Alles Verwandte
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Alles Verwandte

Roman

  1. 204 Seiten
  2. German
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Alles Verwandte

Roman

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Über dieses Buch

Sabine Peters Roman entführt den Leser in den herbstlichen Süden, aber thematisiert werden die brennenden Fragen unserer Gegenwart, so beiläufig wie tiefsinnig.Zwei Künstlerinnen in der urtümlichen Landschaft Portugals: Marie kommt aus Hamburg geflogen und besucht Lino, die vor Jahren von dort zurückgegangen war in das kleine Bergdorf Feital, aus dem sie stammt. So lange sind die beiden schon befreundet, nur ihre Ehemänner fehlen, sie gibt es nicht mehr.Die Freundinnen schlendern durch Olivenhaine und steigen in verfallenen Bauernhöfen herum, beobachten Hund, Katze, Ziegen und Eidechsen, sprechen über Erinnerungen, über Kunst und Natur, über die Suche nach dem passenden Wort. Steine fallen vom Himmel oder werden in Vögel verwandelt. Die Felsen werfen Wellen und die Spinnen ihre Netze aus.Künstler, Klempner und ein Augenarzt treten auf, der Esel des Nachbarn lässt rostige Schreie ertönen, und Linos Atelier ist ein Erinnerungsraum für sie und ihre Gäste. Bei Wildschweinbraten, Esskastanien- und Pilzernte geht es um die Eltern, Ehemänner, um die Großfamilie auf dem Lande und den Lauf des Lebens im Großen und Kleinen. Die hundertjährige Tante Celina gibt Anlass zur Sorge, ein Nashornkäfer gibt zu denken.Sabine Peters hat einen Roman über eine Frauenfreundschaft geschrieben, über eine Nähe, die Jahrzehnte überdauert. Die Genauigkeit, mit der sie erzählt, findet auch in der dörflichen Abgeschiedenheit zu den großen, existenziellen Fragen, vielleicht gerade dort.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783835341760
Den Ort Feital, sprich Feijtal, gibt es wirklich.
Alles andere ist ungewiss.
Regen trommelt nachts aufs Dach, und Wind zerrt an den Fenstern. Es rauscht und gurgelt ums Haus.
Lino träumt vom Zeichenunterricht, ist wieder Schülerin im Dorf Feital, in den Bergen im Nordosten Portugals. Die Aufgabe heißt: Malt das Meer. Sie ist neun Jahre alt und nie am Meer gewesen. Sie sitzt vor ihrem weißen Blatt.
Immer wacht sie an dieser Stelle ihres Traumes auf.
Herbst, Oktober. Lino dreht sich im Bett, will Licht anmachen. Der Strom ist ausgefallen. So ist es oft hier, zu Hause in Feital. Hier schlagen keine Meereswellen, nur der Regen fällt.
Lino zündet eine Kerze an, steht auf. Drei Uhr nachts. Heute wird sie einundsiebzig Jahre alt.
Sie geht mit dem Licht in die Küche. Auf dem Herd ein Topf mit Minestrone. Nachts isst man keine Suppe, nachts schläft man. Die Katzen im Gemüsegarten sehen den Schein der Kerze, sie drängeln sich vor der Glastür, betteln um Einlass. Vom Esel des Nachbarn stöhnende rostige Stöße.
Du bringst kein dreckiges Viehzeug ins Haus!
Muss man das einem Bauernkind überhaupt sagen? Lino mit neun Jahren: zerspieltes Kleidchen, feste Schuhe, Schleife im kurzen Haar. Hinter dem Rücken hielt sie die Hände versteckt, Mutter, ich bringe Ihnen Hühnereier! Es war aber eine tote Schlange. Oder ein blutiger Igel. Die Mutter schüttelte sich, Raus! In einem Winkel des Stalls wusch das Kind das verletzte Bein des Igels, so wie der Vater es bei den Kühen machte.
Jetzt hier draußen im Gemüsegarten drei schreiende Katzen, die älteste wird es nicht mehr lange machen. Lino öffnet die Tür zum Garten einen Spalt breit, schiebt die beiden Jüngeren mit dem Fuß beiseite, Verzieht euch, der Schuppen ist trocken. Doch sie lässt die alte Blimunda zu sich reinschlüpfen. Ein nasser schwarzer Teufel mit gelbgrünen Augen und beleidigtem Gesicht.
Beschäftigen kannst du dich wohl selbst, sagt sie. Schrappt aber etwas von dem Futter aus dem Katzentopf vom Herd in eine Untertasse, stellt sie auf den Boden. Eine Höflichkeitsgeste, das wissen beide. Natürlich frisst Blimunda um diese Zeit nicht, sie mustert den Teller und verschwindet aus der Küche.
Lino könnte sich schon anziehen, wach, wie sie ist. Aber was soll das, mitten in der Nacht.
