somit kaum zu den entsprechenden Belastungen bei. Betrachtet man nicht nur Einfallstraßen, sondern auch Stadtquartiere, sind es häufig Stadtteile, in denen mehrere Umweltbelastungen auftreten und gesundheitsfördernde Umweltfaktoren wie Parks und Gärten knapp sind. Hinzu kommen weitere Aspekte wie Energiearmut, die bei einkommensschwachen Haushalten in zum Teil schlecht gedämmten Häusern nicht nur zu kalten Räumen, sondern auch einer erhöhten Schimmelpilzbelastung führt.
Die Wirkungsweisen solcher Mehrfachbelastungen zu untersuchen, ist derzeit Gegenstand von Forschung. Als gesichert gilt jedoch, dass dieselbe Belastung bei vor- und mehrfachbelasteten Menschen zu stärkeren gesundheitlichen Auswirkungen führt. Diese Menschen sind vulnerabler, also verletzlicher, gegenüber Umweltbelastungen als andere Menschen in derselben Stadt. Vergleicht man die Lebenserwartung zwischen Stadtteilen einer Stadt, so lassen sich Stadtteile identifizieren, in denen die Bewohner ein um sechs Jahre niedrigeres Sterbealter als der städtische Durchschnitt haben. Dies ist nicht allein auf die Umweltqualität im Wohnumfeld zurückzuführen, sie trägt aber dazu bei.
In verschiedenen Studien konnten für Deutschland gesellschaftliche Gruppen identifiziert werden, die in einer schlechteren Umweltqualität leben als der Durchschnitt der Gesellschaft. Als benachteiligte Gruppen werden Empfängerinnen und Empfänger von Transferleistungen, Menschen mit einem niedrigen sozialen Status und Menschen mit Migrationshintergrund festgemacht.
Lassen sich Ungleichheiten in der Umweltqualität an sozialer Benachteiligung festmachen, so ist dies eine umweltbezogene Ungerechtigkeit. Ein weiteres, im globalen Nachhaltigkeitsdiskurs etabliertes Gerechtigkeitsargument kommt auch auf lokaler Ebene zum Tragen: Ungerecht ist auch, wenn vor allem diejenigen betroffen sind, die eine Umweltlast nicht verursachen.
Es gibt in Europa ein umfassendes System von Umweltgesetzen, das neben dem Schutz der Umwelt auch das Ziel verfolgt, umweltbezogene Belastungen für Menschen zu vermeiden oder möglichst gering zu halten. Als prominenteste Vertreter seien hier die Luftreinhalte- und Lärmaktionsplanung sowie die Prüfung der Umweltverträglichkeit bei Neuplanungen genannt. Der Gesetzgeber sieht in den bestehenden Umweltgesetzen jedoch lediglich vor zu prüfen, wie viele Menschen von Lärm- oder Luftbelastung betroffen sind. Die besondere Vulnerabilität Betroffener spielt hier keine Rolle.
Der Stadtplanung, welche nach dem Baugesetzbuch der Schaffung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse ebenso wie einer sozial gerechten Bodennutzung verpflichtet ist, kommt hier eine zentrale Rolle zu. In Verfahren der Stadtplanung sind unterschiedliche Ansprüche an den Raum untereinander abzuwägen (Mobilität versus gesunde Wohnverhältnisse) und die Entwicklung einer Stadt strategisch zu lenken. Die Öffentlichkeit ist eingeladen, sich an verschiedenen Verfahren der Stadtplanung und des Umweltschutzes zu beteiligen. Doch hier kommt ein weiterer zentraler Aspekt von umweltbezogener Gerechtigkeit zum Tragen: die soziale Benachteiligung in der Teilhabe an umweltpolitisch relevanten Entscheidungsprozessen. Denn nur wer sich einbringt, findet seine oder ihre Belange berücksichtigt. Von der Gesellschaft benachteiligte Haushalte wohnen nicht nur häufiger in relativ schlechter Umweltgüte, sie folgen auch seltener der Einladung von Stadtplanungsamt und Umweltamt. Auch nutzen sie andere Wege seltener, um auf ihre Belange aufmerksam zu machen. Zudem nehmen an der Wahl zu den Kommunalparlamenten, die die Pläne der Stadtplanung beschließen, Menschen aus benachteiligten Stadtteilen in der Regel weniger teil, oder sind aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit erst gar nicht zugelassen. Wer nicht die Rechte oder Ressourcen hat sich einzubringen, kann seiner oder ihrer Belastungssituation wenig erfolgreich begegnen. Auch dies ist Ausdruck von Vulnerabilität.
Das Thema der umweltbezogenen Gerechtigkeit kommt mehr und mehr in der deutschen Politik an. In Berlin werden erste Analysen zu umweltbezogener Verteilungsgerechtigkeit, die die Senatsverwaltung federführend entwickelt hat, in der lokalen Presse diskutiert. In der Hamburger Bürgerschaft wird eine Anfrage zur Situation umweltbezogener Gerechtigkeit bearbeitet. Das Umweltbundesamt verfolgt das Thema seit Jahren.
Um umweltbezogene Gerechtigkeit zu verfolgen, müssen Ungerechtigkeiten und dahinter liegende Mechanismen und Akteure klar benannt werden. So sind fehlende Grenzwerte in der Lärmaktionsplanung als mangelnder politischer Wille einzuordnen und werden in der aktuellen Rechtslage durch mehr Partizipation ersetzt. Angesichts der Kenntnis um soziale Benachteiligung bei der Teilhabe an Planungsverfahren sicherlich ein zweifelhafter Weg. Dies ist kein Plädoyer für mehr Ord...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titelseite
  2. Impressum
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Vorwort
  5. I. Der (un-)gerechte Mensch
  6. II. Wie wir leben
  7. III. Wie wir leben wollen
  8. Herausgeber
  9. Autoren