Alles eines Irrsinns Spiel
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Alles eines Irrsinns Spiel

Roman

  1. 386 Seiten
  2. German
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Alles eines Irrsinns Spiel

Roman

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Alles sei eines Irrsinns Spiel, fasst der Erzähler in einem Ausruf das zu Ende gehende Jahrhundert zusammen, das er von einer Leipziger Bombennacht im Dezember 1943 bis zu einem Augusttag des Jahres 1999, einem Tag der Sonnenfinsternis, begleitet. Grandiose Doppelspiele, wechselnde Zeiten und Plätze begleiten das Spiel von der Suche nach der verlorenen Zeit in einem amerikanischen Jahrhundert, das von sowjetischen Truppen flankiert wird.

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Information

Verlag
Wallstein
Jahr
2015
ISBN
9783835328921
TEIL III
Die Grenze
Charlie Parker mit »Out of Nowhere« an einem Nachmittag im Norden, der Schneeregen wie eine graue Wand zwischen dem Penthouse und der Peripherie der Autobahnzubringer und Supermarktzentren, wie eine Wand, in die Miles Davis Löcher blies, aber dahinter war wieder eine Wand, sagte Charlie Parker, und dahinter wieder eine.
Jörg Fauser, der Schneemann

Quartett

Für Rex Stewart, Delphi-Palast Oktober 48, Jam Session bei Kerzenlicht wegen Stromausfall in diesem Teil der Viersektorenstadt, kamen sie zu spät. Jetzt war Oktober so, für die Kontrollen im Zug Leipzig-Berlin reichte der neue Personalausweis, der sie zu Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik erklärte. Zu Hause hatte Melle ihnen ein paar Hinweise gegeben. Keine spitzen Antworten auf die Fragen der Volkspolizisten, die zu zweit (wie Kafkas Wächter im Prozeß, sagte Chico später) ihre Pflicht taten. Schutzbehauptungen, wie man fahre zum Besuch des Theaters am Schiffbauerdamm, würden Eindruck machen. Auch sei man dabeigewesen, zu Pfingsten, beim Deutschlandtreffen der Jugend. War gelogen. Fast hätte Chico angefangen zu spinnen, gewiß doch, im Blauhemd in der Frontstadt, und die Westpolizei habe sie gejagt und ihnen das ganze Agitationsmaterial abgenommen. Falk sah nicht aus wie einer der verpönten Bebop-Jünglinge. Seine Mutter hatte ihn genötigt, den etwas eng gewordenen Konfirmandenanzug zu tragen, und Chico trug die unverdächtig braun eingefärbte Cordsamtjacke. Verdächtig waren die crewcut-ähnlichen Haarschnitte, für Eingeweihte Kennzeichen der Avantgarde, indes die Rock-’n’-Roll-Jünger diese am Hinterkopf angeklatschten, einem Entensterz ähnliche Frisuren bevorzugten. Aber noch waren die Genossen im Einsatz nicht psychologisch geschult wie später ihre Kollegen von der Abwehr.
Meile hatte ihnen eine Adresse gegeben, in Berlin Mitte, billige Übernachtung, und ansonsten Grenzkinos empfohlen, das KADEWE und vor allem das Jazzlokal »Badewanne« in der Nürnberger Straße.
Zu Hause hatten sie Falks Eltern täuschen müssen. Geld für eine Fahrkarte? Unmöglich. Chico erfand eine kostenlose Fahrt mit einem von Holzkohle angefeuerten Lastwagen. Jener Herr Schulz nämlich war auch nach der Gründung der DDR im Schwarzmarktgeschäft seiner Frau geblieben. Gelegentlich durfte der trotz seines Buckels unauffällige Manfred Botendienste leisten, und von anderen Diensten weiß die Fama nichts. Nun aber ergab es sich, daß Herr Schulz nach Berlin mußte und sie mitnehmen würde. Ins Schiebergeschäft bei der Gelegenheit einzusteigen, erwog Chico, der beim Ausfeilen der Lügengeschichte vergaß, daß alles geflunkert war. Wer aber gab das Geld? Chicos Tante Teresa, schon immer für romantische Abenteuer zu haben, kalkulierte ihr Wirtschaftsgeld für den Monat und gab reichlich. Immerhin stand in den drei Vierteln der aufgeteilten Stadt der Kurs zur Westmark bei eins zu neun.
