Unter jeder Lampe gab es Tanz
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Unter jeder Lampe gab es Tanz

  1. 80 Seiten
  2. German
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Unter jeder Lampe gab es Tanz

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Über dieses Buch

Erstmals in Buchform: Vier Danksagungen von Marie-Luise Scherer für zuerkannte Preise, vor allem aber vier Prosakunststücke, in denen sie über ihr Leben erzählt.Marie-Luise Scherer hat ihr Schreiben einmal als Silbenarbeit bezeichnet; jeder Satz müsse passen wie ein Handschuh. Dieser höchste Anspruch an Beobachtungsgenauigkeit und Formulierungskunst mag eine Ursache dafür sein, dass wir heute so wenige Texte von ihr haben. Allerdings sind diejenigen, die sie denn doch zur Veröffentlichung freigegeben hat, auf allergrößte und anhaltende Bewunderung gestoßen. Leser, Schriftstellerkollegen, Literaturpreisjurys zeigten sich gleichermaßen fasziniert. So hat Marie-Luise Scherer in den letzten Jahren gleich mehrere renommierte Literaturpreise erhalten. Sie nutzte die Dankesreden, die ihr abverlangt wurden, für Prosastücke über die Menschen, die für ihr Leben wichtig waren und sind: über die Großeltern, die Eltern, familiäre häusliche Verhältnisse. Sie widmet sich dem sonst oft Übersehenen, unbedeutend Scheinendem, dem Kreatürlichen, den Tieren. Wie sie das zur Sprache bringt, ist einzigartig. Vier dieser Danksagungen nicht nur an die Preisgeber, sondern vor allem an die, von denen die Rede ist, versammelt dieser Band. Große Literatur.

