Den Holocaust beschreiben
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Den Holocaust beschreiben

Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte

  1. 173 Seiten
  2. German
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Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Saul Friedländer hat mit seiner zweibändigen Darstellung über "Das Dritte Reich und die Juden" im vergangenen Jahr ein vielfach preisgekröntes historiographisches Meisterwerk veröffentlicht. Der hier vorgelegte Band dokumentiert seine öffentlichen Vorträge und Gespräche als erster Gastprofessor des Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach den Quellen, der Methodik und den Perspektiven der Holocaustforschung. Aufschlussreiche Diskussionen mit Kollegen und Nachwuchsforschern bieten darüber hinaus neue Einblicke in die Biographie Saul Friedländers, der versteckt in einer Klosterschule in Frankreich den Holocaust überlebte.

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Information

Verlag
Wallstein
Jahr
2013
ISBN
9783835325180

»Das Primärgefühl der Fassungslosigkeit bewahren«

Saul Friedländer im Gespräch

Herr Friedländer, die Forschungen über den Holocaust nehmen einen wesentlichen Teil Ihres wissenschaftlichen Werkes ein, allein an Ihrer jetzt abgeschlossenen Gesamtdarstellung über »Das Dritte Reich und die Juden« haben Sie rund 16 Jahre gearbeitet. Sie befinden sich dabei in einer Doppelrolle: als Forscher und als Überlebender des Holocaust. Ihre Biographie wurde dadurch in mehrfacher Hinsicht geprägt. Erlauben Sie uns darum bitte zunächst einige lebensgeschichtliche Fragen: Wann haben Sie in Ihrem Leben zum ersten Mal gespürt, daß Ihre Herkunft für Sie lebensbedrohlich ist?
Das Lebensbedrohliche spürte ich erstmals in Prag, dort bin ich ja geboren. Als wir 1939 zur Flucht nach Frankreich aufgebrochen sind, erklärte mir mein Vater recht allgemein, warum wir fortmüßten. Er sagte es nicht deutlich, aber mir war klar: Jetzt ändert sich das gesamte Leben. Meine Eltern flüchteten nach Frankreich, ein Teil unserer Familie – eine Großmutter und ein Onkel – ging nach Schweden, ein anderer Teil war schon in Palästina.
Als wir in Paris ankamen, herrschte noch Frieden, dann aber erfolgte der deutsche Angriff auf Polen. In Frankreich blieb zwar alles ruhig, und es passierte nicht viel. Ich kam aber in ein Kinderheim, was für mich entscheidend war, weil ich als Siebenjähriger von meinen Eltern getrennt wurde. Ich spürte eine vage Bedrohung. Von Paris flüchteten wir später in eine Kleinstadt im unbesetzten Frankreich (Néris-les-Bains), in der das Leben für alle jüdischen Emigranten und Flüchtlinge schon sehr schwierig war, Hunderte Juden waren dort. Sie hatten sich in diesem Kurort in leere Pensionen eingemietet; die Atmosphäre war sehr aufgeladen, und das steigerte sich immer mehr – von Stufe zu Stufe.
Das heißt, die Bedrohung wurde auch für Sie als Kind immer spürbarer ...
Ja. An den Moment, als ich spürte, daß die Situation nun mehr als bedrohlich war, kann ich mich noch ganz genau erinnern: Es war am 8. August 1942, als die Razzien in »Vichy-Frankreich« anfingen. Meine Eltern waren in Panik und schickten mich weit weg in ein jüdisches Kinderheim auf dem Lande. Ich kam am 8. August zusammen mit einem französischen Christen in dem Heim an. Er fuhr sogleich zurück, und ich blieb bei den anderen Kindern. Es war ein wunderschöner Sommertag, gerade fand ein Turnfest statt. Als ich am Abend in mein neues Bett ging, fühlte ich mich eigentlich wohl, doch plötzlich wurde ich aus dem Schlaf gerissen. Es war zwei Uhr in der Nacht, und im Heim herrschte großer Lärm, alle Kinder mußten aufstehen und in die Lobby gehen. Vor der Tür hörten wir die Motoren von Lastwagen, und dann kam die Gendarmerie – mit Helmen auf dem Kopf. Alle Kinder über zehn Jahre wurden mitgenommen; ich selbst war damals gerade zwei Monate vor meinem zehnten Geburtstag.
