Schuld und Schulden
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Schuld und Schulden

Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945

  1. 543 Seiten
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Schuld und Schulden

Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945

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Über dieses Buch

Die Entschädigung der Verfolgten des Nationalsozialismus bildet einen zentralen Aspekt der Auseinandersetzung mit dem "Dritten Reich" nach 1945. Zudem hat sich die Wiedergutmachung für NS-Verfolgte mehr und mehr zu einem internationalen Präzedenzfall für andere Versuche, die Folgen von Diktaturen und staatlichen Gewaltverbrechen zu bewältigen, entwickelt. Das Thema ist deshalb nicht allein wichtig im Hinblick auf die Frage nach dem Umgang der Deutschen mit Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, sondern auch für die Entwicklung globaler Maßstäbe im Umgang mit historischem Unrecht. In dieser Studie wird erstmals die Politik der Wiedergutmachung in der alten und neuen Bundesrepublik sowie in der DDR umfassend dargestellt. Der Bogen reicht von ersten schon während des Krieges einsetzenden Überlegungen zur Entschädigung der Verfolgten bis zur Etablierung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", mit der seit 2000 endlich auch die osteuropäischen Zwangsarbeiter entschädigt werden. Somit untersucht Constantin Goschler die Wiedergutmachung gleichermaßen unter dem Gesichtspunkt der prägenden Bedingungen des Kalten Krieges wie unter dem seiner Überwindung. Welche allgemeine Bedeutung für den Umgang mit den Betroffenen staatlicher Großverbrechen besitzt also der in Deutschland unternommene Versuch, den NS-Verfolgten im Medium materieller Entschädigung zu begegnen? Im Mittelpunkt dieser Studie steht damit das Spannungsverhältnis von moralischer Schuld und materiellen Schulden.

