1 Vorweg
This is not the end. It is not even the beginning of the end.
But it is, perhaps, the end of the beginning.
Winston Churchill
1.1 Sinn und Unsinn von Zertifizierungen
Da Sie dieses Buch in Ihren Händen halten, sehen Sie vermutlich einen Sinn in Zertifizierungen. Zumindest in der Zertifizierung OMG Certified Expert in Business Process Management 2 (OCEB2) der Object Management Group (OMG). Das Zertifizierungsthema wird recht kontrovers und emotional diskutiert. Wir wollen in diesem Abschnitt einen objektiven Blick auf die Vor- und Nachteile von Zertifizierungen werfen, bevor wir uns im Folgenden der OCEB2-Zertifizierung und ihrer Inhalte widmen.
Testarten
Die Pro- und Kontra-Argumente stehen alle stellvertretend für Zertifikate mit automatisierten Tests ohne Eingangsvoraussetzungen. Bei Zertifikaten, die nicht nur Wissen abprüfen, sondern auch Können abverlangen, beispielsweise durch eine mündliche Prüfung oder Eingangsvoraussetzungen, wie ein Nachweis von Praxiserfahrung, fallen Argumente anders aus.
Wissen messen
Im Kern geht es bei diesen Zertifikaten um einen messbaren Nachweis von Wissen. Angenommen Sie möchten Berater im Bereich des Geschäftsprozessmanagements (GPM) engagieren. Wie wollen Sie im Vorwege feststellen, welches Wissen die Personen über GPM haben? Berufsabschlüsse weisen ganzheitliche Fähigkeiten nach, aber weniger themenspezifisches Wissen wie GPM. Ein OCEB2-Zertifikat ist ein Mosaiksteinchen, um diese Frage zu beantworten. Sie dürfen das Zertifikat natürlich nicht isoliert betrachten, und schon gar nicht ersetzt es ein persönliches Gespräch.
Wissen vergessen
Wissen unterliegt allerdings einer Halbwertszeit. Man vergisst Dinge, die nicht regelmäßig angewendet werden. Daher gibt es Zertifikate mit einem Haltbarkeitsdatum, zu dem die Prüfung wiederholt und erneut bezahlt werden muss, um das Zertifikat zu verlängern. Das ist für die Herausgeber der Zertifikate lukrativ, und jeder mag für sich beurteilen, inwiefern diese Wiederholungsprüfung nötig ist, wie z.B. bei Pilotenprüfungen, oder ob das Datum der ersten Prüfung und etwas Wissen über die durchgeführten Projekte ausreichend sind, um sich ein gutes Bild über die Aktualität des Wissens zu machen. Die OCEB2-Zertifikate sind jedenfalls unbegrenzt gültig.
Wissen vs. Fähigkeit
In der Praxis werden Zertifikate gerne fehlgedeutet und zuweilen auch missbraucht. Jemandem, der weder Inhalte noch Durchführungsform eines Zertifikats gut kennt, lässt sich leicht nicht nur Kenntnis, sondern auch Fertigkeit und Erfahrung vortäuschen, was die allermeisten Zertifikate aber gar nicht belegen. Beispielsweise braucht ein Analytiker auch Abstraktionsfähigkeit, analytisches Denkvermögen, sehr gute kommunikative Fähigkeiten und andere Soft Skills. Diese Fertigkeiten werden durch die OCEB2-Zertifikate nicht abgedeckt, und sie könnten auch nicht von einem anderen Multiple-Choice-Test geprüft werden. Fähigkeiten lassen sich nur begrenzt bis gar nicht auf diese Weise überprüfen. Ein Zertifikat wie OCEB2 ist eben nur ein Maß für Wissen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Nachfrage
Wir nehmen deutlich wahr, dass die Nachfrage nach Zertifikaten in den letzten Jahren zugenommen hat. Zertifikate gibt es, weil es das Bedürfnis hierfür gibt. Sie fallen nicht vom Himmel. Eines der Bedürfnisse haben wir oben dargestellt: das Bedürfnis, Wissen messbar zu machen. Es gibt aber noch andere Interessen und die zugehörigen Stakeholder.
Wertsteigerung
Der Zertifizierte selbst will unter Umständen gar nicht gemessen werden. Er möchte mit dem Zertifikat vielleicht seinen Wert steigern, um seine Chancen auf einen guten Arbeitsplatz oder einen lukrativen Auftrag zu erhöhen. Oder er empfindet es als eine Auszeichnung. Nicht selten wird in E-Mail-Signaturen stolz die Liste aller erreichten Zertifikate aufgeführt.
