Der Prager Kreis
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Der Prager Kreis

Max Brod

  1. 344 Seiten
  2. German
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Der Prager Kreis

Max Brod

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Max Brod prägte den Begriff Prager Kreis für die Treffen mit seinen Schriftstellerkollegen und -freunden Oskar Baum, Felix Weltsch und Franz Kafka - später kam noch Ludwig Winder dazu. In seinem Erinnerungsbuch schreibt er nicht nur über diese Gruppe, sondern zieht größere Kreise, die alle wichtigen Prager deutschsprachigen Autoren umfassen. Es ist nicht zuletzt Max Brods Verdienst, dass die literarische Öffentlichkeit außer auf Kafka auch auf die anderen Prager deutschsprachigen Autoren blickt, auf diese kleine Welt innerhalb einer tschechischen Großstadt.

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Information

Verlag
Wallstein
Jahr
2016
ISBN
9783835329096

FÜNFTES KAPITEL
Der weitere Kreis
und seine Ausstrahlungen

Eine wichtige Bereicherung unseres Prager Daseins ist durch das Auftauchen Franz Werfels gekennzeichnet, der damals in der obersten Gymnasialklasse saß (nach österreichischer Zählweise: in der Oktava, der reichsdeutschen Oberprima entsprechend). Der junge Werfel hatte damals (1909) schon begonnen, die Weltfreund-Gedichte zu schreiben, die bald darauf seinen Rang als den eines der größten Lyriker seines Jahrhunderts sicherten.
Nach dem Weltkrieg traten seine ebenso bedeutsamen Romane und Essays dazu. Ganz zuletzt, nach dramatischen Versuchen von ungleichem Wert (die wundervolle Tragödie Juarez und Maximilan unter ihnen, in der Ernst Deutsch, sein Altersgenosse und Freund, exzellierte), ganz zuletzt erlangte er auch noch den in deutscher Sprache so raren Preis der guten Komödie – mit Jacobowski und der Oberst, dem geist- und kontrastreichen Stück, für dessen Durchsetzung in Israel ich wieder einiges tun konnte. Den Faden damit aufnehmend, den ich in früher Jugend fallen gelassen hatte, da meine Hilfe damals nicht mehr nötig war.
Doch ich bin den Ereignissen um ein ganzes Leben, um Werfels leider allzu knapp gezählte Jahre der erlebten Triumphe, weit, weit vorausgeeilt. – Als ich Werfel kennenlernte, hatte er noch keine Zeile veröffentlicht. Willy Haas, sein treuer Pylades und Mitschüler, brachte mir einige Gedichte Werfels, die mich sofort enthusiasmierten. Dann ihn selbst. Ich war, als Werfel (wie immer auswendig) seine Verse rezitierte, von stürmischer Bewunderung erfüllt. Mir schien es, als hätte ich soeben einen der Homeriden, einen göttlichen Rhapsoden vernommen, aus dem eine höhere Stimme sprach. – Werfel inzwischen hatte Mühe, seine Schularbeiten zu bewältigen und nicht durchzufallen (was ihm äußerst knapp gelang).
Aus dieser Zeit, in der Werfel tausend Ängste und Anfechtungen, meist leichtsinnigen Blutes, durchzumachen hatte, ist mir eine Anekdote im Gedächtnis geblieben, die der Schülerautor selber mit dramatischer Wucht vorzuführen liebte. – Werfel, dessen Familie sehr reich war (zum Unterschied von der meinen, recht mäßig ausgestatteten, wenn auch nicht dürftigen), Werfel hatte einen Hauslehrer; ein armer Lehramtskandidat erteilte ihm Nachhilfestunden und fristete davon vermutlich sein karges Leben. Werfels Mutter ging von Zeit zu Zeit in die Gymnasialdirektion, um sich nach den Fortschritten ihres Sohnes zu erkundigen. Der Hauslehrer fürchtete die (meist