Hochzeit? Hochzeit!
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Hochzeit? Hochzeit!

Erzählungen von Heiratsanträgen, Fluchtversuchen und der großen Liebe

  1. 256 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Hochzeit? Hochzeit!

Erzählungen von Heiratsanträgen, Fluchtversuchen und der großen Liebe

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Über dieses Buch

Vom Wagnis, sich zu binden, erzählen zehn kluge, pointierte Texte großer Autorinnen aus zweihundert Jahren, von Heiratsanträgen und Hochzeiten, von Verlobungszeit und Flitterwochen. Gemeinsame Nenner sind Hoffnung und Zweifel. Wird es gut gehen? Will ich wirklich? Bin ich bereit, vom alten Leben Abschied zu nehmen? Ein Grat zwischen Angst und Zuversicht, der sich oft als äußerst schmal erweist. Immer wieder sind es die Freundinnen und Schwestern, die zurate gezogen werden und Einfluss auf die Entscheidung nehmen. Die Erzählungen spannen einen Bogen durch die Literaturgeschichte und vermitteln ein Bild davon, wie sich die Lebensumstände und Möglichkeiten der Frauen verändern: Auf die Versorgerehe folgt die Liebesheirat – die Zweifel aber bestehen fort, wenn auch in neuer Form. Das Ende bleibt hier und da offen, aber nicht nur die letzte Erzählung schließt mit dem klassischsten aller Happy Endings: dem Ja­-Wort und der vergewisserten Liebe.