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Information

Heinrich-Mann-Preis

Mit Blick auf die Bücher in meinem Arbeitszimmer – es wäre hochfahrend, dies Bibliothek zu nennen – hatte der Handwerker gefragt: »Und die haben Sie alle gelesen?«, worauf ich geantwortet hatte: »Nein, nicht alle!« Trotz dieser Einschränkung hörte er nicht auf zu staunen und sagte: »Das ist ja allerhand!«
Da wusste ich, wie sehr ich mit meiner Antwort übertrieben hatte, dass aus den beiden Wörtern »nicht alles« eine größere Büchermenge herauszuhören war, eine, die weit jenseits der Hälfte läge. Ich stellte mir dann vor, wie alle ungelesenen Bücher sich durch ein Blinklicht zu erkennen gäben. Was für ein Lichtgezeter in den Regalen! Wie inständig die Bücher um ihre Lektüre baten. Nur das Blinken des Stifterschen »Nachsommers« gab sich ermattet vom Warten, war nur noch schwaches Erzittern.
Vielleicht sind Illusionen unabdingbar für die seelische Gesundheit, da ich ja glaube, zumindest an beschwingteren Tagen, alle diese Bücher noch zu lesen. Dann vergesse selbst ich, die ich keine gebürtige Optimistin bin, dass meine Lebensmitte lange hinter mir liegt. Doch da sind die vielen anderen, der lebenszeitlichen Realität bewussten Tage, an denen die Bücherwand nur noch eine hochstapelnde Möblierung für mich ist. Sie füttert das Wissen um die kurze Zukunft.
An solchen Tagen, wenn dieses Wissen die Oberhand hat, empfinde ich sogar das Setzen einer Tulpenzwiebel als vermessen, da sie erst in einem fernen Frühling ihre Blüte treiben wird. Dann höre ich den Satz meiner Großmutter, wenn ihr die Ansammlung des Unnützen in ihrem Wohnzimmer, welches sie Stube nannte, in den Blick geriet: »Das kommt alles auf den Gemeindekarren!« – die spitze, spiralige, in jeder Windung zugestaubte Kerze in einem Kränzchen künstlicher Vergissmeinnicht, die nie in Gebrauch gelangenden Vasen auf dem hohen Schrank, die Sachen und Sächelchen hinter Vitrinenglas, knospenkleine Salzgefäße, der gehämmerte Tischhandfeger mit Schippe, die gehämmerte Manschette für die Maggiflasche, alles von niedrigstem Silbergehalt und braun angelaufen.
Keiner dieser Gegenstände wird sie je wirklich gefreut haben. Sie wird nur höfliche Empfängerin, eine wehrlos Beschenkte gewesen sein. Und in ihren dem Tod vorauseilenden Gedanken war all dieser Plunder schon abgeräumt. Sie stammte aus kleinbäuerlichen Verhältnissen, wo den Mädchen bis zur Einschulung die Köpfe geschoren wurden, weil der Mutter keine Zeit zum Zöpfeflechten blieb. Dort gab es keinen zweifelhaften Zierrat, nur dienliche Dinge, die von Natur aus ja nie hässlich sind. Sie gab sich rauh: »Kinderwille ist Kälberdreck!« war ihre ständige Rede.
Zu ihrer Zeit war das Wort kuscheln noch nicht geläufig und in ihrem Haus auch nicht die Tätigkeit, die dieses Wort beschreibt. Undenkbar die klebrige Bekundung Ich hab Dich lieb! Der Großvater wird ihr mal in die Nase gekniffen haben, und ihr werden wie beim Reiben eines Meerrettichs Tränen aufgestiegen sein. Es war kein Streicheln, was die geliebte Katze auf ihrem Schoß erfuhr. Sie hielt nur deren Kopf umkrallt samt den niedergedrückten Ohren.
Auf dem Radio stand ein Jugendfoto von mir, eine Atelieraufnahme mit retuschierten Augenbrauen. Für jedes Empfinden hätte dieser Ehrenplatz jedoch dem Foto meines Bruders gebührt, der kurz zuvor auf schreckliche Weise gestorben war. Als ich sie darauf ansprach, hatte sie schroff gesagt: »Dort hängen die Toten!«, und auf die Wand gewiesen mit den Weltkriegsgefallenen des Kaisers und denen des letzten Krieges, dazwischen mein Großvater bei einem Bergmannsumzug, den Bauch in eine Schärpe gedrückt; die Söhne: Karl, der zu Lebzeiten wenig beachtete Spätheimkehrer aus Sibirien mit den entblößten Zahnhälsen des Hungers; Albert, der depressive Landessieger für dreihundert Stenokürzel in der Minute; meine weich lächelnde Mutter, im Revers des Gabardinemantels einen gestreiften, zur Schleife gebundenen Schal, schließlich mein Vater, als er noch glaubte, die Welt erwarte ihn, mit spöttischem Mund und einem Nacken wie Erich von Stroheim.
Der Namensgeber eines Literaturpreises ist, bis auf wenige Ausnahmen, immer milchstraßenweit von seinem Empfänger entfernt. Ich denke an den schönen Satz der Bachmann, sie sei, Büchner betreffend, nicht würdig, sein Schuhband zu lösen. Und das mit ihrer Stimme, die selbst dem Verzicht auf diesen Vorgang noch Gebücktheit verlieh. Und welches Bild nehme ich, da man mir den Heinrich-Mann-Preis verliehen hat, um diese Ehre zu illustrieren? Ich könnte dem großen, in den Schatten seines Bruders gerückten Schriftsteller mit dem Unterarm über die Hutkrempe seines Homburgers wischen. Der Ort der Preisvergabe, die Akademie der Künste zu Berlin, fördert zudem ein Gefühl von Deplatziertheit.
Vor vierzig Jahren hatte ich in einem Grandhotel an der normannischen Küste übernachtet, in dem die Restbestände eines mondänen Lebens versteigert wurden. Presseleute aus vielen Regionen hatten sich eingefunden, doch außer mir kam niemand aus Berlin. Und da der Rezeptionist noch nichts von der Teilung Deutschlands gehört haben mochte, hatte er mir, sozusagen als Repräsentantin der Reichshauptstadt, das beste Zimmer zugewiesen.
Ich spürte gleich eine gewisse Spitzfingrigkeit des Gepäckträgers, der sich meines redlichen Koffers anzunehmen hatte, und er spürte meine Beklommenheit, als ich das Zimmer betrat. Es war ganz mit blauem Kattun ausgeschlagen, und das Kopfende des Bettes trug eine Housse aus weißem Piqué, was ich als Maßnahme gegen pomadisierte Köpfe begriff. Laken und Bezüge aus blauer Seide. Auf dem großen Kissen ein Stapel immer kleiner werdender Kissen, eine aufsteigende Kaskade, an der man sitzend hätte schlafen können. Oder man hätte sich die kleinen Kissen um den Kopf packen können, als sei er ein Schmuckstück im geplusterten Futteral eines Etuis. Am Abend war das elegante Bett dann aufgeschlagen und über den getürmten Kissen mein Nachthemd ausgebreitet, trotz seiner mäßigen Weite auf Taille gerafft. Es passte nicht zu diesem Bett. Ich fand es erbarmungslos vorgeführt und dachte an den Abstoßungsprozess von implantierter Haut.
Wie jeder, der noch lebt, weiß ich nichts vom Tod, bin aber ständig mit ihm befasst. Bei jeder Zigarette rechne ich mit seiner Ungeduld und habe soweit alles geregelt, auch den Verbleib meines frisch geimpften Hundes. Ich habe mein Grab schon bezahlt für dreißig Jahre Liegedauer. Solange es noch leer ist, überweise ich dem Friedhofsamt 47 Euro zum 1. Dezember. Und manchmal hetzt mich dieses Grab, zur Sache zu kommen. Das der Beerdigung folgende Kaffeetrinken ist ebenfalls schriftlich festgelegt. Und wenn ich mich nicht genierte vor dem Rechtsanwalt, der sich auf mein Testament eingelassen hat und geduldig bleibt bei meinem häufigen Sinneswandel, würde ich gerne noch verfügen, zu den Mettbrötchen beim gemütlichen Teil auf dem Saal mehr Zwiebeln zu reichen.
Inzwischen trainiere ich die Gelassenheit meiner Großmutter, die ihr Zeug dem Gemeindekarren zuerkannte. Denn ich habe auch viel Zeug, bin manchem aber mehr verhaftet, ihrem Kochlöffel etwa, der vom Rühren schwarz und klein geworden ist, dazu leicht abgeschrägt wie das Ohr meiner Mischlingshündin. Auch dem Brillenetui meines Vaters aus makrelenartig satiniertem Metall; dem stumpf zertippte...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Ludwig-Börne-Preis
  4. Italo-Svevo-Preis
  5. Heinrich-Mann-Preis
  6. Kunstpreis des Saarlandes
  7. Nachweis der Erstdrucke
  8. Inhalt
  9. Impressum