recht ungünstigen) Ergebnisse dieser Nachforschungen mehr als der Schüler. Er, der Lehrer, konnte ja entlassen werden, wenn der Erfolg ausblieb, und dann war’s aus mit dem schönen Posten; Franz selber hatte, auch wenn er durchkrachte, nicht gerade Enterbung zu befürchten. So saßen also wieder einmal Lehrer und Schüler im »Kinderzimmer« der Werfelschen Wohnung, während sich Mama Werfel auf den fatalen Weg zur Oberleitung begeben hatte. Der Kandidat schlotterte vor Angst und brachte, statt die Lektion durchzunehmen, den ärgsten Unsinn vor. Werfel wurde nicht müde, die Redeweise des Hauslehrers prächtig zu imitieren; der Lehrer stammte aus der Wiener Leopoldstadt, dem alten Judenviertel, und das bezeugte auch sein vertrackter Dialekt. – Jetzt hörte man draußen vom Stiegenhaus her die Türe ins Schloß fallen: Frau Werfel war von ihrer Exploration heimgekehrt. Der Lehrer seufzte tief auf: »Scho do« (= Schon da) – und dann nochmals ritardando, in tieferer Stimmlage, dumpfer: »Scho do«. Mit den tragischen Akzenten eines Verdischen Schicksalsspruches. – Werfel mußte uns das immer wieder vormachen. Er spielte es virtuos; wie viele komische Szenen aus seinem Umkreis. »Scho do« wurde unser Geheimwort für das unabwendbar hereinbrechende Verhängnis.
Ich glaube, daß es mir damals gelungen ist, meinen jungen Freund und Schützling über eine trübe Zeit gelinde hinwegzusteuern. Ich war um ganze sechs Jahre älter als er, war aus dem Ärgsten, aus Scylla und Charybdis der Jugend heraus, hatte schon einiges literarisches Ansehen erlangt. Sein Gedicht über die Prager Gärten, das ich an die Wiener »Zeit« geschickt hatte, wurde gedruckt – es war sein Debüt. Neulich hat auf Grund der Angaben in meiner Selbstbiographie eine ostdeutsche Literaturhistorikerin, Renate Saubert, Bibliothekarin der Deutschen Bücherei in Leipzig, dieses durch Jahrzehnte verschollene Gedicht wiederentdeckt. Es handelt sich, laut einem Brief, den mir die Bibliothekarin freundlicherweise geschrieben hat, eigentlich um zwei Gedichte, die gemeinsam unter dem Namen »Die Gärten der Stadt« am 23. Februar 1908 in der Sonntagsbeilage der Wiener »Zeit« erschienen sind. Werfel hat diese seine Erstveröffentlichung meines Wissens in keinen seiner Gedichtbände aufgenommen.
Werfel lernte durch mich meine besten Freunde Kafka und Weltsch kennen. Wir nahmen ihn mit auf unsere Wanderungen in die Prager Umgebung, in die tiefen, dunkelgrünen, duftenden Wälder von Všenor, Dobřichovice, in die Freibäder der böhmischen Flüsse und Bäche, ans Ufer der Sazava. Werfel brachte uns seinen Freund und Altersgenossen Ernst Deutsch, dessen künftigen Ruhm wir, von seinen privaten Rezitationen begeistert, bald zu ahnen begannen. Es wurde im »genialischen Treiben« viel gelacht, viel in Dithyramben deklamiert. Eine schöne Zeit. Es war unser »Ilmenau« – das Ilmenau der Prager deutschsprachigen Literatur. – Bis der scheußliche Krieg 1914 alles in Trümmer schlug.
Meine Freundschaft mit Werfel blieb, obwohl zeitweise durch ideologischen christlich-jüdischen Gegensatz ein wenig getrübt, bis an sein Lebensende bestehen, ja erfuhr gerade in seinen letzten Jahren einen neuen Aufschwung. Es gab immer wieder Leute, die Mißtrauen zwischen uns säen, uns auseinanderbringen wollten. Es gelang nie. Einen dieser wackeren would-be-Zwischenträger habe ich als »Professor Gestertag« in meinem Zauberreich der Liebe aufgespießt. Nichts Besonderes. Exemplare wie ihn findet man in jeder besseren Insektensammlung. Auch er hat an unserer, im Metaphysischen wurzelnden Freundschaft (so kann man sie wohl nennen) nicht das Geringste zu verhäßlichen vermocht.