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Information

Alice Munro

DAS BETTLERMÄDCHEN

Patrick Blatchford war in Rose verliebt. Das war eine fixe, fast wahnsinnige Idee bei ihm. Für sie – eine ständige Überraschung. Er wollte sie heiraten. Er wartete nach den Vorlesungen auf sie, ging neben ihr her, so dass jeder, mit dem sie sprach, mit seiner Gegenwart rechnen musste. Er sprach nie, wenn Freunde oder Kommilitoninnen in ihrer Nähe waren, aber er versuchte immer, ihren Blick aufzufangen, so dass er ihr durch einen ungläubigen Ausdruck zu verstehen gab, was er von ihrer Unterhaltung hielt. Rose fühlte sich geschmeichelt, war aber nervös. Ein Mädchen namens Nancy Falls, eine ihrer Freundinnen, sprach in seiner Gegenwart den Namen Metternich falsch aus. Er sagte später zu ihr: »Wie kannst du mit solchen Leuten befreundet sein?«
Nancy und Rose waren zusammen ins Victoria Hospital gegangen, um Blut zu spenden. Jede bekam 15 Dollar. Den größten Teil des Geldes gaben sie für Abendschuhe aus, sündig aussehende Silbersandalen. Und da sie sicher waren, durch das Blutspenden an Gewicht verloren zu haben, aßen sie bei Bloomer einen Krokant-Eisbecher mit heißer Schokoladensoße. Warum war Rose außerstande, Nancy Patrick gegenüber zu verteidigen?
Patrick war vierundzwanzig Jahre alt, Doktorand und wollte Geschichtsprofessor werden. Er war groß, schlank, blond und sah gut aus, obwohl er ein längliches, blassrotes Muttermal hatte, das wie eine Träne über seine Schläfe und Wange herunterzutropfen schien. Er entschuldigte sich deswegen, sagte aber, es werde mit dem Alter blasser. Wenn er vierzig sei, werde es ganz verschwunden sein. Es war nicht das Muttermal, das sein gutes Aussehen beeinträchtigte, dachte Rose. (Irgendetwas beeinträchtigte es oder verminderte es in ihren Augen; sie musste sich immer wieder daran erinnern, dass er wirklich gut aussah.) Es war etwas Gereiztes, Sprunghaftes, Beunruhigendes an ihm. Seine Stimme brach leicht unter Anspannung – bei ihr schien er immer unter Anspannung zu stehen; er stieß Teller und Tassen vom Tisch, warf Gläser und Schalen mit Erdnüssen um wie ein Komiker. Er war kein Komiker; nichts konnte seinen Absichten ferner liegen. Er kam aus British Columbia. Seine Familie war reich.
Er kam zu früh, um Rose abzuholen, als sie ins Kino gehen wollten. Er wollte nicht klopfen, er wusste, dass er zu früh dran war. Er setzte sich auf die Treppe vor der Tür von Dr. Henshawe. Das war im Winter, es war dunkel draußen, aber eine kleine Kutscherlaterne hing neben der Tür.
»Oh, Rose, komm und schau!«, rief Dr. Henshawe mit ihrer sanften, belustigten Stimme, und sie schauten gemeinsam aus dem dunklen Fenster des Arbeitszimmers. »Der arme junge Mann«, sagte Dr. Henshawe mitleidig. Dr. Henshawe war Mitte siebzig. Sie war früher Professorin für Englisch gewesen, war anspruchsvoll und lebhaft. Sie hatte ein lahmes Bein, aber einen noch immer jugendlich wirkenden Kopf, den sie zierlich zur Seite geneigt hielt und den weiße Zöpfe umrahmten. Sie nannte Patrick arm, weil er verliebt war, und vielleicht auch, weil er ein Mann und als solcher zum Vorwärtskommen und Stolpern verurteilt war. Sogar von hier oben sah er verbissen und jämmerlich, entschlossen und verletzbar aus, wie er dort draußen in der Kälte saß.
»Bewacht die Tür«, sagte Dr. Henshawe. »Oh, Rose!«
Ein anderes Mal sagte sie zu Roses Verwirrung: »Oh, meine Liebe, ich fürchte, er ist hinter dem falschen Mädchen her.«
Rose mochte nicht, dass sie das sagte. Sie mochte es nicht, dass sie über Patrick lachte. Sie mochte es auch nicht, dass Patrick da draußen auf den Stufen saß. Er reizte einen dazu, über ihn zu lachen. Er war der verwundbarste Mensch, den Rose je gekannt hatte; er machte sich selbst dazu; er wusste überhaupt nicht, wie man sich schützen konnte. Aber er war auch voller grausamer Urteile, er war voller Verachtung.
»Du bist Stipendiatin, Rose«, sagte Dr. Henshawe gelegentlich. »Das wird dich interessieren.« Dann las sie laut etwas aus der Zeitung vor oder, was wahrscheinlicher war, aus dem Canadian Forum oder dem Atlantic Monthly. Dr. Henshawe hatte früher einmal den Schulausschuss der Stadt geleitet, sie war Gründungsmitglied der Sozialistischen Partei Kanadas. Sie saß immer noch in Ausschüssen, schrieb Briefe an die Zeitung, rezensierte Bücher. Ihre Eltern waren beide Missionsärzte gewesen; sie war in China zur Welt gekommen. Ihr Haus war klein und tadellos. Gebohnerte Fußböden, leuchtende Teppiche, chinesische Vasen, Schalen und Landschaftsbilder, schwarze geschnitzte Wandschirme. Vieles, was Rose zu dieser Zeit noch nicht würdigen konnte. Sie konnte nicht wirklich zwischen den kleinen Jadetieren auf Dr. Henshawes Kaminsims und dem Schmuck im Schaufenster des Juweliers in Hanratty unterscheiden, obwohl sie nun schon