Sie wandert, wenn sie nicht schlafen kann. Ihr Esszimmer geht in das Atelier über. Siebzig Schritte sind es durch die Längsseite des Raums. Mit der Kerze in der Hand hin und her, hin und her. In einer Ecke am Ende des Raums steht eine Gruppe ihrer Holzskulpturen, Menschengröße. Sie wirft einen kurzen Blick zu ihnen hinüber. Die Gruppe lebt ihr Eigenleben, ein Inseldasein, sie braucht Lino nicht. Splendid isolation. Aus welcher Nische im Kopf dieser Ausdruck, wie lange war er nicht da. Wunderbare Vereinzelung. Sie selbst lebt allein.
Abends wird Besuch aus Hamburg kommen. Marie fällt wahrscheinlich bald aus dem Bett, huscht zwischen Kaffeetasse und Koffer durch ihre Wohnung, stürzt in die S-Bahn Richtung Flughafen Fuhlsbüttel. Die Freundin ist überpünktlich.
Als Lino selbst noch in Hamburg lebte, hatte sie selten das Geld, um die Eltern in Portugal zu besuchen. Und Marten keine Zeit, mit ihr die weite Reise im Auto zu machen. Er brachte sie im Opel von Hohenfelde nach Fuhlsbüttel rüber. Immer fuhr er auf den letzten Drücker, als hätte er Lust, sie zu reizen. Ehegeschichten, ohne Fanfare am Ende. Als Martens Mutter siebzig wurde, spielte tatsächlich der Posaunenchor der Kirchengemeinde Pinneberg vor ihrer Tür. Evangelische geistliche Lieder.
Niemand feierte Geburtstag, als Lino ein Kind war, im katholischen Kuhdorf Feital.
Siebzig Schritte hin und her durchs Atelier, ein Tropfen heißes Wachs fällt auf die Hand.
Mit der Muttermilch müsst ihr es lernen, liebe Kinder! Ihr müsst es nachts im Schlaf aufsagen können!
Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnaden,
der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.
Maronen, Esskastanien. Lino hatte unter ihrem Kleidchen einen Blähbauch.
Heilige Maria, Mutter Gottes,
bitte für uns Sünder
jetzt und in der Stunde unseres Todes.
Amen.
Und was bedeutet das, ihr Kinder? Warum soll die Mutter Gottes für uns Menschen bitten? Wir Menschen tragen Schuld, seit Adam und Eva tragen wir sie und geben sie weiter!
Es waren weiche weiße Hände. Immer am Schluss der Stunde streckte der Priester die rechte Hand aus, um sie küssen zu lassen.
Und warum grüßen wir Maria? Ihr habt es doch gerade gesagt!
Sie ist voller Gnade. Die Jungfrau mit dem Kind, die Frucht im Bauch.
Lino hatte mittags zu viele Maronen gegessen. Während des Unterrichts rannte sie aus dem Klassenzimmer. Draußen spritzten halbverdaute Früchte aus dem Mund. Bröckchen und saurer Brei. Schweiß auf der Stirn.
Tante Celina trieb ihre Ziegen die Dorfstraße lang.
Alles war gleichzeitig da. Der Hunger und das Schlingen, Schuld und Priestertrommel und die Ziegen.
Und die Geschichten von den Heiligen.
Die selige Mafalda wurde in Coimbra als Königstochter geboren. Als junges Mädchen heiratete sie Eurico von Kastilien. Er starb sofort, Mafalda blieb Jungfrau. Im Kloster tötete sie alle Gier in sich. Auch sprach sie nicht, also auch niemals falsch. Mafalda ist aus Gottes Gnade unverweslich. Das heißt, als Tote bleibt sie beisammen.
Linos Berufswunsch mit neun Jahren: Nonne werden. Große lange Kutte, viele schwere Schlüssel am Strick um den Bauch. Der Bauch als volle Trommel. Wie der Priester eine hat.
Zurück ins Klassenzimmer nach dem Kotzen. Die Kinder stotterten herunter, was sie für ihr ganzes Leben wissen sollten.
Die heilige Isabella wurde hier in unserer Nähe, in Trancoso, mit dem König Dionysius verheiratet. Er hatte viel unrechte Mägde. Damit lud er Schuld auf sich. Doch Isabella glaubte. Oft brachte sie den hungrigen Armen Gold. Dionysius verfolgte sie und fragte sie, was sie davontrage. Sie öffnete ihren Korb, und alles Gold war zu Rosen geworden. Die blühten im Winter und das war das Rosenwunder, mit Hilfe des Herrn.
Die Kinder traten vor, um die Hand des Priesters zu küssen.
Sehr weich. Sehr weiß. Lino biss zu.
Viele siebzig Schritte hin und her durchs Atelier.
Jetzt ist es gut. Jetzt hat sie einen Teil der Aufgaben gemacht und wird sich noch mal hinlegen.
Sie geht ins Schlafzimmer zurück, lehnt die Tür an. Draußen lässt der Regen nach. Wolkenschwaden ziehen.
Sie legt sich hin, löscht die Kerze und nimmt sich vor, weiter zu träumen von dem Kind und von der Zeichenstunde. Eines Tages wird es ihr gelingen, noch in den Bergen das offene Meer zu sehen. Alles Weitere wird sich zeigen.