Der Vorgesetzte
Der Vorgesetzte ist auch ein Stakeholder im Zertifizierungsgeschäft. Vielleicht möchte er mit Zertifizierungen sein Team außenwirksam aufwerten, um erfolgreicher bei der Akquise zu sein. Als Trainer für diverse Zertifizierungen erleben wir allerdings auch, dass Vorgesetzte mit Zertifizierungen die Mitarbeiter überprüfen möchten oder gehaltsrelevante Zielvereinbarungen treffen. In der Vorstellungsrunde unserer Vorbereitungskurse hören wir dann: »Mein Chef will, dass ich das mache.« Gelegentlich treffen wir auch auf Führungskräfte, die Mitarbeitern die Zertifizierung nicht bezahlen, da sie aufgrund der Aufwertung des Mitarbeiters Fluktuation oder erhöhte Gehaltsforderungen fürchten.
Kommerz
In der Liste der Stakeholder darf natürlich die Zertifizierungsorganisation selbst nicht fehlen. Bei OCEB2 sind es die OMG und das UML Technology Institute (UTI), die das Zertifizierungsprogramm entwickelten und verantworten. Ein finanzielles Interesse besteht hier nicht. Die Einnahmen sollen die Kosten der Entwicklung des Zertifikats decken. Die OMG ermöglicht mit Zertifikaten aber ihren Mitgliedern, Geld zu verdienen, z.B. durch Vorbereitungskurse und Beratungsdienstleistungen im Themenfeld des jeweiligen Zertifikats. Geld verdient auch der Betreiber von Testcentern. Sämtliche Prüfungen der OMG und somit auch OCEB2 werden in den Testcentern von Pearson VUE durchgeführt.
Ein Zertifikat ist nur ein Mosaiksteinchen von vielen anderen, um eine Person zu bewerten. Je nach Kontext kann es ein wichtiges Steinchen sein, ein unwichtiges oder einfach nur der letzte Feinschliff, der das Bild abrundet.
1.2 Das OCEB2-Zertifizierungsprogramm
Das Zertifizierungsprogramm OMG Certified Expert in Business Process Management 2 (OCEB2) bietet fünf Zertifikate, die Expertise im Bereich GPM belegen. Nach den Zertifizierungsprogrammen OCUP1 und OCRES2 ist es das dritte Zertifizierungsprogramm der OMG. Das Standardisierungskonsortium wird primär mit UML3, MDA4 und CORBA5 in Verbindung gebracht. Dort liegen auch die Wurzeln der OMG, doch ist mittlerweile ein beachtlicher Baum an Standards aus anderen Bereichen entstanden. Neben Systems Engineering mit der OMG SysML6 hat das Konsortium auch die Disziplin des Geschäftsprozessmanagements für sich entdeckt. Viele bedeutende Standards aus diesem Bereich liegen in der Verantwortung der OMG, darunter die Business Process Model and Notation (BPMN), das Business Process Maturity Model (BPMM) und das Business Motivation Model (BMM).
Ziel
Diese und weitere GPM-Standards unterstützen dabei, Geschäftsprozesse zu identifizieren, aufzunehmen, zu optimieren und umzusetzen. Das Ziel von OCEB2 ist es, ein Maßstab für dieses Wissen anzubieten [18].
Entwickler
Das Zertifizierungsprogramm ist von einem internationalen Expertenteam entwickelt worden. Hierzu zählen beispielsweise der Projektleiter Jon Siegel von der OMG, Stephen White7 von IBM und mehrere Mitarbeiter der oose Innovative Informatik eG. Die vollständige Liste der Beteiligten finden Sie auf den offiziellen Internetseiten zu OCEB2: http://www.omg.org/oceb-2 [19].
Inhalte
OCEB2 adressiert nicht nur Standards der OMG, sondern erfragt beispielsweise auch allgemeines Wissen über Projekt- und Geschäftsprozessmanagement, Betriebswirtschaftslehre und Regelwerke bzw. Qualitätsrahmen wie Six Sigma.
Entsprechend gehören zur Referenzliste nicht nur OMG-Spezifikationen, sondern auch diverse Artikel und Bücher. Die Liste ist recht umfangreich, da es bisher leider kein einzelnes Buch gibt, das ei...