Auf dem Potsdamer Platz angekommen, entfaltete Falk den Stadtplan aus den zwanziger Jahren, den sein Vater ihm mitgegeben hatte. Potsdamer Platz, hatte er gesagt, das ist in etwa die Mitte der Stadt, obschon die Gelehrten sich streiten, ob diese in ihre Dörfer zerfallende Stadt eine Mitte haben kann. Gewiß ruht sie sozusagen auf den Säulen des Brandenburger Tors, und die Pferde der Quadriga sind wie jene antiken Rösser des Sonnengottes … Der Name fiel ihm nicht ein. Eine Weile überlegte er, ob er seinem Sohn von den genossenen Frivolitäten der zwanziger Jahre erzählen sollte. Er tat es nicht, im Beisein seiner Frau. Berlin, Berlin, sagte er, den Stadtplan überreichend, da lebt der Mensch gefährlich.
Über den leeren Platz fegte der Wind. Die umgebenden Häuser schienen im Horizont zu verschwinden. Falk orientierte sich am Verlauf der eingetragenen Straßen, Ku’damm, hatte Meile gesagt, fängt da an, da seid ihr mittendrin im Westen. Den Platz, kam man von der Leipziger Straße, säumten halb vermummte Gestalten, die Schiebermützen und Schlapphüte in die Stirn gezogen, die Hände gruben in den Taschen der abgetragenen Mäntel, die Militärmäntel gewesen waren, manche mit Einschußlöchern. Ich hatt’ einen Kameraden, einen beßren finst du nit … Die Münder raunten die Litanei des Tages: Ost gegen West, Ami Zigaretten, Mutter, der Mann mit dem Koks ist da. Geld regiert die Welt. Hier gab es nichts zu tauschen, keine Schwarzwälder Kuckucksuhren gegen Nylonstrümpfe, Spieluhren (Üb immer Treu und Redlichkeit) gegen einen Sack Kartoffeln. Knobelbecher gegen Straßenschuhe, echt Friedensware. (Die Länder öfter wechselnd als die Schuhe.) Amüsiert schauten die Wechselhändler auf die beiden mit ihrem Stadtplan. Von denen war nichts zu erwarten, nichts zu befürchten. Falk in seinem unschuldigen Hochmut sah an ihnen vorbei. Chico hörte zu, als der eine ihn französisch ansprach. Hielt er ihn für einen Landsmann? Rien ne va plus, sagte Chico, dem nichts anderes einfiel. In diesem Berliner Roulette hatte die französische Besatzung mehr historische denn aktuell politische Chips in der Hand. Die Hugenotten, das war einmal. Voltaire bei Friedrich dem Großen? Am Ende gab es Streit. Napoleon, hatte der nicht die Goldelse von ihrer Säule heruntergeholt, um sie sich in Paris als Konkubine ins Bett zu legen? In Indochina waren die Franzosen gerade dabei, den Krieg zu verlieren, und die Amerikaner wollten ihn nicht haben. In Berlin weihte General Clay die Freiheitsglocke ein, die das Schöneberger Rathaus zum Mittelpunkt der Freiheit machte. Ich verspreche, sagte die Glocke, jeden Angriff auf die Freie Welt … Not our boys? Die Glocke rief, als in Korea der 38. Breitengrad überschritten wurde und die kalte Grenze sich in die Feuerlinie für Koreaner, Chinesen und Amerikaner verwandelte. In Berlin dagegen, in diesen Oktobertagen, war es ungefährlich, beim Wechsel der Straßenseite seine Ansichten zu behalten oder zu ändern.
