1Einleitung
Mit dem vorliegenden Buch verfolgen die Autoren mehrere Zwecke: Zum Ersten sollen interessierte Leser eine Einführung und einen Überblick über das Thema User Requirements Engineering erhalten, zum Zweiten soll anhand von Methodenbeschreibungen und Beispielen Zugang zum eigenständigen Erarbeiten der Methodik für die Anwendung in den eigenen Projekten gegeben werden. Und zum Dritten soll das Buch ermöglichen, sich im Selbststudium auf die erfolgreiche Teilnahme an der Zertifizierungsprüfung zum »Certified Professional for Usability and User Experience – Advanced Level User Requirements Engineering« (CPUX-UR) des UXQB vorzubereiten.
Das Buch bietet keine allgemeine Einführung in Usability Engineering oder User Experience Design (siehe hier z.B. [Hartson & Pyla 2012]), sondern es fokussiert auf die beiden Handlungsfelder der menschzentrierten Gestaltung »Verstehen und Beschreiben des Nutzungskontexts« sowie »Spezifizieren der Nutzungsanforderungen« [ISO 9241-210:2010]. Es setzt also einschlägiges Vorwissen auf dem Niveau der CPUX-F-Zertifizierung des UXQB e.V. [UXQB 2018]1voraus.
Der in diesem Buch dargestellte Inhalt beruht auf verschiedenen Quellen. Hauptquelle ist das Curriculum und Glossar CPUX-UR des UXQB e.V. [UXQB 2016]. Der dort verwendete Inhalt wurde unter Berücksichtigung der Sichtweisen internationaler Normen, Standards und anerkannter Lehrbücher in einem Peer-Review-Verfahren durch die Editoren, die persönlichen Mitglieder des UXQB sowie die jeweiligen nationalen Experten der Mitgliedsverbände entwickelt. Diese Inhalte werden in diesem Buch im Allgemeinen nicht gesondert referenziert.
Bei Inhalten, die spezifisch für bestimmte Personen, Methoden oder Vorgehensweisen sind, werden die Quellen – teilweise auch als Fußnote – angegeben.
Glossarbegriffe aus dem CPUX-UR-Glossar, die im Vergleich mit dem CPUX-F-Glossar erweitert oder neu eingeführt wurden, werden fett hervorgehoben und erscheinen in der Regel in einem Kasten.
Aus Sicht der Autoren wichtige Merksätze erscheinen ebenfalls in einem Kasten, jedoch ohne Hervorhebung!
Auf Aussagen, die auf den Erfahrungen der Autoren beruhen, wird gesondert hingewiesen. Abbildungen, zu denen keine Quelle angegeben wurde, stammen von den Autoren.
In den folgenden Abschnitten wird das Thema User Requirements Engineering zunächst in das Zertifizierungsmodell des UXQB eingeordnet und dessen Beitrag für Wertschöpfung und Innovation diskutiert. Daran anschließend werden grundlegende Begriffe und Konzepte eingeführt, bevor ein erster inhaltlicher Überblick über das Vorgehen im User Requirements Engineering gegeben wird. Nach einer Erläuterung der Kapitelstruktur dieses Buches finden sich im letzten Abschnitt wie in jedem weiteren Kapitel Lernkontrollfragen zur Unterstützung des Selbststudiums2.
1.1User Requirements Engineering im Zertifizierungsmodell des UXQB
Um zu verstehen, welche Rolle User Requirements Engineering innerhalb des UXQB-Zertifizierungsmodells spielt, muss zunächst inhaltlich geklärt werden, was eigentlich das »Aufgabenobjekt« des User Experience Professional ist. Die Frage ist also, woran die Arbeit des UX Professional wirksam wird.
Sicherlich unstrittig ist, dass es dabei um User Experience geht, insbesondere um alle Aktivitäten, die während der Entwicklung interaktiver Produkte, Systeme oder Services (kurz: interaktiver Systeme) notwendig sind, um beim Benutzer die passende User Experience zu erzeugen.
Abbildung 1–1 zeigt diesen Zusammenhang. Demnach entsteht User Experience dann, wenn Menschen versuchen, mithilfe von interaktiven Systemen ihre Ziele zu erreichen. Die Welt, in der Menschen versuchen, ihre Ziele zu erreichen, wird zum Nutzungskontext und sie selbst werden zu Benutzern.