Vor Einbruch der folgenden Nacht haben wir alle das Heim verlassen, alle Kinder, auch die kleinen. Alle, die etwas älter waren, so wie ich, hatten noch ein kleineres Kind an der Hand. Zunächst haben wir in einem Raum gewartet, dann öffnete sich die Tür, und eine Frau kam herein, eine Mitarbeiterin des Heimes. Was dann geschah, werde ich nie vergessen. Ich werde bald 75 Jahre alt, aber dieses Bild bleibt immer: Sie ist einfach auf den Boden gefallen, zusammengebrochen. Sie ist in Ohnmacht gefallen oder hat vielleicht einen Herzschlag bekommen, als sie uns Kinder da stehen sah. Wir gingen schließlich in den Wald und schliefen auch dort. Am nächsten Tag kehrten wir vorsichtig zurück. Und da kam jemand, der mich aus dem Kinderheim wegnahm. Meine Eltern waren inzwischen darüber informiert, was geschehen war, und ein paar Tage später hat man mich in die Klosterschule gebracht. Dort blieb ich bis zum Kriegsende und wurde zum Katholiken erzogen.
Welche Erinnerung haben Sie an das Kriegsende? Mit welchem Gefühl haben Sie es erlebt?
Als die Kapitulation bekanntgegeben wurde, jubelten die Menschen auf den Straßen. Die Nonnen in meiner Schule jubelten allerdings nicht. Sie sympathisierten mit Henri-Philippe Pétain, dem Regierungschef in »Vichy-Frankreich«. Das war merkwürdig – ich erinnere mich heute mit gemischten Gefühlen daran: Sie jubelten einfach nicht.
Und ich war ratlos. Ich fragte mich: Was jetzt? Wohin? Ich wollte eigentlich bleiben, aber ich war ja noch ein Kind. Ich wußte damals nicht, daß man mich schon suchte. Ich schrieb Briefe an verschiedene Bekannte, die mich in der Klosterschule versteckt hatten, und teilte ihnen mit, daß ich gern bleiben wollte. Dann kam auch eine Freundin meiner Mutter, die mich fragte, ob ich nicht nach Schweden reisen möchte; dort hatte ich ja einen Onkel. Aber ich sagte ihr, daß ich in der Klosterschule bleiben und jetzt nicht wieder irgendwohin wollte. Ich fühlte mich in dieser Schule wohl.
Man hatte mir damals recht schnell gesagt, daß meine Eltern nicht zurückkämen, weswegen man mich weiter zum Priester erziehen wollte. Und ich blieb auch noch monatelang in der Klosterschule; als ich das Internat schließlich doch verließ, ging ich nach Paris. Dort gab es eine Familie, die sich um mich kümmerte, und nach einer Weile wurde ich ganz areligiös. Ich wurde zum Kommunisten. Ich verkaufte L’Humanité auf der Straße. Aber nur ein paar Wochen, dann wurde ich zum Zionisten. Man hatte mir erklärt, warum ein jüdischer Staat wichtig sei, ich wollte nun unbedingt nach Palästina – nicht weil ich auch dort einen Onkel hatte, sondern weil ich kämpfen wollte. Ich war gerade 15 Jahre alt und bin also weggelaufen. Mit einem Schiff und einer kleinen Gruppe kam ich tatsächlich in Palästina an, aber das war schon ein paar Wochen nach Gründung des Staates, im Juni 1948. Ich kam als Kämpfer und ich gab an, ich sei 17 Jahre alt. Aber man hat schnell entdeckt, daß es nicht stimmte, und ich bin zu meinem Onkel nach Hause geschickt worden.
