Das bittere Brot
eBook - ePub

Das bittere Brot

H.G. Adler, Elias Canetti und Franz Baermann Steiner im Londoner Exil

  1. 120 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Das bittere Brot

H.G. Adler, Elias Canetti und Franz Baermann Steiner im Londoner Exil

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Das Dreigestirn H.?G.?Adler, Elias Canetti und Franz Baermann Steiner gehört zu den interessantesten Exilgruppen der deutschen Nachkriegszeit. Sie schufen eine neue Form engagierter Dichtung, die zwischen Literatur und Politik agierte. Die prekäre Lage des Autors bildete die Basis des Selbstverständnis dieser drei, die es verstanden, trotz der Unterjochung, die sie erfuhren, die Gefahren der modernen Welt zu bannen. Man durchschaute das Grauen der Zeit. Man wehrte sich gegen die Attacken, welche das Jahrhundert mit sich brachte. Man war ausgeliefert. Man litt. Man verlor Identität und Heimat- und doch, man bediente sich der Sprache, um Grenzen auszuloten, Schrecken entgegenzuwirken und die Welt in neuer Form wiederherzustellen.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Das bittere Brot von Jeremy Adler im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literature & European Literary Collections. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Verlag
Wallstein
Jahr
2015
ISBN
9783835328952

II.