Abb. 1–1Menschen nutzen interaktive Systeme, um ihre Ziele zu erreichen, und werden so zu Benutzern – Nutzungsqualität wird zum wichtigen Qualitätsmerkmal.
Die individuellen Einstellungen und Merkmale, die Aufgaben sowie die sozialen und physischen Umgebungen von Benutzern beeinflussen,
- ob sie ihre Ziele erreichen und mit welchem Aufwand (Usability),
- ob ihre Erfahrungen und Erlebnisse vor, während und nach der Nutzung interaktiver Systeme ihren Erwartungen entsprechen (User Experience),
- ob und wie zugänglich das interaktive System für Benutzer mit bestimmten Einschränkungen ist (Barrierefreiheit) und
- ob Schäden bei der Nutzung des interaktiven Systems auftreten oder zu befürchten sind (Vermeidung von Schäden aus Nutzung bzw. Freiheit von unakzeptablen Risiken).
Es geht also für den UX Professional – über die reine User-Experience-Fragestellung hinaus – um die Arbeit an der Nutzungsqualität (Usability, User Experience, Barrierefreiheit, Vermeidung von Schäden).
Professionell an der Nutzungsqualität interaktiver Systeme zu arbeiten, heißt also, (a) zu verstehen, welche Voraussetzungen im Nutzungskontext erfüllt sein müssen (Erfordernisse, auf Englisch User Needs), und, damit der Benutzer seine Ziele erreicht, (b) User-Interface-Konzepte für Benutzungsschnittstellen zu entwickeln, die ein optimales zukünftiges Nutzerverhalten unterstützen, also die Erfordernisse des Nutzungskontexts befriedigen.
Abb. 1–2Anforderungen als Brücke zwischen dem Problemraum »Nutzungskontext« und dem Lösungsraum »interaktive Systeme«
Doch wie kann erreicht werden, dass die passenden User-Interface-Konzepte entwickelt werden? Abbildung 1–2 zeigt, dass dazu Designer und Entwickler alle Anforderungen berücksichtigen müssen, die in der zukünftigen Lösung umgesetzt werden sollen, um die Erfordernisse des Nutzungskontexts zu befriedigen. Nutzungsanforderungen (Anforderungen an die Nutzung) dienen also als Brücke zwischen dem Problemraum »Nutzungskontext« und dem Lösungsraum »interaktive Systeme«.
Das Zertifizierungsmodell des UXQB berücksichtigt deshalb bei der Gestaltung seiner Zertifizierungsangebote explizit die Rolle von Nutzungsanforderungen in der menschzentrierten Gestaltung durch die Vermittlung entsprechender systematischer Vorgehensweisen und Methoden.
Allen UXQB-Zertifizierungsangeboten gemein ist der Anspruch, Vorgehensweisen und Methoden anzubieten, die die folgenden Qualitätsaspekte hinsichtlich der Erarbeitung von und des Umgangs mit Arbeitsergebnissen berücksichtigen:
- explizit statt implizit
(analytisch, sichtbar, die Methode wirklich anwenden),
- systematisch statt unsystematisch
(Nutzung von Vorgehensmodellen, Systematiken, Templates etc.),
- nachvollziehbar statt willkürlich
(nachverfolgbar/traceable, erklärend, Stakeholder-tauglich) und
- wiederverwendbar statt »einmaliges Strohfeuer«
(einmal investierter Aufwand, der wiederholt nutzbar ist, z.B. über Releases hinweg bzw. auch über Projekte hinweg).
Die Basiszertifizierung »Certified Professional for Usability and User Experience – Foundation Level (CPUX-F)« des UXQB ist vorrangig auf das Kennenlernen und Verstehen der Begriffe und Konzepte rund um Usability and User Experience ausgerichtet.3
Die Advanced-Level-Zertifizierungen des UXQB wiederum zielen auf das Beherrschen von Methoden innerhalb der Analyse, Gestaltung und Evaluierung ab.
In Abbildung 1–2 sind die drei Advanced-Level-Zertifizierungen des UXQB-Zertifizierungsmodells (CPUX-UR, CPUX-UT und CPUX-IIP) dargestellt:
- CPUX-UR (User Requirements Engineering) ist mit dem Thema User Requirements Engineering auf das Ve...