Würden Sie sagen, daß Sie in der Kirche, im Glauben, einen Ersatz für die Familie fanden und daran auch solange es nötig war, solange es überlebensnotwendig war, festgehalten haben?
Es mag im Rückblick so aussehen, daß ich das alles plötzlich hinter mir gelassen habe, nur weil der Krieg vorbei war, aber es war viel komplizierter. Die Kirche war zwar auch eine Art Ersatzfamilie, aber sie war es nicht in einem funktionellen Sinne, wie Sie das beschreiben. Ich war seit meinem zehnten Lebensjahr ein wirklich tiefgläubiger katholischer Junge, ein katholisches Kind. Bei Kriegsende war ich dreizehn, vierzehn Jahre alt – und es hat sich einfach alles geändert. Ich bin aus verschiedenen Gründen von der katholischen Kirche weggegangen, weil sich die Dinge eben anders entwickelt haben. Ich habe mir aber nicht rational gesagt: Jetzt brauche ich das nicht mehr.
Wer Ihre Autobiographie »Wenn die Erinnerung kommt« liest, erfährt, daß Sie als Pavel Friedländer in Prag geboren wurden. In Frankreich sprach man Ihren Namen selbstverständlich französisch aus: Paul. Als Sie nach Israel kamen, nahmen Sie den Namen Saul an. Ihre Freunde nennen Sie Shaul, und die Amerikaner werden das »au« in Ihrem Namen wahrscheinlich zu einem »o« zusammenziehen. Das sind doch sehr viele Facetten einer Identität. Spüren Sie selbst Brüche und Übergänge, oder ist das immer der eine Friedländer?
Das ist eine ziemlich schwierige Frage. Selbstverständlich gibt es letztlich etwas, das all diese Namen zusammenbringt; es ist für Sie sicherlich nicht unerwartet, wenn ich sage, daß die Jahre der Vernichtung der eigentliche Kern dieser Identität sind. Das war doch die prägende Zeit meines Lebens, und sie ist es geblieben. Alle diese Namen sind oberflächliche Änderungen, allein auch schon deshalb, weil ich nirgendwo so ganz zu Hause bin. Ich führe ein Emigrantenleben – obwohl ich zu Hause bin in Israel, ich war zu Hause in Frankreich und in der Schweiz, als ich dort lehrte. Ich bin zwar kein Psychoanalytiker, aber ich nehme an, das geht auf diese Zeit zurück. Diese Jahre haben mich fast mein gesamtes Leben beschäftigt, und die Identität steckt dort.
Vor einiger Zeit hat Martin Doerry einen Band mit Interviews veröffentlicht: Nirgendwo und überall zu Haus1. Der Titel ist eigentlich ein Zitat aus dem Gespräch mit mir. Ich bin seit Jahren Amerikaner, und ich war und bin Israeli. Ich war zunächst nie etwas anderes als Israeli, und erst später bin ich Amerikaner geworden. Aber gleichzeitig sehne ich mich nach Europa und nach Frankreich. Meine »Grundsprache« ist Französisch, wie Sie auch hören können. Ich bin in Prag geboren, meine Familie war stark assimiliert, sie war kulturell sehr deutsch geprägt. Wir wohnten sogar einen Teil des Jahres in den Sudeten, wo man nur Deutsch sprach. Nach der Flucht mit meinen Eltern nach Frankreich habe ich dort als Sechsjähriger die deutsche Sprache bald ganz vergessen, dennoch blieb sie irgendwie, irgendwo versteckt. Und als ich dann 1948 nach Palästina kam, in eine Art Dorf, wo nur Leute aus Deutschland und Böhmen lebten, kam mir das Deutsche innerhalb weniger Wochen zurück. Ich lese sehr gerne deutsche Literatur, ich habe eine Tochter, die in Berlin lebt. Deshalb bin ich auch in einer Weise an Deutschland gebunden. Das ist einerseits selbstverständlich, andererseits überhaupt nicht selbstverständlich. Ich fühle mich wirklich nirgends zu Hause. Ich habe keine Heimat.
