Hundert schwarze Nähmaschinen
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Hundert schwarze Nähmaschinen

Roman

  1. 328 Seiten
  2. German
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Hundert schwarze Nähmaschinen

Roman

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Den Zivi nennen alle nur den Zivi, die sogenannten Betreuer in der Wohngemeinschaft für psychisch Kranke, wo er seinen Zivildienst ableisten soll, nicht anders als die sogenannten Klienten. Die Schule hat er hinter sich, vorbereitet hat sie ihn aber nicht auf das, was ihn erwartet. Dass es verrückt zugeht, okay. Aber dass es ihm zunehmend schwer fällt zu erkennen, warum die Betreuer Betreuer und keine Klienten sind, macht ihm zu schaffen. Zumal er bald selbst nicht mehr weiß, wohin er gehört, so sehr läuft in seinem Leben plötzlich alles aus dem Ruder. Nicht zuletzt seine Beziehung zu seiner Freundin, der "anderen Streitpartei": Er könnte sie umbringen (in seinen Träumen tut er es). Und nur weil er der Zivi ist, heißt das nicht, dass er sein Leben nicht genau wie alle anderen in einer psychiatrischen Einrichtung verbringt.In diesem aberwitzig einfallsreichen, grandios schrägen Roman sind viele Schrauben locker. Elias Hirschl zieht sie an, bis die Zähne vor Lachen knirschen, und dreht sie dann alle noch ein Stück weiter.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783990271575

1

Das Selbstmordzimmer ist frisch gestrichen. Die Farbe ist noch nicht einmal richtig getrocknet, da hat man schon wieder Bilderrahmen mit Motivationssprüchen an die Wände gehängt. Ein bunt bemalter Lampion versucht das fahle Licht der von der Decke baumelnden Energiesparlampe zu kaschieren, die kalt auf den darunter liegenden roten Teppich strahlt. Eine Tür führt in das kleine, private Bad mit Badewanne und Waschbecken. Eine zweite führt auf den Gang hinaus. Nur diese lässt sich zusperren. Rechts neben der Tür zum Bad steht ein Bett an der Wand, das Kopfende knapp unterhalb eines Lichtschalters. Es besteht aus einer Matratze, zwei Polstern und einer Decke mit Straßenverkehrsmuster, all das auf einem Holzgestell von IKEA. Kopflehne hat es keine. Unter dem Bett ist ein wenig Platz, um das Nötigste zu verstauen. Hebt man, im Bett liegend, die linke Hand, kann man das kleine Fenster an der Ostseite des Zimmers erreichen, durch das Sonnenlicht hereinfällt, das sich in den Fenstern des Hauses jenseits der Straße spiegelt. In der Mitte des Raums steht ein Mann und atmet nicht. Allein sein Herzschlag unterscheidet ihn vom Mobiliar.
Lässt man sich im richtigen Winkel rückwärts aus dem trüben Fenster fallen, kann man die alte, verdreckte Fassade des Hauses betrachten. Sie ist in einem grellen Gelbton gehalten, der sich mit keiner anderen Farbe der Welt verträgt.
Bricht man den Sturz schließlich im letzten Moment vor dem Aufprall ab, um mit den Füßen sachte auf dem Boden aufzutreten, und öffnet mit einem Quietschen die rechte Hälfte der grauen Flügeltür, die den Eingang zum Haus markiert, so ist das Erste, was man wahrnimmt, der Geruch. Es ist ein Aroma, das man nie wieder aus seinem System herausbekommt. Weder aus der Kleidung und den Haaren noch aus dem Gedächtnis. Es bleibt sofort überall haften. Als Erstes erreicht einen die Kopfnote. Ein intensiver Schwall aus Handdesinfektionsmittel, Zigarettenrauch, Fischstäbchen und Urin schlägt einem im Hausflur entgegen, zunächst nur als diffuse Wolke, wie eine warnende Bahnhofsdurchsage in fremder Sprache. Nur wenig später wird sie von der Herznote abgelöst, dem satten, deftigen Geruch nach Kot, Erbrochenem, altem entkoffeiniertem Kaffee und verbrauchter Atemluft, der einen beim Öffnen der Sicherheitstür zur zweistöckigen Wohnung erreicht. Seine Konsistenz ist fast greifbar. Der Geruch legt sich einem schwer auf die Zunge, sodass man seine Einzelteile auch ohne Vorwissen oder Übung spielend identifizieren kann, ehe man Stunden oder Tage später, lange nach Verlassen des Hauses, erst die schwere Basisnote in der eigenen Kleidung wahrnimmt, alles was sich über die Jahre in die Wände, Möbel und Stoffe der Wohngemeinschaft hineingefressen hat: das Desinfektionswaschmittel der Klienten, der alte verdunstete Schweiß in der Decke, die Essensreste, die seit Monaten auf dem Boden der Küchenmülleimer kleben und die rostige Fährte nach altem, eingetrocknetem Blut auf dem Sofa im Wohnzimmer und dem Parkettboden im Flur, die beinahe nicht mehr auszumachen ist, sich aber gerade deshalb besonders hartnäckig an den Rändern der Wahrnehmung hält. Das ganze Haus trägt Tag und Nacht die Schwingungen einer olfaktorischen Kakofonie in sich, die einem auf ewig als geruchlicher Tinnitus im Kopf bleiben. Ein Zwölftonparfüm, dessen Komponenten durch das ganze Haus wehen, die Treppen hinaufgetragen werden und durch die Schlüssellöcher in alle Zimmer eindringen, bis hinein in die Lungen des Mannes, der schweigend und ohne zu atmen in der Mitte des Raums steht. Und die Luft, auf der sie treiben, hat dazu ihre eigene stille Meinung.