Falk drängte weiter. Hinein in die Schächte der Untergrundbahnen, hoch zu den Stadtbahnen, welche die zerrissene Stadt mit eiserner Klammer hielten. Nach dem lauernden Stillstand oben auf dem Platz tobte hier unten der Geist der Stadt mit Blitz und Donner. Er kuschte gleichsam unter den preußischen Kommandorufen ACHTUNG BEI DER ABFAHRT DES ZUGES LETZTER BAHNHOF IM DEMOKRATISCHEN SEKTOR … Die beiden Leipziger dachten an die Geisterbahn ihrer zurückgelassenen Kleinmesse. Ähnlich war auch hier diese Erwartung in der Magengrube zwischen Angst und Glücksgefühl Und wieso demokratischer Sektor? Als der Zug sich ins sonnige Oktoberlicht hob, öffnete sich der Vorhang und enthüllte die Kulissen einer paradiesischen Welt.
Vor die Ruine der Gedächtniskirche, den großräumigen Häusern aus Walter Benjamins Kindheit schoben sich die aus Las Vegas und vom Times Square hergezauberten Kulissen, THERE IS A FORD IN YOUR FUTURE und BECAUSE THIS PHILIP MORRIS HAS IT ins Deutsche gebracht, RAUCHE STAUNE GUTE LAUNE DER DUFT DER WEITEN WELT, ein VW Käfer für jedermann, der vertraute Kübelwagen zum Maikäfer gewandelt, und hatten sie nicht gerade erst ein paar Stationen von hier die letzten Meldungen vom Kartoffelkäfer gelesen, den die Amis über die Felder bei Borna und Borsdorf abwarfen? Die Provinzler, der Kartoffelkäferaktion zu Hause entronnen, eroberten mit ihren Blicken den Kurfürstendamm. Sie liefen langsam, außerdem waren sie hungrig und durstig. Die anderen Passanten hatten es eilig. Der nächste Ausverkauf, Billigverkauf, Sommerschlußverkauf wartete an der nächsten Ecke. Der Ku’damm tönte von den eisenbeschlagenen Schuhen, welche die Kreppsohlenschuhe der Nachkriegsjahre ablösten. Auf leisen Sohlen stahl man sich leichter aus der Verantwortung, falls da Schuld noch nicht abgetragen war nach der Entnazifizierungskampagne der westlichen Alliierten. Welche Schuhe die Regierenden in Bonn und in Pankow trugen, ist nicht überliefert.
Chico und Falk hörten auf das Stakkato der Schuhe wie auf ein Schlagzeugsolo, obschon es mehr an den Freudentanz eines Fred Astaire erinnerte. Chico blieb vor den Schuhgeschäften stehen, Falk drängte weiter. Dann standen sie lange vor Marga Schoellers Buchhandlung. Ullsteins Taschenbücher waren am billigsten. Keine Romane, protestierte Falk. Können wir zu Hause in der DB (Deutsche Bücherei) lesen. Aber nicht Gottfried Benn, sagte Chico.
Später, viel später, wenn Clara, Concha und ich, auf der Rentnerbank sitzend, diese Seiten durchblättern, schütteln wir die Köpfe. Zwei tumbe Toren auf Weltfahrt, und sie kommen sich vor wie im Märchen, picken die Rosinen aus dem Hexenhäuschen und übersehen die Zeichen der Zeit.
Welche denn? fragt Clara. Betäubt vom Duft von Peer King Size, können sie sich nicht entscheiden. Ost oder West? Ulbricht oder Adenauer?
Ich habe da nie gezweifelt, sagt Clara im Einvernehmen mit ihrer Schwester. Aber du.
Ich führe euch die beiden hier vor, sage ich, als den typischen Durchschnitt unserer Generation. Wie sie da durch die Stadt laufen, von Ost nach West, von West nach Ost, Alexanderplatz, Bahnhof Zoo, Amerikahaus, Badewanne … sie sind stets im Visier. Zwei sächsische Hasen, umstellt von Füchsen, Schakalen, Bären und Coyoten. Oder anders gesagt, die politischen Zuhälter stellen ihnen Fallen, damit sie sich zu ihren Gunsten prostituieren.
