2015
Das Beiwort zu âZwischenraumâ bei Goethe: âheiterâ (an Martins, Dez. 1823)
âBesser die Harfe zu zupfen, als Steine zu klopfen.â â âOder umgekehrt.â â âOder wieder umgekehrtâ
So wie ein Niemandsland sich auftut, verheiĂungsvoll, tut so sich nicht auch dann und wann eine Niemandszeit auf? Niemandstage, ganze? Tun sich auf? Ja
âDie Weltgeschichte ⊠nur ein Gewebe von Unsinn fĂŒr den höheren Denkerâ (zu Kanzler MĂŒller, Okt. 1824). Nach dem Lesen vieler Goethe-SĂ€tze, selbst der gar untertĂ€nigen an Metternich: Die Zeder vor dem Fenster erscheint besonders förmlich (geformt), formdunkel, tintig, schwarz, tuscheschwarz
Rhythmus: Zusammenklang auch ohne Klang
âWas ist mit dem Mondlicht anzufangen?â â âNichts.â â âUmso besserâ
Die Schneeluft des Morgens, wie sie in sich behalten? Sie verwandeln
âDu sollst keine Miene verziehen!â (Eins der 11. Gebote â an das sich nur die groĂen Schauspieler halten)
Ich weiĂ immer noch zu wenig vom Leben des Geistes, viel zu wenig, viel, viel zu wenig. Und bald wird er schlieĂen, der Tempel des Geistes?
Lernen und Entdecken: entdeckerisches Lernen, nur solches. Entdecken wo? In mir selbst, aus den Stoffen âErfahrungâ und âTraumâ, tagsĂŒber und nachts (âdes Nachtsâ)
âMir erscheint das alles in erhöhteren Farben wie der Regenbogen auf schwarzgrauem Grundâ (in Dornburg, 3 Wochen nach dem Tod des Herzogs Carl August, 1828)
âDer Alte Bekannteâ: So sieht G. seinen ehemaligen Diener Götze
Seufzen will gelernt sein (âDie Unschuldigen âŠâ)
Unvergleichlich: das Tauchen der Amseln ĂŒber die Hecken. Oder doch vergleichbar? âDelphingleichâ? Nein, unvergleichlich
âDaĂ ich in diesen zwanzig Tagen aus Unruhe, Neigung, Trieb und Langeweile gar manches geleistet habeâ (in Dornburg; âzwanzig Tageâ? sechzig Jahre)
Eher möchte ich eine den Erdkreis umspannende Sonnen- oder Mondfinsternis versÀumen als in meinem Umkreis den ersten Schnee (es ist schon Ende Januar, und immer noch nichts als Schneeluft)
Heiteres Erwachen: mit dem (In)Bild eines gefrorenen Weihers und einer Folge (eins der hÀufigsten Substantiva bei G.) von Schlittschuhschritten auf dem Eis
Kein âGroĂer Mannâ ohne âGroĂes Kindâ (s. G. z. B., bittend seinen Sohn August um Papier: âMeine Existenz erfordert Papier mehr als jemalsâ; 1828)
âKeine Zahl! Denn ZĂ€hlen schneidet wie das Schwert. Und keine Zeit, denn Zeitansage ist Götzendienstâ (Ibn al-FÄriáž)
Seltsam: Vielleicht mehr denn je bin ich â bestritten, fern der âZentrenâ â ĂŒberzeugt von meiner Sendung, ohne daĂ ich sagen könnte, was diese âSendungâ ist. â âĂberzeugtâ? Nein, durchdrungen
âQui a deux maisons, perd la raisonâ (frz. Sprichwort, gelernt aus Rohmers Film âLes nuits de la pleine luneâ)? Ja. Aber manchmal kommt, wer zwei HĂ€user zu eigen und zu verantworten hat, vielleicht zu einem höheren Verstehen, zu einer weitherzigeren Vernunft? (Niemandsbucht / Picardie)
âUrteil mit Anteilâ (an Zelter, MĂ€rz 1829)