Hier berühr ich dich. Dort wird’s gelingen,
Flamme, daß wir Flammen uns durchdringen.
Dumpfer Druck von Unempfindlichkeiten
Dünkt uns dann der Kuß aus Erdenzeiten.
Und ich brenne tief, was wir hier litten,
Dort im Geisterkuß dir abzubitten.
In Werfels schönstem Gedichtband Gedichte aus den Jahren 1908 bis 1945, den Alma Maria Mahler-Werfel 1946 als »Privatdruck der Pazifischen Presse« herausgegeben hat, finden sich diese Verse. Sie sind selbstverständlich nicht an mich gerichtet, sondern an eine Frau – wohl an seine Frau. Als ich sie aber las, nahm ich mir heraus, sie gleichnisweise und in ferner Anspielung auch auf uns beide, Werfel und mich, zu beziehen – und über ihnen zu weinen.
Ein wahres Dokument der Anhänglichkeit und Freundschaft, die Werfel für Kafka empfand, bildet der im folgenden abgedruckte Brief Werfels an mich; von diesem Brief habe ich einige Zeilen in meiner Kafka-Biographie gebracht – hier publiziere ich einen größeren Teil desselben Briefes. Werfel schrieb mir aus Venedig am 28. April 1924, also kurz vor Kafkas Hinscheiden, u. a. das Folgende:
»Ich bin drei Tage lang in Wien gewesen und habe alles mir mögliche getan, das Schicksal Kafkas zu erleichtern, d. h. ich habe befreundete Ärzte dringendst gebeten, sich seiner anzunehmen.
Kafka hat dringend gewünscht, daß ich nicht zu ihm komme, so bin ich einmal schon von der Spitaltür zurückgekehrt. –
Die Sache selbst ist nun so. Professor Hájek hat behauptet, es wäre für K. die einzige Möglichkeit, daß er im Spital bleibt, weil alle Heilbehelfe und Kurmöglichkeiten bei der Hand sind. Er hat sich geradezu gesträubt, ihn wegzulassen. – Meine Freundin Frau Dr. Bien hat mir versichert, daß er binnen kürzester Zeit ein eigenes Zimmer bekommen wird.
Wie mir aber Dr. Weltsch am Tag meiner Abreise erzählt hat, ist K. in ein Sanatorium in Klosterneuburg gebracht worden. Bitte schreib mir ein paar Zeilen, wie es ihm geht.
Das ist ein entsetzliches Unglück. Es geht mir nicht aus dem Kopf. Vielleicht ist es aber keine Kehlkopftuberkulose. Weltsch hat erzählt, daß K. relativ gut ausgesehen hat.
Ich bitte Dich nochmals um eine Nachricht. – Wenn ich etwas tun kann (Ärzte, Sanatorien), mach mich darauf aufmerksam.«
In den »Herder-Blättern«, die jetzt in einem von Rolf Italiaander edierten, tadellosen Faksimiledruck (siehe Bibliographie) vorliegen, ist zweifellos Werfel die zentrale Figur. Und neben ihm sein »alter ego«, der große Anreger und Organisator Willy Haas, der sich hier zum erstenmal als Redakteur wie auch als tief-gedankenreicher Essayist auszeichnete. Im ersten der vier Hefte (das letzte ist ein Doppelheft) publiziert er die bedeutsame Abhandlung Rationalistische und transzendente Morallehre. Im Anhang des Neudrucks 1961 läßt er sich auch über die pittoreske »Entstehung der Herder-Blätter« vernehmen.