Ich meine, sagt Clara, sie hätten es einfacher haben können. Einer kleinen Nutte in ihren Diensten hätte der noch jungfräuliche Chico nicht widerstehen können. Bei Falk hätten sie ihm schon andere Geschenke machen müssen, etwa eine Plastik von Henry Moore. Falk scheute die Frauen. Oder anders gesagt, er hielt sie sich vom Leibe mit Hilfe der Kunst, etwa die Badenden in den Bildern des Zigeuner-Müller und anderer Dresdner Brücke-Maler. Und manche Frauen bei Picasso, zum Fürchten, Megären mit zwei Gesichtern und zwischen den Beinen die Zacken einer Säge. Kunst, hatte Paul Klee gesagt, gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar. Was also wollte uns Picasso sagen?
Einmal in der Stadtbahn konnte Chico nicht genug kriegen vom Anblick des Mädchens, das ihnen gegenübersaß. Aber das war noch ein Kind. Franziska (»Fränzi«), die laszive Kindsfrau auf einem Bild von Kirchner. Mit einem abwesenden Blick voll der Trauer, die nur ein Kind haben kann. Nichts half ihr der kesse Pferdeschwanz, nichts der Beutel mit den Ballettschuhen, sog. Schleppchen, die sie herzeigte wie den einzigen Daseinsgrund ihrer vermutlich neun oder zehn Jahre. Nach einer Weile gab sie den Blick zurück, vielleicht sagte sie, wat kiekst’n so … und der Satz hätte gereicht, daß Chicos unklare Gefühle vom Jargon der Stadt erledigt wurden. Für die nächsten acht Jahre vergaß er ihr Bild. Falk würde ihn noch eine Weile aufziehen mit diesem little girl aus der S-Bahn, dieser Tanzmaus, die wie Kirchners Fränzi aussah.
Die erste Nacht hätten sie fast auf der Straße verbringen müssen, da sie den Zettel mit Melles Vermittlung für ein Quartier nicht fanden. Das Kellerlokal »Badewanne« in der Nürnberger Straße war ihnen wichtiger. Sie tauchten ein, gegen fünfzig Pfennig West, ins Halbdunkel, in diesen Nebel aus Zigaretten, der sanften Musik des Rediske-Quartetts, den Synkopen des Pianisten (Alex Spychalski), der den Klavierdeckel zuknallte, wenn für seine Ohren der Schlagzeuger mit seinen Besen auf der High-Hat-Maschine lispelte, anstatt einen gehörigen Paratittle zu liefern zum Ostinato des Bassisten, den Kapriolen des Klarinettisten und zu Rediskes fein gehäkeltem Guitarrespiel. Von den Wänden lächelten zustimmend die Ikonen des Jazz, unverkennbar Satchmo und Dizzy und all die andern, die vermutlich auf der pay-list des CIA standen, um in der Frontstadt den Kommunismus aufzuhalten und after hours in der »Badewanne« aufzutreten. An der Bar lümmelten die Gis und schlugen den Takt. Freundliche Jungs, die nach den Restriktionen der ersten Nachkriegsjahre wieder mit den Deutschen fraternisieren durften. Und saß da nicht mit ihnen der buddhagesichtige Bully Buhlan, Berlins Schlagerstimme der freien Welt, so populär wie die Stimme der Kritik, bitte Herr Luft? Eine Kellnerin wies ihnen den Weg zu den zwei freien Stühlen und stellte ihnen die Cola hin, die es kostenlos zur Eintrittskarte gab. Sie brauchte nicht lange in ihre Gesichter zu schauen, um zu fragen: Aus ‚m Osten? Leipzig, sagte Chico, heute angekommen, und die Solidarität aller Sachsen auf dieser Welt war gewährleistet.