Manchmal, G. lesend, seufzt es unhörbar tief in mir, vor Goethe, dem âWissenschaftlerâ, zu seiner âFarbenlehreâ, seinem âZwischenkieferknochenâ, seinem âNeptunismusâ (Meeresablagerungen, gegen die Vulkane!), seinen Spiralpflanzen. âDeine Sorgen möchte ich haben!â â gefolgt von einem leibhaftigen StoĂseufzer: âLieber, lieber Goethe â du mit deiner grenzenlosen TĂ€tigkeit!â
âVerrĂŒckt glĂŒcklichâ: Diese Art GlĂŒck stöĂt mir zeitweise zu, zu allen heiligen Zeiten; GlĂŒck? Nur so! ⊠VerrĂŒcktes GlĂŒck âŠ
G. mit Kindern, ĂŒberliefert von einem Besucher: Seine âLust, zuzuhören ⊠er hat die Natursprache in seinem Besitz ⊠ich könnte nicht aufhören, von ihm zu erzĂ€hlenâ; und dazu G.âs stĂ€ndige Frage an seine GĂ€ste: âWo kommen Sie her?â
Und jetzt habe ich den ersten Schnee versĂ€umt ⊠Er ist, wohl nur kurz, gefallen in der tiefsten Nacht, und die letzten weiĂen Inselchen im Steppengras habe ich mir frĂŒhmorgens an die Beine, in die Augen und an die SchlĂ€fen gerieben. Und jetzt? Zartes Blauen in einem Schneehimmel ohne Schnee (Picardie)
âSage mir etwas Tröstlichesâ (an Zelter, Nov. 1829), â âIch habe keinen Glauben an die Welt und habe verzweifeln gelerntâ (zum Kanzler MĂŒller, Juni 1830). â âDie Knaben lassen sich solche [Pfirsiche] schmekken, die MĂ€dchen ziehen die Kirschen vorâ (an seinen Sohn, Aug. 1830). â â⊠ist eigentlich die geist- und herzlose Behandlung der GeschĂ€fte im Friedenszustand und der völlige Unbegriff der Augenblicke schuld an allem Unheilâ (Tagebuch, Okt. 1830, n. d. französ. Julirevolution). â Und auf die Nachricht vom Tod seines Sohns: âSciebam me mortalem genuisseâ, (in Abwandlung eines Cicero-Satzes in den âTuskulanischen GesprĂ€chenâ, âich wuĂte, ich habe einen Sterblichen gezeugtâ). â Und an Zelter schreibt er vom Tod Augusts als von dessen âAuĂenbleibenâ
âDie Gnade meines Lichts löscht das Feuer meiner Racheâ (Ibn al-FÄriáž, âDie Ordnung der Wegeâ)
Verb zum Schnee, zu den Flocken: Er (sie) âfĂŒhrt (fĂŒhren)â mir die Hand
Figuren im âLetzten Eposâ: âDie eingeschneiten Freundeâ
Zeichnen: Ich fĂŒhle, was fehlt, und was aussteht
â⊠weil denn doch die Poesie das glĂŒckliche Asyl der Menschheit bleiben wird: indem sie sich zwischen den ersten dĂŒstern Irrtum und den letzten verkĂŒhlenden Zweifel mitten hineinsetzt, jenen in Klarheit zu fĂŒhren trachtet, diesen aber deutlich und teilnehmend zu werden nötigtâ (an Carlyle, Juni 1831); und weiter: â⊠immerfort sagen, daĂ es tĂŒchtige Menschen gegeben hat und geben wird, und solchen muĂ man ein schriftlich gutes Wort gönnen ⊠und auf dem Papier hinterlassen. Das ist die Gemeinschaft der Heiligen, zu der wir uns bekennenâ (G., ein Heiliger? â ja, eine Heiligengestalt neben vielen anderen Gestalten â und gerade so ein Heiliger)
âBuchhĂ€ndlerbĂŒcherâ? Schwemmicht
Schneeluft und Schneelicht: Sie schaffen Zuversicht âIch bin nicht zum tragischen Dichter geboren, da meine Natur konziliant istâ (an Zelter, Okt. 1831)
âDas Werk der Erfindung dient doch der Wahrheit, als Gleichnisâ (Ibn al-FÄriáž)
Verb zum Abschied vom angestammten Ort: Er âbuchstabiertâ (sich â und er lĂ€Ăt so den, der Abschied nimmt, ihn, den Ort, buchstabieren)
âHin zu Menschen, welche Blumen symbolisieren, die vor Antworten schimmern!â (Wer sagte das im Traum gerade?)