Er berichtet, daß die »J. G. Herder-Vereinigung« ein Jugendverein war, den die jüdische Loge »Bne-Brith« in Prag gründete. Der Name wurde auf Antrag von Haas gewählt, weil Herder »alte jüdische Poesie geschätzt und übertragen hatte«. (Gemeint ist hier in erster Linie wohl Herders Essay Vom Geist der ebräischen Poesie.) Der Herder-Verein sollte der Loge einen Nachwuchs sichern (was allerdings nicht gelang, wohl auch gar nicht ernstlich angestrebt wurde). Der gegründete Verein ging nämlich sehr bald seine eigenen Wege, veranstaltete unter Leitung von Willy Haas viele Vorlesungen und Vorträge. Auch Kafka sagte zu, im Herder-Verein zu lesen. Diese Vorlesung, die einzige öffentliche Vorlesung, die Kafka in Prag, in einem mäßig großen Zimmer des Palace-Hotels hielt, fand dann wirklich auf Veranlassung des Herder-Vereins statt. – Haas erwähnt ferner als größte Veranstaltung des Herder-Vereins eine »Akademie« mit Hofmannsthal, Professor Oskar Bie und der Tänzerin Grete Wiesenthal, die im großen Saal auf der Sophien-Insel stattfand. Ich erinnere mich, daß Kafka und ich bei dieser Gelegenheit Hofmannsthal vorgestellt wurden, ohne daß wir beide vor lauter Verehrung für diesen großen Dichter auch nur den Mund zu öffnen wagten. Ich habe dann viele Jahre später mit Hofmannsthal in Salzburg einige Worte gewechselt, wie ich es in meinem Roman Mira beschreibe. Kafka ist nie wieder mit ihm zusammengetroffen. – Humorerfüllt ist, was Haas über die steten Geldnöte der von ihm und einem später verschollenen Dichter (Dr. Norbert Eisler) redigierten »Herder-Blätter« erzählt. Die erste Nummer wurde »prachtvoll« in der berühmten Leipziger Druckerei Poeschel und Trepte produziert. Dann ging das Geld aus. »Die folgenden Nummern, bei billigen Prager Druckern hergestellt, brachten wir durch einfache Bettelei, das heißt durch immer neue Geldforderungen an den ›Herder-Verein‹ zustande. Es gab da gewisse, keineswegs großartige, doch immerhin verfügbare Fonds, und der Präsident des Vereins, Schiffres, half uns, die kleinen Beträge zusammenzubringen. Ich fürchte, beträchtliche Honorare wurden von den ›Herder-Blättern‹ nicht bezahlt.« – Die Richtigkeit dieses letzteren Satzes kann ich, der in jedem der vier Hefte mit Beiträgen vertreten war, ehrlich bezeugen. Ich habe da nie auch nur einen Heller an Honorar bezogen. – Haas fährt fort: »Es war eine kleine Prager Winkeldruckerei, die diese Nummern druckte, in einem Keller. Der brave Besitzer und die Setzer waren durchweg Tschechen, die kaum Deutsch verstanden; das Korrekturlesen glich dem langsamen Vorgehen in einem unwegsamen und gefährlichen Dschungel. Und doch brachten es diese tüchtigen Menschen zustande, einen korrekten Text zu liefern, in einer Sprache, die sie nicht beherrschten … Wenn wir das Geld zusammen hatten, ließen wir eben eine neue Nummer drucken. Sie erschienen als eine Studentenzeitschrift, wie es deren Tausende gab und gibt. Doch es lebten zufällig zu dieser Zeit der junge Werfel, Franz Kafka, Max Brod, Max Mell, Robert Musil, Albert Ehrenstein, Ernst Blaß, Kurt Hiller und noch viele andere schreibende junge Menschen, und so wurden die ›Herder-Blätter‹ anders als andere Studentenzeitschriften um 1910.«
Ergänzend sei angeführt, daß unter diesen »jungen Menschen« außer den Genannten und solchen, deren Namen in den kommenden Sturmjahren untergingen, die folgenden in den Herder-Blättern zu Wort kamen: Hugo Bergmann – Franz Janowitz, der naiv-rustikale, kosmisch-trunkene Lyriker, ein nahezu noch kindlicher Jüngling, der gleich am Anfang des Krieges fiel – er wurde in den Herder-Blättern zum überhaupt erstenmal gedruckt, 1913 dann mit fünfzehn Gedichten in meiner »Arkadia«, noch später in einem von Karl Kraus herausgegebenen Buch. Er hätte sich, so scheint es mir manchmal, über uns alle