Die Erfindung der Reinheit
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Die Erfindung der Reinheit

Eine andere Geschichte der frühen Neuzeit

  1. 62 Seiten
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Die Erfindung der Reinheit

Eine andere Geschichte der frühen Neuzeit

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Vorstellungen von Reinheit dienen dazu, Uneindeutigkeit in Eindeutigkeit zu überführen, um auf diese Weise Selbst- und Weltdeutungen zu homogenisieren, zu stabilisieren und nicht zuletzt auch zu harmonisieren. Ausgehend von dieser These fragt Peter Burschel nach dem Ort dieses Musters in der europäischen frühen Neuzeit. Sein Ergebnis: Seit dem ausgehenden Mittelalter avanciert Reinheit zu einem kulturellen Code, der den fundamentalen Prozessen sozialer und konfessioneller Disziplinierung im 16. und 17. Jahrhundert die Richtung weist - und die Epoche auf diese Weise historisch-anthropologisch zusammenhält: ordnungsstiftend, symbolerzeugend, handlungsleitend und ungemein nachhaltig.

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Information

Verlag
Wallstein
Jahr
2014
ISBN
9783835325562

VI. Differenzmarkierung

All das war kein Strohfeuer. All das endete nicht mit der »neuen Sittlichkeit« der Reformation, um einen Begriff von Ernst Schubert zu zitieren.72 Im Gegenteil. Der Siegeszug der ethischen Reinheit ging weiter und nahm sogar an Fahrt auf, begann die Matrix von rein und unrein im Laufe des 16. Jahrhunderts doch auch jenen frühneuzeitlichen Fundamentalprozess zu strukturieren, den wir gemeinhin Konfessionalisierung nennen, was wiederum wechselseitig dynamisierend wirkte.73 Man kann es auch so sagen: Die Frage nach der Genese und Profilierung konfessioneller Kulturen ist immer auch eine Frage nach Prozessen der Grenzziehung zwischen rein und unrein. Oder, zugespitzt formuliert: Konfessionalisierung war Purifizierung und damit zugleich auch deren Gegenteil. Denn, um es zu wiederholen, keine eigene Reinheit ohne fremde Unreinheit.
Was aber bedeutet das konkret? Das bedeutet, dass Katholiken wie Protestanten ihre Kirchenräume umgestalteten – und zwar durchaus als Versuch einer umfassenden Neukonfiguration von Dingen und Bedeutungen, um es in der Sprache postmoderner Raumsoziologie auszudrücken;74 oder dass Heilige damit rechnen mussten, am Rand bzw. hinter den Säulen der Himmelsgesellschaft zu landen, wenn nicht aus ihr entfernt zu werden, für die sich zudem das Rekrutierungsverfahren erheblich verschärfte;75 und dass selbst Maria vor purifizierenden Übergriffen nicht mehr sicher sein konnte. Denn das wissen wir von Klaus Schreiner: Schon im 17. Jahrhundert durfte die Mutter Gottes nur noch schwanger sein, wenn sie einen weiten Mantel trug.76 Das bedeutet, dass Menschen in ganz Europa wie selbstverständlich davon ausgingen, andere Glaubensgemeinschaften seien krankheitserregend.77 So heißt es zum Beispiel in der Autobiographie des elsässischen reformierten Kannengießers Augustin Güntzer, der sich 1618 auf dem Weg nach Rom befand: »In der Zeitt stieß mich die hitzige ungerische Kranckheitt an wegen des starcken hitzigen Weins und des Gestanckes der Knobloch und Wax, so ich in mich geschlucket habe in der Capel zu Loreta durch den Atem.«78 Das bedeutet, dass allerorten auch die Furcht vor einer Kontamination »heiliger Texte« zunahm und damit die Furcht vor einer Kontamination von Lehre und Glauben, wie sich exemplarisch an Luthers sogenannten Judenschriften zeigen ließe,79 aber auch an der Arbeit der jesuitischen »Bollandisten«.80