Das Dreigestirn H. G. Adler, Elias Canetti und Franz Baermann Steiner gehört zu den interessantesten Exilgruppen der deutschen Nachkriegszeit. Die Arbeiten der drei Freunde waren ungewöhnlich breit gefächert: Sie verfaßten Romane und Erzählungen, Dramen und Gedichte, Aufzeichnungen und Essays, und große wissenschaftliche Monographien. Was den Freundeskreis kennzeichnet, ist sowohl das erschütternde Schicksal der Einzelnen als auch ihre ständige Auseinandersetzung mit den sie bewegenden Fragen. Jeder war in seiner Weise ein Opfer. Jeder war in seiner Weise ein Zeuge. Jeder verstand es, seine demütigende Lage zu meistern. Denn man erfuhr die großen politischen Bewegungen am eigenen Leib und verstand es, diese in Worte zu fassen. Canetti nannte dies »das Jahrhundert an der Gurgel packen«. So entstand durch den Zeitbezug eine neue Form engagierter Dichtung, von drei Autoren gepflegt, die – so begriff es Adler – zwischen Literatur und Politik agierten: Man sei – so meinte dieser weiter – als Schriftsteller zugleich »ausgesetzt« und »gefährlich«. Die prekäre Lage des Autors war typisch für das Selbstverständnis dieser drei, die es verstanden, trotz der Unterjochung, die sie erfuhren, die Gefahren der modernen Welt zu bannen. Man durchschaute die Grauen der Zeit. Man wehrte sich gegen die Attacken, welche das Jahrhundert mit sich brachte. Man war ausgeliefert. Man litt. Man verlor Identität und Heimat – und doch, man bediente sich der Sprache, um Grenzen auszuloten, Schrecken entgegenzuwirken und die Welt in neuer Form wiederherzustellen. Gegen die modernen Wirren setzte man vor allem die althergebrachte Idee der Dichtung ein und stellte somit auch die eigene Persönlichkeit wieder her. Der Begriff des Dichters war zwar in Deutschland längst außer Mode gekommen, aber diese drei hielten sich an dem fest, was Canetti den »Beruf des Dichters« nannte. Nach Steiner sei der Dichter »der einzige Hüter der Mythen aller Völker«, Canetti griff diese Anschauung in seiner berühmten Formel auf, der Dichter sei der »Hüter der Verwandlung«, und Adler schrieb, der Dichter müsse seinen Stoff in die Dichtung »transponieren«. Für sie alle war Dichtung zugleich Mythos und Verwandlung: Canetti versuchte in moderner wissenschaftlicher Form mythisch zu denken; Steiner wollte das Heiligtum des Mythos bewahren; und Adler wollte das Mythische als Ausgangspunkt nehmen, um eine postrationale Epoche der Intuition einzuleiten. Dieser ungewöhnliche Bezug zum Mythos äußerte sich ferner im besagten Versuch, die Verirrungen der Moderne zu überwinden: Adler wandte sich gegen das, was er den mechanischen Materialismus nannte; Canetti wollte dem Bösen, das sich in der Macht ausdrückt, beikommen; und Steiners Bemühen richtete sich vornehmlich gegen die moderne Sklaverei.
Der Freundeskreis hatte diverse Berührungspunkte, allen voran der Wunsch, den jeder hegte, mit einer großen Monographie gegen die Untaten des zwanzigsten Jahrhunderts aufzutreten. Die Großform lag in der Natur des Projekts. So verlangte Adlers Wunsch, ein Konzentrationslager exemplarisch darzustellen, eine in viele Einzelheiten ausufernde Studie; Canettis Vorhaben, die Masse zu erfassen, bedurfte einer monumentalen Abhandlung; und Steiners Plan, die Sklaverei in all ihren Formen zu analysieren, brauchte eine große vergleichende Arbeit. Bei aller Verschiedenheit in Methode, Aufbau und Ausführung hatten die Projekte bedeutende Gemeinsamkeiten. Man wollte der Barbarei durch Kultur entgegentreten, auf die Vermassung der Gesellschaft durch Verständnis antworten und die Mechanisierung des Lebens durch organische Bildung dekonstruieren. Mit diesem Ziel waren die drei Freunde nicht allein.
Fast gleichzeitig mit Canettis Monographie Masse und Macht entstand die Massentheorie seines Freundes H. G. Adler im Aufsatz ›Mensch oder Masse?‹ (1958-1975), dem zufolge die Masse lediglich eine Fiktion sei, die es zu demaskieren gilt. Adlers Antwort auf die Hauptarbeit seines Freunds hätte kaum kritischer ausfallen können. Es ist zutiefst ironisch, daß Canettis Verehrer und guter Freund die Lehren seiner wichtigsten Arbeit so bitter bekämpfte.
Man hat diverse Eigenschaften als typisch für die moderne Massengesellschaft angesehen. Diese zeichnet sich durch das Wachstum der Bevölkerung und eine unübersehbare Anzahl von Menschen aus, in der sich der Einzelne zunehmend verliert. Herkömmliche Gemeinschaften gehen unter, die Bindungen zwischen Gruppen werden schwächer, und die Institution der Familie verliert an Wert und zerfällt. Die sozialen Gruppen, aus denen die Gesellschaft besteht, werden relativ undifferenziert, eine allgemeine Unpersönlichkeit breitet sich aus, es herrschen abstrakte Beziehungen zwischen Menschen. Man spricht dabei von einer »Atomisierung« der Gesellschaft, da die einzelnen Menschen nicht mehr durch traditionelle Formen aneinander gebunden sind. Im Gegenteil. Die Beziehungen zwischen Menschen pflegen anorganisch zu sein, und es herrschen wirtschaftliche eher denn menschliche Verbindungen vor, materialistische eher denn geistige. Das führt zu einem »Verlust der Mitte« und zu einem allgemeinen »Zerfall der Werte«. Die metaphysische Ordnung früherer Epochen zählt nicht mehr. An ihrer Stelle breiten sich Unordnung und Verwirrung aus, das Chaos droht ständig überhandzunehmen, und so ist die Massengesellschaft prinzipiell unstabil. Man muß nicht so weit gehen wie Theodor Geiger, doch hat seine Definition viel für sich: »So nennen wir Masse den von der destruktiv-revolutionär bewegten Vielheit getragenen Verband, für welchen es einen besonderen Namen bisher nicht gibt.« Jaspers hat mit besonderer Klarheit die Massengesellschaft in Die geistige Situation der Zeit (1931) dargestellt:
Der Mensch ist, wenn er als Masse da ist, doch in der Masse nicht mehr er selbst. Masse löst einerseits auf; in mir will etwas, was nicht ich bin. Masse isoliert andrerseits den Einzelnen zum Atom, das seiner Daseinsgier preisgegeben ist; es gilt die Fiktion der Gleichheit aller.
Die Masse ist »geistlos und unmenschlich«:
Sie ist Dasein ohne Existenz, Aberglaube ohne Glaube. Sie kann alles zertreten, hat die Tendenz, keine Selbständigkeit zu dulden und keine Größe, aber die Menschen zu züchten, daß sie zu Ameisen werden.
Es herrschen eine Tyrannei der Mehrheit, eine wuchernde Verwaltung und eine mächtige Bürokratie vor – die Macht läuft eher durch Tyrannei, Verwaltung und Bürokratie als durch die Organe der Zivilregierung. Besonders typisch ist das Entstehen einer medialen Wirklichkeit – durch Zeitungen, Radio, Fernsehen und Film, aber auch durch inszenierte Massenauftritte. Typisch für Massengesellschaften ist ferner das Entstehen von festen Ideologien, wobei die Verbreitung von Rassismus und Antisemitismus besonders virulent wird: Diese bieten nämlich dem verlorenen Einzelnen kräftige Identifikationsmöglichkeiten und ermöglichen ihm, einen Begriff von Wert und Identität wiederherzustellen. Schließlich führt die Unpersönlichkeit der Massengesellschaft zur Entfremdung, zur Wurzellosigkeit, zum Ausschluß aus der Gesellschaft und am Ende zur Vernichtung und zum Ausmerzen des Andersartigen.
Die moderne Auffassung der Masse stammt von Hegel. Zwar geht der Massenbegriff auf die Antike zurück – odi profanum vulgus et arceo –, doch wurde das heutige Verständnis der Masse zuerst durch die Französische Revolution eingeleitet. Hegel hat in aller Klarheit in den Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) den Unterschied zwischen »Volk« und »Masse« erfaßt:
Das Volk, ohne seinen Monarchen und die eben damit notwendig und unmittelbar zusammenhängende Gliederung des Ganzen genommen, ist eine formlose Masse, die kein Staat mehr ist und der keine der Bestimmungen, die nur in dem in sich geformten Ganzen vorhanden sind – Souveränität, Regierung, Gerichte, Obrigkeit, Stände und was es sei, mehr zukommt. Damit, daß solche auf eine Organisation, das Staatsleben, sich beziehende Momente in einem Volke hervortreten, hört es auf, dies unbestimmte Abstraktum zu sein, das in der bloß allgemeinen Vorstellung Volk heißt.
Hegels Satz darf als die klassische Formulierung vom Unterschied zwischen »Volk« und »Masse« gelten. Das Volk ist bloß eine »formlose Masse«, wenn soziale Einrichtungen wie Souveränität, Regierung, Gerichte, Obrigkeit und Stände fehlen. Hegels Definition hat einen durchaus objektiven Charakter, und hat den Vorteil, soziologisch ausgerichtet zu sein.
Für Adler beginnt das Massenerlebnis mit der Machtergreifung und gipfelt in seiner Inhaftierung in Theresienstadt und Auschwitz. Noch im Sinne des herkömmlichen Kulturpessimismus interpretiert er die Masse im Lager in seinem Theresienstadt-Buch als Ergebnis von Ideologien:
Der Nationalsozialismus verwandelte den Menschen aus einer zur Autonomie berufenen oder berufbaren Persönlichkeit bedenkenlos in einen behandelten Gegenstand. Darin war die nationalsozialistische Herrscherklasse unbedingte Anhängerin ihrer materialistisch denkenden und empfindenden Zeit, die schon vorher und auch außerhalb dieses Machtbereiches von Menschen und Völkern mit einem pseudokollektivistischen Ausdruck als von »Masse« zu reden wagte.
Die Behandlung der Menschen als Masse im Konzentrationslager bildet für Adler den Endpunkt einer Ideologie, die ihren Ursprung in der modernen Gesellschaft nimmt:
Von Menschen kann erst dann als Masse gesprochen werden, wenn der Begriff des organischen Lebens entwertet wird und verloren geht, so daß nur eine mechanische Anzahl erfahren wird, die dabei nicht definiert und weder in ihrer Vielfältigkeit noch in ihrer Größe bekannt ist. Masse als materialisierte Idee eines menschlichen Gruppengebildes gestattet dem aufmerksamen Bewußtsein nur Allgemeinurteile, Masse ist jenseits von menschenliebendem Erkennen und Empfinden, so wird sie gleichzeitig verschwommen unbestimmt und sachlich materiell, sie ist in einer sittlichen Skala nicht einmal mehr unwürdig, denn sie ist einfach nichtswürdig. Masse ist formlos, ihre jeweilige Form ist nur akzidentell.