hinausentwickelt, wenn er länger gelebt hätte. – Unter den andern Autoren findet man: Oskar Baum – Jules Laforgue (übersetzt von Otto Pick, der einer der rührigsten Mitarbeiter war) – zwei sehr schöne Gedichte von Paul Kuh (von dem ich überhaupt nichts weiß und dessen Name mir nie wieder begegnet ist) – Hans Janowitz, der wie sein Bruder Franz in dem tschechischen Landstädtchen Podiebrad auftauchte; später wurde er der Mitautor des Skripts zum Caligarifilm und auch sonst erfolgreich – Berthold Viertel – Robert Michel – Martin Beradt – Franz Blei (mit einem sonst unveröffentlichten, sehr gelungenen Operntext Scaramuccia auf Naxos) – Rudolf Fuchs – und der Herausgeber selber. Alles in allem: das Dokument einer reichen Zeit, die in großer geistiger Bewegung war.
Eine interessante Parallele und in gewissem Sinne eine Art Fortsetzung zu den Herder-Blättern bildet die 1917 von der »Selbstwehr« (Kaznelson) herausgegebene Sammelschrift Das jüdische Prag. Auch hier beteiligen sich Nichtjuden z. B. in essayistischer Form: Alfons Paquet, der Abgeordnete Engelbert Pernerstorfer, Hermann Bahr, Paul Leppin (Eine jüdische Kolonie). – Zeichnungen von Friedrich Feigl, Max Oppenheimer (Mopp), Jilovsky, Max Horb zieren das 56 gehaltvolle Seiten starke Heft, das heute sehr rar geworden ist. Kafka bringt den Erstdruck seines klagend-leuchtenden Prosastücks Ein Traum. Eine Zeichnung von Hermann Struck zeigt den freundlich dreinblickenden berühmten Prager Gettodichter S. Kohn, der sich auf seiner Visitenkarte »Verfasser des Gabriel« nannte, einer Erzählung, die in meiner jugendlichen Phantasie einst allerlei erotische Verwüstungen angerichtet hat. Weiter: Reproduktionen seltener alter Drucke und Photos. Eine fürchterliche Orgie des Prager jüdischen Selbsthasses hat Herbert von Fuchs, den Schwager Werfels und stürmischen Zionisten, zum Verfasser: Unsere tägliche Höllenfahrt. Beiträge des Philosophen Max Wertheimer, ferner von Březina (übersetzt von Otto Pick), Machar und anderen tschechischen Lyrikern –Rudolf Fuchs (Feuerfugen vor dem Volke Israel), Werfel, Else Lasker-Schüler (dieses farbenreiche, allerdings kriegerische Gedicht »Der alte Tempel in Prag« steht jetzt in der Gesamtausgabe ihrer Gedichte), Salus, Adler, Oskar Wiener, Auguste Hauschner, Ernst Weiß, Kornfeld und vielen anderen. Wertvolle historische Regesten aus dem Prager Jüdischen Archiv, über die Prager Flüchtlingsfürsorge. – Mit Rührung lese ich in einem Bericht von Dr. Theodor Weltsch, dem Vater Roberts, auch den Namen Adolf Brod, den Namen meines geliebten Vaters. –
Wir sind mitten im Krieg. Es folgten die sogenannten »goldenen Jahre«, das sind die zwanziger Jahre. »Golden?« Gegen diese Bezeichnung wurden mit Recht Einwände erhoben. Man hat darauf hingewiesen, daß in diesen Jahren doch auch schon die Weltverdunklung der dreißiger Jahre, die Hitlerei, vorbereitet wurde. Mein Freund Willy Haas hat in einem Essay behauptet, man habe in Berlin zwischen 1920 und 1930 gar nichts Neues hervorgebracht, sondern in einer Art von Alexandrinertum nur die Resultate vorangegangener Entwicklungen genossen. Das scheint mir allerdings zu weit gegangen. Und mag es etwa für Berlin zutreffen oder nicht, über dessen innere Kräfte ich mir kein Urteil zutraue (ich war nur hie und da als Gast dort): in Prag ist es jedenfalls anders zugegangen.