zwischen diesen beiden Dingen und den Sachen, die Flo im Billigladen kaufte, zu unterscheiden vermochte. Sie vermochte nicht recht zu sagen, ob sie gern bei Dr. Henshawe wohnte. Manchmal war sie ganz entmutigt, wenn sie im Esszimmer saß, eine Leinenserviette auf dem Schoß hatte und von dünnen weißen Tellern aß, die auf blauen Platzdeckchen standen. Fest stand, dass es nie genug zu essen gab, und sie hatte sich angewöhnt, Donuts und Schokolade zu kaufen und in ihrem Zimmer zu verstecken. Der Kanarienvogel schaukelte auf seiner Sitzstange im Esszimmerfenster hin und her, und Dr. Henshawe unterhielt sich mit Rose. Sie sprach über Politik, über Schriftsteller. Sie erwähnte Frank Scott und Dorothy Livesay. Sie sagte, Rose müsse sie lesen. Rose kam zu dem missmutigen Entschluss, es nicht zu tun. Sie las Thomas Mann. Sie las Tolstoi.
Bevor sie zu Dr. Henshawe zog, hatte Rose noch nie von der Arbeiterklasse gehört. Sie brachte dieses Wort mit nach Hause. »Das wird der letzte Teil der Stadt sein, wo sie eine Kanalisation legen«, sagte Flo.
»Natürlich«, sagte Rose kühl. »Das hier ist der Stadtteil der Arbeiterklasse.«
»Arbeiterklasse?«, sagte Flo. »Nicht wenn die hier in der Gegend etwas dagegen tun können.«
Eins hatte das Wohnen bei Dr. Henshawe bewirkt. Es hatte die Unbefangenheit, den für selbstverständlich gehaltenen Hintergrund ihres Zuhauses zerstört. Dorthin zurückgehen hieß ganz buchstäblich, in ein nacktes Licht zurückzugehen. Flo hatte Leuchtröhren im Laden und in der Küche anbringen lassen. In einer Ecke der Küche gab es auch eine Bodenlampe, die Flo beim Bingo gewonnen hatte; der Schirm war ständig mit breiten Cellophanstreifen umwickelt. Das Wichtigste, was sich von Dr. Henshawes Haus und von Flos Haus nach Roses Ansicht sagen ließ, war, dass sie sich gegenseitig unglaubwürdig machten. In Dr. Henshawes reizenden Räumen lag in Rose immer das bittere Wissen um ihr Zuhause wie ein unverdaulicher Klumpen. Und zu Hause brachte ihr jetzt ihr Gefühl für die Ordnung und Harmonie in Dr. Henshawes Haus eine schrecklich verwirrende und traurige Armut bei Menschen zu Bewusstsein, die sich selbst nie für arm gehalten hatten. Armut war nicht einfach Ärmlichkeit, wie Dr. Henshawe zu denken schien, war nicht einfach Entbehrung. Es bedeutete, dass man diese scheußlichen Röhrenlampen hatte und auch noch stolz auf sie war. Es bedeutete ständiges Reden über Geld und bösartiges Reden über Sachen, die andere Leute gekauft hatten, und ob sie wohl bezahlt waren. Es bedeutete Stolz und Neid, die sich an Dingen wie den beiden Plastikvorhängen in Spitzenimitation entzündeten, die Flo für das Vorderfenster gekauft hatte. Dies und ebenso die Tatsache, dass man seine Kleider an Nägeln hinter der Tür aufhängte und dass man jedes Geräusch aus dem Badezimmer hören konnte. Armut bedeutete auch, dass man seine Wände mit einer Anzahl von Sinnsprüchen schmückte, mit frommen und fröhlichen und leicht unanständigen.
Der Herr ist mein Hirte
Glaube an den Herrn Jesus Christus,
so wirst du gerettet werden.
Weshalb hatte Flo so etwas, da sie doch nicht einmal fromm war? Das hatte man eben, es war so üblich wie ein Kalender.
Das ist meine Küche, und ich werde verflixt
noch mal darin tun, was ich will
Mehr als zwei in einem Bett, das ist
gefährlich und gesetzwidrig
Das hatte Billy Pope mitgebracht. Was würde Patrick dazu sagen? Was würde jemand, der durch die falsche Aussprache von Metternich aufgebracht war, von Billy Popes Geschichten halten?
Billy Pope arbeitete in Tydes Metzgerei. Sein Hauptgesprächsthema war jetzt der Auswanderer, der Belgier, der auch dort arbeitete und Billy auf die Nerven ging, weil er französische Lieder sang und naive Vorstellungen darüber hatte, wie er in diesem Land vorwärtskommen und eine eigene Metzgerei kaufen wollte.
»Glaub nur nicht, du kannst hier rüberkommen und größenwahnsinnig werden«, sagte Billy Pope zu dem Belgier. »Ihr arbeitet für uns, und glaub ja nicht, dass es so weit kommt, dass wir für euch arbeiten.« Da war er dann still, sagte Billy Pope.
Patrick sagte von Zeit zu Zeit, da Rose nur fünfzig Meilen entfernt wohne, müsse er einmal vorbeikommen und Roses Familie kennenlernen.
»Da ist nur noch meine Stiefmutter.«
»Es ist zu schade, dass ich deinen Vater nicht mehr kennengelernt habe.«
Voreilig hatte sie Patrick ihren Vater als Leser von Geschichtswerken, als Autodidakten präsentiert. Das war nicht gerade eine Lüge, aber es gab auch kein wahrheitsgemäßes Bild der Verhältnisse.
»Ist deine Stiefmutter dein Vormund?«
Rose musste zugeben, dass sie es nicht wusste.
»Aber dein Vater muss doch in seinem Testament einen Vormund für dich benannt haben. Wer verwaltet seinen Besitz?«
Seinen Besitz. Rose dachte, ein Besitz sei ein Landgut, so wie ihn die Leute in England haben.
Patrick fand, sie sei ganz entzückend, so etwas zu glauben.