Blimunda streckt sich am Boden auf dem Kissen neben dem Bett aus und gibt etwas von sich, als würde sie seufzen. Wenn du hier bleiben willst, dann halt dich still, du Nichtsnutz, sagt Lino freundlich. Die Katze schnurrt.
*
Lino schläft nicht ein. Flatternde Augenlider, Augenflügelschläge zwischen Hamburg und Feital.
Kein Mensch kann an zwei Orten sein. Und die Vergangenheit, das ist kein Ort.
Lino liegt auf dem Rücken. Etwas im Zimmer hat sich verändert. Doch niemand sitzt auf der Kommode, auf dem Schrank, und niemand krallt sich fest an der Gardinenstange. Kein Flügelschlagen, kein Krächzen.
Ein Gemurmel eintöniger Stimmen, sie kommen von überall her. Lino kann nur daliegen und zuhören. 70 bis 97. Bald dreißig Jahre, die vergingen wie ein Husch.
*
Ist ausgeflogen. Das Studium der Kunst in Porto und Lisboa reichte ihr wohl nicht. Hat 1970 an der Kunsthochschule Hamburg ein Stipendium bekommen. Jobbte nebenher in einem Imbiss. Neue Sprache: Fri-ka-del-le. Würst-chen.
Sie sah in der Zeitung das Bild vom Kniefall des westdeutschen Kanzlers in Warschau, dachte an den Präsidenten Portugals. Salazar kniete vor Gott in der Kirche, Brandt vor Opfern des Nationalsozialismus.
Es fiel ihr leicht, Kontakt zu anderen zu finden. Nach dem Unterricht Versammlungen, Feste, gemeinsame Unternehmungen und der Job. Tage, Wochen und Monate. Bekannte wurden Freunde. Marten, ein spröder Hamburger, kein Blender, war 72 Jurist in der Referendarszeit. Als bei den Olympischen Spielen in München Terroristen israelische Geiseln nahmen, boten sich Ersatzgeiseln an. Lino fragte Marten, was er davon hielt. Er zögerte. Gut, sagte er, aber die Deutschen sind etwas romantisch. Sie fragte, Warum sagst du nicht: wir Deutschen?
Sie wurde Aushilfe in einer Restaurantküche. Der Regen in Hamburg hörte nie auf.
Die Studenten fanden sich toll mit einer Ausländerin, die aus dem Faschismus kam.
Einer von Linos Nachbarn war Chilene. 73 fragte sie ihn, als Pinochet putschte, Hört das nie auf mit der Tyrannei?
Sie zeichnete Plakatentwürfe für Demonstrationen.
Sie zog mit Marten zusammen. Und sagte 74, aus Anlass der portugiesischen Nelkenrevolution: Grândola Vila Morena! Das hört mal auf mit der Tyrannei!
Reise nach Lisboa und Feital.
Einzelausstellung in Kiel. Ein Job in einem Wettbüro auf der Trabrennbahn. Standesamtliche Trauung mit Marten. Er war Anwalt, Partner einer kleinen Kanzlei. Blass kam er abends nach Hause.
Lino schlug Skulpturen aus Holz. Ihre Augen dachten, ihre Hände dachten.
Sie summte mit Mozart. Sie sang mit Biermann die Ballade für den tief besorgten Freund.
Die DDR entzog dem Liedermacher den Bürgerstatus. Lino sagte, Nie hört das auf mit der Tyrannei.
Umzug, Wohnung und Atelier in einer Fabriketage, erster Stock in Hohenfelde. Unter ihnen im Parterre Medizinstudenten, Irmgard und Theo. Zu viert ihre Ausflüge an die Ostsee, der Sehnsuchtsort Südsee war unbezahlbar. Martens polnische Klienten hatten kein Geld, er konnte nur dünne Rechnungen schreiben.
Lino grub sich in ihre Arbeit, grub sich hinaus ins Offene.
Aber draußen war immer Regen, den sie wie eine Katze hasste.
Die Partei der Grünen gründete sich 80. Marten und Theo sympathisierten. Lino dachte an den Vater in Feital, der das Wort Umweltverschmutzung nicht kannte, nicht brauchte. Der brauchte den Mist seiner Kühe, um all die steinigen Äcker zu düngen.
Lino gab Unterricht im Aktzeichnen. Für je zehn Abende, jeweils zwei Stunden, bekam sie 300 Mark.
Kohl wurde 82 Bundeskanzler. Unbeholfen blinzelte er in die Kameras. Die Witze über ihn fand Lino billig.
Sie hoffte auf goldenen Regen: Ein Filmteam mietete ihr Atelier zwei Tage lang, um einen Tatort mit Künstlermörder zu drehen. Die Leute schoben Kulissen, Lampen, Leitern. Besetzten Bad und Küche. Sie schlugen eine Fensterscheibe ein und demolierten eine Tonskulptur. Verdienst: Eintausend Mark. Marten geigte abends Mozarts kleine Nachtmusik.
Und im Amadeusfilm von 84 hatte Salieri musikalisch keine Chance, er haderte vor dem Kruzifix.
Als Lino noch in Hambur...

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