Prag war 1918 Hauptstadt des jungen Staates geworden, in dem die Tschechen nach drei Jahrhunderten immer ungeduldiger ertragener habsburgischer Herrschaft wieder zu selbständiger Regierung gelangt waren. Der Ausspruch Platons schien sich zu erfüllen oder doch in eine gewisse Annäherung gerückt zu sein, nach dem nur dann die irdischen Dinge richtig geordnet werden können, wenn Philosophen die Herrschaft ergriffen hätten oder Könige zu Philosophen würden. Alles schien damals neu zu beginnen. Der Philosoph Masaryk war Präsident. Er traf, wenn es nur irgend ging, an jedem Freitag in der Villa Karel Čapeks mit den führenden Geistern der Nation, mit einem ausgewählten Kreis von Dichtern und Philosophen zusammen (ich habe diesem intimen Zirkel nie angehört; wenn ich zu Privataudienzen zu Masaryk geladen wurde, so fanden diese in der Burg auf dem Hradschin statt). Im Kreis der »Freitagsmänner« (pátečníci, so wurden sie genannt) beteiligte sich Masaryk als Gleicher unter Gleichen an sozialpolitischen und kulturellen Diskussionen. So hat man mir erzählt. Von den Freitagsmännern gingen bedeutsame Anregungen aus, die teilweise in den Schriften von Professor Rádl und der Brüder Čapek, auch in einigen ihrer Science-fiction-Romane und Dramen hervorleuchten. Auch mit deutschen Gelehrten wie Professor Christian von Ehrenfels, einen der ursprünglichsten Denker aller Zeiten, und mit den Verwaltern des Husserlschen Nachlasses hielt Masaryk dauernd den Kontakt aufrecht. – Daß trotzdem viel Unrecht geschah, muß wohl der brüchigen Natur der Menschenseele und menschlicher Zustände zugutegehalten werden. Immerhin hatten wir stets die wache Hoffnung auf grundlegende Verbesserungen. –
Das gesellige und künstlerische Leben in Prag hatte damals etwas Charakteristisches: Die tschechischen und deutschen Kreise verkehrten wohl meist jeder für sich, in sich abgeschlossen. Es gab aber weitgehende Ausnahmen. In den letzten Jahren der ersten Republik besserte sich das Verhältnis, die Chinesische Mauer wurde durchbrochen. Berührungspunkte gab es ja viele. Es existierte ein »Gesellschaftlicher Klub« in einem Palais auf dem »Graben«, der beiden Sprachen offenstand und von der Regierung subventioniert wurde. – Ferner besuchten Deutsche die tschechischen Theater, Konzerte; u...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Erstes Kapitel: Ahnensaal. Versuch einer historischen Einordnung
  7. Zweites Kapitel: Die drittletzte Generation vor dem »engeren Prager Kreis«
  8. Drittes Kapitel: Die beiden letzten Halbgenerationen vor der Zeit des »engeren Prager Kreises«
  9. Viertes Kapitel: Der engere Kreis
  10. Fünftes Kapitel: Der weitere Kreis und seine Ausstrahlungen
  11. Bibliographie
  12. Nachwort (Steffen Höhne)
  13. Editorische Notiz
  14. Über den Autor
  15. Register
Zitierstile für Der Prager Kreis

APA 6 Citation

Brod, M. (2016). Der Prager Kreis ([edition unavailable]). Wallstein Verlag. Retrieved from https://www.perlego.com/book/1077536/der-prager-kreis-pdf (Original work published 2016)

Chicago Citation

Brod, Max. (2016) 2016. Der Prager Kreis. [Edition unavailable]. Wallstein Verlag. https://www.perlego.com/book/1077536/der-prager-kreis-pdf.

Harvard Citation

Brod, M. (2016) Der Prager Kreis. [edition unavailable]. Wallstein Verlag. Available at: https://www.perlego.com/book/1077536/der-prager-kreis-pdf (Accessed: 14 October 2022).

MLA 7 Citation

Brod, Max. Der Prager Kreis. [edition unavailable]. Wallstein Verlag, 2016. Web. 14 Oct. 2022.