»Nein, sein Geld und seine Wertpapiere und so weiter. Was er hinterlassen hat.«
»Ich glaube nicht, dass er überhaupt etwas hinterlassen hat.«
»Sei nicht albern«, sagte Patrick.
Und manchmal sagte Dr. Henshawe auch: »Na, du bist Stipendiatin, das wird dich nicht interessieren.« Gewöhnlich sprach sie dann von einer Veranstaltung im College; einer wilden Party, einem Fußballspiel, einem Tanzabend. Und gewöhnlich hatte sie Recht. Es interessierte Rose nicht. Aber es lag ihr nichts daran, das zuzugeben. Diese Charakterisierung ihres Wesens erschien ihr nicht erstrebenswert, und sie mochte sie nicht.
An der Wand neben der Treppe hingen die Examensfotos all der anderen Mädchen, der Stipendiatinnen, die bei Dr. Henshawe gewohnt hatten. Die meisten von ihnen waren Lehrerinnen geworden, dann Mütter. Eine war Ernährungswissenschaftlerin, zwei waren Bibliothekarinnen, eine war Professorin für Englisch wie Dr. Henshawe. Rose machte sich nichts aus ihnen, aus ihrer sichtbar-sanften, lammfromm lächelnden Dankbarkeit, ihren großen Zähnen und ihren mädchenhaften Locken. Es schien ihr, als drängten sie einem ihre Frömmigkeit auf. Es waren keine Schauspielerinnen darunter, keine Journalistinnen von Zeitschriften; keine von ihnen hatte sich Zugang zu einem Leben verschafft, wie Rose es sich wünschte. Sie wollte in der Öffentlichkeit auftreten. Sie glaubte, sie wolle Schauspielerin werden, aber sie versuchte nie zu spielen, sie hatte Angst, in die Nähe der Theaterinszenierungen im College zu kommen. Sie wusste, dass sie nicht singen und tanzen konnte. Sie hätte wirklich gern Harfe spielen wollen, aber sie hatte keinen Sinn für Musik. Sie wünschte sich, bekannt und beneidet, schlank und klug zu sein. Sie erzählte Dr. Henshawe, wenn sie ein Mann wäre, würde sie Auslandskorrespondent werden wollen.
»Dann musst du das auch werden«, sagte Dr. Henshawe beunruhigenderweise. »Die Zukunft wird den Frauen weit offenstehen. Du musst dich auf Sprachen konzentrieren. Du musst Kurse in Politikwissenschaft belegen. Und Volkswirtschaft. Vielleicht kannst du im Sommer bei der Zeitung arbeiten. Ich habe Freunde dort.«
Rose erschrak bei dem Gedanken, bei einer Zeitung zu arbeiten, und sie hasste den Einführungskurs in Wirtschaftswissenschaften; sie überlegte, wie sie ihn umgehen konnte. Es war gefährlich, Dr. Henshawe gewisse Dinge zu sagen.
Sie war durch Zufall zu Dr. Henshawe gekommen. Ein anderes Mädchen hatte dort einziehen sollen, aber es wurde krank; es hatte Tuberkulose und kam stattdessen in ein Sanatorium. Dr. Henshawe erschien am zweiten Anmeldungstag im Büro des College, um sich die Namen einiger anderer Stipendiatinnen geben zu lassen.
Rose war gerade kurz vorher in dem Büro gewesen, um zu fragen, wo das Treffen der Stipendiaten stattfinden sollte. Sie hatte ihre Einladung verloren. Der Schatzmeister hielt vor den neuen Stipendiaten eine Rede, unterrichtete sie darüber, wie man Geld verdienen und billig leben konnte, und erläuterte ihnen den hohen Leistungsstandard, den man hier von ihnen erwartete, wenn sie wollten, dass ihre Gelder auch weiterhin einträfen.
Rose erfuhr die Nummer des Raumes und stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf. Ein Mädchen ging neben ihr und sagte: »Bist du auch auf dem Weg zu Drei-null-zwölf ?«
Sie gingen zusammen und unterhielten sich über die Details ihres Stipendiums. Rose hatte noch kein Zimmer gefunden, sie wohnte noch im CVJM-Heim. Eigentlich hatte sie überhaupt nicht genug Geld, um hier sein zu können. Die Vorlesungen waren für sie kostenlos, ihre Heimatprovinz gab ihr einen Zuschuss für die Lehrbücher, und dazu bekam sie ein Stipendium von dreihundert Dollar; das war alles.
»Du wirst dir einen Job suchen müssen«, sagte das andere Mädchen. Sie hatte ein höheres Stipendium, weil sie bei den Naturwissenschaften war (da ist das Geld, das ganze Geld ist bei den Naturwissenschaften, sagte sie ernsthaft), aber sie hoffte, eine Stelle in der Cafeteria zu bekommen. Sie hatte ein Zimmer bei irgendjemandem im Kellergeschoss. Wie viel kostet dein Zimmer? Wie viel kostet ein warmes Essen?; fragte Rose, und ihr schwirrte der Kopf vor ängstlichen Berechnungen.
Dieses Mädchen trug das Haar hochgesteckt. Sie trug eine Crêpebluse, die vom Waschen und Bügeln vergilbt und glänzend aussah. Ihre Brüste waren groß und schlaff. Wahrscheinlich trug sie ei...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. VOM WAGNIS, SICH ZU BINDEN
  6. DREI SCHWESTERN (1792)
  7. PHYLLIS UND ROSAMOND (1906)
  8. HERR UND FRAU TAUBE (1921)
  9. DA WÄREN WIR (1931)
  10. DAS BETTLERMÄDCHEN (1978)
  11. EINE LANDHOCHZEIT (1984)
  12. KOJOTEN (1988)
  13. DAS MÄDCHEN MIT DEN PONYFRANSEN (2001)
  14. DANKE, DASS ICH KOMMEN DURFTE (2014)
  15. POLARKREIS (2014)
  16. Die Autorinnen
  17. Quellen