2

Es ist 08:00 Uhr morgens, Montag, 1. Oktober, im Weltuntergangsjahr 2012, und ich sitze in einem Büro, mir gegenüber meine zukünftige Chefin.
Sie hat einen grauen Haaransatz, ein eingefallenes, knöchernes Gesicht, den Namen Astrid und einen Tonfall, der mir sagt, dass sie bereits jetzt genug von mir hat. Meine Freundin hat mir gesagt, ich soll mich in der Arbeit von niemandem ärgern lassen. Sie sagt mir andauernd, dass ich mich nicht ärgern lassen soll.
Ich sitze auf dem weiß gepolsterten Aluminiumstuhl, den mir Astrid nicht angeboten hat, und streiche mir mit der rechten Hand meine schon wieder etwas zu langen Haare hinters Ohr. Ich bin seit dreieinhalb Monaten achtzehn und auf den Tag genau so lange im Besitz meines Maturazeugnisses. Ich leide an den nachklingenden Symptomen einer Nebenhöhlenentzündung, die in spätestens drei Wochen wiederkommen wird. Ich habe es geschafft, mich im Sommer dreimal zu erkälten. Das muss etwas Psychosomatisches sein.
Vom vielen Schnäuzen ist mein linkes Ohr noch taub, weshalb ich den Worten meiner zukünftigen Chefin mit leicht gedrehtem Kopf zuhöre. Aber auch ohne das taube Ohr könnte ich ihr nicht wirklich folgen, weil der Gedankenstrom in meinem Kopf nicht abreißen will. Meine Gedanken springen ständig von einem Thema zum nächsten, das hat mich die letzten Nächte wach gehalten. Fragen stapeln sich in meinem Kopf wie auszufüllende Formulare. Und das Schlimmste ist, dass sie nicht einmal wichtig sind. Habe ich mir heute Morgen die Zähne geputzt?
»Hören Sie mir eigentlich zu?«
Auch Astrids Gesichtsausdruck gibt mir zu verstehen, dass sie schon vor zehn Minuten genug von mir hatte.
»Einer Ihrer Klienten hat Hepatitis B, und ich muss von Ihnen wissen, ob Sie mit diesem Risiko arbeiten können.«
Sie fragt mich ernsthaft jetzt, fünfzehn Minuten vor Arbeitsbeginn, ob ich einen kostenlosen Impfstoff beantragen möchte. Ich frage, wann der wirksam sein würde und sie sagt: »So richtig erst nach der letzten Teilimpfung in ein paar Monaten.«
Als ob ich mich in dem Zustand impfen lassen würde. Nicht dass ich was gegen Impfungen habe, aber ich habe einfach keine Lust, mich halb krank einer Impfreaktion mit akuten Hepatitissymptomen auszusetzen. Da ziehe ich lieber drei Schichten Gummihandschuhe zusätzlich an, wenn ich den alten Mann waschen soll.
Sie fragt mich erneut, ob ich mit Herrn Schmidt, dem Hepatitis-Patienten, den sie als Risiko bezeichnet, arbeiten will oder nicht.
Als ob ich jetzt noch Nein sagen und mir eine andere Stelle suchen würde.
»Sie sind wirklich erst achtzehn?«
Wie alt soll ich denn sonst sein? Wenn sich alle darüber wundern, wie jung ich bin, dann sollten sie die Stelle besser nicht für Zivildiener ausschreiben.
Meine Fingernägel sind zu lang. Ich hätte sie mir heute Morgen schneiden sollen. Meine Haarsträhne will nicht halten und rutscht immer wieder hinter meinem Ohr hervor. Ich schiebe sie immer wieder zurück.
Habe ich wirklich vergessen, mir die Zähne zu putzen? Ich will mir mit meiner rechten Hand die Haare hinters Ohr streichen, aber die Haare sind bereits hinter meinem Ohr. Mein Bauch tut weh. Die Magenschleimhautentzündung kommt auch wieder, ich kann das spüren. Das muss etwas Psychosomatisches sein. Ich wünschte, ich wäre nach Berlin ausgewandert, wie mein Cousin. Auswandern und erst mit fünfunddreißig wiederkommen, wenn die Wehrpflicht nicht mehr greift. Aber dazu müsste ich erst einmal mit meiner Freundin Schluss machen. Nicht dass ich glaube, dass Männer ein schwierigeres Leben haben, ganz und gar nicht. Aber die Tatsache, dass ich einen Penis habe, reicht nicht unbedingt aus, um mich darüber zu freuen, ein Dreivierteljahr lang Zwangsarbeit leisten zu müssen.
Man hält mir Formulare hin und fragt mich entnervt, ob ich alles verstanden habe. Offenbar fragt man mich das bereits zum zweiten Mal, aber ich habe es nicht gehört.
»Warum haben Sie sich eigentlich für diese Stelle entschieden?«
Für die psychisch Kranken? Für BLuhM – Verein für Betreutes Leben und ein harmonisches Miteinander? Die Wahrheit ist, dass ich alle meine Lebensentscheidungen in der Hoffnung treffe, möglichst niemanden damit zu verärgern. »Lass dich nicht ärgern!« Als ob ich jetzt noch einen sympathischen Eindruck hinterlassen wollte. Die ganze Zeit habe ich kein böses Wort gesagt.
Meine Haare rutschen nach vorne, als ich unterschreibe.