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Information

Verlag
Wallstein
Jahr
2013
ISBN
9783835325197

III. Wiedergutmachung im westdeutschen
Wiederaufbau (1949-1957)

1. Ein bockendes Volk und die verordnete Versöhnung
In den Jahren 1949 bis 1957 veränderten sich in der Bundesrepublik die Voraussetzungen der Politik der Wiedergutmachung in grundsätzlicher Weise: Erstens rückte sie aus dem Bezugsrahmen der Besatzungsherrschaft in den des Weststaats und der Westintegration. Die drei westlichen Alliierten wollten nicht mehr länger von Wiedergutmachungslobbyisten bedrängt werden, war damit doch stets die Gefahr verbunden, politische und finanzielle Mitverantwortung übernehmen zu müssen. Deshalb zogen sie sich aus diesem Politikfeld schrittweise zurück. Im Zuge der Verhandlungen über den Deutschlandvertrag gaben die Alliierten so im Bereich der Wiedergutmachung ihre bislang dominierende Stellung auf, nicht ohne im Gegenzug zuvor noch wichtige Eckdaten für den weiteren Ausbau der Rückerstattung und Entschädigung festgelegt zu haben.1
Zweitens veränderte sich die Interessenvertretung der NS-Verfolgten. Anfang der fünfziger Jahre entstand jene Konstellation, die im Grunde bis in die achtziger Jahre hinein fortbestand. Zwei Hauptgruppen lassen sich unterscheiden: zum einen die jüdischen und zum anderen alle übrigen Verfolgten, von denen vor allem die deutschen politisch Verfolgten wenigstens anfänglich eine wichtige Rolle gespielt hatten. Die deutschen Verfolgtenverbände hatten sich jedoch bereits in den späten vierziger Jahren zersplittert und dadurch erheblich an politischem Einfluss verloren. Bereits 1948 hatten sich die Sozialdemokraten aus der zunehmend unter kommunistische Dominanz geratenen VVN zurückgezogen und mit der »Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten« ihre eigene Vertretung gegründet. Im Februar 1950 kam es mit dem »Bund der Verfolgten des Naziregimes« (BVN) zu einer weiteren antikommunistischen Gegengründung. Scharfe staatliche Maßnahmen gegen die VVN drängten diese dann seit 1950 zunehmend ins gesellschaftliche und politische Abseits. Dazu gehörte ein in demselben Jahr ausgesprochenes Berufsverbot für VVN-Mitglieder im öffentlichen Dienst.2 Dies wirkte sich insofern auch auf die Durchführung der Wiedergutmachung aus, als viele Mitarbeiter der Entschädigungsbehörden der VVN angehörten. Während für die Fragmentierung der politisch Verfolgten letztlich der Kontext des Kalten Krieges ausschlaggebend war, resultierte die Marginalisierung anderer deutscher Verfolgtengruppen in erster Linie aus fortwirkenden gesellschaftlichen Vorurteilen, die einer Selbstorganisation von »Zigeunern«, Zwangssterilisierten, Homosexuellen und anderen im Wege stand. Viele NS-Verfolgte blieben deshalb für Jahrzehnte ohne öffentliche Stimme.
Demgegenüber gelang es der jüdischen Seite, trotz zahlreicher innerer Gegensätze nach außen hin große Geschlossenheit in der Wiedergutmachungsfrage an den Tag zu legen. Zum einen betrachtete sich der 1948 gegründete Staat Israel als jüdische Gesamtvertretung. Zum anderen vertrat die im Oktober 1951 gegründete Claims Conference die Interessen der Diaspora-Juden, die nicht bereit waren, sich dem israelischen Alleinvertretungsanspruch völlig unterzuordnen. Bei ihr handelte es sich um einen Zusammenschluss nach amerikanischem Recht von zunächst 22 jüdischen Organisationen aus aller Welt. Diese Gründung kam auch Adenauers Wunsch nach einem zentralen jüdischen Ansprechpartner entgegen, wollte er doch nicht in die internen jüdischen Auseinandersetzungen hineingezogen werden.3 Die Claims Conference, an deren Spitze bis 1982 Nahum Goldmann stand, war freilich weniger eine Verfolgtenorganisation als eine jüdische Interessenvertretung, welche sich bis zum heutigen Tag für die Wiedergutmachung jüdischer Verfolgte engagiert. Als solche profitierte sie in gewisser Weise von dem in den in deutschen Köpfen herumspukenden Mythos der »Macht des Weltjudentums«, der ihr mehr politischen Einfluss zusprach, als ihr tatsächlich zukam. Ihre privilegierte Rolle bei der Durchführung der deutschen Wiedergutmachung wurde schließlich auch 1952 in Luxemburg vertraglich verankert.