Immer wieder, immer noch: die Phantasie â das Einsetzen der Phantasie â als die Deutung des Erlebten, eine Deutung, die unbenennbar bleibt, rein verwandelt in Bild, Rhythmus, ErzĂ€hlen â Vor-ErzĂ€hlen weit, weit hinaus und hinauf ĂŒber jedwedes Deuten und Deuteln, und das schiere Gegenteil zu jedwedem Nach-ErzĂ€hlen
âWenige Menschen sind fĂ€hig, ĂŒberzeugt zu werden; ĂŒberreden lassen sich die meistenâ (an Alexander v. Humboldt, Okt. 1831); und an den Bergrat und Geologen GrĂŒner, am 15. MĂ€rz 1832: âDie Zeiten waren allzu schön, wo wir dem Andalusit und den pseudovulkanischen Problemen eifrigst nachgingenâ. â Und ich, im Lesen: âIn einer Woche wird Goethe sterben. Ich will es nicht lesen. Aber ich muĂ es lesen!â Und doch blĂ€ttere ich, statt weiterzulesen, erst einmal zurĂŒck, und zurĂŒck: G., beim Betrachten einer seiner frĂŒheren Zeichnungen, von einem Sonnenuntergang an einer Poststation, ruft aus: âJa, auch im Scheiden groĂ!â (12. MĂ€rz 1832) und âWir aber, auf der AllerweltslandstraĂe âŠâ (an Marianne v. Willemer, 13. Jan. 1832), und â⊠daĂ Weimar immer eine Art von kleinem Hexenkreise bleibt, wo ein Tag vom andern, ein Jahr vom andern lerntâ (an Zelter, 10. Feb. 1832)
Erst im Tun entdecke ich, was zu tun ist, und nach und nach zu tun ist, und wo, und an welcher Stelle, und wie und wo ansetzen, absetzen und weitertun â so wie ich auch im Zeichnen erst entdecke, wo die Akzente und VerstĂ€rkungen des Gegenstands hingehören, wo sie zu runden, zu umrunden, zu zickzacken sind
âAber wovon kann man in dieser Unwirtlichkeit denn leben?â â âDu wirst es nicht glauben: Unser Grasland ist ideal zum Schlangenmalen, die Schlangenbilder sind die Verkaufsschlager!â
âEr suchte die göttliche Ruhe in sich herzustellenâ (Riemer von G., nach dessen Sterben)
Realisieren â rhythmisieren â verbinden (ohne das angemaĂte âjazzigeâ Synkopieren) (und ârealisierenâ und ârhythmisierenâ gehen / fallen zusammen)
Statt âArbeitâ sag eher âBei der Sache bleibenâ (der deinen); und statt âarbeitenâ sag: âzeitigenâ. Ich âzeitigeâ; du âzeitigstâ, wir âzeitigenâ
âIn Dein Geheimnis werde ich stets meinen Kopf schieben wie unter eine warme Achselâ (wer sagte das âŠ?)
Kalter Sonntagmorgen Ende Februar; leuchtender Reifsaum oben auf der FensterbrĂŒstung in der aufgehenden Sonne: Weg aus den TrĂ€umen! Hinaus aus dem Traum! â Aber mit dieser und jener Traumstimme im Ohr? â Ja
âUnvergleichlichâ: das unvergleichliche GerĂ€usch beim
Aufziehen einer leeren Schublade in einem Hotelzimmer an einem unbekannten Ort
âFreispruch! Ein Urteil wie ein Fallbeilâ (Zeitungsschlagzeile, Picardie)
Das GedĂ€chtnis kehrt zurĂŒck ...