3

Der Weg zur Wohngemeinschaft liegt in der exakt entgegengesetzten Richtung zu seinem ehemaligen Schulweg. Der Zivi fährt immer noch jeden Morgen mit demselben Bus dieselbe Straße entlang, nur die Richtung hat sich geändert.
Da er die Schlüssel zur WG noch nicht hat, läutet der Zivi an der Gegensprechanlage und wartet vor der Tür darauf, dass ihn jemand hineinlässt. Das Haus hat eine dreckige, pissgelbe Fassade, kleine Teile des Verputzes sind bereits heruntergebrochen oder im Begriff, es in näherer Zukunft zu tun. Heute bekommt er nur seine Einführung und darf danach wieder nach Hause gehen. Die WG liegt noch nicht ganz am Arsch der Welt, aber schon eher im schäbigeren Teil der Stadt. Wobei die WG selbst vermutlich auch nicht zum Anstieg der Immobilienpreise beiträgt.
Mit seinem linken Ohr nimmt der Zivi hinter sich etwas wahr. Er dreht sich um und sieht, wie eine ältere Frau in der Garageneinfahrt auf der anderen Straßenseite im schlimmsten Altwiener Hausfrauenjargon die Wand anschreit. Sie trägt einen ausgewaschenen grauen Pullover und trotz der Kälte untenrum nicht mehr als eine vor Schmutz starrende, zerrissene Jogginghose, deren Gummibund so ausgeleiert ist, dass sie ihr bereits in den Kniekehlen hängt und den Blick auf ihren Hintern freigibt. Als sie den Zivi bemerkt, schreit sie ihn ebenfalls an. Der Zivi versucht seinen Blick von ihrem drahtigen Schamhaar abzuwenden und betet inständig darum, dass diese Verrückte nicht zur Wohngemeinschaft gehören möge.
In diesem Moment geht hinter dem Zivi die Tür auf, und ein Mann, etwa Ende dreißig, mit feuerrot gefärbten Haaren und Vollbart, steht vor ihm.
»Du bist also der neue Zivi«, sagt er, und der Zivi streicht sich nervös seine Haare hinter das rechte Ohr. »Ich bin der Berni.« Berni wirft einen kurzen Blick über die Schulter des Zivis und sagt: »Ah, wie ich sehe, hast du die Frau Glettler schon kennengelernt.«