Gehört es zu diesem »nirgendwo und überall«, daß Sie den Holocaust als Forschungsgegenstand erst nach vielen Jahren für sich entdeckt haben? Wie haben Sie sich an das Thema angenähert?
Mein ganzes Wesen war zunächst auf etwas anderes orientiert: nicht auf die Vergangenheit, sondern auf das neue Leben. Es dauerte Jahre, bis ich zur historischen Forschung fand, denn ich interessierte mich zunächst gar nicht dafür, obwohl mir natürlich der Sachverhalt bekannt war. Vor allem bei meinem Aufenthalt in Israel ist mir der Holocaust erst richtig bewußt geworden. Aber zunächst wollte ich in die Diplomatie, ich wollte überhaupt nichts von Geschichte hören. Ich habe deshalb politische Wissenschaft studiert, meine Dissertation schrieb ich über das »Dritte Reich«. Das hatte aber überhaupt nichts mit den Juden zu tun. Der Titel meiner Doktorarbeit lautet auf deutsch Auftakt zum Untergang. Hitler und die Vereinigten Staaten 1939-1941. Aber es ist im Rückblick natürlich interessant, daß ich ein Thema zum »Dritten Reich« gewählt habe. Ich wußte es damals noch nicht, und ich spürte es auch nicht, daß ich schon in die Richtung ging, in der ich dann mein ganzes Leben arbeiten sollte. Bei meinem nächsten Buch, das sich mit Papst Pius XII. und dem »Dritten Reich« beschäftigt, wurde es schon deutlicher: Da ging es natürlich auch um die Haltung des Vatikans zum Holocaust. Mit diesem Buch knüpfte ich gleichzeitig an meine katholischen Erziehung an. Da hat es angefangen. Es dauerte also ziemlich lange, bis ich beim Thema Holocaust war. Zuerst bin ich also zurück zum Judentum, zum nationalen Judentum, nicht zum religiösen. Ich wurde ein bewußter Zionist, ein Israeli. Aber das war ein langer und dynamischer Prozeß.
»Die Jahre der Vernichtung« zu schreiben war eine Kraftanstrengung, eine Lebensentscheidung, zu der man sich nicht rasch entscheidet, zumal mit ihrem biographischen Hintergrund. Warum war es Ihnen so wichtig, Tätergeschichte und Opfergeschichte zusammenzubringen?
Mir ist schon lange klar, daß wir nur Teilgeschichten des Holocaust schreiben. Wir müssen das Geschehen aber als Ganzes begreifen. Es geht nicht nur um die Politik und die Maßnahmen der Nationalsozialisten und der Kollaborateure in ganz Europa. Auch die Opfer waren ja mit ihrem Leben und ihrem Tod Teil dieser Geschichte. Man kann nicht die Opfer nur als Objekt, als diese bloße Zahl betrachten. In den Studien über die Politik der Vernichtung passiert das oft. Zum Beispiel auch bei jüdischen Historikern wie Raul Hilberg2, wo die Maschinerie der Vernichtung den zentralen Raum einnimmt. Die Opfer werden dort – polemisch gesagt – nur nebenbei betrachtet. Das wollte ich einfach ändern.
Ich bin ein Bewunderer Hilbergs und habe das Buch gleich gelesen, als es 1961 herauskam. Doch Hilberg hat sich ganz auf die deutsche Vernichtungsmaschinerie konzentriert. Ich habe versucht, eine Gesamtdarstellung des Holocaust zu schreiben, in der nicht nur die Perspektive auf ganz Europa ausgeweitet wird, sondern auch die Stimmen der Opfer stärker zu Gehör gebracht werden, als dies bislang geschehen war. Der Anfang des Projektes ist wichtig, weil er die Methode bestimmt hat und die Perspektiven sich daraus entwickelt haben: Die Diskussion um die »Historisierung des Nationalsozialismus« bildete 1985/86 den Auftakt zu meinem Vorhaben. Ausschlaggebend war schließlich die scharfe Debatte, die ich in den achtziger Jahren mit Martin Broszat geführt hatte und die in den Briefwechsel mündete, den die Vierteljahrshefte veröffentlichten3.