Das bedeutet, dass Prozesse konfessioneller Ausdifferenzierung – bis hin zur konfessionellen Spaltung – mehr oder weniger durchgängig auch als Prozesse zu fassen sind, in denen Grenzen zwischen rein und unrein gezogen und dabei immer wieder auch entsprechend inszeniert wurden.81 Das bedeutet, dass in diesen Prozessen die Kirchenzucht mit ihrer zum Teil unerbittlichen Bannpraxis eine immer größere Rolle spielte, die in Täufertum und Calvinismus, die aber keineswegs zuletzt auch im lutherischen Pietismus vor allem ein Ziel hatte: die Reinheit der Abendmahlsgemeinde – banden doch, ich brauche es nicht zu betonen, all diese Bewegungen reines Wort und reine Lehre sehr viel stärker an die »puritas vitae«, als noch Martin Luther das getan hatte.82
Und das bedeutet schließlich auch, dass wir, so scheint es jedenfalls, vergleichbare Entwicklungen auch in jüdischen Diasporagemeinden in Europa beobachten können,83 Entwicklungen, die das Judentum nachhaltig verändert haben, weil sie die rabbinische Tradition kabbalistisch überformten und dabei in Orthodoxie verwandelten, und die seit einiger Zeit immer häufiger auch als Konfessionalisierung bezeichnet werden.84 So legen zum Beispiel die beiden Protokollbücher, die der Vorstand der portugiesisch-jüdischen Gemeinde in Hamburg zwischen 1652 und 1682 führen ließ, die These nahe, dass Verfolgungserfahrung, Gemeindebildung und die Entstehung einer umfassenden Kultur der Reinheit eng aufeinander bezogen werden müssen.85 Mehr noch, es scheint diese Kultur der Reinheit gewesen zu sein, die es der Gemeinde ermöglichte, sich als exklusive Heilsgemeinschaft zu verstehen, und zwar sowohl gegenüber der christlichen Umwelt als auch gegenüber den anderen jüdischen Gemeinden in der Stadt.86
Gleichzeitig lassen aber auch autobiographische Texte von Juden in Aschkenas, in den meisten Fällen »Sichronot«, Erinnerungen, seit dem 16. Jahrhundert keinen Zweifel daran, welche Bedeutung Reinheitsdiskursen und Reinheitspraktiken in Prozessen »posttraumatischer« Vertrauensbildung im Judentum zukam.87 So fällt immer wieder auf, dass es die Rituale der Alltagsheiligung sind, die Anlass zur Differenzmarkierung geben und die vor allem auf Reisen darüber entscheiden, was nah ist und was fern. Ja, es hat sogar den Anschein, als habe die Schärfe der Trennungen, sei es gegenüber der jüdischen, sei es gegenüber der christlichen Umwelt, seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert erheblich zugenommen. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass die Selbstzeugnisse zumindest im 17. Jahrhundert zunehmend dazu neigen, das Martyrium zu kultivieren. Das Martyrium aber ist die höchste Form der Heiligung im Judentum und damit eine Erwählung, die nur jenen zuteilwird, die rein sind. Das aber heißt: Wer fromm ist, lebt in der beständigen Furcht, unrein zu werden. Wer fromm ist, bedarf deshalb der asketisch (und rituell) eingeübten Trennung von der Unreinheit, nicht zuletzt von der Unreinheit der Ungläubigen. Man kann es auch so sagen: Indem die Selbstzeugnisse das Martyrium kultivieren, fordern sie Gemeinden ein, deren Mitglieder darauf vertrauen können, vor Unreinheit geschützt zu werden – und sei es durch strikte Separation und rigide Bannpraxis.88
Um aber auch das nicht zu vergessen: Auch die konfessionelle bzw. konfessionalisierte Gewalt der frühen Neuzeit folgte dem kulturellen Code der Reinheit. Auch für sie gilt, dass Konfessionalisierung Purifizierung war. Was Natalie Zemon Davis bereits 1973 am Beispiel der »Rites of Violence« in den französischen Religionskriegen zeigen konnte, ist inzwischen vielfach bestätigt worden.89 Ob verhöhnt und verspottet wurde, ob gefoltert, vergewaltigt oder hingerichtet, ob Leichen geschändet wurden, immer ging es darum, Reinheit und Unreinheit körperlich sichtbar und damit identifizierbar zu machen.90 Auch für die Riten der konfessionellen Gewalt darf festgehalten werden, dass sie Eindeutigkeit schaffen sollten und gerade deshalb unter umgekehrten Vorzeichen auch von der jeweils anderen Seite medial wirkungsvoll transformiert werden konnten.91 Um nur einen Fall zu nennen: Im Jahre 1620 