4

»So«, sagt Berni: »Erstens sind das hier keine Patienten, sondern Klienten, ja? Denn wir sind ja auch keine Ärzte, sondern Betreuer. Deshalb verschreiben wir auch keine Medikamente, sondern händigen sie nur aus. Wir können die Klienten auch nicht dazu zwingen, die Medikamente zu nehmen. Wenn’s gar nicht geht, dann müssen wir halt mit der Psychiatrie telefonieren. Und wenn dir ein Betreuer aufträgt, den Klienten Medikamente zu geben, dann liegt die ganze Verantwortung beim Betreuer, ja? Okay. Zweitens sprechen wir die Klienten hier generell eher nur mit dem Nachnamen an. Herr Soundso, Frau Soundso. Ob du mit jemandem per Du sein möchtest, kannst du natürlich selbst entscheiden, aber ich würde dir empfehlen, da eher auf Abstand zu gehen. Um Arbeit und Privates nicht zu vermischen, empfehle ich dir außerdem, den Klienten deine Adresse nicht zu verraten – haha, Scherz. Nein, ernsthaft: Erzähl ihnen am besten überhaupt nichts über dich, sonst verwenden sie das alles gegen dich. Die wirken zwar alle verwirrt, aber blöd sind die nicht, merk dir das. Drittens: Lass dich nicht ärgern! Egal, was sie machen, lass dich von ihnen nicht provozieren, ja? Merk dir das! Das sind kleine Kinder. Kleine, intelligente, ausgewachsene, unberechenbare Kinder! Mit denen kann man nicht diskutieren. Und wenn du wütend wirst, werden die nur noch wütender. Es ist deine Aufgabe, ruhig und verantwortungsvoll zu bleiben. Und glaub mir, das ist wirklich nicht leicht, wirst schon sehen. Es ist wie ein Marathonlauf: Am Anfang hält man locker durch, aber dann geht einem langsam die Luft aus, und die letzten paar Meter kriechst du dann nur noch auf dem Zahnfleisch. Aber du hast Glück. Du bist nach neun Monaten fertig und kannst vor allem jeden Abend wieder zurück nach Hause gehen. Die Klienten wohnen hier! Die sind rund um die Uhr hier! Die können nicht einfach nach Hause gehen, wenn es Abend wird, weil sie hier leben. Merk dir das, das ist der größte Unterschied zwischen dir und ihnen. Nichtsdestotrotz: Nur weil du hier arbeitest, heißt das nicht, dass du nicht auch den ganzen Tag in einer psychiatrischen Einrichtung verbringst. Da kann man noch so oft behaupten, dass psychische Krankheiten nicht ansteckend sind – es stimmt einfach nicht.
Also, zu deinen Aufgaben: Die WG erstreckt sich über zwei Stockwerke. Hier leben acht Leute, die mehr oder weniger intensiv betreut werden müssen. Außerdem gibt’s dann noch die zwei Besucher, die nicht fix hier leben: den Herrn Haas und die herzallerliebste Frau Glettler, die du ja bereits kennengelernt hast. Die haben beide zwar ihre eigene Wohnung, sind aber auch nicht wirklich in der Lage, alleine zurechtzukommen. Deshalb sind sie fast den ganzen Tag bei uns, liegen im Wohnzimmer auf dem Sofa und gehen dann am Abend zum Schlafen nach Hause.
Am Tag sind immer zwei Betreuer da und in der Nacht einer. Nachtdienst hast du sowieso keinen, dazu dürfen wir keine Zivis einteilen. Außerdem gibt es noch die Sophie, die für ihre Psychotherapieausbildung gerade ein Praktikum bei uns macht. Die ist noch bis Februar da.
Die meisten hier sind psychisch krank, aber Herr Klimek, Herr Schmidt und Frau Brandner sind außerdem noch von Geburt an geistig behindert. Herr Klimek sitzt im Grunde den ganzen Tag in seinem Zimmer auf dem Bett oder in seinem Rollstuhl und raucht. Er kann zwar laufen, aber seine Motorik ist sehr eingeschränkt. Richtig sprechen kann er auch nicht. Er kriegt zwar fast alles mit, was man zu ihm sagt, aber es ist schwer, ihn akustisch zu verstehen. Außerdem kann er leicht wütend werden. Zum Beispiel darüber, dass ihn niemand versteht, dann sollte man eher auf Abstand gehen. Und unterschätze bloß nie die Muskelkraft eines Rollstuhlfahrers! Herr Schmidt ist im Gegensatz dazu quasi die einzige Person in dieser WG, die quasi nie