Das Dritte Reich und die Juden ist der Versuch, die Geschichte auf eine neue Art zu beschreiben. Es geht mir um eine integrierte Geschichte, die Verknüpfung von Täter- und Opfergeschichte. Sicher ist mir das nur zum Teil gelungen, und unendlich viel bleibt zu sagen. Dieser Umfang war so nicht geplant, und alles in allem habe ich 16 Jahre an den beiden Bänden gearbeitet, von 1990 bis 2006. Ich wußte zunächst nicht, wie schwierig der zweite Band werden würde. Ich wußte es nicht, aber ich ahnte es. Ich sah am Anfang nicht, wie schwierig das Konzeptuelle, aber auch das Narrative würde. Das hat mir viel mehr Zeit genommen, als ich eigentlich geplant hatte. Gleichzeitig hatte ich Angst, nicht imstande zu sein, das Buch wirklich zu Ende schreiben zu können. Denn wenn man, so wie ich, älter wird, denkt man auch immer wieder darüber nach, daß man im nächsten Jahr vielleicht nicht mehr genügend Kraft haben wird, schon weg ist – so oder so –, und es ist deshalb besser, die Arbeit doch abzuschließen.
Haben Sie manchmal einen Konflikt zwischen Ihren Positionen als professioneller Historiker einerseits und als Überlebender des Holocaust andererseits empfunden?
Von Anfang an, schon als ich mich in den frühen sechziger Jahren zunächst kritisch mit Papst Pius XII. und der Haltung des Vatikans befaßte. Auch das war damals für mich nicht ganz einfach, denn schließlich war ich während des Krieges in dem katholischen Internat versteckt gewesen und habe so überleben können. Natürlich muß man gegen seine eigene Subjektivität angehen. Das gilt aber auch für die deutschen Historiker meiner Generation, die in der HJ oder in der NSDAP waren.
Aber ich habe auch immer betont, daß ich eine subjektive Sicht habe und mir dessen bewußt bin. Ich versuche natürlich, das zu kontrollieren. Ich möchte die Geschichte so objektiv wie möglich schreiben, obwohl ich weiß, daß ein Element der Subjektivität nicht nur darin bleiben wird, sondern auch nützlich und wichtig ist. Man sollte mich da nicht mißverstehen. Ich habe versucht, eine Gesamtdarstellung zu schreiben, die alle Seiten einbezieht: Deutsche, die europäische Umgebung und die Opfer selbst, die jüdischen Gemeinden und jüdische Individuen. Ich wollte einerseits ganz strikt Geschichte schreiben, andererseits kommt dieses Element der Fassungslosigkeit dazu, das am Anfang, wenn man mit der Shoah irgendwie konfrontiert ist, jeder fühlt. Was ist das? Wie war das möglich? Und dann kommen die Geschichtsschreibung, die Wissenschaft, die Rationalität und drücken dieses Gefühl weg: Es war so und so, und wir können das erklären, a, b, c, d ... Demgegenüber wollte ich dieses erste Gefühl, dieses Primärgefühl der Fassungslosigkeit bewahren. Vielleicht ist es durch die einzelnen Stimmen, die da hochkommen, gelungen.
In Ihrem Buch wird der Schrecken durch die Zeugnisse der Opfer äußerst plastisch. Sie schreiben in einem ruhigen, erzählenden, ja sc...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. I.
  6. II.
  7. III.
  8. Bibliographie Saul Friedländer
  9. Nachwort von Norbert Frei
  10. Abkürzungen
  11. Namenverzeichnis