Adlers Verständnis der Masse schließt sich an die herkömmlichen Interpretationen an, setzt aber neue Akzente. Der Kontrast zwischen einer organischen Form und einer als mechanisch verstandenen Masse erhellt den Unterschied zwischen einer gesellschaftlichen Ordnung und der Massengesellschaft, und das ethische Moment, das Adler einführt, erlaubt uns, die Situation nach klaren Richtlinien zu beurteilen. Die Masse im Lager ist lediglich das Produkt einer materialistischen Anschauungsform in der Gesellschaft:
Der Mensch als Masse tritt erst auf, wenn die Ordnung verletzt oder aufgegeben wird, die Unterordnung weder Recht verleiht noch vom Recht behütet wird, die Kultur sich auflöst, wenn der mechanische Materialismus gesiegt hat.
Der Prozeß, den Adler schildert, läßt sich durchaus als Kulturzerfall begreifen. In diesem Zerfall zerbricht das Klassensystem. Das Gesetz verliert seine Gültigkeit. Hannah Arendt – die Adlers Buch zitiert – führt das Geschehen näher aus:
Mit dem Wegfall der Klassenstruktur verwandelten sich die potentiellen, apathischen Mehrheiten, die bisher hinter jeder Partei gestanden hatten, in eine unorganisierte, unstrukturierte Masse verzweifelter und haßerfüllter Individuen, die nichts verband außer der allen gemeinsamen Einsicht, daß die Hoffnungen der Parteimitglieder auf die Wiederkehr der guten alten Zeit sich nicht erfüllen und daß sie jedenfalls diese Wiederkehr schwerlich erleben würden und daß daher diejenigen, welche bisher die Gemeinschaft vertreten und als ihre artikuliertesten und bestinformierten Glieder respektiert worden waren, in Wahrheit Narren waren, die sich mit den bestehenden Mächten verbündeten, um alle übrigen entweder aus schierer Dummheit oder aus schwindelhafter Gemeinheit in den Abgrund zu führen.
Adler teilt mit Hannah Arendt den Blickpunkt dessen, der im Nachhinein die Anatomie des totalitären Staates zu erklären bemüht ist. Spricht Arendt von Klassen, die zerfallen, so faßt Adler das Netz weiter auf, indem er von Ordnung, Gruppen und Strukturen schreibt. Im Aufsatz »Mensch oder Masse« heißt es:
Als Gesamtheit, als Vielzahl von Personen, als Gruppen werden Menschen nicht mehr aufgefaßt, im unpersönlichen Kollektiv sind alle ihrer wirklichen oder möglichen Individualität entkleidet. Es gibt keine alte Ordnung mehr, keine herkömmlichen Gruppen, keine Strukturierung, welche die Geborgenen davor bewahrt, zu einer »Masse« abzusinken, sondern alle zusammen, die Totalität der dem »Massenführer« ausgelieferten Menschen, werden als »Masse« subsumiert und in diesem Sinne auch neu strukturiert, so wie es im Regierungs- und Verwaltungsapparat jedes totalitären Regimes zu studieren ist. Keine bestehende Gruppe darf unangetastet bleiben, alle müssen aufgelöst, entweder »gleichgeschaltet« oder vernichtet werden.
Versteht Adler die Masse weitgehend negativ als Fehlen von traditionellen Einheiten – keine alte Ordnung, keine herkömmlichen Gruppen, keine Strukturierung –, so erkennt er doch die Eigenschaften einer modernen Gesellschaft an, indem er die Rolle der Regierung und der Verwaltung bei der Entstehung der Masse hervorhebt. Formlosigkeit der Masse heißt nicht Strukturlosigkeit. Adlers Theorie läßt sich in wenigen Worten zusammenfassen:
Ohne Ausschluß der Persönlichkeit gibt es unter menschlichen Gesellungen keine »Masse«. Etwas anders und noch kürzer gesagt: Persönlichkeit und Masse sind unvereinbar.
Die Zusammenfassung variiert die bekannte Definition Le Bons. Sprach dieser vom »Schwinden« der »bewußten Persönlichkeit« bei der Formation der Masse, so verknappt Adler die Begriffsbestimmung, um die Persönlichkeit als solche anzuvisieren.
Adler führt mit besonderer Klarheit und Knappheit vor, wie der Zerfall der Gesellschaft zur Vernichtung führt:
Ist Menschheit »Masse«, dann erstickt Mitleid und Verantwortung für eine gesellschaftliche Umwelt, weil jedem solidarischen Verhalten der Boden weggerissen wird. Jeder einzelne Mensch ist ein entpersönlichtes Objekt zur »Erfassung« in Rubriken geworden, in biologischen und ökonomischen Kategorien, in wissenschaftstrunkenen Wahnsystemen, die längst nicht mehr wissenschaftsgerecht sind. Der Mensch ist jedoch unwägbar, er kann keine Masse meßbarer Eigenschaften sein, soll er in dieser Verzauberung nicht zugrunde gehen oder wenn er, wie es im Zaubermärchen geschieht, von ihr nicht erlöst wird. Verfolgt man die moderne »Massenbehandlung« bis zur letzten Konsequenz, dann sind Zwangsarbeit, Sklaverei, Konzentrationslager, Gaskammern und andere Greuel fast natürliche Folgen.
Mit besonderer Deutlichkeit und vielleicht als erster erkennt Adler die grauenhafte Logik der Vermassung. Die moderne Massengesellschaft ist ein Wahnsystem, die den Einzelnen in den Tod verwaltet. So bedeutet das Konzentrationslager nicht eine Ausnahme, sondern eine natürliche Konsequenz der modernen Form der Gesellschaft. Trotzdem verschreibt sich Adler nicht dem Kulturpessimismus.
Die wichtigste Innovation in Adlers Theorie liegt aber in seinem Verständnis der Masse als einer Fikti...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. I
  6. II
  7. III
  8. Nachwort
  9. Literatur
  10. Dank