Ärger macht. Er ist letzte Woche fünfundsiebzig geworden und sitzt den ganzen Tag grinsend und lachend im Wohnzimmer. Du wirst mit ihm spazieren gehen und ihm jeden Morgen helfen, seinen Stützstrumpf anzuziehen. Am linken Fuß! Auch wenn er dir immer den rechten hinhalten wird, lass dich nicht verarschen: Es ist der linke! Definitiv! Du wirst dich sicher gut mit ihm verstehen. Er grabscht hin und wieder Leuten an den Arsch, aber er meint’s nicht böse. Deshalb kommt alle zwei Monate auch eine Sexualtherapeutin. Das einzige Gefährliche an ihm ist seine Hepatitis, aber er ist nicht sonderlich ansteckend. Da müsstest du schon mit seinem Blut oder Sperma in Berührung kommen, und dass es dazu kommt, wollen wir ja wirklich nicht hoffen.
Vor der Frau Brandner wiederum musst du dich ein bisschen mehr in Acht nehmen. Die hat zusätzlich zu ihrer geistigen Behinderung auch noch alle möglichen Arten von Neurosen und Psychosen. Die Psychiater sind sich bis heute nicht darüber einig, was sie wirklich alles hat. Aber zu ihr kommen wir dann noch später.
Herr Schmidt und Herr Klimek wohnen hier im ersten Stock. Da hinten. Die Brandner oben. Im ersten Stock wohnt außerdem noch die Frau Roth. Die Frau Roth hat das Korsakow-Syndrom, was zwar cool klingt, aber im Grunde nur eine spezielle Form von früher Demenz ist, weil sie nach ihrer zweiten Fehlgeburt zu viel gesoffen hat. Sie wird sich deinen Namen wahrscheinlich nicht merken können und du wirst sie öfter mal zu ihrer betreuten Arbeit im Bastelwarengeschäft bringen müssen, weil sie dauernd den Weg vergisst und in der U-Bahn verloren geht. Außerdem sprichst du sie am besten nie auf ihren Sohn an. Und lass dir von ihr bloß nicht einreden, sie habe noch kein Mittagessen gehabt. Sie hat Diabetes und starkes Übergewicht und ist deswegen von ihren Ärzten auf Diät gesetzt worden. Ihr Essen kriegt sie von einem mobilen Lieferservice, der alle zwei Wochen die Mittag- und Abendessen als tiefgekühlte, fertige Portionen liefert. Aber das ist ihr immer viel zu wenig, deswegen versucht sie vor allem die neuen Zivis immer reinzulegen, damit sie mehr zu essen kriegt. Die Frau ist zwar hochgradig geistig verwirrt, aber wenn’s ums Essen geht, wird sie zum Einstein. Ihr Zimmer ist da drüben, gleich neben dem vom Herrn Schmidt. Manchmal schleicht sie sich auch in der Nacht zu ihm rüber und klaut ihm Schokolade, was du bitte im Rahmen deiner Möglichkeiten unterbinden solltest. Auch die Frau Glettler sprichst du übrigens besser nicht auf ihre Kinder an. Die hatte nach ihrer zweiten Schwangerschaft eine Wochenbettpsychose, was wie eine Wochenbettdepre...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Titel
  4. Inhalt
  5. Kapitel 1
  6. Kapitel 2
  7. Kapitel 3
  8. Kapitel 4
  9. Kapitel 5
  10. Kapitel 6
  11. Kapitel 7
  12. Kapitel 8
  13. Kapitel 9
  14. Kapitel 10
  15. Kapitel 11
  16. Kapitel 12
  17. Kapitel 13
  18. Kapitel 14
  19. Kapitel 15
  20. Kapitel 16
  21. Kapitel 17
  22. Kapitel 18
  23. Kapitel 19
  24. Kapitel 20
  25. Kapitel 21
  26. Kapitel 22
  27. Kapitel 23
  28. Kapitel 24
  29. Kapitel 25
  30. Kapitel 26
  31. Kapitel 27
  32. Kapitel 28
  33. Kapitel 29
  34. Kapitel 30
  35. Kapitel 31
  36. Kapitel 32
  37. Kapitel 33
  38. Kapitel 34
  39. Kapitel 35
  40. Kapitel 36
  41. Kapitel 37
  42. Kapitel 38
  43. Kapitel 39
  44. Kapitel 40
  45. Kapitel 41
  46. Kapitel 42
  47. Kapitel 43
  48. Kapitel 44
  49. Kapitel 45
  50. Kapitel 46
  51. Kapitel 47
  52. Kapitel 48
  53. Kapitel 49
  54. Kapitel 50
  55. Kapitel 51
  56. Kapitel 52
  57. Kapitel 53
  58. Kapitel 54
  59. Kapitel 55
  60. Kapitel 56
  61. Kapitel 57
  62. Kapitel 58
  63. Kapitel 59
  64. Kapitel 60
  65. Kapitel 61
  66. Kapitel 62
  67. Kapitel 63
  68. Kapitel 64
  69. Kapitel 65
  70. Kapitel 66
  71. Epilog