Wiedergutmachungsfragen hatten auch maßgeblich zu der 1950 erfolgten Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland beigetragen.4 Der Zentralrat war zwar Mitglied der Claims Conference, doch war das Verhältnis beider Organisationen zueinander phasenweise äußerst gespannt. Die Hauptdifferenzen erwuchsen aus den unterschiedlichen Vorstellungen darüber, inwieweit die auf deutschem Boden nach 1945 wiedererstandenen jüdischen Gemeinden legitime Nachfolger der Vorkriegsgemeinden waren.5 Als dritte Partei konkurrierten schließlich auch die emigrierten deutschen Juden um das Erbe der deutschen jüdischen Vorkriegsgemeinden, zumal die jüdischen Nachkriegsgemeinden in Deutschland zu einem erheblichen Teil aus osteuropäischen Einwanderern bestanden. Alles in allem erlangten aber andere ausländische jüdische und nichtjüdische Verfolgtenorganisationen außerhalb der Claims Conference, so etwa die »Axis Victims League« und die »American Association of Former European Jurists«, auf diesem politischen Feld nur wenig Bedeutung.6
Hinzu kommt drittens das gewandelte Gewicht der Parlamente, der Parteien und der Öffentlichkeit für die Wiedergutmachungsfrage. Prägend war zunächst der nach Gründung der Bundesrepublik entstehende Dualismus zwischen Bund und Ländern, die sich auch die Finanzierung dieser Aufgabe teilten – was oft zu Streit führte. Die Länder, die ihre Tätigkeit in einer interministeriellen Arbeitsgemeinschaft beziehungsweise seit 1951 in der Konferenz der Obersten Wiedergutmachungsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland koordinierten, waren für die Durchführung der Entschädigungsgesetzgebung zuständig. Ihnen wurden jeweils die Anträge derjenigen NS-Verfolgten mit territorialem Bezug zu ihrem Bundesland sowie bestimmte überregionale Gruppen zur Bearbeitung zugewiesen.7 Die föderalistische Struktur der Entschädigungspraxis führte freilich zu erheblichen Unterschieden in der Anerkennungspraxis.8 Der Bund war dagegen hauptverantwortlich für den Ausbau der Wiedergutmachungsgesetzgebung. Anders als beim Lastenausgleich existierte keine zentrale Verwaltung für den Bereich der Wiedergutmachung. Adenauers Anregung, beim Bundesinnenministerium ein Referat für jüdische Angelegenheiten einzurichten, wurde vom Zentralrat der Juden in Deutschland abgelehnt, da dies allzu sehr nach einem »Judenreferat« klang,9 und so wurden die Wiedergutmachungsangelegenheiten auf verschiedene Bundesressorts verteilt. Die in der Besatzungszeit noch in der Schwebe gehaltene Entscheidung über die Federführung bei der Wiedergutmachung wurde nun zugunsten des Bundesfinanzministeriums entschieden, und folglich gewannen künftig vor allem fiskalische Gesichtspunkte die Oberhand.
Im Bundestag wurden Wiedergutmachungsfragen zunächst vor allem im Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht behandelt, bis dann 1955 ein eigener Bundestagsausschuss für die Wiedergutmachung etabliert wurde, der in den kommenden Jahren zum Zentrum der legislativen Vorhaben auf diesem Gebiet wurde. Dieser Ausschuss war zugleich der wichtigste Ort einer überparteilichen parlamentarischen Konsenskultur, die sich in den fünfziger Jahren in dieser Frage entwickelte. Das dort kultivierte metapolitische Selbstverständnis basierte darauf, »daß im Ausschuß für Wiedergutmachung kein Interessenvertreter sitze und der Ausschuß seine Arbeit nur vom Standpunkt der Gerechtigkeit, des Anstandes und im Hinblick auf den Nutzeffekt leiste«.10
Der Bundestag wurde zum Ziel vielfältiger lobbyistischer Vorstöße, sei es von Verfolgtenverbänden oder auch von Vereinigungen der Rückerstattungsgeschädigten, in denen sich die deutschen Restitutionspflichtigen zusammengeschlossen hatten. Seit 1949 war die Wiedergutmachung immer wieder Gegenstand parlamentarischer Beratungen und öffentlicher Kontroversen, was vor allem die US-Militärregierung bis 1949 wiederholt zu verhindern gewusst hatte. Als Kehrseite der Parlamentarisierung der Wiedergutmachung geriet diese vermehrt in Konkurrenz zu den Ansprüchen anderer Kriegsopfer. Aber obwohl nach der Gründung der Bundesrepublik der Faktor »öffentliche Meinung« insgesamt ein größeres Gewicht im politischen Prozess erhielt, blieb die Wiedergutmachung ein Gebiet, auf dem die Parteien so weit als möglich an der Öffentlichkeit vorbei agierten, da Leistungen für NS-Verfolgte wenig populär waren.