veröffentlichte der Verleger – und Gelegenheitshistoriker – Jan Evertszoon Cloppenburg in Amsterdam ein Buch über die Geschichte der spanischen Herrschaft in den Niederlanden, das rasch zu einem Bestseller avancierte, den »Spiegel der Spaensche Tyrannye geschiet in Nederlandt«.92 Wie schon antispanische Flugschriften der sechziger und siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts warnt auch Cloppenburg in seinem Vorwort ausdrücklich davor, dass die spanische Herrschaft darauf abziele, nach den unschuldigen Völkern jenseits des Atlantiks auch die Niederländer auszurotten, was nur ein rascher und beherzter Griff zu den Waffen verhindern könne, und plädiert damit ein Jahr vor Ablauf des Waffenstillstands von 1609 für eine Wiederaufnahme der Kriegshandlungen gegen Spanien.93 Wie aber stellt er die spanische Herrschaft dar? Einer eingespielten Grammatik des Patriotismus folgend, nutzt Cloppenburg das Reservoir an überlieferten Schreckensbildern so, dass sein Publikum keinen Zweifel mehr haben konnte: Die spanische Herrschaft in den Niederlanden war eine Herrschaft der systematischen Entweihung einer Kultur der Reinheit, einer Kultur des »God behoede ons«, wie es an der Fassade des Rathauses von Leiden heißt. Eine Herrschaft, deren Gewalt sich vor allem gegen fünf Gruppen richtete: gegen die Ungeborenen und damit gegen die Schwangeren, gegen die Kinder, gegen jene, die heiraten wollten, und gegen die Alten.94
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Abb. 5a. Das Titelblatt einer kriegstreibenden Aufstandsgeschichte: Johann Gysius, Oorspronck ende voortgang der Nederlandscher Beroerten, Delft 1626.
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Abb. 5b. Das Titelkupfer zeigt, wie die reine »hollandse maagd« vor einer Marterlandschaft von einem spanischen Soldaten mit dem Dolch bedroht wird.
72 Ernst Schubert, Soziale Randgruppen und Bevölkerungsentwicklung im Mittelalter, in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 39 (1988), S. 294-339, hier S. 328-339; ders., Fahrendes Volk im Mittelalter, Bielefeld 1995, S. 351-371; ders., Räuber, Henker, arme Sünder. Verbrechen und Strafe im Mittelalter, Darmstadt 2007, S. 217-229.
73 Zum Konfessionalisierungsparadigma an dieser Stelle nur prägnant: Wolfgang Reinhard, Konfessionalisierung, in: Oldenbourg Geschichte Lehrbuch: Frühe Neuzeit, hg. von Anette Völker-Rasor, München 32010 (12000), S. 299-303.
74 Beispiele: Andreas Holzem, Die sieben Hauptkirchen Roms in Schwaben. Bildprogramm und Handlungskonzepte eines konfessionalisierten Kirchenraums, in: Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 9 (2005), H. 3/4: Kirchen, Märkte und Tavernen, hg. von Renate Dürr und Gerd Schwerhoff, S. 459-496; Peter Burschel, Gemalte Kirchenräume in den nördlichen Niederlanden des 17. Jahrhunderts, in: ebd., S. 527-558; Renate Dürr, Politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Kirchenräume in Hildesheimer Stadt- und Landgemeinden 1550-1750, Gütersloh 2006; Konfessionen im Kirchenraum. Dimensionen des Sakralraums in der Frühen Neuzeit, hg. von Susanne Wegmann und Gabriele Wimböck, Kolb 2007; Nadine Lehmann, Reformierter Bildersturm und Herrschaftsrepräsentation: Der Umgang mit fürstlichen Grabmälern während der obrigkeitlichen Bildentfernungen im Zuge der Zweiten Reformation, in: Bild – Macht – Unordnung, hg. von Anna-Maria Blank, Vera Isaiasz und Nadine Lehmann, Frankfurt am Main und New York 2011, S. 165-193.
75 Pierre Delooz, Sociologie et canonisations, Den Haag 1969; Peter Bur...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. I. Prolog
  5. II. Reinheit als kultureller Code
  6. III. Das weiße Band
  7. IV. Take-off
  8. V. Ein großes Kloster
  9. VI. Differenzmarkierung
  10. VII. Gutes Blut, böses Blut
  11. VIII. Schluss Oder: Die unreinen Küsse der Ruhmesgöttin
  12. Impressum