Kaum am Ziel ihrer Wünsche hatten sie schon eine Ariadne gefunden, die sie durch diese Unterwelt führen würde. Hunger? sagte sie, und ohne auf die Antwort zu warten, brachte sie zwei Bouletten. Dann Zigaretten, die schmeckten wie Kaugummi und Hustenbonbons. Falk verschluckte sich und drückte den Glimmstengel in den Aschenbecher. Dann hielt die Musik sie gefangen, der Pianist vor allem, der sie an Melle erinnerte, wenn der am Flügel in der Kongreßhalle (damals, als sie den Nachtwächter überlistet hatten) die Läufe eines Bud Powell oder George Shearing nachspielte.
Die Kellnerin schien an allen Tischen gleichzeitig aufzutauchen. Dann stand sie an der Bar, rauchte übertrieben schnell und ließ sich ein Glas spendieren. Schon war sie wieder bei ihnen und fragte: Habt ihr Quartier? Sie schüttelten den Kopf, wie ertappt. Die Kellnerin schrieb etwas auf die Rückseite eines Bierdeckels, den sie Chico ins Jackett steckte.
Speak English? fragte der Dicke, der von der Bar kam, in fatigues, der rötliche crew cut erinnerte an Borsten, und fast paßte auch der Name zu seiner Erscheinung: Hogg, stellte er sich vor, call me Bill. Hoggs Deutschkenntnisse halfen ihm, ihr Englisch zu deuten und sich selber zu erklären. Daß sie aus der Russischen Zone kamen, wußte er von der Kellnerin. Ob sie Lust hätten, ihn zu besuchen? Draußen in Zehlendorf, Argentinische Allee. Mittags im Amerikahaus, wo er beschäftigt sei, von da könne man zu ihm fahren. Übrigens sei seine Frau aus Puerto Rico, da könne er, Chico, spanisch mit ihr sprechen. Woher wußte er, daß Chico spanisch sprach? Falk hätte die Einladung lieber dankend abgelehnt, aber Chicos Neugier war größer.
* * *
Nach Mitternacht verließen sie das Lokal, winkten der Kellnerin zu wie einer alten Freundin. Mit Zigaretten der Marke Kool versehen, die Adresse einer Bleibe für die Nacht am Alex im Kopf, gingen sie los. Die kühle Nachtluft vertrieb den Mix aus Zigarettenqualm, süßherber Cola und sanftem Rediske-Sound. Die Straßen machten ihre eigene Musik, niemand schien je in dieser Stadt zu schlafen. Am Bahnhof Zoo umringten die Penner mit ihren Hunden einen Mann, der barfuß tanzte: er hatte seine Schuhe versetzt, im Spielcasino. Zu ihren Köpfen donnerte die Stadtbahn. Falk war dafür, den Weg zu Fuß zu machen, eine Stadt lernt man am besten mit den Füßen kennen. Eine Weile begleiteten sie die flackernden Lichtreklamen; dann verschluckten die Wasser des Landwehrkanals jedes Licht. Die Potsdamer Straße wäre endlos gewesen, wenn da nicht die Nachtclubs ihre Arme ausbreiteten, aus offenen Türen winkten, schwarze Gis den Blues improvisierten, called for you yesterday, here you come to-day … Sie blieben stehen und lauschten. Der Schwarze mit der MP-Binde schüttelte den Kopf, no entry, kids. Wo ich nicht bin, da ist das Glück, sagte Chico und betäubte die Müdigkeit mit einer zweiten Zigarette.
Alexanderplatz, und wo genau? Aber das war doch im sowjetischen Sektor? Niemand hielt sie auf, als sie das Brandenburger Tor erreichten und in die andere Welt eintauchten.
FREIE DEUTSCHE JUGEND stand über dem Eingang. Wieso eigentlich? Ein verschlafener Mann öffnete einen Türspalt, sie nannten den Namen der Kellnerin, Dorothea, der Mann öffnete die Tür, geht in Ordnung, sagte er und gab ihnen den Zimmerschlüssel. Ihre Ausweise behielt er ein.
Marschmusik und Gesang (Bau auf,...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Widmung
  4. Inhalt
  5. TEIL I. Genieße den Krieg
  6. TEIL II. Die Amerikaner kommen
  7. TEIL III. Die Grenze
  8. TEIL IV. Koda Pauline
  9. Dank
  10. Impressum