An der Wende von den vierziger zu den fünfziger Jahren änderte sich das gesellschaftliche Klima beim Umgang mit den NS-Verfolgten in der Bundesrepublik. Während die gesetzlichen Wiedergutmachungsmaßnahmen der Länder gerade erst anliefen, wurden die den Verfolgten anfänglich gewährten Privilegien immer stärker bestritten, gleich ob es um Wohnungen, Arbeitsplätze oder um die Regelungen für bezahlten Sonderurlaub ging. So beklagte sich der Vorsitzende der christlichen Hilfsstelle für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens, M. Mayer, bereits Anfang 1949: »Wir sind heute bereits wieder so weit, daß während überzeugteste Nazis, mit breitem Lächeln von den sicheren Warten bester Stellen aus, ihre umbuhlte Gunst verteilen, der rassisch Verfolgte seinen Arbeitsplatz wieder verlassen muß, um zu weichen vor den zurückkehrenden Nazis.«11 In der frühen Bundesrepublik wurde die Privilegierung besonderer gesellschaftlicher Gruppen zunehmend als unvereinbar mit dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes betrachtet. Wichtiger war jedoch, dass die Festschreibung einer Gruppe von NS-Opfern im Umkehrschluss die Gruppe der »Nazis« definierte – wogegen sich eine breite Mehrheit der deutschen Bevölkerung und Politik sperrte. Die Rolle der Verfolgten als Integrationshindernis für NS-belastete Gruppen in der deutschen Gesellschaft wurde im Zeichen wachsender vergangenheitspolitischer Bemühungen um eine Beendigung beziehungsweise Rückgängigmachung der politischen Säuberung12 mehr und mehr zum Problem. Gefordert wurde ein Ende jener politischen Säuberungsmaßnahmen, die zum Kern einer ihrem Wesen nach stets zeitlich begrenzten transitional justice gehören. So kollidierten in der politischen Auseinandersetzung der frühen Bundesrepublik die Forderung nach Integration der ehemaligen Nationalsozialisten (die vor allem von konservativer Seite verlangt wurde) mit der nach Gerechtigkeit für NS-Verfolgte – dies vor allem ein Anliegen der Sozialdemokratie.13
Auch im Bereich der politischen Symbolik zeigte sich die veränderte Stellung der NS-Verfolgten in der deutschen Gesellschaft: Seit 1946 war überall in Deutschland und auch international am zweiten Sonntag im September der »Tag der Opfer des Faschismus« begangen worden. Noch 1949 beteiligten sich in Westdeutschland hochrangige staatliche Vertreter an diesem Gedenktag und gewährten offizielle Unterstützung. An der Schwelle zu den fünfziger Jahren schlug diese Haltung jedoch um: So regte Bundesinnenminister Gustav Heinemann im Herbst 1950 an, den Gedenktag für die Opfer des Faschismus »wegen gemeindlicher Feste oder lokaler Feiern im Interesse der Belebung des Fremdenverkehrs« in den Spätherbst zu verlegen.14 Tatsächlich ging es Heinemann jedoch darum, diesen Gedenktag umzuwidmen und zugleich auch die Kriegsopfer einzuschließen.15 Damit stand er keineswegs allein: So weitete der bayerische Landtagspräsident Georg Stang am 24. April 1951 bei seiner Gedenkrede im Bayerischen Landtag anlässlich des 6. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau diese »Gedächtnisstunde an die Opfer des Faschismus« aus zu einem Gedenken an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten, an die Opfer des Bombenkrieges sowie die Flüchtlinge und Vertriebenen. Und so ma...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung
  6. I. Die Anfänge der Entschädigungsdiskussion bis zum Kriegsende
  7. II. NS-Verfolgte unter alliierter Besatzung (1945-1949)
  8. III. Wiedergutmachung im westdeutschen Wiederaufbau (1949-1957)
  9. IV. Das »Ende der Nachkriegszeit« (1958-1965)
  10. V. Im Schatten von sozialliberaler Reform und »geistig-moralischer Wende« (1966-1990)
  11. VI. Wiedergutmachung in der DDR (1949-1989)
  12. VII. Die Berliner Republik und das Erbe der NS-Verfolgung (1990-2000)
  13. VIII. Fazit: Die Politik der Wiedergutmachung als Medium historischer Gerechtigkeit
  14. Dank
  15. Anhang